Protokoll der Sitzung vom 15.12.2016

Das ist doch ein einmal ein guter Vorschlag gewesen. Wir müssen doch die Menschen, die schon hier sind, berücksichtigen und nicht nur diejenigen, die ab morgen kommen. Was ist aus diesem guten Vorschlag geworden? Er hat sich offenbar in Luft aufgelöst.

Wenn Sie das Asylsystem wirklich entlasten möchten, dann setzen Sie an dieser Stelle an.

Meine Damen und Herren, ich muss ein paar Worte über die aktuellen parteipolitischen Debatten und die ordnungspolitischen Maßnahmen der letzten Monate loswerden. Sie diskutieren ein Burkini-Verbot und zumindest Teile hier die Abschaffung des Doppelpasses, ganz zu schweigen vom Wohnsitzzwang oder der Einschränkung des Familiennachzugs. Gleichzeitig möchten Sie Deutschland als modernes Einwanderungsland darstellen, das gerne viele Fachkräfte bei sich aufnehmen würde. Wie passt das denn zusammen? Ihre einwanderungswilligen ITExperten aus Indien machen bei diesem Klima einen großen Bogen um Deutschland.

Meine Vorredner sprechen davon, dass sie die Migration besser steuern und das Asylsystem entlasten möchten. In diesen aufgeheizten Zeiten ist das ein redliches Anliegen und auch notwendig. Mit dem vorliegenden Entwurf wird das allerdings nicht funktionieren; denn wir benötigen – noch einmal – erstens: Übergangsmöglichkeiten vom Asylrecht in ein Einwanderungsrecht, zweitens: niederschwelligere Auswahlkriterien; denn das Punktesystem funktioniert nicht, und drittens: eine Aufenthaltserlaubnis für mindestens sieben Jahre.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige grundlegende Worte zur Einwanderungsdebatte in Deutschland loswerden; denn diese Debatte ist zutiefst unehrlich. Konservative Kräfte negieren weiterhin im Kern, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist. Andere Parteien bieten Stückwerk und Flickschusterei an. Schauen wir uns die Realität an: Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft. Das war schon immer so, und das ist auch gut so.

Unsere Krankenversorgung könnte dichtmachen, wenn es keine Einwanderer gäbe. Auch die Fertigungsindustrie, der IT-Sektor und – seien wir einmal ehrlich – alle anderen Bereiche der Wirtschaft könnten das Licht ausmachen.

Es ist also gut, dass wir Einwanderung haben. Allerdings hat die eine Partei nichts Besseres zu tun, als immer wieder die Horrorvision einer Überfremdung und die Notwendigkeit der Leitkultur in den Vordergrund zu stellen, während die andere Partei ein Einwanderungsgesetz zusammenschustert, das gerade einmal eine Handvoll Menschen betreffen würde. Das Schlimme ist doch, dass Sie es eigentlich alle besser wissen, aber Angst haben, dass hier Tacheles geredet wird.

Wir alle in der Politik haben die Aufgabe, die Zukunft zu gestalten und für eine weltoffene Gesellschaft zu sorgen. Wenn wir das nicht tun, dann machen das die Trumps, die Wilders, Le Pens, Orbans und Petrys dieser Welt, und in dieser Welt will hoffentlich niemand von uns leben.

Zum Schluss möchte ich noch zwei Sachen ansprechen. Herr Dr. Stamp, Sie haben mit dem afghanischen Botschafter gesprochen. Man braucht nur den Bericht von „MONITOR“ der letzten Woche zu sehen – das Märchen vom sicheren Herkunftsland. Da wird mit einem Polizeichef, mit einem Paschtunen, mit einem Einwohner, mit der Miliz gesprochen – alle vor Ort in den angeblichen sicheren Gebieten –, die sagen: In den letzten zwei Jahren ist es dramatisch schlimmer geworden. Es ist gefährlicher geworden. Es sind dort in diesem Jahr doppelt Menschen wie vor zwei Jahren gestorben.

