Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Es geht um jeden einzelnen Menschen, um seine Chancen und um die Entwicklung seiner Persönlichkeit, es geht um die Gesellschaft, die nicht auseinanderfallen darf in Bildungsbesitzer und Bildungsverlierer, und es geht darum, die großartigen Möglichkeiten zu nutzen, die uns die Gegenwart bereitstellt.“

Diesem pragmatischen, optimistischen, den Menschen zugewandten Anspruch an unsere Bildungs- und Wissenschaftspolitik fühlen wir uns weiter verpflichtet und werden den Weg unbeirrt von Ihren Ausführungen weitergehen – für ein starkes, zukunftsorientiertes Nordrhein-Westfalen mit einer europaweiten Spitzenleistung in Wissenschaft und Forschung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier gerade fast eine Stunde sehr aufmerksam zugehört.

(Karl Schultheis [SPD]: Und? Hat es was ge- bracht?)

Der Tenor der Unterrichtung überrascht mich nicht wirklich: Forschungsland Nordrhein-Westfalen – Land, in dem Milch und Honig fließen, ein innovatives Paradies, in dem die Zukunft der Menschheit entwickelt wird. Kein Vorwurf an eine Landesregierung, die ein solches Ziel verfolgt!

Erlauben Sie mir aber einige etwas differenziertere Betrachtungen unserer Wissenschafts- und Forschungslandschaft. Ich bin davon überzeugt, dass Forscherinnen und Forscher es verdient haben, dass wir die politischen Rahmenbedingungen etwas kritischer und etwas differenzierter hinterfragen und letztendlich auch verantwortungsvoll ausgestalten.

Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit starken Regionen, aber wir sind nicht das Silicon Valley Deutschlands, auch nicht Greater Chicago, und unsere Hochschulen sind auch nicht alle kleine Harvards oder MITs. Ich weiß, das internationale Ranking ist keine perfekte Abbildung der Stärke unserer Hochschulen – ihre Ergebnisse aber völlig außer Acht zu lassen und zu ignorieren, wäre trotzdem falsch.

Erlauben Sie mir deshalb, einige Bezüge herzustellen. Beim aktuellen Times Higher Education Ranking ist die RWTH Aachen als beste – auch als einzige – nordrhein-westfälische Universität in den weltweiten Top 100 aufgeführt, nämlich auf Platz 78. Das ist ein gutes Ergebnis – keine Frage. Aber die Hochschulen, mit denen die RWTH Aachen konkurriert, kommen nicht allein aus Großbritannien oder den USA, sondern auch aus New South Wales in Australien, aus Honkong, aus Singapur oder auch aus unserer direkten Nachbarschaft, den Niederlanden.

Und dann gibt es eben doch einige Hinweise zu einer realistischen Einordnung. Insbesondere wenn andere deutsche Hochschulen, zum Beispiel aus dem süddeutschen Raum oder aus Berlin, besser abschneiden, lohnt es sich doch, einmal genauer hinzuschauen. Ein ganz ähnliches Bild – es hätte ja sein können, dass das nur in dem einen Ranking so wäre – zeigt sich beim QS-Ranking: Universitäten aus Süddeutschland und Berlin rangieren in den Top 100. Unsere beste Hochschule in dem Ranking, die RWTH Aachen, folgt auf Platz 146.

(Karl Schultheis [SPD]: Es sind viele Absol- venten von der RWTH Aachen nun in Mün- chen!)

Nochmals: Ich will ausdrücklich diese Rankings nicht überbewerten, aber sie verdeutlichen auch: Wir können besser werden, und die Rahmenbedingungen für unsere Hochschulen können besser sein und werden, zumindest im innerdeutschen Vergleich.

Ich kann aus Zeitgründen hier nur einige Anmerkungen machen: Forschung verlangt qualifizierte und engagierte Forscher und damit eben auch den entsprechenden wissenschaftlichen Nachwuchs. Wie aber sieht es in Nordrhein-Westfalen aus? Betrachten wir zum Beispiel einmal die Betreuungsrelationen an unseren Hochschulen.

