Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Ein solches Vorhaben, ein solches Mammutprojekt, peitschen Sie hier aber innerhalb von sechs Monaten durch die Beratung, und das, obwohl Sie seit 2010 an der Regierung sind und seitdem Zeit hatten, und das, obwohl Sie noch zu Beginn dieser Legislaturperiode, nämlich bereits im September 2012 – nachzulesen übrigens in der Vorlage 16/161 –, noch ausdrücklich zugesichert hatten, dass 2013 ein Entwurf vorliegen sollte.

Es kann aus meiner Sicht eigentlich nur zwei Gründe geben, warum das nicht geklappt hat: Entweder sind Sie völlig inkompetent, oder Sie haben das Ganze absichtlich nach hinten geschoben, um mit dieser Reform noch mal schnell ein bisschen Wahlkampf machen zu können – nur leider auf Kosten der Qualität. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch das groß angekündigte Dialogverfahren war eher ein Witzverfahren – beinahe hätte ich „WitzelVerfahren“ gesagt, aber das war es nicht. – Wie können Sie sich beispielsweise erdreisten, auf Seite 2 des Entwurfes zu schreiben, dass der anliegende Entwurf das Ergebnis eines mehrjährigen konstruktiven Dialoges mit den Verbänden gewesen sei? Denn in der Anhörung wurde von allen Verbänden kritisiert, dass die Einbindung – wenn überhaupt – erst kurz vor knapp stattgefunden hat.

Was für ein Dialog kann es sein, wenn ein Großteil der wirklich wichtigen und von den Verbänden geforderten Änderungen eigentlich von vornherein jeglicher Diskussion entzogen ist, weil diese Modernisierung der Vorgabe der Ausgabenneutralität unterworfen ist? Allein auf den ersten sieben Seiten ist das Wort „Ausgabenneutralität“ viermal erwähnt. Aber wie wollen Sie das Dienstrecht modernisieren, ohne Geld in die Hand zu nehmen?

Was ist mit den unzureichenden bzw. eigentlich überhaupt nicht vorhandenen Regelungen für E-Government und Open-Government? Hierfür sind entsprechende Kompetenzen erforderlich. Diese müssen auch Teil einer zukunftsorientierten Personal- und Organisationsentwicklung sein – gerade im Zeitalter der digitalen Revolution.

Eine Dienstrechtsmodernisierung sollte natürlich auch auf einen Verwaltungsinnovationsprozess abzielen, der E-Government und Open-Government ermöglicht. Ver.di hat es in der Anhörung übrigens auf

den Punkt gebracht, als sie sagten, dass wir dem zurzeit nicht gewachsen und auch nicht darauf vorbereitet seien und wir dahin gehend dringend eine Regelung in diesem Gesetz benötigten.

Was ist – das wurde schon erwähnt – mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Das ist ein sehr erstrebenswertes und bedeutsames Ziel – keine Frage. Allein die Einführung eines solchen Modells und die Benennung als solches genügen jedoch nicht, um wirklich von einem familienfreundlichen öffentlichen Dienst sprechen zu können. Vielmehr sollte jeder, der sich in der Zeit des demografischen Wandels um die Betreuung von Kindern und Jugendlichen kümmert, belohnt werden, unterstützt werden, zum Beispiel auch bei Beförderungen.

Wie aber wirkt sich die Teilzeit in der Realität aus? In der Realität ist es so, dass Teilzeit bei den Karrierechancen von Frauen und auch von Männern nachteilig ist. Aus den Beurteilungsstatistiken kann abgelesen werden, dass insbesondere die Teilzeitbeschäftigten Probleme bei ihrer Beurteilung haben. Ergebnis: Teilzeitbeschäftigte werden weniger befördert. Hier brauchen wir weitere Lösungsansätze. Auch das ist im Entwurf nicht berücksichtigt.

Was ist – das wurde ebenfalls schon mehrfach erwähnt – mit den flexiblen Wechselperspektiven vom öffentlichen Dienst in die Wirtschaft und umgekehrt?

