Protokoll der Sitzung vom 01.12.2016

Das ist gut so. Allerdings ist für uns Grüne der Atomausstieg nach wie vor nicht vollendet. Bei uns hier in Nordrhein-Westfalen – auch das ist aus Anlass der heutigen Debatte ein Appell an die Bundesregierung – ist der Atomausstieg erst dann vollendet, wenn auch die Brennstoffkette endgültig beendet ist und wenn nicht länger der nukleare Brennstoff beispielsweise in Gronau produziert wird, der unter anderem ja auch in vielen europäischen Atomanlagen nach wie vor zum Einsatz kommt.

Es geht um den europäischen Atomausstieg. Wir hier setzen uns deswegen – Herr Kollege Schultheis hat davon gesprochen – nicht zuletzt für die sofortige und endgültige Abschaltung der Reaktoren in Tihange und selbstverständlich auch in Doel ein. Wir tun das mit vielen Gleichgesinnten, mit Freundinnen und Freunden von Ecolo und GroenLinks in Belgien und in den Niederlanden. Wir tun das vor allen Dingen auch mit sehr vielen Menschen in der Städteregion Aachen. Jeder von Ihnen, der dort im Moment unterwegs ist, in Aachen vielleicht den Weihnachtsmarkt besucht, sieht es in allen Schaufenstern, nämlich das klare Bekenntnis einer breiten Bewegung, die sagt: Diese Schrottreaktoren gehören abgeschaltet, und zwar endgültig abgeschaltet.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Wenn nunmehr die belgische Atomaufsicht – wahrlich keine Behörde, die für eine besonders kritische Haltung bekannt ist – aktuell neue Sicherheitsmängel, Brandgefahren beispielsweise, beklagt, rügt, dann ist es allerhöchste Zeit, dass die Merkel-Bundesregierung endlich auch viel stärkeren Druck auf die nationale Regierung in Belgien ausübt – eine nationale Regierung in Berlin, die an anderen Stellen der europäischen Politik auch nicht diplomatisch höflich und zurückhaltend ist, wenn es beispielsweise um die Austeritätspolitik geht.

Also, es ist nicht länger die Zeit dafür, sich herauszuhalten, höflich zu bitten, sondern sich wirklich entschieden mit den vielen Menschen in der Region dafür einzusetzen, dass dieses Risiko endgültig gebannt wird.

(Beifall von den GRÜNEN und Armin Laschet [CDU])

Im Übrigen: Unsere Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen hat ihren Einfluss schon seit vielen Jahren bei vielen Konsultationen geltend gemacht. Die Ministerpräsidentin, die Fachminister, insbesondere auch Herr Remmel, haben bei vielen Gesprächen in Belgien, in den Regionen – Karl Schultheis

hat auf die Parlamentariergruppe hingewiesen – immer wieder einen entsprechenden Vorstoß gemacht und Vorschläge eingebracht. Die Landesregierung ist auch der Klage der Städteregion beigetreten.

(Zuruf von der CDU: Endlich!)

Das ist gut so. Aber bis eine juristische Entscheidung über diese Frage getroffen ist, kann es möglicherweise schon zu spät sein, wenn wir das ernst nehmen, was die belgische Atomaufsicht jetzt sagt. Darum wäre es gut, wenn wir das Problem politisch schneller und endgültig gelöst bekommen.

Deswegen sprechen wir uns – das will ich zum Abschluss sagen – auch ganz entschieden dafür aus, dass es eine europäische Energiewende gibt, einen europäischen Energieverbund. Es gibt im Grenzgebiet beispielsweise derzeit stillliegende Gaskraftwerke, die man sofort dafür nutzen könnte, den oft zitierten Energiemangel, den hohen Energiebedarf des rohstoffarmen Nachbarlandes hier partnerschaftlich, freundschaftlich anzugehen.

(Armin Laschet [CDU]: Braunkohle haben wir auch noch! – Michael Hübner [SPD]: Er muss sich erst noch warmlaufen!)

Wenn da Zwischenrufe und konstruktive Vorschläge kommen, dass die RWE-Braunkohle dafür benutzt werden könnte, meine Damen und Herren: So lange die Kraftwerke laufen, kann man das natürlich selbstverständlich auch nutzen, damit die Schrottreaktoren abgeschaltet werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir Grüne werden weiterhin für eine europäische Energielösung jenseits von Kohle und Atom streiten, bis das nukleare Feuer in Europa endgültig erloschen ist.

Deswegen unser Eilantrag heute. Ich bitte dieses Haus um Zustimmung, damit wir diesen Appell noch einmal über die Grenze senden können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Markert. – Für die CDU-Fraktion hat das Wort nun Herr Kollege Schmitz.

