Protokoll der Sitzung vom 15.02.2017

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/14251

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten dem Kollegen Bayer das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Fahrgäste am Livestream! Welches Gerät für Ihren Livestream auch immer Sie nutzen, der Steuerungstechnik unserer Stadtbahnen sind Sie auf jeden Fall um Jahrzehnte voraus.

Nicht nur die Pendlerinnen und Pendler, die mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren, die gesamte Verkehrsinfrastruktur unserer Großstädte baut auf antike Technik: auf die Tunnel und die Strukturen der Stadtbahnsysteme. Ohne sie würde der Verkehr zusammenbrechen. Ohne die Stadtbahnen würden die Lebensadern der Gesellschaft und der Wirtschaft in unseren Ballungsräumen stocken.

Duisburg und Köln mag man den schlechtesten Nahverkehr Deutschlands diagnostiziert haben. Nun stellen sich die beiden Städte im Berufsverkehr vor – einmal mit und einmal ohne Stadtbahn. Dann wird deutlich, dass die Stadtbahnen auch für diese Städte dringend notwendig sind. Obwohl der Nahverkehr für dieses Land so bedeutsam und so wichtig ist, wird er sträflich vernachlässigt.

Unser Verkehrsminister feiert die Aufmerksamkeit für die marode Infrastruktur, die die A1-Brücke gebracht hat, die es ermöglicht hat, auch Geld vom Bund für die Sanierung zu erhalten. Das ist schön. Aber denkt die Bundesregierung, denkt Herr Dobrindt daran, auch Geld für die nachholende Sanierung der Stadtbahnen, für den ÖPNV bereitzustellen? Nein.

Öffentlicher Personenverkehr kommt bei Herrn Dobrindt nicht vor, obwohl die Vergabe von Bundesmitteln dafür verantwortlich ist, dass sich allein die Kosten für die Sanierung der Stadtbahnsysteme in NRW auf 3,1 Milliarden € summieren – nur für die nachholende Sanierung, nur für den Sanierungsstau, das Reparieren von Versäumnissen, nicht für den Ausbau und den Regelerhalt.

Denn vor allem der Bau von U-Bahn-Strecken wurde gefördert, damit die Straßenbahnen den Autoverkehr nicht stören. Eine Instandhaltungsrücklage sah das Bundesprogramm nicht vor, und um Erhalt kümmerte sich niemand bzw. nur selten jemand.

Jetzt sieht es bei den Stadtbahnen schlimmer aus als bei den Autobahnbrücken. Die Verkehrspolitik hat in beiden Fällen verdrängt, dass Infrastruktur nicht nur eröffnet, sondern auch erhalten werden muss. Aber um die Stadtbahnen kümmert sich bis heute – zumindest, was die finanzielle Ausstattung angeht – niemand.

Dabei will man dem ÖPNV noch weitere Aufgaben zuteilen, vom Klimaschutz bis zur Barrierefreiheit. Es stellen sich neue Herausforderungen wie Digitalisierung und Carsharing. Viele Großstädte müssen wegen ihrer unzureichenden Luftreinhaltepläne dabei auch nacharbeiten. Das bedeutet dann Fahrverbote für Diesel oder mehr ÖPNV. Dabei müssen wir auf Elektromobilität setzen, das heißt im Wesentlichen auf Stadtbahnen.

Aber allen Neuinvestitionen in den ÖPNV sitzen die Altlasten im Nacken. Jedem Ausbau und jeder Verbesserung des Nahverkehrs steht das Argument der Nichtfinanzierbarkeit gegenüber, weil noch Schulden und der finanzielle Berg des Sanierungsstaus drohen. Der Sanierungsstau gefährdet so die Sicherstellung eines zuverlässigen ÖPNV-Angebots mit der leichten Schiene als Rückgrat des kommunalen Nahverkehrs. Der gepriesene RRX wird ohne leistungsfähige Stadtbahnen in unseren Ballungszentren keines der gesteckten Ziele erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen unsere Städte hierbei nicht alleinlassen. Denn sie müssen die Lebensadern unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft reparieren können, um sie anschließend pflegen und an neue Anforderungen anpassen zu können. Nur wenn wir diesen Städten helfen, sich von der Altlast zu befreien, werden sie wieder handlungsfähig. Erst dann können sie sich wieder vollumfänglich dem Ausbau des lokalen ÖPNV-Angebots widmen.

Die Finanzierung der nachholenden Sanierung muss vor allem aus anderen Finanzierungstöpfen kommen und von den sonstigen Finanzierungstöpfen des ÖPNV getrennt werden. Dies hat die Enquetekommission zu den Finanzierungsoptionen des ÖPNV in NRW festgestellt und die Einrichtung eines Programms zur nachholenden Sanierung empfohlen.