Der absolute Renner war – Herr Stotko hat es gerade schon erwähnt –: Nachdem Ihnen dieser Entwurf in der Anhörung um die Ohren geflogen ist und Sie plötzlich gemerkt haben: „Oh, verdammt, ist ja doch nicht ganz so toll, was wir hier rausgehauen haben“, kommen Sie zwei Tage vor der abschließenden Beratung im Ausschuss mit einem hundert Seiten starken Änderungsantrag – in dem Wissen, dass eine ordentliche Befassung mit diesem Antrag völlig unmöglich ist. In dieser Zeit ist das nicht zu schaffen gewesen. Das ist pure Arroganz der Macht.

(Beifall von den PIRATEN)

Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Ein solches Vorhaben bewältigt man nicht in sechs Monaten. Das war von vornherein absehbar. Hätten Sie den Entwurf wie versprochen bereits im Jahr 2013 eingereicht, dann hätten wir bis heute alle Zeit der Welt gehabt. Wir hätten gegebenenfalls sogar noch eine zweite Anhörung beantragen können. Wir hätten alles machen können, was einer solchen Mammutaufgabe eigentlich gebührt. Stattdessen haben Sie sich für diesen einseitigen Weg entschieden. Deshalb können Sie mit einer Zustimmung von uns nicht rechnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schatz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte heute ist, glaube ich, deutlich geworden, dass wir einen langen und in Teilen auch schwierigen Prozess hinter uns bringen konnten – schwierig auch deshalb, weil wir als Landesregierung uns für ein breit gefächertes Verfahren entschieden haben, in das wir die Ansichten und die Kritik an zahlreichen Stellen eingebunden haben.

Herr Schatz, wenn ich mich nicht verzählt habe, haben wir diesen Prozess mit 26 Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften und Interessensvertretungen dialogisch gestaltet.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Ein halbes Jahr vor- her!)

26! Denen danke ich für ihre konstruktive Mitarbeit ausdrücklich.

(Beifall von der FDP)

Die breite Beteiligung hat gute Gründe, meine Damen und Herren. Diese Dienstrechtsreform hat Folgen für mehr als eine halbe Million Menschen in Nordrhein-Westfalen. Wir wollten uns ein möglichst umfassendes Meinungsbild aus allen Richtungen verschaffen, um Änderungen vorzunehmen, von denen diese vielen Menschen profitieren.

Ich finde die Reform übrigens gelungen, beispielsweise bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beispielsweise bei der Frage der Attraktivität des öffentlichen Dienstes.

Mein Dank gilt den regierungstragenden Fraktionen, die viele Anregungen und viele Wünsche, die uns entgegengebracht wurden, aufgearbeitet und eingearbeitet haben. Mit diesem Dienstrecht gehen wir in Nordrhein-Westfalen einen guten Schritt voran.

Jetzt zu Ihnen, Herr Witzel: Fakt ist, dass der Anteil von Frauen in den höheren Beförderungsämtern abnimmt. Damit ist Fakt, dass die bisherigen Regelungen für eine Frauenförderung nicht taugen. Es ist falsch, was Sie behaupten: dass es eine Geschlechterdiskriminierung gibt, weil dort nicht in ausreichendem Maße differenziert wird.

Dieses Gesetz sieht auf Grundlage eines Gutachtens des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Herrn Dr. Papier vor, dass ausschließlich dann, wenn es eine Konstellation in der Konkurrenz um ein Beförderungsamt zwischen Mann und Frau gibt – jetzt passen Sie bitte auf, Herr Witzel! –, bei gleicher Note – bei gleicher Note! – auf die sogenannte Binnendifferenzierung, also die Frage von einzelnen Kriterien innerhalb der Bildung der Gesamtnote, verzichtet werden kann – ich sage sogar: verzichtet werden muss –, um dem Verfassungsrang von Frauengleichstellung nachzukommen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen jetzt einmal ganz ehrlich, Herr Witzel: Inhaltlich liegen Sie neben der Kappe. Politisch liegen Sie neben der Kappe. Ihr Bild von Frauengleichstellung in dieser Gesellschaft stammt aus dem letzten Jahrhundert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen auch: Ich hoffe, dass Ihre Haltung dazu innerhalb der sogenannten liberalen Partei nur eine Einzelmeinung ist. – Herzlichen Dank, Herr Witzel.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aus dem letzten Jahr- tausend!)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Lohn?

