Hören Sie doch einfach mal den Gedanken zu Ende! Das ist eine ernsthafte Debatte. Wir haben der Frau Ministerpräsidentin zugehört, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt auch mal zuhören würden.
Wenn Sie das gesagt hätten, dann hätte man über vieles sprechen können. Aber die Aussage des Innenministers „Wir sind bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen“ ist das Schlimmste, was Sie in dieser schwierigen Situation für die Demokratie sagen können.
Und Sie, Frau Ministerpräsidentin, haben das nicht zurechtgerückt, Sie haben sich nicht davon gelöst! – Die Menschen sagen dann nämlich: Was ist denn das für ein Rechtsstaat, der einen Menschen, der gewaltbereit und islamistisch radikalisiert ist, der sich als Selbstmordattentäter anbietet, der von einem VMann der Polizei nach Berlin gefahren wird und dem sagt „Ich will im Namen Allahs töten“, der sich nach Schusswaffen erkundigt, der nach der Herstellung von Sprengstoff sucht, der 14 unterschiedliche Namen hat, nicht in Haft nehmen kann? Mir schreiben im Moment viele Bürger: Was ist das für ein Rechtsstaat?
Ich antworte all diesen Bürgern: Der Deutsche Richterbund, renommierte Juristen, das Gutachten der FDP, von einem Rechtswissenschaftler erstellt, belegen das exakte Gegenteil. Man hätte handeln können!
Und nur, damit Herr Jäger aus der Schusslinie kommt, beschädigt er den Rechtsstaat. – Das ist das Schlimme, was Sie machen, Herr Jäger! Das werfe ich Ihnen persönlich vor.
Es gibt den alten Spruch: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person. – Herr Jäger gibt, während der Bundesinnenminister auf Presse verzichtet, zwei Tage nach dem Anschlag, als noch verdeckt ermittelt wird, als der Generalbundesanwalt keine Stellungnahme abgibt, hier Pressekonferenzen, um von sich alles wegzuweisen. Da geht es zuerst um die Person und dann um das Land. Und das ist die falsche Reihenfolge, Herr Jäger! Das ist die falsche Reihenfolge!
(Lebhafter Beifall von der CDU, der FDP und Michele Marsching [PIRATEN] – Eva Voigt- Küppers [SPD]: Unglaublich! – Stefan Zimkeit [SPD]: Er hat genau das Gegenteil gesagt!)
Sie erwecken den Eindruck, Amri sei quasi nach Berlin ausgebucht worden, nachdem er im März bei uns gewesen ist. Das wiederholt die Ministerpräsidentin auch auf ihrer Pressekonferenz. Man sagt aber nicht dahinter: Ja, es stimmt, aber ab Mai war er wieder bei uns. – Warum sagt man das nicht dazu? Warum sagen Sie denn nicht die ganze Wahrheit, wenn Sie vor die Presse treten?
Warum muss das erst wieder durch Recherchen von Journalisten und anderen aufgedeckt werden, und dann schiebt man das nach?
Warum sagen Sie, siebenmal sei das gemeinsame Zentrum von Bund und Ländern mit dem Fall Amri befasst gewesen, sagen aber nicht dazu: Ja, siebenmal war auch die Sicherheitskonferenz des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Thema befasst!? Das sind doch Fragen, die man legitim stellen kann. Darauf haben Sie jetzt keine Antwort gegeben.
Wenige Tage nach dem Anschlag sind wir Fraktionsvorsitzenden unterrichtet worden. Da fühle ich mich persönlich getäuscht. Es hieß: Er war dann in Berlin. Er war am Ende quasi im Drogenmilieu und auch sonst kriminell. Er war ein Kleinkrimineller und deshalb nicht mehr auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden.
Jetzt erfahren wir, er wurde im Oktober als Foreign Fighter eingestuft. Es gab zig Warnungen des marokkanischen Geheimdienstes. Kein Wort wurde zu der fast wöchentlichen Befassung mit diesem Fall gesagt. Die Finte, die Sie da gelegt und dem Innenausschuss erzählt haben – er sei nur ein Kleinkrimineller –, konnte wieder nur durch Journalisten aufgedeckt werden. So geht man nicht mit einem solch ernsthaften Tatbestand in diesem Land um.
(Beifall von der CDU, der FDP, Michele Mar- sching [PIRATEN], Dietmar Schulz [fraktions- los] und Daniel Schwerd [fraktionslos])
Es gibt viele Fragen zwischen der Ausländerbehörde in Kleve und dem Innenministerium. Der Kreis Kleve spricht in seiner Stellungnahme gegenüber dem Westdeutschen Rundfunk von einer Erfüllung nach Weisung. Der Innenminister erklärt, es hätte keine Entscheidung oder Anweisung, sondern nur einen Hinweis gegeben.