Ich fordere nun diese absolut notwendigen Schritte bei der Landesregierung ein, und zwar umgehend. Denn wenn erst die neuen Koalitionsverträge vor allem auf Bundesebene angedacht, geplant und geschrieben sind, ist es zu spät. Das Thema hat jetzt hier seinen Platz – noch vor dem Wahlkampf. Dann kann die Landesregierung bis zur Wahl in NRW und vor dem Wahlkampf im Bund die Weichen stellen. NRW ist dafür der richtige Ort bzw. das richtige Land. NRW muss mit der lautesten Stimme sprechen, denn es leidet am meisten unter den Versäumnissen der vergangenen Jahrzehnte.

Ja, es sind vor allem die Ruhrgebietsstädte. Vielleicht sind sie selbst schuld. Aber Schwamm drüber! Auch Bielefeld, wo beim Stadtbahntunnel mit der Instandhaltungsrücklage gearbeitet wurde, sowie Städte und Gemeinden ohne Stadtbahn werden davon profitieren, wenn der öffentliche Nahverkehr im ganzen Land besser wird.

Ich möchte noch einige Worte zum FDP-Entschließungsantrag sagen. Ich sehe: Wir sind uns dabei einig.

Herr Kollege.

Oliver Bayer (PIRATEN) : Ich komme zum

Schluss. – Die FDP hat im Beschlussteil – hoffentlich aus Versehen – den ÖPNV nicht konkret genannt.

Ich höre mir jetzt Ihre Rede an, bin aber sehr zuversichtlich und tendiere zur Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die SPD spricht Herr Kollege Becker.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat ist die Stadtbahninfrastruktur in den Kommunen in einem stark verbesserungswürdigen Zustand. Sie gehen in Ihrem Antrag von einem Volumen in Höhe von 3,1 Milliarden € aus. Herr Rehbaum hat in der ÖPNVG-Anhörung von 2 Milliarden € gesprochen. Ich gehe davon aus: Das ist nicht geraten. – Andere Untersuchungen nennen wiederum andere Zahlen. Das ist ohne Zweifel richtig.

Die Landesregierung hat das erkannt und in § 13 ÖPNV-Gesetz, Investitionsmaßnahmen im besonderen Landesinteresse, ein Programm zum Erhalt und zur Finanzierung zur Erneuerung der Infrastrukturen von Stadt- und Straßenbahnen eingerichtet. Hierzu soll es zunächst ein Gutachten geben, in dem der Bedarf für nachholende Erneuerungsinvestitionen festgestellt und priorisiert wird. Dieses Gutachten wird im Frühjahr 2018 vorliegen. Auf der Basis der darin festgehaltenen Erkenntnisse wird das Programm für größere nachholende Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen genutzt werden. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir die einstimmigen Empfehlungen der Enquetekommission aufzunehmen und umzusetzen haben.

Ich will gern einräumen: Das Frühjahr 2018 wird für die Piraten zu spät sein. Aber es ist klug und weitsichtig, Gründlichkeit vor Schnelligkeit walten zu lassen. Das haben im Übrigen auch die Experten in der Anhörung zum ÖPNVG deutlich gemacht. Sie haben diese Initiative begrüßt. Klar ist: Auch in dieser Frage können sich die Kommunen auf das Land verlassen. Wir werden den Kommunen auch bei der Aufgabe unterstützend zur Seite stehen. Insofern ist der Antrag der Piraten durch Regierungshandeln erledigt und abzulehnen.

(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ist immer so einfach!)

Das ist aber so. Das Programm steht im ÖPNVG; Sie haben es nicht mit beschlossen. Darin steht auch das Verfahren, dass zunächst einmal ein Gutachten angefertigt werden soll. Das ist richtig so. Angesichts der vielen Zahlen, die kursieren, sollte man wirklich schauen, wie die Prioritäten zu setzen sind und wie der Bedarf ist.

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bayer zulassen, der auf dem Platz von Herrn Lamla sitzt?

Bitte schön.

Vielen Dank. – Ich habe eine ganz einfache Frage: Wie viel Prozent des Bedarfs – egal, ob es 2 Milliarden € oder 3,1 Milliarden € bis 2025 sind – deckt das ab, was durch das ÖPNVG ermöglicht wird?

Das werden wir sehen müssen. Da werden wir Prioritäten festlegen. Wir werden dann auch darüber reden müssen, inwieweit wir die Anregungen der Enquetekommission aufnehmen.

Aber es ist doch nicht sinnvoll, jetzt im Nebel zu stochern nach dem Motto: Wer bietet am meisten? Wer hat den größten Bedarf?

(Minister Michael Groschek: Richtig!)

