Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

Frau Ministerpräsidentin, ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, in welcher Situation wir uns im Juli 2016 befanden: Am 14. Juli passierte das Attentat in Nizza, am 18. Juli der Anschlag in Würzburg und am 24. das Attentat in Ansbach. Deutschland war in Aufruhr. Hier in Nordrhein-Westfalen – Sie erinnern sich vielleicht – fand in Köln zu dieser Zeit gerade die wunderbare Veranstaltung „Kölner Lichter“ statt – geschützt von gepanzerten Fahrzeugen. Das war damals die Situation.

Bei allen drei Anschlägen waren Einzeltäter am Werk. Und in dieser Situation wird ein Gefährder festgesetzt, er sitzt in Ravensburg ein und wird dann auf Veranlassung des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Inneres und Kommunales wieder auf freien Fuß gesetzt. Das ist der eigentliche Skandal!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es hätte die Chance gegeben, ihn in Untersuchungshaft zu nehmen. Auch das geht eindeutig aus unserem Gutachten hervor. Möglicherweise – das hat der Kollege Laschet vorhin ebenfalls angesprochen – ist es auch deswegen nicht dazu gekommen, weil die Staatsanwaltschaft in Duisburg eben nicht wusste, wo sich Amri befindet, weil das Landeskriminalamt nicht in der Lage war, den Ort bekanntzugeben, obwohl Amri unter Telekommunikationsüberwachung stand.

Das sind doch erbärmliche Zustände! Was ist denn los mit der inneren Sicherheit in Nordrhein-Westfalen? Wie kann es zu solch einem eklatanten Behördenversagen kommen? Von daher können Sie doch nicht den Innenminister schon exkulpieren, bevor es überhaupt mit der Untersuchung losgegangen ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Warum negieren Sie das, Frau Ministerpräsidentin? Wir wollen Aufklärung darüber, und wir wollen auch Aufklärung darüber haben, warum die Abschiebungshaft nicht zumindest beantragt worden ist. Das ist ein großes Versäumnis gewesen. Wenn es im Zusammenhang mit Ravensburg vielleicht nicht möglich war, dann aber doch zumindest, als am 21. September 2016 die Telekommunikationsüberwachung auslief.

So stellt sich doch der Verdacht – dazu wird uns hier Rede und Antwort gestanden werden müssen –, dass in Wahrheit die Sicherheitsbehörden geglaubt haben: Wir lassen Amri an der langen Leine, weil wir über ihn an die entsprechenden Leute – Terrornetzwerk Abu Walaa – herankommen, und dann hat er seine Schuldigkeit getan. – Dann hat man ihn am 21. September 2016 letztendlich aus den Augen verloren. Die Quittung haben wir anschließend erhalten. Das ist ein eklatantes Behördenversagen, das aufgeklärt werden muss!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Frau Ministerpräsidentin, wir hatten von unserer Seite eine Untersuchungskommission vorgeschlagen. Das haben Sie dadurch, dass Sie einseitig für den Innenminister Partei genommen haben, im Grunde genommen schon von vornherein ad absurdum geführt, weil damit eine unabhängige Untersuchung – ich habe es eben ausgeführt – nicht mehr möglich war.

Von daher, Herr Laschet, sind wir offen, auch über die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu sprechen, den wir dann auf den Weg bringen. Möglicherweise ist das das einzige Instrument, mit der auch die Opposition die Chance bekommt, Akteneinsicht zu erhalten und die wirklichen Hintergründe zu diesem Fall zu erfahren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Herr Römer, dass Sie sich hier als Moralapostel aufspielen, nachdem Sie Anfang letzten Jahres die CDU als Rechtspopulisten geschmäht haben, und dass uns genau das von Hinterbänklern Ihrer Partei auch noch an die Wange geschmiert worden ist, ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus. Dass Sie uns in die Nähe von Donald Trump rücken, finde ich wirklich ungeheuerlich!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Darüber hinaus ist es eine völlige Lachnummer, dass Rot-Grün jetzt die Fußfessel anpreist, nachdem Sie uns vor 14 Tagen im Innenausschuss noch beschimpft haben, weil wir uns dafür ausgesprochen haben. Das ist doch ein Treppenwitz!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Römer, zum Thema „Umgang“: Ja, wir verlangen die Ablösung von Innenminister Jäger. Dazu will ich Folgendes zitieren:

„Politische Verantwortung bedeutet, auch wenn keine persönlichen Fehler begangen wurden, aus dem Versagen des eigenen Ministeriums die Konsequenzen ziehen zu müssen.“

Das ist nicht von mir, das ist vom Abgeordneten Ralf Jäger gegenüber Frau Müller-Piepenkötter.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Norbert Römer [SPD])

Diese Doppelbödigkeit sucht wirklich ihresgleichen. Ich sage umgekehrt, Herr Römer – hören Sie mir einmal zu, Herr Römer! –: Wir haben den Rücktritt bzw. die Entlassung von Herrn Jäger nicht wegen begangener Fehler beantragt. Wir alle, die wir hier sitzen, sind Menschen und machen Fehler. Wenn es um Fehler gegangen wäre, dann hätten wir den Rücktritt schon nach Burbach, nach Hogesa und erst recht nach der Kölner Silvesternacht fordern können. Wir haben das nicht getan, und wir haben es auch nicht getan im Zusammenhang mit den Ermittlungspannen im Fall Amri. Wir fordern die Entlassung des Innenministers vielmehr deshalb, weil er nicht bereit ist, zu den begangenen Fehlern zu stehen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das Entscheidende ist doch, erst einmal Fehler einzugestehen, um eine Fehleranalyse zu ermöglichen, damit sich solche Fälle nicht wiederholen.

Damit bin ich wieder beim Eingang meiner Rede: Das sind wir nicht nur den Opfern, sondern auch all den anderen Menschen in Nordrhein-Westfalen schuldig, die Angst haben, dass sich so etwas mit anderen Gefährdern wiederholt. Dafür brauchen wir eine vernünftige Fehleranalyse und eine vernünftige

Aufarbeitung, was mit diesem Innenminister leider nicht mehr möglich ist. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich zunächst der Ministerpräsidentin danken, die, wie ich finde, in sehr angemessener Weise mit uns der Opfer gedacht hat. Sie hat zudem in sehr ruhigem Ton Orientierung gegeben

(Zurufe von der CDU)

und die Inhalte vorgetragen, die wir heute wissen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Im Fall Amri brauchen wir vorbehaltlose und umfassende Aufklärung – auch und gerade weil Wahlkampf ist. Deswegen unterstützen wir das Vorhaben der Landesregierung, hier einen unabhängigen – ich betone: unabhängigen – Sondergutachter zu bestellen. Dieser wird, so glauben wir, schnell und umfassend für Klarheit sorgen, indem er die Unterlagen durcharbeitet. Denn auch wir Grünen haben viele Fragen, und wir wollen diese Fragen vorbehaltlos und ohne jegliche Scheuklappen stellen können. Das werden wir auch weiterhin tun.

Wir brauchen Aufklärung in genau zwei Richtungen:

Erstens. Gab es Fehler bei den Behörden und Institutionen, und wenn ja, welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?

Zweitens. Müssen wir die Gesetze und Regelungen aufgrund unserer Erkenntnisse – und nicht aufgrund vorheriger politischer Programme – ändern und möglicherweise an die Gefahrenlage anpassen?

