Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Lassen Sie uns deshalb – das ist meine große Bitte – dieser Resolution mit einer großen Mehrheit zustimmen, ganz in der Tradition dieses Hauses.

Glück auf für unser Land, meine Damen und Herren!

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Als nächster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Laschet das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns einig: Die Aufgaben, die sich aus der Aufnahme von mehreren Hunderttausend Flüchtlingen allein für unser Land,

aber auch für Deutschland und Europa ergeben, sind gewaltig. Sie bewegen die Menschen, wie wir in diesen Tagen spüren, wie kaum ein anderes Thema, selbst dort, wo es kaum Flüchtlinge gibt, oder gerade dort.

Wir erleben bei uns in Nordrhein-Westfalen unzählige Freiwillige, die in Kleiderkammern aushelfen, kostenlos Deutschkurse geben, Patenschaften übernehmen, bei Behördengängen helfen. Wir erleben engagierte Menschen in der Zivilgesellschaft. Wir erleben Kirchen, Wirtschaft und Handwerk, die helfen wollen. Wir erleben Flüchtlingshilfe, Vereine, Ehrenamtler. Und wir erleben Kommunen, die in diesen Tagen Großes leisten. Wenn man vor Ort ist, sagt fast jeder Bürgermeister: Wir schaffen das hier bei uns. – Das ist ein tausendfaches „Wir schaffen das“ auf der kommunalen Ebene, was wir in diesen Tagen erleben.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ihnen allen gebührt Dank, und wir müssen als Land das tun, was wir tun können, um sie bei dieser Arbeit zu unterstützen.

Nun hat der Kollege Römer vieles gesagt, was wir teilen, und er hat vor allem beschrieben, dass es zur Geschichte unseres Landes gehört, so zu agieren, wie wir agieren.

Wir haben in diesen Tagen „70 Jahre NordrheinWestfalen“ gefeiert, und deshalb gehört zur Integrationspolitik auch, deutlich zu machen: Es geht nicht nur um Flüchtlinge, es geht jetzt nicht nur um diejenigen, die letztes Jahr neu zu uns gekommen sind, sondern die Aufgabe der Integration, Aufstieg durch Bildung für jeden zu ermöglichen, gilt eigentlich seit 50 Jahren, seit die ersten Zuwanderer kamen.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der SPD)

Deshalb ist dieses Land – bei den Landesjubiläen, besonders bei den Fernsehberichten, geht das oft unter, auch bei „70 Jahre Nordrhein-Westfalen“ – geprägt durch das Wirtschaftswunder, das ohne die vielen Millionen Gastarbeiter nicht möglich gewesen wäre. Auf dem Deutzer Bahnhof in Köln wurde damals der einmillionste Gastarbeiter, Rodriguez, mit einem Moped empfangen. Das war eine besondere Form von Willkommenskultur, als dort Männer mit Hüten standen und sich über den Einmillionsten freuten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Der hatte gar keinen deutschen Führerschein!)

In diesem Land ist Kemal Sahin beispielsweise groß geworden, ein Unternehmer, der Zehntausenden Menschen Arbeit gegeben hat. Wenn wir das Fernsehen am Abend einschalten und die „Aktuelle

Stunde“ läuft, dann sehen wir Asli Sevindim, die Tochter von Gastarbeitern, die heute über Landespolitik berichtet. Die Mutter hat noch Fernsehgeräte am Band in Krefeld hergestellt, der Vater war am Ende Kranführer bei ThyssenKrupp. Das zeigt die Aufstiegsgeschichte, die in diesem Land für den, der mitmacht und sich anstrengt, möglich ist.

Die Fußballer brauchen wir gar nicht alle zu erwähnen, die heute zum Stolz der deutschen Nationalmannschaft beitragen. Sie sind geboren – Mesut Özil in Gelsenkirchen – in Dortmund, in den Städten unseres Landes. Insofern wird Integration in NordrheinWestfalen seit vielen, vielen Jahren gelebt.

Sie hatte strahlende Tage, wenn ich an das Sommermärchen 2006 denke. Sie hatte auch schreckliche Tage, wie damals 1993, als von rechtsradikalen Jugendlichen ein Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç verübt wurde, mit fünf Toten. Sie hatte auch den Mord an dem Kioskbesitzer Kubaşık in Dortmund, noch 2006; das ist zehn Jahre her. Der NSU hat auch bei uns seine Taten vollbracht.

