Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

Prof. Neumann, der uns vor wenigen Tagen in der Fraktion seinen Kenntnisstand vermittelte, ließ auch klar erkennen, je mehr der IS in den arabischen Ländern unter Druck gerät, umso größer wird das Risiko auch für alle anderen Staaten, auch für Europa, auch für Deutschland. 30.000 ausländische Kämpfer sollen sich noch in den Ländern des Nahen Ostens befinden, und er geht davon aus, dass die Strategie des IS darauf abzielt, viele von denen zurückzuschicken in ihre Heimatländer, soweit sie aus diesen kommen, oder andere als Flüchtlinge einzuschleusen, um sie hier als Schläferzellen erst einmal unterzubringen, aber auch Terroranschläge hier begehen zu lassen.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bezeichnete vor wenigen Tagen die Aufdeckung von Schläferzellen als besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. Das gelte jedoch ebenso für andere Akteure des Terrorismus. Wörtliches Zitat:

„Sorge bereitet uns ein neuer Tätertypus, bei dem es sich nur scheinbar um Einzeltäter handelt“.

So der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Solche Attentäter würden virtuell aus dem Ausland über Instant Messaging ferngesteuert.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst nennt in einer Mitteilung grundsätzlich zwei Attentatsszenarien. So gebe es komplexe Anschlagsvorhaben von gut ausgerüsteten, in mehreren mobilen Zellen agierenden Personen, und dabei könnten verschiedene Tätergruppen wie Schläferzellen zurückkehrende Islamisten und als Flüchtlinge eingeschleuste Dschihadisten zusammenarbeiten. In Europa treten aber verstärkt auch Einzeltäter auf, die mit einfachen Tatmitteln Angriffe unternehmen. Von den 15 Anschlägen der vergangenen beiden Jahre seien zwölf von solchen „lone actors“ verübt worden.

Wir müssen erkennen, dass unsere Sicherheitsbehörden bis jetzt Gott sei Dank in der Lage waren, fast alle diese Anschläge zu unterbinden und zu verhindern. Wir müssen aber auch erkennen, dass das selten in der Regel nicht aus eigener Kraft geschah, sondern durch Hinweise, nicht zuletzt von Nachrichtendiensten anderer Länder.

Wir haben hier bereits mehrfach darüber debattiert, wie wir uns die Ausrüstung der Sicherheitsbehörden wünschen und was getan werden kann. Der Minister meinte gerade, das mit den Nachrichtendiensten anderer Länder treffe nicht zu. So jedenfalls die Informationen, die mir aus dem Bundesinnenministerium vorliegen und so auch die „FAZ“ vom 15. September dieses Jahres.

Wie dem auch sei. Ich glaube, wir müssen alles tun, um unsere Sicherheitsdienste zu stärken, ihnen die rechtlichen Mittel an die Hand zu geben, eingreifen zu können und sie auch dementsprechend ausrüsten.

Wir haben in unserem Antrag Vorschläge gemacht; sie gehen natürlich davon aus, dass wir mehr eigennachrichtendienstliche Mittel eingesetzt haben

möchten. Wir möchten gern weiter gemeinsame Antiterrorübungen von Bundeswehr und Landespolizei, sind in der Beziehung froh, dass sich Minister Jäger dafür offen gezeigt hat. Wir möchten auch die Antiterroreinheiten stärken. Diese Punkte können wir alle in Ruhe im Ausschuss beraten.

Ich möchte Ihnen gern ein Anliegen heute besonders vortragen und Sie bitten, es nicht gleich zu zerreden. Dschihadisten agieren nicht nur mit Bomben und Schusswaffen, sie haben auch das Internet als

Kampfgebiet erkannt. Wir halten ein digitales Kompetenzzentrum zur Bekämpfung, Verfolgung und Verhinderung terroristischer Aktivitäten in NordrheinWestfalen für notwendig und schlagen daher in unserem Antrag vor, dies aufzubauen. Dies kann auch vorwiegend präventiv agieren, indem es rechtzeitig signalisiert, wenn etwas zu erkennen ist. – Herr Körfges schüttelt den Kopf. Sollte er es auf diesen Vorschlag beziehen, denke ich, haben wir im Ausschuss genügend Zeit, uns auszutauschen und auch einmal darüber zu debattieren, ob es Sinn macht oder nicht.

