Es bedarf jetzt aber einer Austrittserklärung der britischen Regierung beim Europäischen Rat nach Art. 50. Erst dann greift das vorgesehene Verfahren, und erst dann beginnt die im Vertrag genannte Frist von zwei Jahren. Auch diese Frist kann der Rat einstimmig verlängern. Wir wissen also nicht, ob das Verfahren nun zwei oder drei Jahre oder möglicherweise länger dauert.
Aber aus unserer Sicht sollte das Verfahren möglichst bald eingeleitet werden, damit Klarheit besteht. Denn wir sollten versuchen, die Unsicherheit möglichst gering zu halten.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis des Referendums ist ein Warnschuss für die gesamte EU. Auch wenn sich viele Menschen im Vereinigten Königreich der Tragweite ihres Votums vielleicht nicht bewusst waren, offenbart das Ergebnis doch, dass es ein tiefes Gefühl des Misstrauens und der Abneigung gegenüber der Europäischen Union gibt.
Deshalb muss die EU auch insgesamt diese Entscheidung als einen Wendepunkt betrachten. Ein schlichtes Weiter-so kann es nicht geben. Europa muss in der Tat sozialer werden; es muss demokratischer werden; es muss gerechter werden. Wir brauchen in Europa mehr Investitionen, vor allen Dingen im Bereich der Infrastruktur, um innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir müssen in der Tat die Geißel der hohen Jugendarbeitslosigkeit, vor allen Dingen in den südeuropäischen Ländern, wirksam bekämpfen. Dafür brauchen wir Wachstumsimpulse.
Wir müssen auf der europäischen Ebene auch das Thema „Steuergerechtigkeit“ angehen. Die EU muss den Bürgerinnen und Bürgern klar signalisieren, dass Steuergerechtigkeit und der Kampf gegen Steueroasen und Steuerdumping ernsthaft verfolgt werden.
Wir müssen uns genau auf jene Herausforderungen konzentrieren, wie zum Beispiel die Migrationspolitik, die zu diesem problematischen Votum und zum Anwachsen des Rechtspopulismus geführt haben.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns auf diese Prioritäten der europäischen Politik konzentrieren, dann ist mir nicht bang um die Zukunft Europas.
Ich würde es auch begrüßen, wenn wir in diesem Parlament, was unser Engagement für Europa und für eine gute Zukunft Europas angeht, zusammenstehen und ein Beispiel für andere Länder und andere Landesparlamente geben könnten. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Brexit ist leider ein Lehrbeispiel für verantwortungslosen Umgang mit politischen Entscheidungen, verantwortungslosen Umgang mit der Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit und Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Instrument des Volksentscheids.
In Großbritannien waren konservative Scharlatane am Werk. Sie haben sich auf Kosten Europas aus Eigeninteresse profiliert. Sie haben auf dem Rücken Europas wissentlich und willentlich interne Gefechte ausgetragen und die alte Unsitte wiederbelebt, Außenpolitik innenpolitisch zu instrumentalisieren.
Federführende Brexit-Fürsprecher haben die in einigen Fragen unbedingt stärkungs- und refombedürftige EU bewusst diskreditiert und denunziert. Wider besseres Wissen wurden finanzielle Vorteile des Brexit in Aussicht gestellt und mit unseriösen Zahlenspielen nationale Wohltaten für das Gesundheitssystem versprochen, die nicht einmal den Wahltag überlebt haben.
Diejenigen, die jetzt Verantwortung für das Ergebnis ihres Tuns und Redens tragen müssten, stehlen sich feige aus eben dieser Verantwortung – nach der Methode: Operation gelungen; Patient viel kränker als je zuvor.
Ja, es macht keinen Sinn, die Europäische Union schlechtzureden, weil sich das nicht auszahlt. Es macht auch keinen Sinn, das eigene Bundesland oft schlechtzureden. Auch das zahlt sich nachhaltig nicht aus und wird von den Menschen nicht anerkannt.