Dennoch ist es prägend für die Geschichte des Landes, dass man da zusammengestanden hat. Und deshalb ist es eine gute Entscheidung der Jury des Staatspreises, in den nächsten Tagen Christel und Rupert Neudeck mit dem Staatspreis des Landes auszuzeichnen.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Eine Persönlichkeit! Wer bei seiner Trauerfeier in St. Aposteln in Köln war, hat erlebt: Die ganze Kirche war voller Vietnamesen – Menschen, die gesagt haben: Ohne diesen Menschen aus Troisdorf, ohne diesen Nordrhein-Westfalen, wären wir gar nicht hier, würden wir gar nicht leben. Er hat uns in den Siebzigerjahren aus dem Südchinesischen Meer gerettet. – Deshalb ist es eine sehr gute Entscheidung, ihn auszuzeichnen.

(Allgemeiner Beifall)

Was prägt die Tradition dieses Landtags? – Herr Kollege Römer hat das erwähnt, 2001 haben die Fraktionen hier zusammengesessen – übrigens vier Jahre vor einer Landtagswahl, die Landtagswahl war 2001 gerade vorbei –, und in diesem Landtag saß so gut wie kein Zuwanderer. Bis 2010 hatten wir in den Fraktionen kaum Zuwanderer. Das ist heute anders, das zeigt, was sich verändert hat.

Damals aber, 2001, hat man sich verständigt, dass wir ein umfassendes Konzept brauchen, das alle Gruppen von Zuwanderern in den Blick nimmt. Zuwanderung birgt Chancen und Herausforderungen für Zuwanderer und für die Gesellschaft. Zuwanderung bedeutet Vielfalt, nicht Assimilation. Integration ist Querschnittsaufgabe, und der Schlüssel ist der Erwerb der deutschen Sprache. – Das hat man damals mit allen Fraktionen so verabredet.

Heute ist der 14. September, in acht Monaten ist Landtagswahl, und wir haben plötzlich eine andere gesellschaftliche Situation als 2001. Wir haben Parteien, die genau das Gegenteil von dem machen, was hier einmal als Konsens verabredet wurde. Deshalb ist es wichtig, heute diese sorgsame Unterscheidung vorzunehmen: nämlich, dass unser Land über Parteigrenzen hinweg die Toleranz von Religionen und Kulturen will, egal ob in acht oder sieben Monaten oder in zwei Tagen Landtagswahl ist.

Zusammenstehen und nicht dulden, dass andere die Gesellschaft spalten – das ist unsere Überzeugung.

(Allgemeiner Beifall)

Um das zu erreichen, haben viele Kollegen von uns und viele Referentinnen und Referenten in und vor den Sommermonaten versucht, noch mal solch einen Text hinzubekommen wie 2001. Ich nenne einige Kollegen aus allen Fraktionen, die besonders um diesen Konsens bemüht waren: Serap Güler, Joachim Stamp, Britta Altenkamp, Jutta Velte, Simone Brand und natürlich auch der Vorsitzende des Integrationsausschusses Arif Ünal.

Es ist aber nicht gelungen. Wir haben nicht einen Text, weil der Anspruch vielleicht zu groß war, auf 30 Seiten mit 170 Spiegelstrichen abzubilden, wie Integrationspolitik verlaufen soll. Wenn sie Querschnittsaufgabe ist, muss darin etwas zur Bildung, zum Wohnungsbau, zur Wirtschaftspolitik und zu vielen Themen stehen, die uns beschäftigen, und da gibt es in diesem Haus natürlich Unterschiede: Sie glauben, Sie machen die beste Integrationspolitik. Wir glauben, wir würden sie noch besser machen, noch mehr für Bildung tun und bei manchem schneller sein als Sie. Das ist aber der normale Wettstreit.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Wir werden Ihren Integrationsplan, wie er heute vorliegt, ablehnen, weil wir bei Bildung und den Aufgaben, die jetzt nötig sind, weitergehende, bessere Konzepte haben. Wir werden aber der Resolution, die Fraktionen von SPD und Grünen heute vorlegen, die im Wesentlichen das Ergebnis des Konsenses der Gespräche unserer Kollegen ist, zustimmen.

Wir senden damit auch ein Signal für die nächsten acht Monate. Wir werden streiten und Ihnen vorwerfen, dass Sie sichere Herkunftsländer nicht anerkennen. Wir werden sagen, in der Schule läuft es nicht optimal, Frau Löhrmann. Wir werden dieses und jenes sagen, aber wenn irgendeiner draußen, der jetzt nicht im Parlament sitzt, versuchen sollte, dieses Thema zu nutzen, um gegen Minderheiten und gegen unsere Mitbürger, die seit Jahren hier leben, Stimmung zu machen, dann werden wir gegen diese Gruppen zusammenstehen.

Dieses Kunststück, das im parlamentarischen Streit nicht einfach ist, sollten wir uns vornehmen. Dann leisten wir einen Dienst an Nordrhein-Westfalen.