Schön wäre es, wenn Sie nicht gleich der Meinung sind, wir müssten uns gar nicht darüber unterhalten. Ich glaube, ein solches Zentrum und auch unsere Vorschläge haben vieles an Argumenten für sich. Lassen Sie uns die im Ausschuss austauschen, und dann können wir bei der Schlussbesprechung erneut feststellen, wie es ausgeht. – Vielen Dank jedenfalls für heute. Ich würde mich freuen, wenn wir es diesmal konstruktiv angehen können.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Biesenbach. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Körfges.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst auf die für die CDU offensichtlich neuen Erkenntnisse ganz kurz eingehen.

Vieles von dem, was Herr Prof. Neumann mit Ihnen vertieft hat, hätte sich auch erschließen können, wenn Sie intensiv zum Beispiel an öffentlichen Sitzungen des PKG oder an Beratungen des Innenausschusses teilgenommen hätten.

(Christian Möbius [CDU]: Herr Oberlehrer!)

Sie glänzen da offensichtlich auch nicht durch profunde Sachkunde.

(Zuruf von Ilka von Boeselager [CDU])

Denn vieles von dem, was da gerade geschildert worden ist, ist traurige Realität, aber auch bekannt. Das wird auch ganz bewusst von der Landesregierung und von den sie tragenden Fraktionen umgesetzt.

Aber lassen Sie mich mit einem ganz anderen Aspekt beginnen. Sie erinnern sich vielleicht an diese schrecklichen Anschläge, die in Norwegen im Jahr 2011 passiert sind. Ich finde es immer noch beispielhaft, wie der damalige norwegische Ministerpräsident Stoltenberg reagiert hat – ich erlaube mir, das zu zitieren –: „Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein.“ Damit hat Stoltenberg auch jene offene und freie Gesellschaft verteidigt und in den Mittelpunkt der Erwägungen gestellt, die der

Attentäter mit seinen Waffen und Bomben bekämpfen wollte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch beim islamistischen Terror haben wir es vor allen Dingen mit Anschlägen auf unsere freie, offene und tolerante Gesellschaft zu tun. Insoweit will wohl abgewogen sein, wie man im Einzelfall auf solche Phänomene reagiert, wie man präventiv tätig wird und wie man sich auch in Sachen Repression aufstellt.

Aber eine freiheitliche Gesellschaft muss nicht wehrlos sein; das ist sie aber auch nicht. Maßnahmen gehören zur frühzeitigen Erkennung und nachhaltigen Bekämpfung gerade auch der islamistischen Terrorgefahr. Das gehört sicherlich zu dem, was eine freie Gesellschaft leisten muss.

Jetzt will ich – Herr Kollege Biesenbach ist nur auf wenige Punkte aus dem CDU-Antrag eingegangen – versuchen, eine grobe Kategorisierung vorzunehmen, und zwar in drei Abteilungen.

Erstens: Bekenntnisse in Angelegenheiten, die nicht originär unsere Zuständigkeit betreffen. Darunter fällt zum Beispiel die Wiedereinführung der Strafbarkeit der Sympathiewerbung. Ich sage einmal vorsichtig, obwohl wir uns damit nicht federführend zu befassen haben, weil das eine Bundesangelegenheit ist: Das ist womöglich unnötig, denn schon heute macht sich strafbar, wer Mitglieder für terroristische Organisationen anwirbt.

Es gab einmal einen Straftatbestand der Sympathiewerbung, der abgeschafft worden ist – nicht etwa, weil man Sympathiewerbung für ungefährlich gehalten hätte, sondern weil sich in der gerichtlichen Praxis herausgestellt hat, dass die Erfolge, die diese Strafbarkeit bezogen auf Verurteilungen und das Ahnen von Vorgängen angingen, relativ überschaubar waren.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Solange Sie keinen praxistauglichen inhaltlichen Vorschlag machen, muss man davon ausgehen, dass das eher das Aufwärmen von alten Dingen ist. Ich warte ganz gespannt auf die inhaltliche Ausgestaltung.

Auch die zweite Forderung aus dem eher bundesratsgeneigten oder eher bundespolitisch zuständigkeitshalber geregelten Bereich ist relativ schwierig. Sie betrifft der doppelten Staatsbürgerschaft. Man muss womöglich darüber nachdenken, ob ein Entzug unter bestimmten Voraussetzungen bei Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eine Maßnahmen sein – aber unter sicherheitspolitischen Aspekten. Davor warne ich ganz deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man nicht in eine allgemeine Diffamierung einer doppelten Staatsangehörigkeit verfällt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wird gerne verwechselt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo

kraten verbitten uns das. Das ist populistisch und antidemokratisch sowie darüber hinaus nicht dazu geneigt, real und ernsthaft die Gefahr des islamistischen Terrorismus einzugrenzen.