Die Betreuungsrelation ist sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden grundlegend für eine funktionierende Lernbeziehung zwischen Professoren und Studierenden. Leider ist das unter der jetzigen Landesregierung nicht mehr so gewährleistet. Unter Ihrer Regierungsverantwortung muss ein Professor mittlerweile 15 Studierende mehr betreuen. 15! Darunter leiden alle Beteiligten, und natürlich auch Lehre und Forschung.

Frau Ministerin, Sie selbst haben entgegen Ihren Behauptungen im Ausschuss in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage zugestanden, dass wir bei der Herausrechnung der Fernuniversität Hagen mit ihrer spezifischen Betreuungsrelation eben nicht im Mittelfeld des innerdeutschen Vergleichs liegen, sondern auch im nationalen Vergleich das Schlusslicht bilden. Der Negativtrend in Sachen Betreuungsrelation wird im Übrigen auch bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern fortgesetzt. Hier verzeichnen wir eine Verschlechterung von 25 %.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, das darf uns doch nicht zufriedenstellen. 15 Studierende pro Professor mehr – das hat ganz konkrete Auswirkungen: Hörsäle und Seminare werden noch voller. Das bedeutet eine höhere Prüfungs- und Korrekturlast für den einzelnen Hochschullehrer. Lehre, Gremienarbeit, und insbesondere Forschung leiden. Gute Arbeitsbedingungen sehen ganz sicher anders aus. Und über Fragen der Aufteilung zwischen Lehrdeputaten und Forschungsaufwand sprechen wir heute auch nicht.

Mit einer anderen Kleinen Anfrage konnten wir von Ihnen auch erfahren, dass Nordrhein-Westfalen im bundesweiten Vergleich bei den Grundmitteln für Lehre und Forschung je Studierenden auf dem vorletzten Platz landet und damit lediglich vor Bremen liegt. Auch hier taugt die Fernuniversität Hagen nicht als Ausrede; denn auch wenn wir diese herausrechnen, bleibt es nach wie vor beim vorletzten Platz, auch nachdem Sie kürzlich – was ich gerne anerkenne als richtige und überfällige Schritte – Mittel umgewidmet und zur Verstärkung der Grundmittel eingesetzt haben.

In Niedersachsen zum Beispiel werden pro Studierenden 3.000 € mehr an Grundfinanzierung ausgegeben. Angesichts dieser von Ihnen selbst mitgeteilten Fakten ist es doch absurd, von einer Wissenschafts- und Forschungshoheit zu sprechen. Hoheitlich ist hier allenfalls der Habitus.

Kommen wir zum Bereich der Preise, Stipendien und Fördermittel. Diese werden im deutschlandweiten Vergleich hier am meisten eingeworben; wir haben das gerade wieder sowohl von Frau Ministerin als auch vom Kollegen Bell gehört. Es wäre in der Tat traurig, wenn das, in absoluten Zahlen gerechnet, nicht so wäre. Wir sind doch das bevölkerungsreichste Bundesland mit der dichtesten Hochschullandschaft. Aber allein aus den absoluten Beträgen können wir doch nicht allen Ernstes auf die besten Forschungsbedingungen schließen.

Erlauben Sie mir, Frau Ministerin, Ihnen in Ihrem ansonsten immer wiederholten Hinweis auf die Anlehnung an den Königsteiner Schlüssel zu folgen und diesen auch bei der Analyse und Bewertung der eingeworbenen Forschungspreise und Anerkennungen heranzuziehen.

Es heißt, NRW sei auf Platz eins bei der Einwerbung von Sonderforschungsbereichen und EUFörderpreisen.

(Karl Schultheis [SPD]: Stimmt doch!)

Für die absoluten Zahlen stelle ich das gar nicht streitig.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Herr Kollege, Sie würden doch der Frau Ministerin nicht widersprechen. Setzen wir das doch mal in Relation zum Königsteiner Schlüssel: Pi mal Daumen müsste NRW etwas über 21 % der Preise und Förderungen erreichen, um sozusagen national auf der durchschnittlichen Linie zu liegen.

54 von 268 Forschungsbereichen der DFG befinden sich in Nordrhein-Westfalen. Das macht 20,1 %, ist also leicht unterdurchschnittlich.

Von den 2006 DFG-geförderten Graduiertenkollegs sind 38 in Nordrhein-Westfalen ansässig. Das sind 18,4 %, und das ist nach Königsteiner Schlüssel unterdurchschnittlich.

