Josef Neumann
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Im April des Jahres 2015 hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen seine Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz formuliert und mit breiter Mehrheit beschlossen. Im April dieses Jahres wurde dann der lang erwartete und ersehnte Entwurf für das neue Bundesteilhabegesetz vorgestellt.
Dieser Entwurf hat bei vielen Betroffenen und deren Interessensvertretungen sicherlich nicht die Zustimmung gefunden, die manch einer erwartet hat. Die Bundesregierung hat dann einen Regierungsentwurf
zu diesem Gesetz vorgelegt, in dem einige Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Referentenentwurf enthalten sind. Diese Verbesserungen gehen durchaus in die richtige Richtung.
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Interessen der Menschen mit Behinderung neu zu organisieren. Das Bundesteilhabegesetz ist ein wichtiger Beitrag dazu.
Das BTHG enthält viele Verbesserungen für Menschen mit Behinderung, auch im jetzigen Regierungsentwurf; dazu gehört insbesondere, dass Menschen aus dem Bereich der Sozialhilfe herausgelöst werden und ein neues Teilhaberecht erhalten.
Es gibt Verbesserungen im Bereich des Einkommens und des Vermögens. Wir stellen fest, dass im Bereich des Budgets für Arbeit insbesondere für Menschen mit Behinderung, die bis jetzt in der Werkstatt tätig sind, ein großer Schritt in Richtung inklusiver Arbeitsmarkt getan wird und – das darf man nicht verkennen – auch die Mitbestimmungsrechte – dass insbesondere die der Schwerbehindertenvertretungen, aber auch der Werkstatträte – gestärkt werden. Ich erinnere hier vor allem an die Stärkung der Rechte der Frauen.
Unabhängig davon müssen wir aber auch feststellen, dass es massive Kritikpunkte gibt, die wir in dem vorliegenden Antrag thematisiert haben. Ich möchte versuchen, die zentralen Punkte herauszuarbeiten.
Das ist insbesondere die Frage, wie zukünftig der Zugang zu den Leistungen organisiert werden wird. „Fünf von neun“ heißt heute das Motto. Das heißt, man muss in fünf von neun Lebensbereichen Einschränkungen nachweisen, um überhaupt Leistungen zu erhalten. Es gibt Befürchtungen, dass für bestimmte Menschen mit Einschränkungen damit der Zugang zur Eingliederungshilfe verwehrt wird, insbesondere Menschen mit psychischer Erkrankung.
Ein ganz zentrales Thema für uns ist die Schnittstelle zwischen der Eingliederungshilfe und der Pflege. Wir müssen feststellen: Wenn der Entwurf in seiner jetzigen Form bestehen bleibt, wird das dazu führen, dass in Nordrhein-Westfalen der Weg, Menschen ein frei gewähltes Wohnen in den eigenen vier Wänden oder Wohngemeinschaften ambulant zu ermöglichen, nicht nur erschwert, sondern behindert wird. Mit einer Leistung in Höhe von 260 € kann niemand in einer freien Wohnung oder einer freien Wohngemeinschaft leben. Hier bedarf es einer enormen Verbesserung.
Das Gleiche gilt bei der Frage der Vermögensanrechnung. 2.600 €, die dann im Bereich der Pflegeversicherung gelten würden, sind ein relativ niedriger Betrag, der letztendlich nicht zu akzeptieren ist. Wir meinen, dass hier mindestens eine Verdoppelung erfolgen muss.
Ein zentraler Punkt ist das sogenannte „Poolen der Leistungen“. Ich denke, wir sind uns darin einig, dass jeder von uns selbst auswählen möchte, von wem er Assistenz bekommt oder gepflegt wird, und dass dies nicht der Entscheidung eines Kostenträgers unterliegen darf. Deshalb ist es wichtig, dass im lebensnahen Bereich das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung gewährleistet sein muss.
Ein weiterer zentraler Punkt: Es darf nicht zu einem „Billiger-Jakob-Verfahren“ kommen. Wenn zukünftig nur noch die günstigsten 30% der Anbieter in das Auswahlverfahren für die Leistungen kommen, müssen wir für Nordrhein-Westfalen nicht nur einen Abbau der Leistungsstandards befürchten, sondern auch, dass die Arbeitnehmerrechte, insbesondere die Tariflöhne ins Strudeln geraten.
Deshalb ist es uns wichtig, heute mit diesem Antrag noch einmal die Forderung aus Nordrhein-Westfalen für ein verbessertes Bundesteilhabegesetz auf den Weg zu bringen. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir die Interessen der Menschen mit Behinderung mit breiter Schulter vertreten. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Brexit ist leider ein Lehrbeispiel für verantwortungslosen Umgang mit politischen Entscheidungen, verantwortungslosen Umgang mit der Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit und Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Instrument des Volksentscheids.
In Großbritannien waren konservative Scharlatane am Werk. Sie haben sich auf Kosten Europas aus Eigeninteresse profiliert. Sie haben auf dem Rücken Europas wissentlich und willentlich interne Gefechte ausgetragen und die alte Unsitte wiederbelebt, Außenpolitik innenpolitisch zu instrumentalisieren.
Federführende Brexit-Fürsprecher haben die in einigen Fragen unbedingt stärkungs- und refombedürftige EU bewusst diskreditiert und denunziert. Wider besseres Wissen wurden finanzielle Vorteile des Brexit in Aussicht gestellt und mit unseriösen Zahlenspielen nationale Wohltaten für das Gesundheitssystem versprochen, die nicht einmal den Wahltag überlebt haben.
Diejenigen, die jetzt Verantwortung für das Ergebnis ihres Tuns und Redens tragen müssten, stehlen sich feige aus eben dieser Verantwortung – nach der Methode: Operation gelungen; Patient viel kränker als je zuvor.
Ja, es macht keinen Sinn, die Europäische Union schlechtzureden, weil sich das nicht auszahlt. Es macht auch keinen Sinn, das eigene Bundesland oft schlechtzureden. Auch das zahlt sich nachhaltig nicht aus und wird von den Menschen nicht anerkannt.
Herr Lindner, Sie haben eben gesagt, dass wir hier noch viel mehr debattieren müssten.
Ich habe Verständnis für einen FDP-Bundesvorsitzenden, der nicht im Bundestag sitzt und hier natürlich das große Plenum für dieses Thema sucht. Das ist ja völlig in Ordnung.
Nichtdestotrotz – da greife ich das natürlich auf – müssen folgende Fragen gestellt werden: Welche Rolle hat zum Beispiel unsere Kanzlerin gespielt? Welche Form der Kommunikation wurde mit Herrn Cameron entwickelt, oder wie wurde auf ihn eingewirkt, um die europäische Stabilität und damit das europäische Haus nicht aufs Spiel zu setzen? War in der Vehemenz des Einsatzes für Europa vor dem Brexit nicht noch Luft nach oben? – Diese Fragen dürfen und müssen gestellt werden.
Herr Cameron hat in der Erwartung innenpolitischer Landgewinne und eine Minderung des rechtskonservativen Drucks auf ihn ein gefährliches Spiel gespielt und sich auf höchst fragwürdige national gesinnte Geister eingelassen.
Zu viel Zauberlehrling, zu wenig europäischer Staatsmann! Ein Blick in Goethes Original hilft hier weiter: „Die ich rief, die Geister, Werd’ ich nun nicht los.“ Auch das lehren uns Brexit und die Neigung zu Fahrlässigkeit im Handling europäischer Fragen. Allzu leichtfertig werden Geister gerufen, um sie sich dienbar zu machen – ohne Rücksicht auf die Folgen.
Und nun wird man diese Geister partout nicht mehr los.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Friedensprojekt Europa, das nicht zuletzt Folge befriedeten Ringens um Zusammenarbeit und Interessensausgleich ist, muss fortgeführt werden, ist alternativlos und darf von niemandem zerredet werden.
Europa findet aber nicht nur in Brüssel statt. Europa findet in den Städten und Gemeinden unseres Landes wie in der gesamten Europäischen Union statt. Dort, wo die Menschen leben, findet Europa statt.
Da geht es um die Frage, ob die Menschen Erfahrungen mit Europa machen. Da geht es um die Frage, ob kommunale Lösungsansätze europäische Lösungsantworten bekommen. Da geht es um die Frage, ob nachhaltige Wirtschaft, nachhaltige Digitalisierung eines Sozialstaates oder Präventionspolitik für den Rechtsstaat gegen Radikalisierung und Extremismus stattfinden. – Genau da ist Europa, und da muss Europa stattfinden.
Dazu hat es wenig beigetragen, diesen Populismus in Großbritannien loszutreten, den man nicht mehr loswird.