Ein Satz noch zur Debatte von heute Morgen: Frau Beer, sich in diesen Stunden, in denen die Menschen in diese gefährlichen Gebiete abgeschoben werden, hierhin zu stellen und zu sagen: „Ja, dann gucken wir uns erst mal die Zahlen und die Fakten an und sprechen dann in Ruhe im Januar darüber“, war so zynisch für mich, dass mir fast die Tränen gekommen sind. – In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schmeltzer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Laufe der Debatte hat man festgestellt – Herr Dr. Stamp hat es aufgegriffen –, dass die Morgenandacht heute doch an der einen oder anderen Stelle gewirkt hat. Das wird auch mit der guten Chormusik zusammenhängen.

(Christof Rasche [FDP]: Es hat auch nicht die Koalition gesungen!)

Aber mein Chor aus MAIS. Daher war das so gut. – Wenn ich das richtig mitbekommen habe von Herrn Körfges und Frau Beer, ist es mittlerweile so auf den Weg gebracht worden, dass der Antrag an die entsprechenden Ausschüsse überwiesen wird.

Meines Erachtens ist das die Grundlage, auf der wir in die Diskussion – hier die Diskussionspunkte von Frau Brand und von Herrn Dr. Stamp; von Frau Güler kam noch nicht ganz so viel – eintreten und darüber reden können, was tatsächlich Fakt ist.

Fakt ist – da gebe ich Frau Brand recht, aber ich denke, das wird jeder hier im Hause tun –: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Auch NordrheinWestfalen ist definitiv ein Einwanderungsland. Nordrhein-Westfalen ist immer ein Einwanderungsland gewesen.

In all den 70 Jahren – dieses Jahr ist ja der 70. Geburtstag gewesen – können wir darauf zurückblicken: Vertriebene in den späten 40er-Jahren und frühen 50er-Jahren, Arbeitsmigranten seit 1955, Familiennachzug seit den 60er-Jahren, Spätaussiedler, EUMigration – immer hat es hier in unserem Bundesland bereits Migration, Einwanderung gegeben.

Für die Landesregierung darf ich an dieser Stelle deutlich sagen: Wir nehmen die Tatsache, dass wir Einwanderungsland sind, nicht nur hin, sondern wir sind sogar stolz darauf, dass Menschen zu uns kommen, zu uns nach Nordrhein-Westfalen kommen. Sie machen dieses Land nicht nur vielfältiger, sondern sie machen unser Land – da greife ich gern die Beispiele von Frau Brand auf – auch stärker.

Blicken wir doch einmal auf die Zahlen. Das vergangene Jahr allein war stärker als je zuvor von Migration geprägt. Insgesamt 485.000 Menschen wanderten aus dem Ausland nach Nordrhein-Westfalen. 211.000 Menschen wanderten ab. Das ist ein Wanderungsplus in der Summe von insgesamt 274.000 Menschen – das größte Wanderungsplus, das wir seit 1995 verzeichnet haben.

Wir brauchen Einwanderung. Wir brauchen sie aus ökonomischen Gründen, und wir brauchen sie aus demografischen Gründen.

Es ist zwar erfreulich, dass die Anzahl der geborenen Kinder in Deutschland wieder leicht ansteigt. Aber es ist auch klar, dass dies nicht reichen wird, um den Rückgang der Bevölkerung hier bei uns zu verhindern.

Ist Einwanderung letztendlich die Lösung aller Probleme? Selbstverständlich – das wissen wir alle – sicherlich nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir hier definitiv – und ich glaube, darüber sind wir uns alle einig – auf Einwanderung angewiesen sind. Entscheidend dabei ist doch, dass wir diese Einwanderung gut organisieren müssen, dass Einwanderungs- und Integrationspolitik Hand in Hand gehen, dass es Deutschkurse von Beginn an geben

muss und gern auch, wie es in den Eckpunkten dieses Papiers aufgeführt ist, schon im Ausland gefördert werden sollte, dass Lohndumping verhindert wird – Frau Düker, natürlich habe ich sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Blick –, dass wir das inländische Erwerbspotenzial konsequent qualifizieren, dass Arbeitgeber nicht nur immer wieder Einwanderung fordern, sondern die Eingewanderten auch einstellen und weiterbilden und dass Einwanderung schließlich auch in Einbürgerung münden kann.