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! 10 %, also eins zu zehn, das ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Auswirkung einer Kernschmelze in Tihange auf die Region Aachen ebenso ausfallen wird wie auf Tschernobyl oder auf Fukushima. Das ist ein Ergebnis der Studie, die die Städteregion Aachen in Auftrag gegeben und deren Ergebnis kürzlich vorgestellt wurde.

Das heißt, die Region und weite Teile NordrheinWestfalens würden unbewohnbar, und das dauerhaft. Das ist die reale Drohkulisse, die in meiner Heimat, in unserer Region aktuell die Menschen primär umtreibt und besorgt. Es ist leider heute auch nicht das erste Mal, dass wir uns hier im Plenum mit dem belgischen Pannenmeiler beschäftigen müssen. Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir hier auf Grundlage unseres Antrags schon einmal dieses Thema diskutiert. Seitdem – das muss man leider sagen – ist auf der belgischen Seite trotz all unserer Appelle nicht viel passiert.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen nach dieser Diskussion kleine Schritte gemacht, die im Rahmen des Möglichen waren. Wir haben das Thema „Jodtabletten“ diskutiert, und wir müssen hier weiter daran arbeiten, damit die Verunsicherung der Menschen in der Region nicht weiter an Fahrt aufnimmt. Das ist ein Punkt, den ich noch einmal ansprechen möchte.

Das Thema „Jodtabletten“ ist ein bisschen zum Symbol für subjektive Sicherheit geworden. Gestern – Herr Minister Remmel, Sie waren anwesend – ist das Thema in einer Podiumsdiskussion in Aachen aufgekommen, dass jetzt endlich entschieden werden muss, diese Jodtabletten auch in Aachen vorzuverteilen.

Wenn es einen kleinen Beitrag gibt, den wir symbolisch für die Menschen leisten können, dann ist es doch der, die Vorverteilung hier möglich zu machen. Sie haben gestern gesagt, Sie nehmen das mit. Das ist auch dringend notwendig, weil es zeigt, dass wir und diese Landesregierung dieses Thema ernst nehmen.

Sollte dieser Druckbehälter in Tihange versagen – und das zeigt diese Studie auch –, dann ist die Vorwarnzeit so kurz, dass weder eine Evakuierung noch eine Vorverteilung von Jodtabletten mehr möglich ist. Dementsprechend brauchen wir ein Signal aus Düsseldorf in die Region, dass wir uns um dieses Thema kümmern.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Verständlicherweise macht dieses bedrohliche Szenario, das überall in den Medien thematisiert wird – Gott sei Dank diskutiert wird –, den Menschen Angst. Das ist eine emotionale Frage. Wenn man mit den Menschen in der Region redet – meinen Kollegen wird es da nicht anders gehen –, dann lautet die erste Frage, die gestellt wird: Was passiert mit Tihange? Wann können wir dafür sorgen, dass dieser Meiler abgeschaltet wird? – Die Antwort darauf ist natürlich schwierig. Alle paar Wochen gibt es Horrormeldungen: Risse, Anfahren, Runterfahren, Hochfahren, letztendlich das Notaus.

Jetzt drückt die Aufsichtsbehörde FANC das in einem drastischen Brief noch schärfer aus, indem sie sagt, der Brandschutz sei problematisch. Sie sagt

aber auch – Herr Kollege Schultheis, Sie haben es bereits angesprochen –, die Sicherheitskultur vor Ort sei dramatisch.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist mehr als ein Alarmsignal. Wenn bei der Atomaufsichtsbehörde Zweifel darüber bestehen, dass – unabhängig von den technischen Mängeln, die wir seit Jahren diskutieren und bemängeln – in einem Störfall überhaupt richtig reagiert werden kann, dann ist das ein Alarmsignal für uns. Wenn die Sicherheitsbehörde bellt – Herr Kollege, Sie haben vollkommen recht –, dann muss sie auch irgendwann beißen, wenn diese Sicherheitsstrukturen nicht stimmen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Aber was können wir tun? Wir müssen weiter aktiv sein und klug handeln, mit dem Ziel des Abschaltens vor Augen – das möchte ich noch einmal ganz klar formulieren –, aber ohne politisches Schattenboxen, Kollege Markert; denn das hilft uns nicht. Die Bürgerinnen und Bürger wollen auch nicht, dass mit dem Finger auf jemanden gezeigt wird. Wir müssen vielmehr einen klugen politischen Diskurs führen und mit allen sprechen.

In diesem Zusammenhang sage ich deutlich: Wir reden hier über die Belgier. Auch bei uns in der christdemokratischen Familie reden wir mit allen und versuchen, zu sensibilisieren. Vielleicht sollten wir unser Augenmerk aber auch einmal auf Frankreich und Electrabel richten, das sich in der Hand von Engie, einem französischen Stromkonzern, befindet. Auch mit denen sollten wir ins Gespräch kommen, damit diese Sicherheitsmängel beseitigt werden.