Kollege Lindner, Sie haben eben gesagt, NordrheinWestfalen solle doch jetzt mehr oder minder den Werbemotor starten und in Großbritannien für unser Land und unsere Wirtschaft werben. Ich bin dafür, die Menschen erst einmal auf Augenhöhe zu sehen.
In Nordrhein-Westfalen leben viele Menschen aus Großbritannien, die sich Sorgen um ihr Land machen. Wir sollten diese Sorgen nicht dadurch verstärken, dass wir uns jetzt in irgendeiner Kauflust in Großbritannien verheddern und den Eindruck erwecken, als würden wir das Land noch schlechter machen, als es schon durch eigenes Zutun zu werden droht.
Ein Europa, das gegenüber der Masse seiner Bevölkerung das Versprechen auf wirtschaftliche Prosperität, Wachstum und mehr soziale Sicherheit auf Dauer nicht einlösen kann, steht unter massivem Legitimationsdruck. Den Anspruch auf Sicherheit auf Dauer nicht einzulösen, bedeutet, bei den Menschen Unsicherheit zu produzieren. Das heißt, Ängste zu schüren.
Wenn der Eindruck sich verfestigt und zudem noch bewusst geschürt wird, nur wenige profitierten von einem Europa, das Investoren und Banken schütze, aber umso mehr Arbeitslose zu Perspektivlosigkeit verdamme, schwindet zunehmend das Band der Solidarität in unserem Europa.
Nein, aber Europa kann gegen Jugendarbeitslosigkeit sehr viel tun, Herr Lindner.
Europa leidet. Die Staaten Südeuropas, Herr Lindner und Herr Laschet, leiden unter einer Austeritätspolitik, die von einem deutschen Finanzminister verantwortet wird.
Der rechtspopulistische Vorstoß ist nicht einfach eine weitere parteipolitische Alternative. Er ist ein Angriff auf unser Grundverständnis von Demokratie und Politik und beruht nicht unerheblich auf der Abwertung unserer repräsentativen Demokratie, der Politik und ihrer Akteure insgesamt. Unser Europa bewegt sich in einem Umfeld, das global gegenwärtig ein Aufleben nationalistischen, feudalistischen und imperialen Gebärens erfährt.
Ja, ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt. Aber Sie müssen mir noch zuhören.
Manchmal ist die Besinnung auf die Anfänge hilfreich. Am Anfang Europas war die Mythologie. Die schöne Europa verliebte sich in Zeus in Stiergestalt und ließ sich von ihm entführen und verführen. Er wandte – das müssen wir zugeben – auch eine gewisse Form der Täuschung an. Ergebnis der Liebschaft waren immerhin drei Kinder.
Wir sehen: Europa ist liebesfähig und fähig, geliebt zu werden. – Für uns besteht ein großer Grund zur Hoffnung und zu unserer Arbeit, an diesem Europa weiter mitzuwirken. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Erste allgemeine Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen, abgekürzt: Inklusionsstärkungsgesetz, wird heute voraussichtlich verabschiedet. Das ist ein sehr guter Tag für Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen.
Wir werden heute für die Menschen mit Behinderung mehr Demokratie schaffen. Das langjährige Wahlverbot für Menschen mit Behinderung, die unter Vollbetreuung stehen, wird heute in Nordrhein-Westfalen abgeschafft.
Wer sich mit der Geschichte dieses Wahlverbotes beschäftigt, muss weit in der Geschichte zurückge
hen: in die Zeit des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und erst recht in die Zeit des Nationalsozialismus.
Ich finde: Heute ist ein sehr guter Tag, in dieser Geschichte einen Schnitt zu machen und das Wahlrecht auf kommunaler und Landtagsebene zugunsten der Menschen mit Behinderung zu beschließen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Novum in der gesamten Bundesrepublik und in allen Bundesländern. Wir können alle gemeinsam stolz darauf sein.
Dieses Gesetz hat natürlich in Nordrhein-Westfalen einen langen Vorlauf. Sie erinnern sich sicherlich an die Debatte im Juli 2012, als wir mit dem Antrag „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ die Grundlagen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon
vention in diesem Land geschaffen haben.
Diesem folgte ein umfassender Aktionsplan der Landesregierung Nordrhein-Westfalen mit 100 Maßnahmen in allen Lebensbereichen. Diese Lebensbereiche haben die Themen „Inklusion“ und „Menschen mit Behinderung“ in den Mittelpunkt der Gesellschaft gestellt. In vielen gesellschaftlichen Bereichen läuft dieser Aktionsplan nach wie vor. Wer sich damit beschäftigt, weiß, dass er entscheidend dazu beigetragen hat, das Bild von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft positiv zu verändern.
Das Inklusionsstärkungsgesetz Nordrhein-Westfalen ist ein Artikelgesetz. Es ist kein Leistungsgesetz, wie es manch einer meint. Dieses Artikelgesetz schafft etwas ganz Neues, nämlich in diesem Bundesland erstmals eine inklusive Rechtskultur. Es verbindet viele bestehende Landesgesetze miteinander im Sinne der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir als Bundesland schreiben diese Konvention mit dem Inklusionsstärkungsgesetz fest. Darauf können wir stolz sein.
Wir haben zu Recht viele Hinweise und Anregungen, die es in der Anhörung und in den Stellungnahmen gab, aufgenommen und in den Änderungsantrag zu dem vorliegenden Gesetzentwurf richtig eingebaut, wie ich finde.
Meine Damen und Herren, dass zukünftig die Agentur Barrierefrei NRW gesetzlich abgesichert wird, dass die Monitoringstelle zur Überprüfung der UNBehindertenrechtskonvention auch in NordrheinWestfalen als Beratungs- und Überwachungsinstrument zur Verfügung stehen wird, dass die Leichte Sprache und die Gebärdensprache in NordrheinWestfalen eingeführt werden, sind in einem Bundesland Nova für Menschen mit Behinderung.
Ich bin davon überzeugt, dass wir auch in vielen einzelnen Bereichen, wenn es etwa um die Stärkung der
Situation behinderter Mädchen und Frauen, um Gehörlose und um das Durchsetzen von Gebärdensprachdolmetschern im Schulbetrieb, in der Kita, in der Kindertagespflege – dort gab es viele Streitigkeiten – geht, neue Verbindlichkeiten schaffen. Beim Wohnen werden wir Hilfen aus einer Hand anbieten können, indem wir Zuständigkeiten neu geregelt haben.
Nordrhein-Westfalen hat damit einen sehr großen weiteren Schritt zur Umsetzung der BRK auf den Weg gebracht. Ich appelliere an möglichst alle in diesem Landtag, heute dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen auch die Vorreiterrolle erhalten, wenn es darum geht, ihre Rechte wahrzunehmen. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekonsul Gembiak! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schmerz, Schrecken, Scham sind untrennbar mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschland auf Polen und all seinen Folgen verbunden. Umso mehr empfinden wir unendliche Dankbarkeit für das Geschenk der deutsch-polnischen Freundschaft nach dem Massenmord an der polnischen Bevölkerung, darunter Millionen polnische Juden, nach Ausschwitz, nach den Massenexekutionen im ländlichen Raum, nach dem Warschauer Ghetto und nach der Zerstörung Warschaus – nach alle dem.
Der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag, dessen 25-jähriges Jubiläum wir am 17. Juni feiern, dokumentiert höchst eindrucksvoll das neue und bis dato historisch einmalige Miteinander, diesen Willen zur praktischen, konkreten Versöhnung. Diesem gingen intensive Versöhnungsschritte auf beiden Seiten voraus, sie wären ohne den Kniefall Willy Brandts, ohne die neue Ostpolitik undenkbar.
Der Nachbarschaftsvertrag, hervorgegangen aus der damaligen Zeit und dem Zeitgeist, erwuchs aus einer Vergangenheit, die nicht vergeht. Er ist gleicherma
ßen der Gegenwart und der Zukunft verpflichtet. Vertragswerke müssen leben, wir haben sie mit Leben zu erfüllen und jeweils neu zu lesen, um sie in die Zukunft zu übersetzen. Der Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen ist ein großartiger Beitrag zur europäischen Einheit, von höchster Aktualität, und er ist Ermahnung und Aufgabe, dem Ziel der Einheit im Geiste der Ostpolitik gerecht zu werden.
Unser Entschließungsantrag ist von dieser Überzeugung getragen.
Der Antrag der CDU würdigt indes nur die Leistungen der Vertriebenenverbände. Uns allen sind die Verdienste und die Situation der Vertriebenen und Aussiedler wohlvertraut. Diese werden von uns allen, so denke ich, ausdrücklich anerkannt, und da, wo es geht, werden diese Gruppen auch unterstützt.