An diesen Stellen haben wir nichts dagegen, wenn die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatlichkeit – also mit Doppelpass – geschieht. Das schadet nämlich der Integration nicht. Im Gegenteil: Der Doppelpass unterstützt den Integrationsprozess.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir benötigen – ich glaube, ich höre das nirgendwo anders mehr heraus – dringend ein modernes Einwanderungsgesetz, weil das bestehende Recht viel zu kompliziert ist. Das Aufenthaltsgesetz kennt mittlerweile mehr als 50 verschiedene Aufenthaltszwecke. Besonders unübersichtlich – und darüber reden wir hier in aller ersten Linie – sind die Regelungen zur Arbeitsmigration. Hier brauchen wir dringend mehr Klarheit und mehr Transparenz.

Ich sehe in diesem Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dass genau dies der Inhalt dieses Antrages ist, der im Übrigen Frau Brand – aber das werden wir dann in den Ausschüssen diskutieren können – kein Gesetz ist und auch kein Gesetzentwurf ist, sondern eine Darstellung der Problemlage und dessen, was aus Sicht der Antragsteller geregelt werden müsste. Das steht auch darüber, nämlich Eckpunkte.

Die Rahmenbedingungen für Einwanderung und die gesellschaftliche Integration und auch die Teilhabe von Eingewanderten müssen klarer und attraktiver gestaltet werden, damit gut ausgebildete Menschen zu uns kommen, damit sie sich integrieren und sich natürlich auch zu unserer Rechtsordnung bekennen und damit sie sich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen können.

Aber das wissen wir, und das ist hier schon öfter in der Diskussion angesprochen worden, gefordert ist an allererster Stelle der Bund. Es ist nämlich ein Bundesgesetz, über das wir hier reden.

Klar ist: Ein Einwanderungsgesetz braucht einen breiten Konsens, braucht eine – wie es im Antrag heißt – breit angelegte gesellschaftliche Verständigung. Dieser Konsens fällt nicht vom Himmel. Im Übrigen ist es auch von daher schon richtig, dass der Antrag an die Ausschüsse überwiesen wird, was ich sehr begrüße. Er muss erarbeitet und er muss organisiert werden.

Die Bundesregierung hat hier in der Tat noch nicht sehr viel getan, ist hier noch nicht aktiv geworden. An der Landesregierung wird eine vernünftige Regelung hier nicht scheitern.

Mit dem Oppermann-Papier der SPD-Bundestagsfraktion für eine gesteuerte Einwanderung liegt ein erster ausgewogener Vorschlag für die Weiterentwicklung der Einwanderung in Deutschland vor, der aus meiner Sicht eine gute Diskussionsgrundlage bietet.

Im Übrigen, Frau Kollegin Güler, läuft die Diskussion nicht nur hier bei uns im Land, sondern auf Bundesebene schon permanent. Hinsichtlich des Hinweises auf das Oppermann-Papier – Sie sind da anscheinend nur bis zu Seite 4 gekommen –, wonach das nichts anderes als das Anhängen des Punktesystems an die bestehenden geltenden Regelungen sei, verweise ich auf die Seite 4. Dort wird deutlich, dass dieses Punktesystem nämlich zunächst an die geltenden Rechtsvorschriften angehängt werden soll und wie es – so heißt es im gleichen Absatz – zukünftig weiter ausgearbeitet und wie weiter verfahren werden soll. – Wenn, dann die Texte ganz lesen, und am liebsten, wenn Sie sie ganz gelesen haben sollten, bitte auch richtig zitieren.

