Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

Sie haben vieles gesagt, was wir tragen können. Wenn wir gemeinsam handeln können, tun wir das zu jeder Zeit. Wenn Sondersitzungen oder was auch immer erforderlich sind, werden alle Abgeordneten kommen, damit wir die Sicherheit in diesem Land herstellen. Aber dazu gehört auch von Ihrer Seite mehr Transparenz, mehr Ehrlichkeit und nicht Informationen, die man ein paar Tage später relativieren muss. Das ist diesem Vorgang angemessen, und dazu fordere ich Sie auf.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP – Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Römer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat gerade gezeigt, was politische Führungskraft auszeichnet:

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nein! Dann würde der Minister da nicht mehr sitzen!)

Entschlossenheit, Besonnenheit und Orientierung. Sie hat unserem Land die Richtung für einen erfolgreichen Kampf gegen den Terror gewiesen. Der Herr

Oppositionsführer hat dagegen seiner Partei gerade eine Anleitung für den Wahlkampf gegeben:

(Werner Jostmeier [CDU]: Mein Gott! Was ist das … – Weitere Zurufe von der CDU)

Verwirren statt Führen, Alarmismus statt Besonnenheit. Welch ein Kontrast, Herr Kollege Laschet!

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben es oft gehört. Ja, es heißt, absolute Sicherheit könne es in einem freien Rechts- und Verfassungsstaat nicht geben. Der Satz ist schnell geschrieben, noch schneller gesagt. Was er aber konkret bedeutet, hat uns der Terroranschlag von Berlin auf grausame Art vor Augen geführt. Dabei ist es ja wahr: Absolute Sicherheit gibt es nirgendwo, in keinem Land der Welt. Und doch: Ein Terroranschlag ist keine höhere Gewalt, keine Naturkatastrophe, erst recht kein tragisches Unglück, das man einfach hinnehmen muss.

Es ist die Aufgabe des Staates, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, ihr Leben in Freiheit und ihr Leben selbst. Das ist in Berlin nicht gelungen; das hat die Ministerpräsidentin vorhin herausgestellt.

Niemand kann behaupten, es seien dem Staat und seinen Sicherheitsbehörden keine Fehler unterlaufen. Zwölf Menschen sind ermordet worden, viele weitere wurden an Leib und Seele verwundet. Die Opfer und ihre Angehörigen wollen jetzt wissen: Warum konnte ein den Sicherheitsbehörden bekannter Gefährder einen Anschlag verüben? Was ist falsch gelaufen? Jeder will das zu Recht wissen.

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, hat in seiner Trauerrede für die Opfer des Terroranschlages eine zeitlos gültige Mahnung des verstorbenen Bundespräsidenten Roman Herzog zitiert: „Wer – wo auch immer – führt, muss den Menschen, die ihm anvertraut sind, reinen Wein einschenken, auch wenn das unangenehm ist.“

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Diese Mahnung gilt, meine Damen und Herren. Wir müssen aufklären, wo und warum es Fehleinschätzungen gegeben hat.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das wäre ja mal ein Anfang!)

Wir müssen Klarheit schaffen, was jetzt getan werden kann und muss, damit in Zukunft ein solcher Terroranschlag verhindert werden kann. Nicht erst die Schlussfolgerungen und Konsequenzen ziehen und Schuldzuweisungen vornehmen, bevor überhaupt aufgeklärt worden ist, sondern die Reihenfolge muss lauten, Herr Kollege Laschet:

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

aufklären, sich Klarheit verschaffen und dann die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.

Die Landesregierung stellt sich dieser Verantwortung, das will ich noch einmal herausstellen. Die Ministerpräsidentin hat der Opposition vorgeschlagen, einen unabhängigen Sonderbeauftragten mit der Aufklärung zu betrauen. Die CDU hat das abgelehnt, obwohl Sie selbst gerade wiederum die entsprechenden Fragen gestellt haben, die durch eine solche Beauftragung beantwortet werden könnten, Herr Kollege Laschet. Ich will gar nicht kritisieren, dass Sie sich verweigern. Die Aufklärung durch einen unabhängigen Sonderbeauftragten – das hat die Ministerpräsidentin erklärt – wird es trotzdem geben, und zwar umfassend, offen, transparent. Das erwarten die Menschen von ihrer Regierung. Diese Regierung wird sie nicht enttäuschen; das hat die Ministerpräsidentin gerade herausgestellt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will offen sagen: Es ist durchaus legitim, Terrorabwehr und öffentliche Sicherheit zu Themen einer Wahlkampagne zu machen. Ja, das ist legitim.