Der CDU-Antrag reduziert eine große, erfolgreiche Vision, derer wir in der Zeit der Krise in Europa und der Migration von Millionen von Flüchtlingen nach Europa so sehr bedürfen, auf einen Teilaspekt und eine Personengruppe. Ihr Vorwurf an den Vertrag, die Vertriebenen nicht zu berücksichtigen, ist ein Vierteljahrhundert nach Vertragsschluss erstaunlich. Denn ich bin davon überzeugt, dass der Europäer Helmut Kohl genau wusste, was er tat, als er diesen Vertrag unterschrieben hat.
50.000 gemeinsame Projekte von zwei Millionen Jugendlichen im deutsch-polnischen Jugendwerk, intensive bürgerschaftliche Kontakte und Vernetzungen, zahlreiche Schulpartnerschaften und Schulkontakte sprechen eine eindeutige Sprache. Das Weimarer Dreieck, bestehend aus Nord-Pas de Calais, Woiwodschaft Schlesien und Nordrhein-Westfalen, schreibt die Erfolgsgeschichte einer vertrauensvollen Partnerschaft zwischen den Regionen, deren Staaten eine viel zu lange Vorgeschichte des Krieges, der Feindschaft und des Misstrauens verbindet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die besondere Qualität dieses deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages liegt darin, Vergangenheitsbewusstsein mit Gegenwarts- und Zukunftsfähigkeit zu verbinden.
Ein kritischer Blick auf das Hier und Heute ist im Auftrag der Zeitgeschichte und Aktualität geschuldet. Besorgt blicken wir auf gegenwärtige Entwicklungen in Polen in Hinsicht auf Rechtsstaatlichkeit und Medienvielfalt und hoffen, dass die Europäische Kommission, respektive der Europarat, mit ihren Instrumenten Rechtsstaatlichkeitsprüfung, respektive Venedig-Kommission, einen wirkungsvollen Dialogprozess initiiert haben.
Die Sprache von Art. 8 Abs. 1 des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages ist eindeutig und entschieden. Sie lautet: Verpflichtung unser aller auf das überragende Ziel der europäischen Einheit auf
Grundlage von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. – Erweisen wir uns genau dieser Sprache als würdig.
Wir stimmen selbstverständlich der Überweisung in die Ausschüsse zu und setzen auf konstruktive Beratungen in den Ausschüssen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen, die von den Maßnahmen im Einzelplan 11, insbesondere „Soziales“, betroffen sind, können sich über viele gute Schritte zur Verbesserung ihrer Situation freuen. Besonders für Menschen mit Behinderung gibt es positive Nachrichten. Ich möchte ein paar Punkte hervorheben.
Das künftige Inklusionsstärkungsgesetz sieht eine Übernahme der Kosten für Gebärdendolmetscher unter anderem bei Elterngesprächen in Kindertageseinrichtungen, im Rahmen der Kindertagespflege und in Schulen vor. Das ist ein großer Schritt hin zu mehr Teilhabe.
Insgesamt werden auf Antrag der Koalitionsfraktionen bald 400.000 € jährlich für Kommunikation und
Gebärdendolmetscher zur Verfügung stehen. Im Ausschuss haben wir lange darüber diskutiert, wir waren uns über die Wichtigkeit dieses Schrittes einig. Darum wünsche ich mir, dass auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, die hier gestern ausführlich zu diesem Thema gesprochen haben, diesen Ansatz auch anerkennen und dem zustimmen.
Für die Inklusion in Sport erhält der Verein „Special Olympics NRW“ 100.000 €. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Inklusion insbesondere für Menschen mit Mehrfachbehinderung.
Nachdem wir im vergangenen Jahr bereits
200.000 € bereitgestellt haben, wird die Förderung der Betreuungsvereine noch einmal um eine Million € auf insgesamt 2,7 Millionen € aufgestockt. Damit kann die Finanzierung ausgeweitet und auf eine kombinierte Basis- und Prämienförderungsstruktur umgestellt werden. Wir stellen hiermit sicher, dass wichtige gesetzliche Aufgaben auch in Zukunft verlässlich und zum Wohle der Allgemeinheit durchgeführt werden können.
Es ist eine schmerzvolle Tatsache, dass in den Jahren 1949 bis 1975 viele Kinder und Jugendliche auch in Westdeutschland in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe Leid erfahren mussten. Sie können darauf vertrauen, dass sich die Landesregierung für sie einsetzt. Ich begrüße die Ergänzungsvorlage zum Haushaltsgesetz für das Jahr 2016, in der vorgesehen ist, dass in den kommenden Jahren insgesamt 5 Millionen € aus Landesmitteln für einen Unterstützungsfonds zur Verfügung gestellt werden. Damit kann Unrecht nicht zurückgenommen, aber vielleicht ein bisschen gelindert werden.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir mit diesem Haushalt erneut 47 Millionen € für die immens wichtige Schulsozialarbeit einplanen. Sie alle wissen, wie existenziell notwendig dieses Angebot für die Entwicklung und die Teilhabechancen unserer Kinder ist.
Wie Sie angesichts dieser Beispiele klar erkennen können, nehmen wir in Nordrhein-Westfalen soziale Verantwortung sehr ernst. Unsere Aufmerksamkeit gilt allen Teilen der Gesellschaft. Wir möchten auch diejenigen hören, die nicht laut schreien können. Wir möchten, dass unsere Gesellschaft eine einbeziehende und keine ausgrenzende ist. Dafür stellen wir diese Infrastruktur zur Verfügung. Wir hoffen hier auch auf Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Weg hin zur inklusiven Gesellschaft ist ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess im Namen der Menschenrechte. Er ist auf Dauer angelegt und unumkehrbar. Inklusion – das heißt in diesem Falle die gleichbe
rechtigte und wirksame konkrete Teilhabe sinnesbeeinträchtigter Menschen – bedarf der Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen, vor allem im Lebensalltag. Aktionismus hilft da nicht weiter.
Wir in Nordrhein-Westfalen haben mit der Entwicklung des Aktionsplans „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ die Vorreiterrolle eingenommen. Wir haben kürzlich mit der Einbringung des Inklusionsstärkungsgesetzes wiederum bundesweit Akzente gesetzt und den nächsten Schritt hin zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention konsequent vollzogen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Fragen der Menschen, die auf Gebärdensprache und Kommunikation angewiesen sind.
Diese sind gesetzgeberisch erstmalig in Gestalt des Inklusionsstärkungsgesetzes aufgenommen, so etwa durch die Schaffung einer Regelung zur Unterstützung gehörloser Eltern bei Wahrnehmung ihrer Elternrechte. Dies ist zudem haushalterisch mit einem Förderbeitrag von 400.000 € unterlegt. – Herr Preuß, die CDU hat bis jetzt in den Haushaltsberatungen dagegen gestimmt.
Der Einsatz von Gebärdensprache und Kommunikationshilfen dient zur Überwindung von Barrieren, betrifft sämtliche Bereiche des unmittelbaren Lebens und gilt in allen Lebenslagen. Unter Einbeziehung der Selbstorganisation der Menschen mit Behinderung befindet sich daher die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für sinneseingeschränkte Menschen in Nordrhein-Westfalen in Vorbereitung und wird im nächsten Jahr an den Start gehen. Wir wollen Verlässlichkeit, Kontinuität und personenzentrierte Strukturen. Weil dem so ist und weil der Prozess der Inklusion fundiert angegangen werden muss, brauchen wir verlässliche Grundlagen.
Die Studie von Frau Prof. Dr. Mathilde Niehaus und Herrn Prof. Dr. Thomas Kaul im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen zu „Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Hörschädigung in unterschiedlichen Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen“ ist hier eine der wesentlichsten Grundlagen gewesen. Die Studie bescheinigt uns deutlich, dass die Ausgangsbedingungen in Nordrhein-Westfalen für diesen Prozess vorhanden sind. Deshalb gilt es, in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Menschen mit Behinderung und mit allen anderen, die in diesem Bereich aktiv sind, bedarfsgerechte, der Qualität und Quantität entsprechende Strukturen zu schaffen. – Herr Preuß, ich bin anderer Auffassung als Sie: Auch die taubblinden Assistentinnen und Assistenten gehören dazu.
Ebenso wird die Landesregierung auf das Instrument der Bündelung hinweisen und die Ansprüche von Kommunikation sowie die Ansprüche von Vermittlung auf Kommunikation prüfen und gegebenenfalls sicherstellen.
Ganz wichtig ist, dass in unserem Antrag, Herr Preuß, ausdrücklich der Prüfauftrag enthalten ist, die Einrichtung eines Studiengangs Gebärdensprachdolmetscher an einer der Hochschulen Nordrhein-Westfalens zu schaffen, den wir aktuell nicht anbieten.