Fakt ist: Wir brauchen definitiv ein modernes und transparentes Einwanderungsgesetz, das auch den Menschen hier bei uns erklärt, wie Einwanderung besser funktionieren und wie sie uns allen auch nützen kann.

Ich bin sehr erstaunt darüber – da bin ich ganz nah bei Herrn Dr. Stamp –, dass Frau Güler auf einmal nicht mehr grundsätzlich gegen all diese Dinge ist, dass sie einige Punkte, die sie hier allerdings nicht definiert hat, anders sieht. Wir haben ja die Möglichkeit der Diskussion. Wir diskutieren bereits auf Bundesebene über ein Papier der SPD-Bundestagsfraktion. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen diskutiert über einen Bundesratsantrag, der im Januar des nächsten Jahres, also im nächsten Monat, im Bundesrat wieder neu aufgerufen wird.

Ich bin der festen Überzeugung, dem größten Bundesland der Bundesrepublik Deutschland, Nordrhein-Westfalen, steht es – mit der Erfahrung, die wir aus 70 Jahren haben – gut zu Gesicht, sich mit der Diskussion ordentlich zu beschäftigen. Wir sind das Einwanderungsland Nummer eins in Deutschland. Deswegen ist es auch gut, wenn wir dieses Gesetz intensiv Seit‘ an Seit‘ mit einer gemeinsamen Zielvorstellung diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag Drucksache 16/13691 an den Integrationsausschuss – federführend –, an den Innenausschuss sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk zu überweisen. Die Entschließungsanträge werden entsprechend überwiesen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt:

3 Bündnis für Infrastruktur darf keine SPD

Showveranstaltung bleiben – Bedarfsgerechter und zügiger Ausbau der Verkehrsinfrastruktur muss Ziel der gesamten Landesregierung werden

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/13692

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDPFraktion dem Kollegen Rasche das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Bündnis für Infrastruktur“ – das ist das Thema, über das wir jetzt reden. Gründe für dieses Bündnis gibt es genug. Es gibt Rekordstaus in Nordrhein-Westfalen, sie haben sich seit 2012 verdoppelt. Viele Engpässe auf Schiene und Straße haben zur Erreichung ihrer Kapazitätsgrenzen geführt.

Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es einen Sanierungsstau von über 10 Milliarden €. Es gibt keinen ausreichenden Planungsvorrat. Die Planungskapazitäten reichen nach wie vor nicht aus. Das Landesstraßennetz verkommt. Die Investitionsmittel für den Landesstraßenneubau sind historisch niedrig. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, nordrhein-westfälische Unternehmen verlagern wegen einer katastrophalen Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen ihre Produktion aus Nordrhein-Westfalen weg an die norddeutschen Küstenländer, in die Niederlande oder nach Hessen. Schlimmer kann es nicht sein, meine Damen und Herren!

Genau das, dass sich diese Unternehmen um ihre Betriebe Sorgen machen, ist doch der Grund, warum sich so viele namhafte Unternehmen, Verbände und Institutionen diesem Bündnis für Infrastruktur angeschlossen haben. Sie sind nämlich völlig unzufrieden mit der Politik dieser Landesregierung in Nordrhein

Westfalen und den daraus resultierenden Ergebnissen. Und das wollen diese Unternehmen ändern. Motiv und Ziel dieser Unternehmer und der Verbände sind also klar: Sie wollen in Nordrhein-Westfalen einen Politikwechsel in der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik erreichen. Sie wollen, dass Schluss mit Stillstand und Blockade ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, spannend ist die Frage: Was ist denn dann das Motiv bei der SPD, bei den Grünen oder auch bei der Regierung mit Blick auf dieses Bündnis für Infrastruktur? Will die SPD tatsächlich nach sechseinhalb Jahren des Stillstands die Infrastruktur nach vorne bringen? Oder ist das Bündnis für Infrastruktur für die SPD ein reines Instrument für den Landtagswahlkampf 2017?

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Leider Letzteres!)