Ich habe Verständnis für einen FDP-Bundesvorsitzenden, der nicht im Bundestag sitzt und hier natürlich das große Plenum für dieses Thema sucht. Das ist ja völlig in Ordnung.
Nichtdestotrotz – da greife ich das natürlich auf – müssen folgende Fragen gestellt werden: Welche Rolle hat zum Beispiel unsere Kanzlerin gespielt? Welche Form der Kommunikation wurde mit Herrn Cameron entwickelt, oder wie wurde auf ihn eingewirkt, um die europäische Stabilität und damit das europäische Haus nicht aufs Spiel zu setzen? War in der Vehemenz des Einsatzes für Europa vor dem Brexit nicht noch Luft nach oben? – Diese Fragen dürfen und müssen gestellt werden.
Herr Cameron hat in der Erwartung innenpolitischer Landgewinne und eine Minderung des rechtskonservativen Drucks auf ihn ein gefährliches Spiel gespielt und sich auf höchst fragwürdige national gesinnte Geister eingelassen.
Zu viel Zauberlehrling, zu wenig europäischer Staatsmann! Ein Blick in Goethes Original hilft hier weiter: „Die ich rief, die Geister, Werd’ ich nun nicht los.“ Auch das lehren uns Brexit und die Neigung zu Fahrlässigkeit im Handling europäischer Fragen. Allzu leichtfertig werden Geister gerufen, um sie sich dienbar zu machen – ohne Rücksicht auf die Folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Friedensprojekt Europa, das nicht zuletzt Folge befriedeten Ringens um Zusammenarbeit und Interessensausgleich ist, muss fortgeführt werden, ist alternativlos und darf von niemandem zerredet werden.
Europa findet aber nicht nur in Brüssel statt. Europa findet in den Städten und Gemeinden unseres Landes wie in der gesamten Europäischen Union statt. Dort, wo die Menschen leben, findet Europa statt.
Da geht es um die Frage, ob die Menschen Erfahrungen mit Europa machen. Da geht es um die Frage, ob kommunale Lösungsansätze europäische Lösungsantworten bekommen. Da geht es um die Frage, ob nachhaltige Wirtschaft, nachhaltige Digitalisierung eines Sozialstaates oder Präventionspolitik für den Rechtsstaat gegen Radikalisierung und Extremismus stattfinden. – Genau da ist Europa, und da muss Europa stattfinden.
Dazu hat es wenig beigetragen, diesen Populismus in Großbritannien loszutreten, den man nicht mehr loswird.
Kollege Lindner, Sie haben eben gesagt, NordrheinWestfalen solle doch jetzt mehr oder minder den Werbemotor starten und in Großbritannien für unser Land und unsere Wirtschaft werben. Ich bin dafür, die Menschen erst einmal auf Augenhöhe zu sehen.
In Nordrhein-Westfalen leben viele Menschen aus Großbritannien, die sich Sorgen um ihr Land machen. Wir sollten diese Sorgen nicht dadurch verstärken, dass wir uns jetzt in irgendeiner Kauflust in Großbritannien verheddern und den Eindruck erwecken, als würden wir das Land noch schlechter machen, als es schon durch eigenes Zutun zu werden droht.
Ein Europa, das gegenüber der Masse seiner Bevölkerung das Versprechen auf wirtschaftliche Prosperität, Wachstum und mehr soziale Sicherheit auf Dauer nicht einlösen kann, steht unter massivem Legitimationsdruck. Den Anspruch auf Sicherheit auf Dauer nicht einzulösen, bedeutet, bei den Menschen Unsicherheit zu produzieren. Das heißt, Ängste zu schüren.
Wenn der Eindruck sich verfestigt und zudem noch bewusst geschürt wird, nur wenige profitierten von einem Europa, das Investoren und Banken schütze, aber umso mehr Arbeitslose zu Perspektivlosigkeit verdamme, schwindet zunehmend das Band der Solidarität in unserem Europa.