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es darum geht, ohne Scheuklappen aufzuklären, gibt es dazu offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen zwischen der CDU und uns. Die CDU betreibt doch ein Doppelspiel. In Berlin verhindert sie eine Sitzung des Bundestagsinnenausschusses, und in Nordrhein-Westfalen können die Gremien gar nicht schnell genug zusammentreten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nur ein Schelm käme auf die Idee, das könnte möglicherweise daran liegen, dass in Berlin der Bundesinnenminister von der CDU und in NRW der Innenminister von der SPD gestellt wird. Während im Landtagsinnenausschuss seitenlang Fragenkataloge innerhalb weniger Tage beantwortet werden –

ich finde das auch gut so –, sieht sich der Bundesinnenminister nicht in der Lage, Herr Kollege Laschet, eine fristgerechte Beantwortung der Kleinen Anfrage der grünen Bundestagsfraktion vorzunehmen. Die Frist ist gestern Abend abgelaufen. – Das ist das Aufklärungsinteresse des Bundesinnenministers in dieser Frage.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Aber obwohl es so schwierig ist, diese Fragen zu beantworten, hatte Kollege de Maizière schon wenige Tage nach dem Anschlag alle Antworten und Schlussfolgerungen fix und fertig auf dem Tisch und hat sie präsentiert.

Herr Kollege Laschet, damit hier kein falscher Eindruck in der Öffentlichkeit entstehen kann: Sie sind, auch ohne uns zu fragen, in der Lage, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss für den Landtag zu beantragen. Suggerieren Sie nicht, wir würden Sie daran hindern! Stellen Sie den Antrag! Dann gibt es einen Untersuchungsausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Noch ein Punkt, den Kollege Stamp eben angesprochen hat: Wir hatten Ihnen angeboten, ein gemeinsames Gutachten der Parlamentsfraktionen zu beauftragen, und Sie hatten durchaus Ihre Bereitschaft erklärt, daran mitzuarbeiten. Daher ist es auch egal, welche Einschätzung die Landesregierung gibt; denn das Parlament kontrolliert die Regierung und nicht die Regierung das Parlament. Es wäre gut gewesen, ein gemeinsames Gutachten mit gemeinsamen Fragen zu beauftragen. Das ist leider nicht gelungen – sehr schade.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bevor die Fragen aufgeklärt sind und bevor ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen hat, hat der Bundesinnenminister reflexhaft seine Anforderungen zusammen mit Gesetzesverschärfungen auf den Tisch gelegt: mehr Video- und Telekommunikationsüberwachung, neue Strafverschärfungen, der Einsatz der Bundeswehr im Innern, weitere Befugnisse und geringere Kontrollen der Nachrichtendienste und damit eine immer größere Aushöhlung unserer Grundrechte ohne einen für uns erkennbaren oder gar messbaren sicherheitspolitischen Mehrwert.

Das ist keine seriöse Antwort, die auf der Auswertung von Fakten beruht. Das gilt auch für die Unionsfraktion hier im Landtag, die ohne Auswertung der Fakten diese Kiste ausräumt und alle sicherheitspolitischen Maßnahmen, die sie immer schon mal gefordert hat, auf den Tisch legt. Das sind Ladenhüter, die einer Antwort nicht gerecht werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich frage Sie: Haben Sie eigentlich keine Fragen an Herrn de Maizière? – Wir hätten schon einige, zum Beispiel: Was ist denn gewesen, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jahrelang meterweise Anträge aufgehäuft hat und die Mitarbeiter Hunderttausende von Anträgen nicht abarbeiten konnten? – Die Registrierung ist zusammengebrochen. Und erst Ihre eigene Kanzlerin musste die Notbremse ziehen und Herrn de Maizière den Kanzleramtsminister Peter Altmaier vor die Nase setzen, um diese Behörde wieder auf Trab zu bringen. Auch deswegen kann es sein, dass ein Mann wie Anis Amri mehrere BüMABescheinigungen bekommen konnte, ohne vom Bund identifiziert worden zu sein.

Uns interessiert auch, Herr Laschet, warum der Bundesinnenminister im letzten Jahr nach Tunesien, Marokko und Algerien gereist ist, um dort für Rücknahmeabkommen zu werben, und warum es bis heute nicht gelingt, die Menschen zurückzuführen. Rückführungen in diese Staaten erfolgen allenfalls tröpfchenweise.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)