Darüber hinaus will ich Ihnen zu einigen anderen Dingen etwas sagen, die angeführt worden sind. Da ist in der Kategorie „durch Regierungshandeln erledigt oder schon in Arbeit“ die Zusammenarbeit auch im Krisenfall mit der Bundeswehr. Das ist passiert. Das wird geübt. Sie haben es eben erwähnt.

Dazu gehört auch die Stärkung von Sicherheitsbehörden. Auch dazu empfiehlt sich, in den Protokollen des Innenausschusses nachzuschauen. Denn wir sind, was die Einheiten angeht, dabei, zusätzliche Kapazitäten aufzubauen. Das alles hat einen gewissen Vorlauf, aber genau das wird schon gemacht.

Darüber hinaus bin ich ganz froh darüber, dass jetzt offensichtlich in Bereichen der CDU der eine oder andere das Wort „Prävention“ fehlerfrei buchstabieren kann.

(Heiterkeit von Martin Börschel [SPD] – Marie- Luise Fasse [CDU]: Unglaublich!)

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Hintergrund erschließt sich womöglich manchen Leuten doch noch nicht so ganz. Denn wie können sie daraus schließen, dass Menschen, die Teilnehmer des Programms „Wegweiser“ waren, dann in einem solchen Bereich womöglich straffällig geworden sind? Dass das Programm hinterfragt werden muss, halte ich nicht nur für gewagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern das zeigt, dass der Gedanke der Prävention inhaltlich noch nicht so ganz vertieft ist.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Biesenbach?

Ja, natürlich.

Das ist nett von Ihnen. – Bitte schön, Herr Biesenbach.

Sie haben so toll gesagt, was jetzt alles geschieht. Haben Sie denn auch zur Kenntnis genommen, dass zum Beispiel der Vorschlag des Innenministers zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Übung mit der Polizei just an dem Morgen publiziert wurde, als ich unseren Antrag in der Pressekonferenz vorstellte?

Wann haben Sie denn im Innenausschuss die 200 € angesprochen, die Sie bei diesen Einheiten erhöhen wollen, damit der Anreiz da ist? Sie bekommen noch nicht einmal genug Personal.

Drittens frage ich: Halten Sie es für angemessen, wenn der Aufbau dieser Einheiten, die Sie so vorführen, seit zwei Jahren nicht vorankommt?

Ich habe das extra nicht angesprochen, weil ich dachte, wir könnten das gemeinsam debattieren. Wenn Sie das heute so explizit nennen, können wir die Einzelheiten gern nachschieben.

Stimmen Sie all dem zu, Herr Körfges?

Das war jetzt wie ein Überraschungsei: drei Fragen in einer. – Ich will bezogen auf den SEK-Teil davon ausgehen, dass es Ihnen genau wie uns möglich ist, zum Beispiel in Haushaltsdebatten Ihre eigenen Anträge zu stellen. Darüber können wir dann gern inhaltlich diskutieren. Wir werden natürlich auch das von Ihnen Vorgeschlagene diskutieren. Aber dass wir genau in diesem Bereich Dinge vorsehen, ist tatsächlich aktenkundig. Das kann man im Protokoll nachlesen.

(Heiterkeit von Peter Biesenbach [CDU])

Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen, und zwar zur Übernahme bayerischer Vorschläge. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im innenpolitischen Bereich bayerische Vorschläge zum Maßstab des Handelns macht, muss sich sicherlich das eine oder andere fragen lassen. Aber wenn Sie an der Stelle – ich habe eben Stoltenberg zum Eingang zitiert und komme nun zum Abschluss – dann Dinge – das alles sind Ladenhüter wie die Onlinedurchsuchung – ernsthaft in Erwägung ziehen, ohne zu sagen, dass es trotz aller bayerischer Regelungen, die unter Richtervorbehalt stehen, durchaus noch verfassungsrechtliche Bedenken gibt, dass die Frage der Kompetenzen von Verfassungsschutz auf der einen Seite und Polizei auf der anderen Seite offen ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass die uns bevorstehenden spannenden Beratungen im Innenausschuss dazu führen werden, dass sich unsere Begeisterung für bayerische Vorschläge in einem entsprechenden Votum niederschlägt.

Im Gegenteil bin ich eher davon überzeugt, dass wir lieber profunde, gute und solide Sicherheits- und Innenpolitik auch in dem Bereich weiterhin machen werden. Aber ich freue mich trotzdem auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Körfges. – Als nächste Rednerin ist für die grüne Fraktion Frau Schäffer gemeldet. Sie kommt jetzt ans Pult.