„Ich bin Niederländerin, fühle mich jedoch genauso als Mitglied der deutschen Gesellschaft. Tatsächlich würde ich gerne Deutsche werden. Ich sehe die Einbürgerung als einen symbolischen Akt, mit dem ich mich auch offiziell zu meiner zweiten Heimat bekenne.“
Doch leider musste sie dann doch auf die deutsche Staatsangehörigkeit verzichten; denn dann hätte sie nach niederländischem Recht ihre alte Staatsbürgerschaft aufgeben müssen. Das wollte sie nicht. Ich zitiere sie noch einmal:
„Während ich mich in Deutschland als vollständig integriert betrachte, bin ich gleichzeitig stark in der niederländischen Gesellschaft und Kultur verwurzelt. Das wird auch immer so bleiben. Weshalb also den niederländischen Pass – das Symbol meiner niederländischen Identität – aufgeben?“
Wer wollte, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Frau unterstellen, sie sei nicht integrationswillig oder nicht loyal zu ihrer zweiten Heimat Deutschland? – Ich glaube, niemand von uns – nicht einmal die CDU.
Auch sie will die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft für EU-Bürgerinnen und -Bürger nicht abschaffen. Jetzt bin ich an einem heiklen Punkt. Das gebe ich zu. Die Forderungen des CDU-Parteitags zielen unausgesprochen auf Einwanderer aus islamisch geprägten Ländern, vor allem auf Menschen mit türkischen Wurzeln. Sie zeugen von einem tiefen Misstrauen gegenüber Mitbürgerinnen und Mitbürgern muslimischen Glaubens. Wie soll denn da, meine Damen und Herren, Integration überhaupt noch gelingen? Das frage ich mich, das frage ich Sie.
Dabei geht es heute nicht einmal um eine allgemeine doppelte Staatsbürgerschaft. Der CDU-Parteitagsbeschluss zielt auf junge Erwachsene, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Deutschland ist ihre Heimat. Aber sie wollen sich eben auch zur Herkunft ihrer Eltern und Familien bekennen. Doch jetzt kommt die CDU und sagt: Es war ein Fehler, euch die deutsche Staatsbürgerschaft zu geben. Wir glauben nicht, dass ihr loyal sein könnt.
Müssen die eigentlich dafür büßen, dass die CDU Stimmen an die Nationalisten der AfD verloren hat? Muss an diesen jungen Menschen ein Exempel statuiert werden, weil die Union um ihre konservative Seele bangt? Das darf doch nicht wahr sein.
Waren wir nicht schon weiter? War nicht auch die CDU schon einmal weiter? Noch vor knapp drei Jahren, im Februar 2014 – ich will Sie daran erinnern –, hat die CDU-Fraktion einen Entschließungsantrag eingebracht, der die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für junge Menschen mit Migrationshintergrund ausdrücklich begrüßt, meine Damen und Herren: Drucksache 16/5092. Gilt das noch? Es waren doch führende CDU-Politiker aus NordrheinWestfalen, die den Parteitagsbeschluss initiiert und durchgesetzt haben. Wer führt eigentlich den CDULandesverband in diesen so wichtigen Fragen der Integrationspolitik? Jens Spahn? Paul Ziemiak? Oder vielleicht doch – er ist ja nicht hier – der nominelle Vorsitzende Armin Laschet? Ich gehe einmal davon aus, dass er gleich kommen wird. – Und ich kann es ja wohl nur als ein Versehen einschätzen, dass Sie vergessen haben, ihn auf die Rednerliste zu setzen.
Wer nicht stark genug ist, meine Damen und Herren, die eigene Partei zu führen, der ist erst recht zu schwach, unser Land zu führen, meine Damen und Herren.
Herr Laschet ist doch ein Anhänger der doppelten Staatsbürgerschaft für junge Menschen. Das hat er immer wieder deutlich gemacht. Wenn er das tatsächlich sein sollte, dann darf er sich nicht wegducken, meine Damen und Herren. Dann sollte er – wie die Bundeskanzlerin – zu seiner Überzeugung stehen. Die hat gesagt: Der Doppelpass wird nicht abgeschafft. Stimmt. Auf die SPD kann sich die Kanzlerin verlassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Sie können noch so viel brüllen, an einen Punkt kommen Sie nicht vorbei: Ihr Vorsitzender duckt sich weg, stellt sich nicht der Verantwortung, ist noch nicht mal im Parlament bei dieser wichtigen Debatte.
Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Herr Kollege Düngel, ich bitte Sie, nicht ganz so laut zu brüllen. Wir sind nämlich nicht auf dem Fußballplatz, sondern im Parlament.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es, ehrlich gesagt, auch schade, dass Armin Laschet heute nicht bei der Sitzung anwesend ist und sich dieser Debatte stellt.
Ich kann Ihnen etwas sagen: Ich habe keine Fragen an Frau Kraft, weil sie sich in dieser Frage sehr eindeutig positioniert hat und deswegen hier heute nicht Stellung beziehen muss.