Jetzt werden wir noch einmal im Detail – auch anhand der Akten, die man dafür benötigt – aufklären, wie verbindlich es ist, wenn eine Ausländerbehörde den Minister, der alles weiß, danach fragt und dieser einen Hinweis gibt. Was soll denn eine Ausländerbehörde anderes machen, als dem Hinweis dann zu glauben?
Der Mann hat in Baden-Württemberg eingesessen. Die Zuständigen in Baden-Württemberg sagen: Hätten wir alles gewusst, was Nordrhein-Westfalen gewusst hat, wäre er in Haft geblieben. – Dass der Mann auf Hinweis aus Nordrhein-Westfalen wieder freigelassen wurde, verstehen die Bürger nicht. Wir verstehen auch nicht, was Sie in diesem Fall entschieden haben.
Herr Jäger kann das nicht differenziert und ruhig vortragen, sondern es ist immer apodiktisch. Er sagt: „Alle Behörden wussten alles. Es gab keine Informationslücken.“ Ich frage mich übrigens, warum Sie noch einen Gutachter brauchen, wenn Sie schon so genau wissen, dass alles so toll war.
„Es war nicht so, dass jemand über Sachverhalte keine Kenntnis hatte, der in irgendeiner Weise an dem Fall Amri beteiligt gewesen ist.“
Die Ausländerbehörde in Kleve erklärt, die für seine Identitätsfeststellung nötigen Handflächenabdrücke habe man erst in Ravensburg genommen. Aber der Aufenthaltsort von Amri sei laut Nachfrage beim Innenministerium unbekannt gewesen. Wie kann es sein, dass der Aufenthaltsort unbekannt ist, wenn wir inzwischen wissen, dass er ab April mit Telekommunikationsmitteln überwacht wurde? Sie wussten exakt, wo er sich aufhält, haben das der Ausländerbehörde in Kleve aber nicht mitgeteilt.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg ist die zweite Behörde, die nicht alles wusste, was Sie wussten. Sie startete am 14. April ein Verfahren wegen Sozialbetrugs. Vernehmen konnte man Amri aber nicht, da der Staatsanwaltschaft Duisburg vom LKA Nordrhein-Westfalen mitgeteilt wurde, der Aufenthaltsort des Beschuldigten sei nicht bekannt. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt. Er ist aber am 30. Juli in Friedrichshafen festgenommen worden. Er war am 12. August in der Ausländerbehörde in Kleve. Er hat sich am 17. August Geld beim Sozialamt in Emmerich abgeholt. Er hat sich in Dortmund aufgehalten. Er fuhr quasi mit einem V-Mann nach Berlin. Man teilt der Staatsanwaltschaft Duisburg aber nicht alles mit, was man wusste. Wenn Sie das getan hätten, dann hätte man ihn in Haft genommen. Insofern gibt es Fehler, für die Sie kein Gutachten brauchen, sondern die heute schon für jeden offenkundig auf dem Tisch liegen.
Ich finde es in Ordnung, wenn uns der Gutachter Hinweise für die Zukunft gibt und vielleicht auch Weiteres aufdeckt.
Herr Prof. Kretschmer hat als Strafprozessrechtler natürlich gar nicht die Mittel, nun alle vertraulichen Unterlagen …
Ja, das mit der Rechtsgrundlage ist aber gar nicht so einfach. Dafür benötigen Sie eine Rechtsgrundlage.
Die Mittel, die ein Untersuchungsausschuss hätte, hat ein von der Regierung berufener Gutachter nicht. Deshalb hätte ich mir auch für Berlin – da hat man jetzt einen anderen Weg gewählt – einen solchen
Untersuchungsausschuss mit allen Mitteln der Strafprozessordnung gewünscht, um zu wissen, was wirklich stattgefunden hat.
Das ist doch in Ordnung. Das wird geprüft, und wir werden es sehen. Ich möchte nur sagen: Ein Gutachter hat diese Rechte nicht.
Herr Mostofizadeh, die Öffentlichkeit soll wissen, was ein berufener Gutachter kann und was nicht. Vor allem kann er bei all den Fakten eines nicht feststellen, nämlich warum der Innenminister trotz dieser Fakten nicht gehandelt hat. Das ist eine politische Frage.
Frau Ministerpräsidentin, zu den vielen Fragen, die die Medien aus ganz Deutschland im Moment stellen, haben Sie heute leider nichts gesagt.
Sie haben vieles gesagt, was wir tragen können. Wenn wir gemeinsam handeln können, tun wir das zu jeder Zeit. Wenn Sondersitzungen oder was auch immer erforderlich sind, werden alle Abgeordneten kommen, damit wir die Sicherheit in diesem Land herstellen. Aber dazu gehört auch von Ihrer Seite mehr Transparenz, mehr Ehrlichkeit und nicht Informationen, die man ein paar Tage später relativieren muss. Das ist diesem Vorgang angemessen, und dazu fordere ich Sie auf.