Seit 2010 wurde der Leibniz-Preis insgesamt 78 Mal verliehen, 16 davon gingen nach Nordrhein-Westfalen. Das sind 20,5 %; das ist leicht unterdurchschnittlich.

Der Nachwuchspreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde seit 2010 insgesamt 57 Mal vergeben, aber nur an acht nordrhein-westfälische Preisträger. Das sind 14 %, und da können wir nach dem Königsteiner Schlüssel wirklich erheblich besser werden.

An anderer Stelle hat der Kollege Bell – er hat auf die Haushaltsberatungen Bezug genommen – auf die Advanced Grants 2016 hingewiesen. Zehn der 47 Preisträger aus Deutschland kommen aus NRW. Das sind 21,3 %. Das ist zwar toll, aber eben auch nur Durchschnitt nach dem Königsteiner Schlüssel.

Bei den Consolidator Grants der EU kommen zehn von 50 deutschen Preisträgern aus Nordrhein-Westfalen, also 20 %. Auch damit liegen wir nur auf der Linie des Königsteiner Schlüssels. Frau Ministerin hat heute in der Unterrichtung auf die Patente hingewiesen – mit einem Anteil von 20% liegen wir auch hier nur im Schnitt des Königsteiner Schlüssels.

Es gibt exzellente und geniale Forscherinnen und Forscher in Nordrhein-Westfalen, die Anerkennung und Wertschätzung verdienen, und es ist unangemessen, die klügsten Köpfe des Landes für eine solche PR-Posse wie diese Unterrichtung zu vereinnahmen. Wir schulden es unseren Forschern, dass zumindest wir die Rahmenbedingungen kontinuierlich und kritisch überprüfen, weiterentwickeln und verbessern.

Geforscht wird – darauf ist schon hingewiesen worden – nicht nur an unseren Hochschulen und Forschungsinstituten, sondern auch in den innovativen Unternehmen unseres Landes. Ja, es gibt sie noch, auch wenn man bei Landesentwicklungsplan, Tariftreue- und Vergabegesetz, mangelhafter Breitbandversorgung und Diskussionen um Verbote von Forschungskooperationen manches Mal den Eindruck haben könnte, dass man eigentlich auch diese innovativen Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen vergraulen will. Aber es gibt sie, und das ist toll. Das ist

der Leistung der Menschen zu verdanken, die als Unternehmer oder Beschäftigte in diesen Unternehmen Verantwortung tragen. Sie haben es verdient, dass wir uns mit den Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung auch in diesen Unternehmen befassen.

Die Forschungs- und Entwicklungsquote ist gerade schon angesprochen worden, also die Ausgaben eines Landes für Forschung und Entwicklung gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Deutschland hat sich selbst das Ziel gesetzt, eine 3-%-Quote zu erreichen. Diese Hürde ist deutschlandweit nahezu geknackt; in Nordrhein-Westfalen werden – auch das wurde schon gesagt – jedoch nur 1,9 % des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung aufgewandt. Und leider fällt auch die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen zurück. Unternehmen investieren bundesweit 1,9 % des BIP, in Nordrhein-Westfalen aber nur 1,1 %.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie kommen Sie eigentlich dazu, Nordrhein-Westfalen als das Forschungsland Nummer eins zu feiern, wenn hier in Nordrhein-Westfalen nur unterdurchschnittlich in Forschung investiert wird? In Bayern wird pro Kopf das 2,5-Fache in Forschung investiert, in BadenWürttemberg ist es sogar das Vierfache. Manches Mal wäre die Bezeichnung „Forschungsland“ für diese Bundesländer wohl wesentlich angebrachter.

Warum arbeiten wir nicht daran, warum arbeiten Sie nicht daran, dass innovative Unternehmen wieder in Nordrhein-Westfalen ihre Heimat finden sowie entsprechende Rahmenbedingungen für ihre Investitionen auch in Forschung und Entwicklung?

Seit Jahren diskutieren wir über eine steuerliche Forschungsförderung als zweite Säule zur Erleichterung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese würde dringend benötigt. Aber: Fehlanzeige!