André Kuper, du weißt bzw. Sie wissen – in einer Plenardebatte siezen wir uns vielleicht –, dass ich sehr großen Respekt vor Ihnen habe und wir auch, glaube ich, freundschaftlich das eine oder andere Fußballspiel miteinander bestreiten. Trotzdem hätte ich schon erwartet, dass der Vorsitzende der CDULandtagsfraktion, der Vorsitzende der CDU NRW, hier heute Stellung bezogen oder – dann hätten wir die Debatte gar nicht – die Chance genutzt hätte, in den vergangenen Tagen zu dieser Frage Stellung zu beziehen und sich nicht in sein Büro einzuschließen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Mi- chele Marsching [PIRATEN]: Dann hätten Sie die Aktuelle Stunde zurückgezogen oder wie? Was ein Blödsinn!)
Ich sage Ihnen auch ganz offen: Der Essener Parteitag der CDU hat mit großer Deutlichkeit gezeigt, wo die CDU ist. Sie sind zerstritten, innerlich nicht klar aufgestellt. Das ist nicht mehr das, was Konrad Adenauer und Helmut Kohl so stolz gemacht hat.
Sie waren so stolz, dass Sie so stabil waren, auf klare Werte setzen konnten und diese auch immer wieder vortragen konnten. Wenn man sich Ihre Linien der jeweiligen Wahlkämpfe anguckt, stellt man fest: Es waren immer wieder vergleichbare Werte.
Sie hatte 2014 endlich zugestimmt, den Doppelpass weitgehend zu tolerieren und die Optionspflicht abzuschaffen. Es war ein gutes Zeichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich die CDU endlich bewegt hat. Doch in Essen haben Sie das wieder infrage gestellt. Das ist ein Rückschlag für Ihre Modernisierung. Es ist ein Zickzackkurs, den wir in Ihrer Partei sehen müssen. Und das macht deutlich: Sie schwanken zwischen Modernisierern und Traditionalisten. Das ist heute bei den Zwischenrufen noch einmal sehr deutlich geworden.
Ich stelle mir schon die Frage, wer sich jetzt durchsetzen wird. Die Traditionalisten in der Linie von Alfred Dregger und Roland Koch oder vielleicht doch die Modernisierer, zu denen ich eigentlich André Kuper und auch Armin Laschet zähle? Ich sage Ihnen: Dieser Beschluss, den Sie gefasst haben, ist Gift für die Integration in unserem Land und auch für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.
Ich finde das einigermaßen erstaunlich; denn Nordrhein-Westfalen ist doch das Bundesland, welches seit mehr als 100 Jahren unter Beweis gestellt hat, wie Integration gelebt wird, wie ein Melting Pot funktionieren kann. Wir sind das Bundesland, wo auch die Einstellung der Menschen gegenüber Zuwanderung und im Hinblick auf ein modernes Zusammenleben am offensten ist. Dazu kann ich ganz persönlich sagen: Ich fühle mich wohl in diesem, meinem Heimatland, in diesem Ruhrgebiet, in diesem Nordrhein-Westfalen. Das hat gute Gründe. Und das sollten wir auch weiterhin so machen!
Herr Kollege Römer hat eben darauf hingewiesen: Wenn Sie jetzt wieder zurück zur Optionspflicht wollen, dann lese ich Ihnen einmal vor, was ein junger, 1997 in Köln geborener Mensch mit türkischer, vielleicht auch deutscher Staatsbürgerschaft gesagt hat. Es handelt sich um Talha Evran. Der sagte 2014, wenige Tage, bevor die Optionspflicht abgeschafft worden ist:
Den Entscheidungszwang für eine neue Staatsbürgerschaft verstehe ich allerdings nicht. Wo ist das Problem? Und vor allem: Warum bekommen andere, zum Beispiel EU-Bürger, die doppelte Staatsbürgerschaft und uns Türkischstämmigen wird sie verweigert? Was habe ich, was die nicht haben? Das ist doch unfair und entspricht definitiv nicht dem Prinzip der Gleichberechtigung. Ich hoffe, dass diese Politik diese Widersprüche wahrnimmt und die doppelte Staatsbürgerschaft bald auch für mich möglich ist.
Ja, da hat Talha etwas getroffen, was ich wirklich ungerecht finde. Sie haben 2014 mit David McAllister
den Wahlkampf für die Europawahl bestritten und in Deutschland Werbung dafür gemacht, dass ein Doppelstaatler die CDU nach Brüssel führen soll. Erkennen Sie wenigstens den Widerspruch?
Ich will Ihnen einmal beschreiben, wie das bei mir aussieht: Ich wurde 1969 in einem kleinen Dorf in Bad Gandersheim in Niedersachsen geboren. Damals hatte ich die iranische Staatsbürgerschaft, wofür ich überhaupt nichts konnte, da mein Vater sie beantragt hatte. Fünf Jahre später haben meine Eltern dann, da meine Mutter Bio-Deutsche aus Niedersachsen ist, dann auch die deutsche Staatsbürgerschaft für mich beantragt. Ich bin also qua Erklärung Doppelstaatler geworden.
Einige Jahre später hat mein Vater die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Daraufhin haben wir die iranische Staatsbürgerschaft verloren, und ich bin mit ausgebürgert worden. Zu dieser Frage habe ich noch immer nichts beitragen können. Wie Sie wissen, bin ich natürlich deutscher Staatsbürger, sonst könnte ich diesem Parlament nicht angehören.
Was hat all das mit einer Entscheidung zu tun, in deren Zusammenhang Jens Spahn sagt: „Es ist integrationsfeindlich, wenn man sich nicht für eine Staatsbürgerschaft entscheidet“? – Das ist doch Irrsinn, liebe Kolleginnen und Kollegen!