Die taubblinden Menschen, deren Teilhabebedingungen gegenwärtig die schwierigsten sind, müssen auf diesem Weg besonders in unserem Blickpunkt stehen. Teilhabe heißt in dem Fall das Betreten von völlig neuem, unbekanntem Terrain mit spezifischen Hilfsmitteln, die wir heute nicht haben.
Ich bedauere, Herr Preuß, dass der bisherige Weg, den insbesondere der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Thematik der Politik für Menschen mit Behinderung gemeinsam gegangen ist, an dieser Stelle von Ihnen unterbrochen wird. Es ist schade, dass dieser Antrag hier heute in eine direkte Abstimmung kommt. Ich glaube, es wäre im Interesse aller Beteiligten, insbesondere im Interesse eines vernünftigen Lösungsansatzes für eine hoch komplizierte Materie, gut gewesen, wenn wir dies noch einmal gemeinsam im Ausschuss beraten hätten. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Schneider hat in seinem Redebeitrag bereits Eckpunkte und Ziele des heute hier eingebrachten Inklusionsstärkungsgesetzes genannt. Ich möchte dies nicht alles wiederholen.
An dieser Stelle ist für mich vielmehr der Moment gekommen, einen Dank auszusprechen, nämlich dafür, dass Nordrhein-Westfalen mit dem Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ und mit der Einbringung des bundesweit ersten Inklusionsstärkungsgesetzes eine Vorreiterrolle einnimmt. Das ist das große Verdienst Guntram Schneiders und seines Hauses. Herzlichen Dank dafür!
Das erste Inklusionsstärkungsgesetz wird sich als ein Meilenstein erweisen. In einem ersten Schritt, dem weitere folgen, übernimmt das Land bewusst Verantwortung, Anforderungen und Grundsätze der UN-Konvention in Landesrecht zu überführen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellt sich Nordrhein-Westfalen endgültig der fordernden Aufgabe, mit allgemeinen und sozialgesetzlichen Regelungen die Vorgaben der UN-Konvention auf die Bedingungen und Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen herunterzubrechen.
Das beinhaltet zugleich eine umfassende Normenprüfung und Anpassung des bestehenden Rechtes, insbesondere zunächst des Behindertengleichstellungsgesetzes. Maßstab ist und bleibt die gleichberechtigte und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung.
Das Artikelgesetz schafft zudem Rechtssicherheit auf der Ebene für die Barrierefreiheit, insbesondere bei dem Thema „Kommunikationshilfen im öffentlichen Raum“.
Lassen Sie mich noch zwei Punkte erwähnen. Ob Menschenrechte im Quartier dauerhaft ein Zuhause haben, entscheidet sich nicht zuletzt an zwei Orten, in der Wohnung und an der Wahlurne. Die Möglichkeit selbstbestimmter Wohn- und Lebensformen und die Chance eigenständiger Ausübung des Wahlrechts scheinen uns selbstverständlich. Gerade weil das so ist, ist deren Herstellung ein Schlüssel zur nutzbaren Freiheit von Menschen mit Behinderung. Die Erleichterung der Wahlrechtspraxis für Menschen mit erheblichen Sehbehinderungen trägt dieser Erkenntnis Rechnung.
Sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Nordrhein-Westfalen durchaus Grund, stolz darauf zu sein, in Sachen Inklusion eine Pilot- und Pionierfunktion in der Bundesrepublik einzunehmen. Dieser Stolz macht uns nicht träge und zufrieden, sondern motiviert uns, dem ersten Schritt systematisch weitere Schritte anzuschließen. Das zeigen wir heute mit der Einbringung des allgemeinen Inklusionsstärkungsgesetzes.
Sehr geehrter Herr Minister, lieber Guntram, wenn man Werkzeugmacher ist, dann muss man sehr oft Sachen machen, die dazu dienen, anschließend etwas herzustellen. Du hast als Minister dieses Landes Nordrhein-Westfalen in der Vorreiterrolle für die Bundesrepublik Deutschland ein Integrationsgesetz gemacht. Du hast dafür gesorgt, dass Nordrhein-Westfalen Motor war in der Schaffung des Mindestlohns in der Bundesrepublik Deutschland. Beim Übergang Schule und Beruf unter dem Thema „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ist NordrheinWestfalen federführend und trägt deine Handschrift.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dann, wenn es darauf ankam, sich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen gegen den Mob, der manchmal auf den Straßen gegen Migranten und andere Menschen vorging, hat sich dieser Werkzeugmacher mit klarer Kante auf die Straße gestellt und sich denen, die uns die Demokratie streitig machen wollten, in den Weg gestellt.
Lieber Guntram, herzlichen Dank für deine Tätigkeit auch im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für die klare Kante! Wir freuen uns auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit dem Abgeordneten und Werkzeugmacher Guntram
Schneider! – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand verlässt seine Heimat freiwillig. Wer vor Vertreibung, Verfolgung und Missbrauch fliehen musste, hat nicht nur sein Hab und Gut, sondern seine gesamte Sozialisation hinter sich gelassen. Dazu gehören auch Beruf, Ausbildung oder vielleicht die unternehmerische Tätigkeit.
Sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann. Sozial ist, was gute menschenwürdige Arbeit schafft. Das muss selbstverständlich auch für Menschen gelten, die bei uns Zuflucht finden. Dazu müssen Flüchtlinge jedoch erst einmal über realistische Chancen verfügen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Die Landesregierung und die sie tragenden Mehrheitsfraktionen haben sich konsequent einer Politik der Prävention und der Ermöglichung von Teilhabe verschrieben. Nicht nur die Abfederung durch finanzielle Transfers, sondern die umfassende Organisation von Chancen der Teilhabe, Ausbildung und Bildung stehen im Zentrum. Wir möchten mündige autonome Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder einer solidarischen Verantwortungsgemeinschaft. Dementsprechend gilt es, Hindernisse dieser Teilhabe aus dem Weg zu räumen, auch für Flüchtlinge.
Flüchtlinge sind ein lebendiger Teil dieser Gesellschaft, ihre Aktivität bereichert uns. Wir können sie nicht zur Passivität in Isolation verdammen. Wir wollen, dass sie mitwirken am sozialen Leben und eben auch am Bruttoinlandsprodukt.
Wie häufig wurden in den letzten Jahren zu Recht Defizite der Migrationspolitik benannt. Einer der Hauptvorwürfe lautete: Mangel an Maßnahmen zur Integration in die wichtigen Funktionssysteme, in den Arbeitsmarkt, das Gesundheitssystem, in das System der Bildungs- und Weiterbildungsangebote, in soziale Netzwerke, aber auch in die Strukturen von Quartieren.
Weil ein Großteil der Flüchtlinge lange bleiben will oder bleiben muss, dauerhaft bei uns bleiben will, wollen wir diesen Menschen die Integration nachhaltig ermöglichen. Die Erleichterung oder – sagen wir einfacher – die Normalisierung des Zugangsweges zu Arbeitsmarkt und Ausbildung und die Verbesserung der Beratung sind in vielerlei Hinsicht sinnvoll – sozialpolitisch, integrationspolitisch, aber auch wirtschaftspolitisch.
Massive Rückendeckung erfahren wir in unserem Anliegen durch den BDA, den Deutschen Industrie- und Handelskammertag und den Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die Arbeitgeberverbände haben das in den Fähigkeiten und Erfahrungen der Flüchtlinge liegende Potenzial für sich und den allgemeinen Arbeitsmarkt erkannt. Sie sind es, die Sprachkurse und niederschwellige frühe Zugänge fordern. Die organisierte Handwerkerschaft votiert offensiv für ein Bleiberecht von Flüchtlingen in Aus
bildung. Das sagen in diesem Fall keine Flüchtlingsinitiativen und -verbände, das sagen die Repräsentanten der deutschen Unternehmerschaft.
Neben humanitären Grundüberzeugungen ist es Ausdruck nüchterner betriebswirtschaftlicher Ratio. Die Unternehmen wollen es sich nicht leisten, auf die Arbeitskraft und auf die Fähigkeiten und das Engagement von Flüchtlingen zu verzichten. Wir können es uns auch volkswirtschaftlich nicht erlauben, diese Gruppe zu ignorieren. Und wir sollten es uns nicht leisten, auf den haushalterisch entlastenden und gesamtwirtschaftlich vorbildlichen Effekt einer frühestmöglichen Arbeitsmarktintegration zu verzichten.
Wenn ich mit Flüchtlingen spreche, ist nahezu durchgängig das Erste, was ich im Gespräch vernehme, nicht etwa das Klagen angesichts ihres Schicksals, was nur zu verständlich wäre, nein, es ist der Wunsch, hier Arbeit zu finden und selbstständig den Lebensunterhalt sichern zu können. Ich höre Fragen von ihnen, wie sich das notgedrungen abgebrochene Studium fortsetzen lässt, wie sich eine Berufsausbildung angehen lässt, welche Möglichkeiten bestehen, schnellstmöglich die Sprache zu beherrschen, um sich dadurch frei bewegen zu können. Das Ziel von Flüchtlingspolitik in dieser Hinsicht ist es, Teilhabe durch Arbeit zum Regelfall zu machen.