Ich würde gerne noch zu Ihren Vorhaltungen kommen, Herr Lohn. Wollen wir abwarten, ob ich vielleicht das eine oder andere beantworte?

(Zuruf von Werner Lohn [CDU])

Vorschlag: gleich.

Lieber Herr Lohn, ich bin Ihnen ganz dankbar, dass Sie hier noch einiges mit Ihrem Änderungsantrag zusammengetragen haben. Das gibt mir die Gelegenheit, noch einmal darauf hinzuweisen, was eigentlich in Zeiten der schwarz-gelben Landesregierung zu diesem Thema gemacht wurde.

(Zurufe)

2006 gab es das Erfordernis, in den Ländern eigenes Beamtenrecht zu bilden. Drei Jahre später hat Herr Rüttgers mal eine Steuerungsgruppe eingeladen. Was wir vorgefunden haben, waren Protokolle von einigen wenigen Sitzungen dieser Steuerungsgruppe. Da war null zu verwerten. Null! Das hat auch Gründe. Es ist auch gut, dass das von Ihnen nicht weiter betrieben wurde. Es war historisch ein dankbares Ereignis, dass Sie von dieser Aufgabe entbunden wurden.

Tatsache ist: Um eine Dienstrechtsmodernisierung zu machen, benötigt man eine Basis. Die Basis ist gutes Personal in allen Behörden. Gott sei Dank hatten Sie nicht die Gelegenheit, weiter mit dem Rasenmäher über das Personal der Bezirksregierungen zu gehen oder diese sogar abzuschaffen. Sie hatten nicht vor, eine Dienstrechtsmodernisierung zu betreiben.

(Zuruf von Werner Lohn [CDU])

Sie wollten mit der Axt durch den Wald schlagen. Nichts anderes hatte Schwarz-Gelb vor.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb ist es auch gut, dass wir heute diesen Gesetzentwurf einbringen.

Herr Lohn, jetzt können Sie gerne noch Ihre Zwischenfrage stellen.

Vielen Dank, Herr Minister. – Ich gehe jetzt mal nicht auf die arrogante Art und Weise ein, in der Sie versuchen, die Wahrheit zu verdrehen.

(Zurufe von der SPD)

Ganz konkret haben die Berufsvertretungen massive Bedenken, was die an sich richtige Frauenförderung angeht. Das will ich hier klar sagen. An Frauenförderung und an der Erhöhung des Anteils an Frauen in Führungspositionen sollte man keinen Zweifel aufkommen lassen; das ist erforderlich. Trotzdem müssen die Wege dorthin verfassungskonform sein.

Was sagen Sie den Gewerkschaften, die sagen, es wird Klagewellen und einen Stillstand im Bereich Beurteilungs- und Beförderungsverfahren geben? Die befürchten, dass es in der Tat zu Verwerfungen und zu Frustration in den Behörden kommt und Sie mit ihrer Dienstrechtsmodernisierung das Gegenteil von dem erreichen, was Sie eigentlich erreichen müssten.

Herr Lohn, ich kann Ihnen nicht sagen, was ich den Berufsvertretungen und Personalvertretungen sagen werde. Aber ich kann Ihnen sagen, was ich Ihnen schon gesagt habe, weil natürlich in allen Ministerien Gespräche zwischen Hausleitung und Personalräten zu diesem Thema stattfinden: Ich spüre eine breite Zustimmung bei den Personalräten zu diesem Vorhaben – eine breite Zustimmung.

(Beifall von der SPD)

Ich sage Ihnen, Herr Lohn, die Tatsache, dass der Frauenanteil in den höheren Beförderungsämtern in Nordrhein-Westfalen so niedrig ist wie sie ist, ist ein Beleg dafür, dass die bisherigen Instrumentarien völlig untauglich waren, um das in der Verfassung verbriefte Grundrecht auf Gleichberechtigung und Gleichstellung zu verwirklichen. Wir müssen diesen Weg gehen, wenn wir Frauenförderung in diesem Land ernst meinen, Herr Lohn. Ich würde mich freuen, wenn Sie nicht nur Bedenken äußern würden, sondern auch mal konstruktive Beiträge leisten würden, wie man dieses Ziel erreicht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.