Ein bewährtes Instrument zur Forschungsförderung von Unternehmen, das technologieoffene und bürokratiearme Programm „Mittelstand.innovativ!“, haben Sie in Ihrer Regierungszeit zugunsten von „Fortschritt NRW“ erheblich gekürzt. „Fortschritt NRW“ wird aber von weiten Teilen der Wirtschaft abgelehnt, und zwar plausibel begründet. Denn Projekte werden danach nur dann von der Landesregierung gefördert, wenn sie nachhaltig sind, Gender-Mainstreaming umsetzen und interdisziplinär ausgerichtet sind und – Achtung! – aus von Rot-Grün ernannten Leitmärkten stammen.

Frau Ministerin, wenn jemand eine geniale Idee in der Materialwirtschaft hat, warum braucht er dann zunächst einen Sozialwissenschaftler, der die Auswirkungen des Materials auf die Geschlechtergerechtigkeit begründet, um dann letztlich gefördert zu werden? Das ist doch bürokratischer Unsinn!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie maßen sich an, besser zu wissen, was, woran und wie geforscht werden soll. Dieses Verständnis von Forschungs- und Wissenschaftspolitik lehnen wir Freie Demokraten ab.

Mit der Leitmarktidee befinden Sie sich historisch aber in netter Gesellschaft, war es doch Kaiser Wilhelm, der seinerzeit ebenfalls einen Leitmarkt definierte. Ich darf zitieren: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“

An diesem Beispiel wird doch ganz deutlich, dass sich eine politische Leitmarktproklamation verbietet. Politik hat Anfang der 90er-Jahre jedenfalls kaum die Bedeutung des Internets und die sich daraus ergebenden Folgen vorhergesehen, oder? Heute drohen wir im Bereich „Digitalisierung“ den Anschluss an die Welt zu verlieren.

Erlauben Sie mir auch den Hinweis auf die Opfer Ihrer Leitmarktideologie, zum Beispiel aus dem Bereich der Lebenswissenschaften. Die Ansiedlung des Care Instituts ist gerade schon genannt geworden. Entgegen der anfänglichen Bereitstellung von Haushaltsmitteln und Sympathiebekundungen scheiterte die Landesförderung an behaupteter Unvereinbarkeit mit europäischem Recht. Offensichtlich gelten in Bayern jedoch andere EU-Regelungen, denn dort wird Care realisiert. Damit hat Rot-Grün aus meiner Sicht ganz eindeutig die Chance auf Forschungsexzellenz in Nordrhein-Westfalen zunichte gemacht.

Aus unserer Sicht gibt es eine ganze Reihe gesellschaftlich relevanter Fragen über die Ergebnisse von Forschung, die wir auch im politischen Raum diskutieren. Ich habe zum Beispiel in Ihrer Unterrichtung eine Stellungnahme zum CRISPR/Cas-Verfahren vermisst. Dieses ist in der Tat revolutionär und bietet eine Riesenchance. Sie diskutieren hier leider mit keinem Wort die ethischen Fragestellungen und auch nicht den Aspekt, welche gesetzgeberischen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen sich möglicherweise daraus ergeben, damit gute, rechtssichere Forschungsrahmenbedingungen entstehen können.

Wir könnten hier auch – das hätte ich in der Unterrichtung erwartet – über die gesellschaftlich relevanten Fragen nach der IT-Sicherheitsforschung oder nach dem autonomen Fahren diskutieren. Hier geht es nicht um die Frage, ob geforscht wird – viel zu oft wird die Debatte darüber geführt –, sondern um die Auswirkungen und deren gesellschaftliche Relevanz. Diese Fragen sind hier im Parlament anzusiedeln, ebenso wie die, welche gesetzgeberischen Handhabungen sich daraus ergeben.

(Nadja Lüders [SPD]: Aber Sie wollen doch keine Leitmärkte!)

Beste Forschung braucht Freiheit und kein Korsett.

Die Zivilklauseln sind schon angesprochen worden. Wir sind davon überzeugt, dass wir unseren Hochschulen wieder ihre Autonomie zurückgeben müssen und dass forschungsfeindliche Zivilklauseln eben mehr intrinsische Forschungszensur sind als ein tatsächlicher Beitrag zu einer besseren Welt. Wir brauchen eine technologieoffen ausgestaltete Forschungsförderung. Freie Forschung bewirkt auch eine starke Forschung.