Die Menschen sollen in die Lage versetzt werden, sich selbstbestimmt und würdevoll Schritt für Schritt eine Existenz aufzubauen.
Kommen wir zur Bestandsaufnahme. Eine Reihe begrüßenswerter Verbesserungen der letzten Monate ist zu verzeichnen. Das absolute Arbeitsverbot wurde jüngst von neun auf drei Monate reduziert. Die Vorrangprüfung für den Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende und Geduldete entfällt für Fachkräfte generell, ansonsten nach 15 statt nach 48 Monaten des Inlandsaufenthalts.
Weitere Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes treten hinzu. Stichwort: Residenzpflicht, Stichwort: Einschränkung des Sachleistungsprinzips. Einzelne Gruppen von Flüchtlingen sind zudem seit Anfang März dieses Jahres aus dem Rechtskreis des Asylbewerberleistungsgesetzes in die Rechtskreise des Sozialgesetzbuches II und des Sozialgesetzbuches XII übergetreten, einhergehend mit entsprechenden Erleichterungen hinsichtlich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Krankheitsfall. Die NRW-Flüchtlingspolitik und der NRW-Flüchtlingsgipfel auf Initiative der Ministerpräsidentin verbinden personenzentrierte Verbesserungen für Flüchtlinge mit kommunaler Entlastung.
An dieser Stelle wiederhole ich noch einmal: Wir in NRW halten frühestmögliche Integrations- und Sprachkurse sowie Qualifizierungsmaßnahmen für Flüchtlinge für unverzichtbar.
Angesichts der Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen und der größten globalen Kriegs- und Vertreibungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg – man kann beinahe von einer neuen gewaltbedingten Völkerwanderung sprechen – ist eine weitere Beteiligung des Bundes an diesen nationalen Kosten über die bisherigen Leistungen hinaus unerlässlich.
Flüchtlinge, Behörden und Arbeitgeber sind aktuell noch nicht ausreichend über die jüngsten Novellierungen informiert. Wissensdefizite, Unklarheiten und Unsicherheiten verhindern häufig noch die Ausschöpfung der erweiterten Möglichkeiten.
Die grundsätzlich zu bejahende, richtige Hereinnahme von Flüchtlingsgruppen in die Zuständigkeit des Sozialgesetzbuchs zeigt ungeahnte und sicherlich aber auch nicht gewollte Nebeneffekte. Bisweilen ist von einem sogenannten BAföG-Effekt die Rede. So können Geduldete und Flüchtlinge mit humanitären Aufenthaltsgestattungen unter Umständen infolge dieses Prinzips gestärkter Rechtsstellungen im Ergebnis eine begonnene Ausbildung nicht fortsetzen. Dieser Missstand ist zu beheben, über Zugangsoptionen zu SGB-III-Leistungen bzw. zum BAföG muss die neuerdings eingetretene Exklusion von Flüchtlingen in Ausbildung aus dem Leistungsbezug wieder geheilt, also in eine Inklusion in das System rückverwandelt werden.
Bis zum Inkrafttreten einer solchen Regelung soll die Landesregierung weiterhin kurzfristige Lösungen im Einzelfall anwenden, um dem beschriebenen Effekt auf Kosten und zulasten der Auszubildenden und Ausbildungswilligen zwischenzeitlich zu begegnen.
Auf Grundlage dieser Bilanz sind unsere heutigen Forderungen nur eine präzise Schlussfolgerung aus den noch nicht richtig ineinander greifenden Zahnrändern innerhalb dieses Gesamtbetriebes.
Die Forderung an den Bund ist und bleibt, dass im Geiste gesellschaftlicher Teilhabe der Zugang zu bundesfinanzierten Deutsch- und Integrationskursen eröffnet wird.
Ebenso bitten wir die Landesregierung, weiterhin ihre Stimme für ein Bleiberecht von Flüchtlingen in Ausbildung zu erheben. NRW appelliert mit Nachdruck an die Bundesregierung, die funktionierenden Modell- und Pilotprojekte der Arbeitsmarktintegration auszuweiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige grundsätzliche Erwägungen wie auch zahlreiche Nachsteuerungen und Korrekturen im Detail sind das technische Ausbuchstabieren dessen, was ich als gleichberechtigte Teilhabe am Arbeits- und Ausbildungsmarkt skizziert habe. Was wollen wir? Wir wollen keine ohnmächtigen, isolierten Flüchtlinge in Sondersystemen oder Parallelwelten. Wir wollen handlungsfähige Menschen, die sich dank adäquater Förderung auf den Weg machen, inmitten der Gesellschaft eigeninitiativ ein neues soziales Leben
nach der Flucht und nach dem Verlust aufzubauen. Wenn wir Letzteres wollen, dann kommen wir nicht umhin, dem Bekenntnis zur Arbeit und Ausbildung als Schlüssel zur Integration geeignete Maßnahmen folgen zu lassen.
Das sind wir letztendlich den geflüchteten Menschen schuldig, und das sind wir uns selbst schuldig, solange wir dafür einstehen, eine Politik der sozialen Inklusion aus Vorsorge, Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu praktizieren. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute früh haben wir im Zusammenhang mit der Entlastung der Kommunen ein wichtiges Thema behandelt, bei dem es natürlich auch um Menschen mit Behinderung ging, nämlich bei der Frage der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes, eines modernen und wichtigen Gesetzes, bei dem es darum geht, Menschen mit Behinderung aus der Fürsorgeleistung heraus in ein aktives, selbstbestimmtes, teilhabeorientiertes Leben zu bringen. Schade, dass die Resolution, die dieses enthalten hat, nicht die Zustimmung auch der anderen großen Volkspartei, der CDU, in diesem Landtag gefunden hat. Das wäre ein gutes Signal für diesen Antrag heute Abend gewesen.
Wir werden natürlich nicht nur der Überweisung zustimmen, sondern uns auch konstruktiv damit auseinandersetzen. Es ist klar, dass die Frage von Bewusstsein eine zentrale Frage ist, wenn es darum geht, Nordrhein-Westfalen auf dem Weg in die Inklusion zu begleiten. Das Ehrenamt ist dabei nicht allein für die Inklusion wichtig, denn ohne Ehrenamt – da sind wir uns sicher einig – würde diese Gesellschaft in vielen Bereichen nicht existieren können.
Nun habe ich beim Lesen des Inhalts des Antrags, der Antragsbegründung so richtig nicht verstanden, worum es geht. Sie schreiben auf der einen Seite: Es geht um Volkshochschulen und Weiterbildungseinrichtungen; dort soll es ehrenamtliche Inklusionsbeauftragte geben. Zum anderen geht es um
das Projekt „Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort – Lotse/Lotsin für Menschen mit Behinderung“, das derzeit im Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln organisiert und umgesetzt wird. Da verweisen Sie darauf, dass dieses schon jetzt ein vom Land gefördertes Projekt ist, das weiter unterstützt werden soll.
Ich will nur darauf hinweisen, dass wir derzeit dabei sind, in jedem Landesteil, in jedem Regierungsbezirk ein Zentrum für Menschen mit Behinderung einzurichten; die Ausschreibung dazu läuft. Ich denke, da müssen wir abwarten, was in diesen Bereichen noch passieren wird.
Der Hinweis von Ihnen, Frau Birkhahn, dass viele Menschen in dem Bereich am Existenzminimum hängen, ist wichtig und richtig. Dabei muss man natürlich zur Kenntnis nehmen, dass gerade deshalb ein vernünftiges und gutes Bundesteilhabegesetz notwendig ist, damit Menschen nicht an ihrem Existenzminimum knapsen müssen, nur weil sie behindert sind, vor allem dann, wenn sie arbeiten und bei den Leistungen, die sie bekommen, auch noch den Lohn oder das Gehalt dafür abgezogen bekommen.
Das heißt: Es geht in der Thematik sicherlich um ein größeres, gesamtgesellschaftliches Thema. Wir werden das im Ausschuss selbstverständlich mit Ihnen konstruktiv diskutieren. Wir schauen mal, was man da machen kann, wobei mir es, wie gesagt, wichtig ist, dass da Fleisch an die Knochen muss, wenn es darum geht, deutlich zu machen, was der tatsächliche Ansatz dieses umfangreichen Antrages ist. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegin Scharrenbach, als ich von dem Eilantrag gehört und ihn gelesen habe, habe ich mir gedacht: Wow, was kommt denn da? – Und was ist gekommen? Dazu fällt mir nur ein: Und täglich grüßt das Murmeltier. Sie alle kennen vermutlich diesen Spielfilm. Im Mittelpunkt steht ein nicht enden wollendes Wiederholen desselben Tagesablaufs. Täglich grüßt das Murmeltier auch, wenn ich auf Ihren Eilantrag schaue.