Es gibt aber einen Punkt, meine Damen und Herren, von dem an sich Aufklärung und Kampagne gegenseitig ausschließen. Dieser Punkt ist überschritten, wenn aus jeder noch offenen Frage gleich ein Täuschungsversuch konstruiert wird, nur um die persönliche Integrität des politischen Gegners zu beschädigen, wenn mit ungeprüften Behauptungen und Vorwürfen hantiert wird, ganz gleich, wie haltlos sie sind, Hauptsache, sie werden gedruckt, gesendet, und es bleibt etwas hängen.

Erst recht ist die Grenze zwischen Aufklärung und Kampagne überschritten, wenn damit angefangen wird, dem politischen Gegner den Willen abzusprechen, nach bestem Wissen das Leben und die Freiheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dann ist die Grenze überschritten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir alle haben die Wahl: Aufklärung oder Kampagne? Nach all dem, was ich heute und in den vergangenen Wochen von Ihnen gehört und gelesen habe, Herr Kollege Laschet, muss ich leider feststellen: Die Opposition hat sich für die Kampagne entschieden. Wohin soll das führen? Waren wir nicht alle entsetzt, als der amerikanische Wahlkampf die politische Kultur der USA, des Mutterlandes der modernen Demokratie, vergiftet hat?

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist eine Un- verschämtheit! Eine Unverschämtheit!)

Waren wir nicht alle empört, als die Kandidatin der demokratischen Partei als Kriminelle, als betrügerische Hillary diffamiert wurde?

(Henning Höne [FDP]: Ganz, ganz wild …)

Das war doch der Grund, warum der Vorsitzende der FDP einen Fairnesspakt für die kommenden Wahlkämpfe vorgeschlagen hat.

(Christian Lindner [FDP]: Auf Antwort warte ich zum Beispiel von der SPD!)

Das dachte ich jedenfalls, Herr Kollege Lindner. Fairness, so beteuerte Herr Lindner, bedeute für die FDP den Verzicht auf persönliche Herabwürdigung und Demagogie.

(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)

Die Freien Demokraten, so Herr Lindner wörtlich, machten sich für eine politische Kultur stark, die die Unterschiede herausarbeite, aber deren Ziel nicht die persönliche Vernichtung des politischen Gegners sei. Liberalität, haben Sie hinzugefügt, sei nicht nur eine Frage von Inhalten, sondern auch eine Frage des politischen Stils.

(Beifall von der FDP – Christian Lindner [FDP]: Richtig!)

Keine drei Wochen später bezichtigt derselbe Vorsitzende der FDP den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen der Strafvereitelung im Amt.

(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)

Lieber Herr Kollege Lindner, ich weiß ja, dass Politik für Bigotterie anfällig ist. Mit ist das klar. Aber ein derartiges Maß an selbstgerechter Doppelmoral sucht schon seinesgleichen.

(Anhaltender Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

An einem Tag fordern Sie einen Pakt für Fairness, und am nächsten Tag behaupten Sie, der Innenminister habe mit Absicht die Verfolgung eines Kriminellen und späteren Terroristen verhindert.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Selbstverständlich ist das nichts anderes als Demagogie und persönliche Herabwürdigung.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Wollen Sie wirklich auf diesem Niveau Wahlkampf führen, Herr Lindner? Wollen Sie wirklich, dass wir uns in den kommenden Monaten gegenseitig vorwerfen, Kriminelle zu sein? Ist das der politische Stil der Liberalen, meine Damen und Herren?

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ich mache Ihnen einen Vorschlag zur Güte, Herr Kollege Lindner: Nutzen Sie gleich ein bisschen von der Redezeit, die Ihnen Herr Dr. Stamp lassen wird. Entschuldigen Sie sich bei Herrn Jäger. Schaffen Sie die Angelegenheit aus der Welt.

(Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: So weit kommt es noch! – Zurufe von der FDP)

Ja, Herr Kollege Lindner, machen Sie das. Dann können wir uns alle wieder in die Augen schauen. Vor allen Dingen können Sie, Herr Kollege Lindner, dann wieder in den eigenen Spiegel schauen. Machen Sie das. Entschuldigen Sie sich. Sie haben die Gelegenheit dazu.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Der Innenminister hat wiederholt dargelegt, warum es mit dem Wissensstand der Sicherheitsbehörden vor dem Anschlag keine juristische Handhabe gab, den späteren Attentäter dauerhaft in Haft zu nehmen. Der Bundesinnenminister hat übrigens die Rechtsauffassung des NRW-Innenministeriums bestätigt. Die Hürden für eine Abschiebeanordnung samt Abschiebehaft waren zu hoch und sind es immer noch. Deshalb sind bisher alle Versuche gescheitert, diese Regelungen auf terroristische Gefährder erfolgreich anzuwenden. So war es auch im Fall des Attentäters von Berlin.