Es ist doch sinnvoll zu schauen, welcher Bedarf vorhanden ist. Wo muss er priorisiert werden, und wie kann er priorisiert werden?

Nächster Punkt: Ich habe gerade erst den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion auf den Tisch bekommen. Ich konnte ihn nur überfliegen. Das, was ich überflogen habe, hörte sich nach dem üblichen Wahlkampfgetöse an, das Sie in den nächsten Wochen und Monaten noch an den Tag legen werden. Sie werden wieder mit der Infrastruktur anfangen.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Sie haben nicht gemerkt, dass wir längst auf dem Weg sind, die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Ich sage nur: Bundesverkehrswegeplan, ÖPNV-Gesetz. Wir geben eine Rekordsumme in Höhe von 127,5 Millionen € für den Erhalt von Landesstraßen aus. Sie haben nicht gemerkt, dass wir längst auf dem Weg sind. Daher werden wir auch diesen Antrag ablehnen.

(Beifall von der SPD – Christof Rasche [FDP]: Wahlkampfgetöse!)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rehbaum.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit einigen Schlagzeilen beginnen: „Investitionsstau – Nahverkehr im Revier droht der Kollaps“, „NRZ“ vom 25. Mai 2015. „Das geteilte Land: Maroder Westen“, „FOCUS“ vom Dezember 2014. „Viele Stadtbahnen in NRW sind marode“, „Rheinische Post“ im März 2016. „Stadtbahn vor Kollaps – Umstieg auf Bus droht“, „DERWESTEN“ am 14. April 2011.

(Andreas Becker [SPD]: Wann? 2011?)

Alle diese Überschriften leiten zu dem Thema „marode Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen“ über. Schienen, Brücken, Tunnel und der Fuhrpark der kommunalen Bahnen stammen oft noch aus den 70er- und 80er-Jahren, sind sanierungsreif, und die Fahrgäste sind genervt. Die Analyse der Piraten über den Zustand und die Sanierungsbedürftigkeit der ÖPNV-Infrastruktur teilen wir.

Dass bei Erhaltungsmaßnahmen im ÖPNV und SPNV dringender Handlungsbedarf besteht, ist aber keine neue Erkenntnis. Das hatte die ÖPNVZukunftskommission NRW in ihrem Abschlussbericht bereits 2013 festgestellt. Ich zitiere:

„Nur mit den notwendigen Erneuerungsinvestitionen kann der ÖPNV leistungsfähig bleiben oder werden. Bund, Land und Aufgabenträger sind gefordert, die hierfür erforderlichen Finanzmittel vordringlich bereitzustellen.“

Dieses Zitat habe ich insbesondere für die antragstellende Piratenfraktion vorgetragen. Ich wiederhole noch einmal das Wichtigste: Gefordert sind bei der Finanzierung der Bund, das Land und die Aufgabenträger. – Die Forderungen des Piratenantrags richten sich allerdings nur an den Bund. Das ist unseriös und weltfremd. Daher ist der Antrag für uns nicht zustimmungsfähig. Wir werden ihn ablehnen.

Dieser Tunnelblick nach Berlin ist unangebracht, auch wenn es sich dabei um Tunnelsanierungen handelt. Im Übrigen verdient der Bund an dieser Stelle ein Lob. Der Bund hat sich am 14. Oktober 2016 gemäß Entflechtungsgesetz zur dauerhaften Fortzahlung der Kompensationsmittel auch nach dem Jahr 2019 bereit erklärt. Diese Mittel sollten ursprünglich im Zeitfenster bis 2019 massiv abgeschmolzen und ab 2019 auf null heruntergefahren werden. Nordrhein-Westfalen bekommt weiterhin zuverlässig die rund 130 Millionen € pro Jahr vom Bund für den ÖPNV. Dazu kommen noch die Regionalisierungsmittel.

Die rot-grüne Landesregierung kann ich beim Thema „Sanierung der ÖPNV-Infrastruktur“ nicht vor Kritik verschonen. Die Regierung Kraft hat im Jahr 2012

die pauschale Investitionsförderung um 30 Millionen € gekürzt und den Stadtbahnen bis heute 150 Million € entzogen. Die CDU hat schon 2012 vor diesen Kürzungen der Stadtbahnmittel gewarnt. Das war der Tiefpunkt rot-grüner Verkehrspolitik.

(Beifall von der CDU)

Auch der VDV hat damals Kritik an der Landesregierung geäußert. Eine Studie des VDV hatte ergeben, dass Kommunen und Verkehrsbetriebe in NordrheinWestfalen bis 2016 rund 1,1 Milliarden € in die Erhaltung ihrer U-Bahn- und Straßenbahnsysteme investieren müssen. Bis 2025 sind weitere rund 2 Milliarden € für diese Erneuerungsinvestitionen erforderlich.