Nein. – Wieder einmal springen Sie von CDU und FDP um Aufmerksamkeit heischend auf ein Thema auf, das sich sehr gut für Panikmache eignet.
Gelernt habe ich indes, dass man anderen erst einmal gute Gründe unterstellen sollte und ihr Handeln wohlmeinend interpretieren möge. Die beiden hauptverantwortlichen Abgeordneten der gestrigen Pressemitteilung und zugleich die heutigen Redner – beide kenne ich nicht als Mitglied im federführenden Ausschuss – möchte ich gerne über die Aktualität aufklären. Möglicherweise sind Ihnen die Informationen der letzten Tage irgendwie nicht zu Ohren gekommen.
„Täglich grüßt das Murmeltier“ ist bei Ihnen ein Prinzip; Sie haben mit Ihrem Antrag versucht, auf die vorherige Information des Landkreistags aufzuspringen. Dabei haben Sie aber vergessen, dass es zwischenzeitlich eine andere Situation gibt.
Sie kennen das Schreiben des Landkreistages vom 23. Januar 2015, in dem sehr deutlich dargelegt wird, wie sich die Situation im Land NordrheinWestfalen darstellt. Ich zitiere gerne mit Erlaubnis des Präsidiums aus diesem Rundschreiben:
Trotz nun eintretender weiterer Verzögerung des Beginns der Notfallsanitäter-Ausbildung ist auch aus kommunaler Sicht eine in sich abgeschlossene und die weiteren Kernfragen der gemeinsamen Vorschläge bearbeitende Novellierung des Rettungsgesetzes NRW im März sinnvoll, damit eine sachgerechte abschließende Klärung der noch offenen Fragen erfolgen kann. – In der Zusammenfassung heißt es zudem sogar ausdrücklich:... gegenüber der Verabschiedung im Januar zu bevorzugen.
Der Landkreistag bringt es auf den Punkt: Ziel ist es, ein langfristig tragfähiges Modell des Rettungsgesetzes zu schaffen. Diese Einschätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wird auch von den Praktikern vor Ort geteilt.
Ich darf Ihnen aus der heutigen Presse den Feuerwehrchef der Stadt Solingen zitieren, der gerade versucht, für vier Städte eine Ausbildung aufzubauen: Die Kommunen haben aber Gott sei Dank noch Zeit, sich auf dieses neue Gesetz einzustellen. Vorbereitung in Ruhe und Sorgfalt statt Panikmache. – So lautet die Botschaft der Praktiker. Genau das ist die Botschaft vor Ort. Diese Beteiligten kennen Sie, die alle dabei waren.
Außerdem – das wissen Sie selber – wird es in diesem Rettungsgesetz sehr großzügige Übergangsregelungen geben, die wir in den nächsten Jahren auch benötigen werden, um vielen Menschen, die in diesen Berufen tätig sind, die Möglichkeit zu geben, sich auszubilden und zu qualifizieren.
Wir sind schon 25 Minuten im Verzug. Ich muss heute rechtzeitig zu meiner Frau, sie ist krank. Bitte entschuldigen Sie.
In den nächsten Jahren verbleibt genügend Zeit, um hinreichend und sachgerecht Notfallsanitäter ausbilden zu können. Sofern man sich die Mühe macht, den Sachverhalt fachpolitisch zu prüfen, dann entbehrt Ihr Großszenario von einer Gefährdung der Bevölkerung und eines Notstandes jeglicher vernünftigen Grundlage und dokumentiert nur ein fragwürdiges Spiel mit den Sorgen und dem Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger.
Ihr Eilantrag dient nicht der Aufklärung über die Sachfragen des Rettungsverfahrens und der Notfallsanitäter-Ausbildung, wohl aber dem Populismus. Der einzige Notstand, den ich hier erkenne, scheint der Antragsnotstand der CDU- und der FDP-Fraktion zu sein, in diesen Fragen zu handeln. Deshalb werden wir auch Ihren Eilantrag ablehnen. – Vielen Dank.
Bitte.
Frau Scharrenbach, nicht umsonst habe ich eben gesagt, dass wir – so steht es ja auch in dem Rundschreiben des Landkreistages, das mit vielen Beteiligten, von denen Sie sprechen, abgeklärt ist, und das genau diese Position enthält –, bis März in diesem Landtag dieses Gesetz auf den Weg bringen werden, um die Voraussetzungen zu schaffen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Benötigen wir ein soziales Europa? – Die klare Antwort lautet: Ja. Dieses Europa wird sozialer als das bisherige sein müssen. Das sind wir den Millionen von Arbeitslosen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa schuldig.
Lassen Sie mich aber hinzufügen: Das Beste, was gegen Arbeitslosigkeit getan werden kann, ist eine gute Wachstumspolitik statt einer Restriktionspolitik. Denn Wachstum schafft Arbeitsplätze. In dieser Hinsicht ist vor allem ein Umdenken der Europäischen Kommission sehr notwendig.
Die Lage ist buchstäblich verrückt. Zum einen betonen wir immer Europas gemeinsamen kulturelle Kern, zum anderen leben wir die nüchterne Realität von Wettbewerb und Markt. Vielleicht bedeutet gerade das ein soziales Europa, und die soziale Dimension ist die Brücke dazwischen. Die europäische Identität ist mehr und etwas anders als das Bewusstsein einer Wirtschafts-, Währungs- und Krisenunion. Der soziale Gedanke hat seinen Niederschlag in den europäischen Prinzipien des Sozialstaates und der sozialen Marktwirtschaft. Dieser Gedanke liegt jenseits der allzu schlichten Alternative vom reinen Wettbewerbsstaat und ökonomisch schwachen Sozialstaat. Vielmehr reden wir vom wirtschaftlich leistungsfähigen Sozialstaat, für den Solidarität Grundvoraussetzung und nicht Feindbild ist.
Der Antrag geht von dem durchaus richtigen Gedanken aus, dass automatische Ausgleichsmechanismen und Stabilisatoren Ungleichgewichten entgegenzuwirken haben. EU-Kommissar Andor erwähnt im Kontext seiner Werbung für eine solche Versicherung eine Aufgabe, die mutmaßlich die noch bedeutsamere ist. Ich zitiere:
„Eine gemeinsame Versicherung würde dem Währungsraum endlich ein menschliches Gesicht verleihen.“
Wenn wir diesen Wunsch bejahen, müssen wir das Missverständnis Europa in Form von Lohn-, Steuer- und Sozialdumping verneinen. Einen europäischen
Wettbewerb als Wettbewerb um niedrigste soziale Standards können wir doch gar nicht ernstlich wollen.
Im Antrag erscheint ein spannender Wink. Es ist von der positiven Assoziation der Bevölkerung mit einem Mechanismus der EU die Rede. Wir praktizieren die Währungsunion mit dem Euro als gemeinsame Währung. Vielleicht ist es so, dass die eigentliche, sogar noch wichtigere Währung letzten Ende eine andere ist, nämlich Identifikation oder auch das Konglomerat aus Identifikation, Zutrauen und Verlässlichkeit.
Erfolgsgeheimnis des deutschen Sozialstaatmodells ist die Identifikation nicht nur der Menschen am sozialen Rand, sondern auch der Mittelschichten insgesamt mit der sozialen Marktwirtschaft, die von der Absicherung durch bestimmte Instrumente gespeist wird.
Eine Reihe von Punkten in Bezug auf die Realisierbarkeit einer europäischen Arbeitslosenversicherung ist unbedingt zu klären: diverse technische Details, Schnittstellen zwischen nationalen und supranationalen Systemen, sekundär und primär rechtliche Fragen, Standards der Arbeitsvermittlung oder auch die Frage der Souveränität.
Im reinen vehementen Verteidigen nationaler Souveränität begegnen sich sowohl Marktradikale und Marktliberale, die Regulierung und Vereinheitlichungen strikt ablehnen, als auch diejenigen, die Absenkungen nationaler Standards und Deregulierung fordern.
Gebot der Stunde ist es daher, sich bewusst zu machen und eine ausführliche ernsthafte Befassung anzugehen. Das heißt: sorgsame Prüfung etwaiger positiver und negativer Effekte, der Komplexität entsprechend Modelle zur Umsetzung eines sozial gedachten Europas erwägen und auswerten, eines sozial gedachten Europas, das dem Ökonomischen mitnichten automatisch widerspricht – nein, im Gegenteil.
