Es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, weil es der rote Faden in sechs Jahren war: Ihr zeitgemäßer Investitionsbegriff beinhaltet, Schulden zu machen, damit am Ende mehr Geld hereinkommt. Ihre Philosophie lautet: Die Schulden von heute sind die Steuerkraft von morgen.
Sie haben schon im Rahmen des Wahlkampfs 2012 gesagt – und dies haben Sie auch als Leitmotiv rund um das Landesjubiläum immer wieder wiederholt –: „Kein Kind zurücklassen“ bedeutet Investitionen in Kinder. Aber wenn wir uns heute die Ergebnisse anschauen, können wir sagen: Ja, Sie haben die Schulden gemacht, aber den Kindern geht es schlechter als zu Beginn Ihrer Amtszeit.
Nun stellt sich die Frage: Ist denn diese Idee von Prävention richtig oder falsch? – Da sagen wir Ihnen: Sie ist natürlich richtig. Sie ist allerdings banal. Ich habe damals als Familienminister – als Ihr Vorgänger, Frau Kampmann – mit Bürgermeistern vor Ort gesprochen, und ich bin auf Herrn Hilgers in Dormagen gestoßen; er war Bürgermeister und Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Er hat in Dormagen, einer kleinen Stadt, ein Modell präventiver Politik entwickelt, wie von der Geburt an jedes Kind begleitet wird und wie man durch diese Begleitung verhindert, dass es mehr Inobhutnahmen und anderes gibt.
Das haben wir dann 2006 übernommen, und bereits 2007 hat die damalige Landesregierung ein Handlungskonzept dazu erstellt. Ich selbst habe Familien im Westfälischen besucht – ich weiß nicht mehr genau, welcher Ort das war –, die mir geschildert haben, dass ein neues Verhältnis zwischen dem Jugendamt und den Familien aufgebaut wird. Familien haben oft Angst, dass das Jugendamt schellt und ihnen das Kind weggenommen wird. Also hat man ein neues Vertrauensverhältnis entwickelt und vermittelt, dass Jugendamt auch beratend und begleitend sein kann.
Dafür haben wir Geld in die Hand genommen. Das ist alles präventive Politik genau mit der Idee, kein Kind zurückzulassen, ohne dass man dafür erst einmal Milliarden Schulden machen musste.
Frühe Hilfe bei Kindeswohlgefährdung ist möglich, und die Idee der Familienzentren enthielt auch die Idee, Eltern stark zu machen und Beratungseinrichtungen in die Kita zu bringen.
Also, wenn Sie jetzt ein paar Modellprojekte machen, erst einmal die Ergebnisse abwarten und sagen: „Wenn die Ergebnisse gut sind, dann dehnen wir das aufs ganze Land aus“, dann kann ich Ihnen nur entgegen, dass wir damit in diesem Land schon begonnen haben, lange bevor Sie Ministerpräsidentin wurden. Wir haben ein Elternbegleitbuch dazu verfasst, das auf der Idee aus Dormagen basiert. Das hat sechs, sieben Jahre funktioniert; das ist im April oder Mai wohl eingestellt worden. Die Kommunen konnten dann genau das machen, was Sie als Neuerfindung zur Begründung Ihrer Schulden vor sechs Jahren vorgetragen haben.
Dann haben Sie weiter gesagt: Um die Dimension deutlich zu machen, über die ich spreche: Wir reden nicht über 8 oder 9 Millionen €, die man dafür braucht, sondern wir reden über 800 bis 900 Millionen € pro Jahr. Unser Ziel ist, die Zahl der Inobhutnahmen zu senken, um langfristig finanzielle Effekte in unserem Haushalt zu erreichen.
Was ist von diesen angeblichen Einsparungen sechs Jahre später zu spüren? – Gar nichts. Es gibt immer noch keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass durch das, was Sie da gemacht haben, soziale Folgekosten vermieden werden können. Die Bertelsmann Stiftung stellt in der Evaluation Ihrer Arbeit fest: Der unmittelbare Nachweis, dass die Senkung der sozialen Folgekosten durch Präventionsmaßnahmen erreicht werden kann, ist ausgesprochen schwierig.
Das ist eigentlich auch logisch, dafür braucht man keine wissenschaftliche Studie. Was soll es denn einem armen Kind – nach der Definition der Bertelsmann Stiftung –, das keine Kindergartenbeiträge zahlt, helfen, wenn man 250 Millionen € für mittlere und höhere Einkommen ausgibt, damit die Eltern dann keine Beiträge zu zahlen brauchen? Was soll das denn dem Kind helfen?
Herr Römer kündigt für die nächste Wahlperiode an, alle drei Jahre beitragsfrei zu stellen. Das kostet ca. 500 bis 600 Millionen €. Was hilft das denn dem armen Kind?
Dem armen Kind – nach dieser Definition – hilft eine kleinere Kindergartengruppe, hilft eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen. Das hilft diesem Kind,
(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie haben keine Ah- nung, worüber Sie reden! – Lutz Lienenkäm- per [CDU]: Das müssen Sie gerade sagen!)
Herr Zimkeit hat immer Ahnung, worüber er redet. Sie haben ja gleich die Gelegenheit, hierher zu kommen und uns zu erklären, was es den 36.500 Kindern in diesem Land, denen es schlechter geht als zu CDU- und FDP-Zeiten, geholfen hat, dass Sie für mittlere und höhere Einkommen die Kindergärten beitragsfrei stellen. Das können Sie hier mal erklären. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.