(Christian Lindner [FDP]: Nein, das sind Fol- gen der nationalen Politik! Das ist eine Über- forderung Europas! – Armin Laschet [CDU]: Was ist das denn für ein Quatsch?)
Europa leidet. Die Staaten Südeuropas, Herr Lindner und Herr Laschet, leiden unter einer Austeritätspolitik, die von einem deutschen Finanzminister verantwortet wird.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN – Lutz Lienenkämper [CDU]: Was ist das denn für eine europapolitische Ansicht?)
Der rechtspopulistische Vorstoß ist nicht einfach eine weitere parteipolitische Alternative. Er ist ein Angriff auf unser Grundverständnis von Demokratie und Politik und beruht nicht unerheblich auf der Abwertung unserer repräsentativen Demokratie, der Politik und ihrer Akteure insgesamt. Unser Europa bewegt sich in einem Umfeld, das global gegenwärtig ein Aufleben nationalistischen, feudalistischen und imperialen Gebärens erfährt.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Geht es noch bes- ser? – Lutz Lienenkämper [CDU]: Was ist das denn für eine Rede?)
Manchmal ist die Besinnung auf die Anfänge hilfreich. Am Anfang Europas war die Mythologie. Die schöne Europa verliebte sich in Zeus in Stiergestalt und ließ sich von ihm entführen und verführen. Er wandte – das müssen wir zugeben – auch eine gewisse Form der Täuschung an. Ergebnis der Liebschaft waren immerhin drei Kinder.
Wir sehen: Europa ist liebesfähig und fähig, geliebt zu werden. – Für uns besteht ein großer Grund zur Hoffnung und zu unserer Arbeit, an diesem Europa weiter mitzuwirken. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Mythologie anzufangen, ist beim Thema „Europa“ sicherlich nicht nur zulässig, sondern auch gelegentlich gut. Wichtiger als die Liebe des Zeus ist allerdings, die Liebe des normalen Volkes für Europa wieder neu zu entfachen.
Wahrscheinlich steht es uns auch ganz gut zu Gesicht, uns an die eigene Nase zu fassen. Dieser Aspekt ist mir heute etwas zu kurz gekommen. Allzu oft – die Piraten nehme ich da aus; sie sind noch nicht so lange hier – keilen wir uns über diese oder jene Regelung, ob im Wassergesetz, im Naturschutzgesetz oder anderswo. Wenn demjenigen, der etwas vertreten muss und der vielleicht ein bisschen in der Defensive ist, dann nichts mehr einfällt, sagt er: Das kommt doch alles aus Europa, und da haben eure Leute mitgestimmt.
An dieser Stelle ist sicherlich etwas Selbstkritik gefordert. Wir sollten unsere Streitigkeiten auf unserer Ebene austragen. Wenn wir über Europa streiten, sollten wir genau den Parteienstreit zur Aufführung bringen, vor dem wir hier ja auch nicht bange sind, aber nicht immer pauschal mal in der einen, mal in der anderen Rolle auf Europa schimpfen. Das könnte auch schon helfen.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD – Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Das ha- ben wir genau so gesagt!)
Ich habe bei Herrn Hübner zugehört und aufgepasst. An einer Stelle hat er entweder etwas falsch verstanden oder die Erörterung weggelassen. Herr Hübner, Ihnen ist, glaube ich, schon klar, dass das B bei den BRICS-Staaten nicht für Britannien steht. Ich unterstelle Ihnen, dass Sie das verstanden haben. Allerdings bin ich da nicht 100%ig sicher. Schließlich haben Sie hier letztens etwas vom Umsatz von Pommesbuden im Ruhrgebiet erzählt.
Scherzhaft denke ich bei Ihnen also immer an Ihr Beispiel mit dem Umsatz der Pommesbuden. Deswegen bin ich nicht ganz sicher. Ich glaube aber, Sie haben verstanden, dass das B in BRICS nicht Britannien heißt. Und dann wollen Sie uns ernsthaft erzählen, dass man das eine mit dem anderen in der Dimension vergleichen oder eben nicht vergleichen könne?