(Anhaltender Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum 70. Geburtstag unseres Landes haben uns zahlreiche Glückwünsche erreicht. Sie haben deutlich gemacht, dass NRW viele Freunde hat, in der Bundesrepublik und auch weit darüber hinaus. Etwas, das die Historie unseres Landes eng mit der Gegenwart verbindet, war hier von besonderer Bedeutung: NRW ist Integrationsland, das wurde immer wieder betont, und dass die Menschen an Rhein und Ruhr lange – und zwar sehr lange – und gute Erfahrungen mit Migration und der Aufnahme von Neuankömmlingen gemacht haben.

Dieser besondere Geist, der NRW prägt, überbrückt nicht nur soziale, kulturelle und historische Unterschiede, sondern – das ist mir besonders wichtig, Kollege Laschet und Kollege Römer haben darauf hingewiesen –auch politische Grenzen. Dieser Geist hat sich beispielsweise in der Landespolitik ganz praktisch manifestiert, etwa bei der Integrationsoffensive vor 15 Jahren.

Alle damals im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich gemeinsam zu einer aktiven Integrationspolitik bekannt und sie als Querschnittsaufgabe definiert. Das war die Abkehr von einem alten Denken, das Migranten als Gastarbeiter betrachtete und nicht als Menschen, die sich und ihren Familien hier in Deutschland ein eigenes Leben aufbauen wollten.

Vor zehn Jahren – ich glaube, er hat es aus Bescheidenheit gar nicht erwähnt – wurden dann unter Schwarz-Gelb einzelne Maßnahmen in einem „Aktionsplan Integration“ zusammengefasst, und da verkennen wir nicht die Handschrift des damaligen CDU-Integrationsministers, der in seiner Partei dafür geworben hat, dass eine konstruktive Integrationspolitik möglich geworden ist.

Einige Jahre später, unter Rot-Grün im Jahre 2012, kam das bundesweit erste Teilhabe- und Integrationsgesetz, das in einem Flächenland verabschiedet wurde. Auch das war ein Meilenstein der deutschen Integrationspolitik.

Und jetzt, 2016, kommt der „Integrationsplan für NRW“: „Gelingende Integration von Flüchtlingen“. Das ist ein weiteres wichtiges Pfund für die Integrationspolitik. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz

herzlich bei all jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und insbesondere bei den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten bedanken, dass diese Arbeit möglich geworden ist. Herzlichen Dank an alle, die daran mitgearbeitet haben!

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Wir haben auf die Herausforderungen reagiert, die aus der großen Flüchtlingsaufnahme entstanden sind. Wir haben uns in NRW parteiübergreifend hinter dem Satz aufgestellt: Wir schaffen das. – Aber wir haben auch gesagt: Das ist keine Sache für Maulhelden, das bedarf vieler Anstrengungen, und vor allem bedarf es jahrelangen, kompetenten und auch anstrengenden Engagements. Ich bin ehrlich gesagt stolz, dass wir uns hier im Landtag dieser Herausforderung gestellt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon in den Tagen und Wochen der Flüchtlingsankunft war uns klar, dass wir eine solche Reaktion brauchen, um die mittel- und langfristigen Aufgaben hier in unserem Bundesland zu bewältigen. Und – das ist eben schon erwähnt worden – diese Anstrengung ist offensichtlich nicht ganz unbemerkt geblieben. Ich fand es schon beeindruckend, was die Bundeskanzlerin dazu gesagt hat – ich zitiere –:

„Nordrhein-Westfalen ist gewohnt, Menschen, die in das Land kommen, zu integrieren – auch da hat es Großartiges geleistet.“

Weil es Zuwanderung als Bereicherung empfinde, so die Kanzlerin, sei Nordrhein-Westfalen ein Beispiel für viele andere Regionen der Bundesrepublik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist in beiden Beiträgen angesprochen worden: Integrationspolitik ist Querschnittsaufgabe. Entsprechend breit und komplex sind wir die Sache angegangen. Wir orientieren uns am Grundgesetz und seinem Leitbild des friedlichen Zusammenlebens aller Menschen in einer offenen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft: an der Würde des Menschen, an Respekt und Toleranz, der Gleichstellung der Geschlechter, an Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit.

Deshalb geht es uns gerade nicht um Assimilation und das Austreiben von Unterschieden, sondern um Toleranz und wechselseitigen Respekt für die Vielfalt der jeweiligen Lebensentwürfe, die es in diesem Land gibt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Mit Sorge sehen wir deshalb auch, dass rassistische Gewalttaten und Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in erschreckendem Maße zunehmen. Die von Rechtspopulisten und Rechtspopulistinnen geschürten rassistischen Ressentiments sind die Basis für solche Gewalttaten. Wer das friedliche Zusam