Wir brauchen ein geeintes Signal, dass das Abschalten unabdingbar ist.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber klar ist auch: Wir müssen das Problem europäisch lösen; denn solche Probleme lassen sich eben nicht national lösen. Nur Europa ist in der Lage, das zu tun. Und genau das ist der Punkt: Wenn es etwas Gutes hat, dass wir dieses Beispiel diskutieren, dann, dass wir sagen: Hier brauchen wir mehr Europa und nicht weniger, wie es die Populisten im Moment landauf, landab fordern.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Mehr Europa ist hier die Lösung, insbesondere in diesem konkreten Fall.

Ich möchte als letzten Punkt darauf hinweisen, dass wir gemeinsam mit den Belgiern eine Zukunftsoption für diese Region entwickeln müssen. In der gestrigen Diskussion mit dem Oberbürgermeister der Stadt Aachen ist ein interessanter Aspekt, den wir hier diskutieren sollten, angesprochen worden: Machen wir diese Region doch zu einer Modellregion für die

Energieinfrastruktur der Zukunft. Nehmen wir das Beispiel doch auf und machen etwas Positives. Bieten wir den Belgiern doch eine Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg an!

Damit könnten wir zeigen, dass die Politik auch in solchen schwierigen Fragen zu Lösungen kommt, für die Sicherheit der Bürger und für eine vernünftige Energieversorgung der Belgier. Ich denke, das ist aller Anstrengung wert. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Brockes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die belgische Atomaufsichtsbehörde hat der AKW-Betreibergesellschaft Electrabel im Juli und im September in zwei Briefen unter anderem Nachlässigkeit und eine mangelnde Sicherheitskultur vorgeworden.

Um es ganz klar zu sagen: Die friedliche Nutzung der Kernenergie bedarf eines verantwortungsbewussten Umgangs. Dies, meine Damen und Herren, ist nach diesen Ausführungen der zuständigen belgischen Aufsichtsbehörde nicht mehr gegeben. Deshalb muss das Kernkraftwerk auch aus unserer Sicht abgeschaltet werden.

Insgesamt, meine Damen und Herren, muss man aber auch deutlich festhalten, dass die Art, mit der die ganze Diskussion geführt wird, schon sehr überrascht. Es gibt nämlich einige Ungereimtheiten. Wir reden hier über Briefe, die vor einigen Monaten versandt wurden. Electrabel wurden Nachrüstungsmaßnahmen aufgegeben. Was davon ist denn in der Zwischenzeit bereits geschehen oder auch nicht? Darüber ist leider nichts bekannt. Warum die Aufsichtsbehörden hier offenbar nicht nachgefasst haben, ist angesichts der Wortwahl ebenfalls sehr merkwürdig, um es vorsichtig zu formulieren.

Herr Minister Remmel, vor gut einem halben Jahr haben Sie im WDR gesagt – ich zitiere –:

„Im aktuellen Betrieb können wir zwar nicht feststellen, dass es Mängel gibt. Aber was die Risikovorsorge betrifft, also im Extremfall, da haben wir Zweifel.“

Bei dieser Informationslage, meine Damen und Herren, ist es nur selbstverständlich, dass die Nachrichten der letzten Tage den Menschen in NordrheinWestfalen Sorge bereiten. Ich richte deshalb einen Appell nicht nur in Richtung der belgischen Regierung, sondern auch in Richtung der Landesregierung, möglichst umfassend und transparent zu informieren, wie der Sachstand ist.

Meine Damen und Herren, nach dem geltenden EURecht liegt die Entscheidung darüber, ob die belgischen Kernkraftwerke sicher sind, allein bei der belgischen Regierung. Das haben wir in Deutschland und hat auch der Landtag zunächst zu respektieren. In der heutigen Debatte wurde aber auch bereits erwähnt, dass es in Deutschland einerseits und in Belgien andererseits eine unterschiedliche Sicherheitskultur gibt. Diesen Kulturstreit können wir uns bei einem so wichtigen und sensiblen Thema wie der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht erlauben. Für uns Freie Demokraten ist daher klar, dass künftig die alleinige Zuständigkeit bei der EU-Kommission angesiedelt werden muss, damit europaweit nach einheitlichen Standards entschieden wird.

(Beifall von der FDP)

Wir begrüßen es ausdrücklich, Herr Minister Remmel, dass Sie dieses Anliegen inzwischen auch unterstützen. Deswegen ist es uns auch leicht gefallen, diesen überfraktionellen Antrag mitzutragen. So wichtig es ist, eine europaeinheitliche Regelung anzustreben, können wir doch nicht darauf warten, bis eines Tages die EU-Verträge entsprechend angepasst werden.