Sie haben die Neuverschuldung immer noch bei 1,6 Milliarden € trotz sprudelnder Steuereinnahmen – der Finanzminister hat die wirtschaftliche Situation in Deutschland richtig beschrieben – und trotz niedriger Zinsen. Trotz dieser Faktoren haben Sie immer noch 1,6 Milliarden € neue Schulden. Sie haben die Ausgaben des Landes seit dem Jahr 2010 um fast 35 % ausgeweitet. Während im ersten Halbjahr 2016 alle Bundesländer zusammengerechnet einen Haushaltsüberschuss von 3,9 Milliarden € aufweisen, verzeichnet Nordrhein-Westfalen ein Defizit von 564,8 Millionen €.
Allein in diesem Haushalt, und daran können Sie sehen, wie falsch die Verschuldungspolitik ist, haben Sie 2,8 Milliarden € für Zinsen eingeplant. Das sind 2,8 Milliarden €, die Sie nicht für Kinder und Bildung einsetzen können,
sondern die Sie den Banken geben. Sie geben durch Ihre Verschuldungspolitik lieber das Geld den Banken als den Kindern. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Und das ist falsch. Wenn Sie diese Schulden nicht hätten, wenn Sie diese Schulden nicht machen würden, wenn Sie endlich einmal zu einer schwarzen Null kämen, hätten Sie mehr Geld für die Kinder als für die Banken. Das ist die Realität in diesem Land.
Dass Sie aber mit den Haushalten gar nicht richtig arbeiten können, zeigt die Handlungsweise dieser Regierung: Vier Nachtragshaushalte in 2015 sind bundesweit Rekord. Jetzt haben wir bereits zwei Nachtragshaushalte in 2016, und da Sie manches gestern wieder nicht in Ihren Nachtragshaus eingestellt haben, da Sie ja erwarten, dass die Fraktionen noch weitere Anträge stellen, können wir jetzt schon
prophezeien: Es wird auch noch einen dritten Nachtragshaushalt in diesem Jahr geben. Denn so, wie Sie wirtschaften, werden Sie quasi zu einem Quartalsminister und nicht zu einem Haushaltsminister, der mal ein Jahr planen kann.
Sie haben aber, Frau Ministerpräsidentin, in Ihrer Regierungserklärung nicht nur Einsparungen in Höhe von 900 Millionen € durch soziale Prävention in Aussicht gestellt, sondern auch noch einen anderen Zusammenhang hergestellt. Sie haben gesagt:
Gelingt es Nordrhein-Westfalen in den kommenden zehn Jahren, die Zahl der Risikoschüler mit unzureichender Bildung deutlich zu senken, summieren die Wissenschaftler den möglichen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahre 2050 auf 148 Milliarden €.
Jetzt mal abgesehen davon, dass das natürlich weit in die Zukunft ein wolkenreiches Reden ist, in der Regierungserklärung zu konstatieren, was sich im Jahr 2050 möglicherweise verbessern könnte, haben Sie trotzdem gesagt: in den kommenden zehn Jahren die Risikoschüler deutlich zu senken.
Von den zehn Jahren sind sechs Jahre jetzt um. Sie regieren seit sechs Jahren. Unser Eindruck und auch der der Wissenschaftler, Eltern, Lehrer und Schüler ist, dass wir genau in die andere Richtung gehen. Wir befinden uns nicht auf dem Weg, die Zahl der Risikoschüler mit unzureichender Bildung deutlich zu senken, sondern wir sind auf dem Weg, dass auch bei den Bildungsdaten die Ergebnisse in NordrheinWestfalen immer schlechter werden.
Wir haben – das haben wir hier schon oft diskutiert – an Wirtschaftskraft deutlich verloren. Der Finanzminister hat in der „Neuen Westfälischen“ stolz verkündet:
NRW ist in der Summe aller Daten und Fakten Durchschnitt der Bundesrepublik und prägt diesen Durchschnitt.
Aber das Problem ist nur, die Menschen in Nordrhein-Westfalen würden ja Freudenfeste feiern, wenn wir wenigstens mal bei den Daten Durchschnitt und nicht immer Letzter wären.
Forschung und Entwicklung, Stifterverband: In keinem vergleichbaren Bundesland gibt es im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung weniger Investitionen in Forschung und Entwicklung. Nordrhein-Westfalen: 1,9 % des Bruttoinlandsprodukts, Bundesdurchschnitt: 2,8 %, Baden-Württemberg: 4,8 %.
Breitbandausbau, letzte Woche, Förderbescheide des Bundes: 116. Gesamtvolumen: 904 Millionen €. Nordrhein-Westfalen bekommt drei Förderbescheide mit einem Volumen von 25 Millionen €, Mecklenburg-Vorpommern 53 Förderbescheide mit einem Volumen von 450 Millionen €.
(Michael Hübner [SPD]: Genau! Sie sind auch von der Einwohnerzahl wie von anderen Krite- rien total vergleichbar!)
Meinen Sie nicht, Sie müssten mal langsam Ihre Hausaufgaben machen und die Anträge stellen, damit auch zu uns mehr Geld kommt?