Wir werden Ihren Antrag im Ausschuss selbstverständlich als eine gute Diskussionsgrundlage gemeinsam besprechen und versuchen, das Beste für die Arbeitslosen in Europa zu tun. Aber ich wiederhole: Der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ist eine europäische Politik, die zum Wachstum von Arbeitsplätzen beiträgt. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Menschenrechte sind da zu Hause, wo die Menschen wohnen, wo sie leben, wo sie arbeiten und auch da, wo sie sterben.
Eine moderne Gesellschaftspolitik auf der Höhe der Zeit, die den demografischen Entwicklungen und dem Deutschland von heute Rechnung trägt, schließt das Bestattungswesen mit ein: aus Achtung und Respekt vor den Verstorbenen und ihrer Würde, aber genauso aus Achtung, Respekt und Würde vor den Angehörigen, Freunden und ihrem sozialen Umfeld.
Die Art und Weise, in der ein Land den Tod, die Toten und ihre Familien behandelt, verrät viel über die humanitären Qualitäten und die politische Kultur dieses Landes. Dabei gilt es, die Individualität und die Wünsche der Menschen zu berücksichtigen. Weil dem so ist, befinden wir heute nicht allein über ein Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes, sondern über einen maßgeblichen integrationspolitischen Schritt, dem gleichermaßen faktisch wie symbolisch eine außerordentliche Bedeutung zuzumessen ist.
Der rot-grüne Entschließungsantrag unterstreicht noch einmal diesen qualitativen Sprung, der statt von Furcht und Misstrauen von Wertschätzung, religiöser Vielfalt und freier Religionsausübung getragen ist. Ein selbstbewusstes Nordrhein-Westfalen erweist sich heute als interkulturell und menschenrechtlich erwachsenes Land.
Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir Zeichen setzen. Ja, Kollegin Schneider, wir wollen auch ein Zeichen setzen zum Schutz von Kindern vor Ausbeutung. Und mag dies auch mit einer gewissen Form von Bürokratie verbunden sein, so sage ich Ihnen: Die Menschenwürde dieser Kinder ist es wert, dass wir sie vor Ausbeutung schützen.
Erlauben Sie mir aber, mich auf einen wichtigen Aspekt zu konzentrieren: die Frage der nicht christlichen, vor allem muslimischen Friedhöfe. Ich spreche hier zu Ihnen als Landespolitiker, aber zugleich als Abgeordnete aus der Stadt Wuppertal, die hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Dort haben sich schon vor Jahren verschiedene Akteure – gerade auch die Interessensgemeinschaft der lokalen Moscheevereine – mit ausdrücklicher Unterstützung auch der Landtagsabgeordneten der SPD auf den Weg gemacht, den landesweit ersten Friedhof dieser Art Wirklichkeit werden zu lassen.
Die heutige Entscheidung schafft die erste entscheidende gesetzliche Grundlage, dass dieser lang gehegte, bei den Muslimen seit Jahrzehnten vorhandene Traum endlich Wirklichkeit wird. Integration und soziale Inklusion können sich nicht auf einzelne Personengruppen und Lebensphasen beschränken. Echte, ernsthafte Integration reicht von der Wiege bis zur Bahre.
Ist es nicht merkwürdig, wenn wir Menschen muslimischen Glaubens bisher signalisiert haben: „Bis zum Sterben seid ihr hier willkommen und gehört durchaus zu uns, aber danach ist es uns ganz recht, wenn ihr in die Länder eurer Vorfahren oder in eure Geburtsländer zurückkehrt“?
Sind wir uns eigentlich dessen bewusst, was es bedeutet, wenn Muslime hier in Deutschland auf muslimischen Friedhöfen unter Berücksichtigung islamischer Glaubensgrundsätze und Bestattungsriten beerdigt werden wollen, wenn sie und ihre Familien darauf Wert legen, unweit ihres Lebensmittelpunktes und in der Nähe ihrer Angehörigen eine Grabstätte zu finden?
Lassen Sie mich hier den Satz einschieben: Davon können auch in Deutschland viele Menschen, die in einem Krieg vertrieben wurden und immer wieder in die Heimat zu den Gräbern zurückkehren, ein Lied singen.
Es ist ja nun nicht gerade so, dass die Politik muslimischen Menschen die Neuregelung des Bestattungsgesetzes aufzwingen würde. Sie selber haben diese Möglichkeit angeregt und den Willen artikuliert, dass sie, ihre Eltern und ihre Kinder hier beerdigt werden können.
Häufig wird von Migrantinnen und Migranten Identifikation eingefordert, werden eigentümliche Begriffe wie „Integrationsbereitschaft“ und „Integrationswillen“ verwandt. Gibt es eine deutlichere Form von Identifikation und des Integrationswillens, als hier, wohnortnah, allen Diskriminierungserfahrungen zum Trotz seine letzte Ruhestätte zu finden? – Die Botschaft lautet: Wir sind hier zu Hause, das ist unsere Heimat.
Zugleich zeigt unsere Entschließung, dass wir selbstverständlich den Wunsch mancher Familien,
sich auch zukünftig im Ausland bestatten lassen zu wollen, respektieren und die entsprechenden notwendigen Verfahren unbürokratischer gestalten wollen. Darauf sind die Vorredner schon mehrfach eingegangen.
Ja, Herr Post, mich befremdet das Vorgehen der CDU, das sich in das hier seit Jahren gezeigte Bild nahtlos einfügt und von sehr kritischen Fragen im Zusammenhang mit muslimischen Friedhöfen bestimmt ist.
Sie koppeln die Übertragung daran, dass die Religionsgemeinschaften oder religiösen Vereine als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Körperschaftsstatus anerkannt sein müssen. Eine Öffnung des Bestattungsgesetzes für andere als die genannten öffentlich-rechtlichen Vereine und Verbände ist aber in der Regel nicht organisationskulturell zur Erlangung der Körperschaft für muslimische Vereine geeignet. Im Klartext: Ihr Änderungsvorschlag kommt praktisch bis auf Weiteres nicht nur einem Verzögerungsgesetz, sondern einem Verhinderungsgesetz für muslimische Friedhöfe in Nordrhein-Westfalen gleich.
Was wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Monat Ramadan dazu sagen?
Infolge der Verabschiedung des Bestattungsgesetzes werden wir in Wuppertal hoffentlich demnächst das kleine Wunder der Vereinigung dreier Weltreligionen nach dem Tod erfahren dürfen. Drei Friedhöfe – ein christlicher, ein jüdischer, ein muslimischer – werden unmittelbar aneinandergrenzen. Der eine wird des anderen direkter Nachbar sein. Ja, da darf man stolz und glücklich sein. Die Betreibergesellschaft will den Friedhof auf einem ehemaligen Grundstück des evangelischen Kirchenkreises errichten.
Diesem gewollten Wunder ist 2002 in Wuppertal bereits ein anderes vorausgegangen: die Beheimatung der neuen Bergischen Synagoge auf dem Grundstück der reformierten Gemarker Kirche – buchstäblich Wand an Wand und bundesweit einmalig.
Keine Rede, kein Text kann stärker sein als diese beiden Bilder der Wirklichkeit. Sie zeigen, dass die religiöse Vielfalt im Land Nordrhein-Westfalen eine Heimat gefunden hat und unwiderrufliche Realität geworden ist. Erweisen wir uns dieser Realität als würdig! Stimmen wir für dieses vernünftige neue Gesetz! – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schneider, ich danke Ihnen und der Landesregierung für diese umfassende Unterrichtung zum aktuellen Stand der Umsetzung des Aktionsplans „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“.
Ihr Bericht belegt die vielfältigen Aktivitäten und das Engagement, das es in unserem Lande im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konvention bereits gibt. Ich danke allen Beteiligten, die sich unaufgefordert einbringen, dieses Thema als Herzensangelegenheit voranbringen und damit belegen, wie sehr Inklusion bereits vor Ort angekommen ist. Es ist eben mehr als die Auseinandersetzung um die Schulrechtsänderung, die dieses Thema teilweise vollständig überlagert hat.
Frau Kollegin Doppmeier, der diesem rot-grünen Aktionsplan zugrunde liegende Antrag wurde im Ausschuss bei Enthaltung der CDU und FDP einstimmig beschlossen und stellt eine Grundlage dar.
Dazu muss ich Ihnen sagen: Es gibt durchaus Punkte in Ihrer Rede, mit denen ich durchaus leben kann. Was ich in den letzten zwei, drei Jahren erwartet hätte, ist, dass von Ihnen daraus parlamentarisch etwas erfolgt wäre. Ich habe in keinem Ausschuss und nirgendwo anders eine Initiative gesehen, bei der Sie sagen: Zu diesem Inklusionsplan „NRW inklusiv“ haben wir eine Idee; wir wollen ihn mit Geld untermauern; wir wollen als Opposition auf die Regierung zugehen, um gemeinsam zu schauen, was geschehen kann.
Mit dem jetzt auf dem Tisch liegenden Entschließungsantrag verlassen Sie einen gemeinsamen Weg, den wir bis jetzt beschritten haben, nämlich in der Frage der Menschen mit Behinderung in diesem Lande gemeinsam vorzugehen, um deren Interessen nach vorne zu bringen.
Ja, auch Menschenrechte haben eine Heimat. Diese Heimat lässt sich ganz präzise benennen. Sie ist nämlich genau da vor Ort, und dieser NRWAktionsplan und seine Bausteine sind ein wichtiger Aspekt zur Umsetzung der Menschenrechte in der Heimat, wo die Menschen leben.
Das Thema, mit dem wir uns heute ausführlich befassen, stellt sich indes als sehr schwierig dar. Zunächst gibt es eine Vielzahl von einzelnen Maßnahmen der Querschnittsaufgabe „inklusive Gesellschaft“. Nebenbei gesagt: Diese Querschnittsaufgabe ist bei der Umsetzung dieses Themas relativ neu in der Bundesrepublik Deutschland. Sie können Gleiches in anderen Bundesländern suchen – das gibt es nicht, dass sich alle Ministerien über alle Ebenen mit diesem Thema beschäftigen und versuchen, alle Menschen mit Behinderung gleichberechtigt ins Boot zu holen und ihnen wie den Menschen ohne Behinderung Teilhabe zukommen zu lassen.
Ja, und weil Menschenrechte eine Heimat haben, dort wo die Menschen leben, wohnen, arbeiten, Familien gründen, altern, im Quartier, in den Kommunen und in den konkreten Nachbarschaften vor Ort, dort ist die Heimat dieser Rechte, und dort ist die Heimat der Umsetzung dieser Konvention.
Wenn Sie eben gesagt haben, das gehe Ihnen jetzt alles viel zu langsam und müsse viel schneller gehen, erinnere ich an die Debatte der letzten Monate: Da ging Ihnen alles viel zu schnell; es war Ihnen nicht gut genug unterlegt, und Sie haben gesagt: Bloß nicht aufs Tempo drücken, drückt auf die Bremse! – Heute höre ich, dass das alles so nicht funktionieren kann.
Ich denke, der Begriff „Heimat“ bedeutet eine neue Form von Sozialplanung und sozialer Orientierung vor Ort da, wo Menschen leben. Der hoch erfolgreiche Bürgerdialog der Landesregierung trägt deshalb den Titel „Heimat im Quartier“. Intelligente Strategien gegen soziale Ausgrenzung und Armut setzen vor Ort an, dort, wo diese Menschen leben. Die Heimat oder die Heimatlosigkeit dieser Menschenrechte entscheidet sich dort, wo Menschen als gleichwertig akzeptiert werden oder eben nicht.
Die Inklusion, von der wir sprechen, ist eine soziale Inklusion. Diese, Kollegin Doppmeier, wird nicht passieren, indem wir den Lichtschalter umdrehen und meinen, morgen werde es funktionieren.
Noch stärker als das soziale Oben und Unten ist das gesellschaftliche Drinnen und Draußen zur Leitdifferenz geworden. Umfassende barrierefreie Quartiere – ich erinnere hier an den Masterplan „Altengerechte Quartiere“ der Landesregierung – sind zugleich auch altengerecht, demografiefest, familienfreundlich, somit kurzum menschenfreundlich.
Inklusives Denken verträgt keine Einbahnstraßenlogik. Nicht Menschen sind behindert, Umstände behindern Menschen. Derjenige, der anders ist, womöglich gegenüber einer angenommenen Norm physische, geistige, sensuelle Beeinträchtigungen hat, wird gesellschaftlich zum Menschen mit Behinderung gemacht, und zwar im Zusammenspiel mit Barrieren unterschiedlichster Art.
Das Quartier, in dem die Menschen leben, macht dieses wiederum überaus sinnfällig. Denken wir an Behinderungen hinsichtlich Mobilität, Arbeit, Wohnen, Kommunikation, Bildung, politischer Beteiligung vor Ort. Dazu hat Minister Schneider ja einiges ausgeführt. Im unmittelbaren Sozialraum werden so im negativen Fall Menschen mit Behinderungen zu Betroffenen abgestempelt. Wir wollen sie aber zu Beteiligten machen und als solche ernst nehmen.
Ja, die Ebenbürtigkeit und die Idee des Empowerments, die Menschen als Experten in eigener Sache mitzunehmen in diesem Prozess – auch dies ist nicht einfach. Wir wissen, mit welchen Menschen
wir es teilweise zu tun haben. Deshalb müssen wir uns darauf verlassen, dass die Organisationen und die Verbände, die für diese Menschen eine Stimme haben, auch als solche akzeptiert werden, dass sie auch dieses Empowerment der Experten in eigener Sache vor Ort durchsetzen und diese Vielfalt auch haben.
Das, Frau Doppmeier, ist der rote Faden dieses Aktionsplanes, genau diese Beteiligung, um die es dabei geht. Nicht nur das Ziel, nein, auch der Weg zur Inklusiven Gesellschaft ist inklusiven Prinzipien verpflichtet.
Die Prozessbeteiligung von Anfang an ist unverzichtbar. Da gibt es kein Gegeneinander nach der Methode: Ist das ein Mensch mit Behinderung, oder ist das ein Verband, dem er angehört und der seine Interessen vertritt? – Ich habe hier beim Thema „Schulrechtsänderung“ viele Verbände erlebt, die viele Interessen vertreten haben, aber sehr wenige, die die Interessen der Behinderten im Auge hatten.
Nordrhein-Westfalen – lassen Sie mich auch das sagen – ist in dieser Frage das deutsche Gleichstellungs- und Inklusionsland; das kann man zu Recht sagen.
Schauen Sie sich doch alle anderen Bundesländer zu dieser Frage an! Schauen Sie sich an, wie Menschen mit Behinderung dort beteiligt werden, geschweige denn, ob Aktionspläne existieren, die überhaupt einen Weg aufzeigen.
Herzstück der Vielzahl von innovativen Regelungen und Initiativen dieses Aktionsplans „NRW inklusiv“ ist es, praxisorientiert unten anzufangen. Es nützt mir nichts, zu sagen: Du, Sportverein, musst es machen! – Nein, ich muss den Sportverein mitnehmen. Ich muss Leiterinnen und Leiter haben, die sagen: Ich will mich in diesen Prozess einbeziehen. – Das wird ein Prozess sein, der viele Jahre dauern wird. Das wissen Sie auch sehr genau; das haben Sie mehrfach vorgetragen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozess unter Beteiligung der Betroffenen zu organisieren und ihn letztendlich bis zum Jahre 2020 fortschreibungsfähig nach vorne zu bringen.
Ja, es ist ein Prozess, der sich in Ausführung befindet. Dieser Prozess wird nicht dadurch enden, dass wir das Thema beschlossen haben. Wir haben in diesem Land 18 Millionen Menschen mitzunehmen und sie nach vorn zu bringen.
Deshalb ist auch dieser Inklusionsbeirat mit seinen Fachbeiräten – wie es Guntram Schneider gesagt hat – wichtig in diesem Prozess, denn da findet eine konkrete Beteiligung statt. Da geht es nicht um die Frage, wer dort persönlich vertritt und persönlich sitzt, sondern da geht es um die Frage: Welche In
teressen werden in die Waagschale geworfen? – Glauben Sie mir, in dieser Bundesrepublik Deutschland ist so ein Vorgehen einer Landesregierung einmalig. Das gibt es nirgendwo anders.
Es geht nicht um den technokratischen Akt zu sagen: Da schaltet jemand etwas um; und von oben nach unten ordnet er jetzt an, dass in der Freizeit dies stattfindet. – Wir sind Praktiker genug, zu wissen, dass das nicht funktioniert. Wir wissen, dass es keine Reiseangebote für Menschen mit Behinderung gibt. Wir wissen, dass es schwierig ist, mit einem großen Rollstuhl in einen Flieger zu steigen. Wir wissen, dass es Schwierigkeiten mit den Kostenträgern gibt.
Das aber ist das, was dieser Aktionsplan sehr deutlich aufdeckt. Er zeigt es auf. Er zeigt auf die Notwendigkeit, um die es dabei geht, nämlich genau diese Themenfelder zu besetzen und zu bearbeiten. Auch da rate ich dazu, hier mit Sachlichkeit heranzugehen. Wir wissen genau, dieses Ziel wird nicht dadurch erreicht, dass wir sagen: Im Mai muss es erledigt sein.