Protokoll der Sitzung vom 15.03.2017

Ich appelliere an die CDU, dieses Argument nicht weiter zu verwenden, weil es die Gefahr der Pauschalierung und Diskriminierung in sich trägt.

(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Wir haben doch die Situation, dass sich ein Teil der türkeistämmigen Menschen auch nach Jahrzehnten noch nicht bei uns zu Hause fühlt. Das hängt auch mit solchen Argumenten zusammen,

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

die deshalb aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

Herr Kollege, ich muss einfach auf die Redezeit hinweisen.

Ja, aber ich habe gerade eine Minute durch die Zwischenrufe verloren.

(Lachen von den GRÜNEN)

Deshalb will ich noch einen Gedanken vortragen.

Herr Kollege, es liegt noch eine Kurzintervention vor.

Ich komme zum Schluss. Es ist ein Ablenkungsmanöver, lieber Armin Laschet, jetzt über die Erdogan-Partei zu sprechen. Kümmert euch mal lieber darum, dass die Bundesregierung in der Frage der Auftritte türkischer Regierungsvertreter eine Linie hat, damit nicht Frau Kramp-Karrenbauer das machen muss.

(Beifall von der FDP)

Der letzte Gedanke: Das Wahlrecht ist nicht ein Instrument der Integration. Staatsangehörigkeit und Wahlrecht sind die Krönung der Integration; aber dann muss man auch die doppelte Staatsangehörigkeit zulassen, wenn man tatsächlich will, dass mehr Menschen davon Gebrauch machen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Kollege Lindner, Sie haben die Redezeit deutlich überzogen. Das ist ungewöhnlich, das in dieser Form zu machen. Darauf möchte ich schon hinweisen. Aber der Kollege von der SPD hat auch deutlich überzogen, von daher gibt es heute einen gewissen Ausgleich.

Es liegt eine Kurzintervention der Frau Kollegin Beer von der Fraktion der Grünen vor, der ich das Wort gebe.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Überra- schend!)

Danke schön. – Das war wohl auch zu erwarten; Herr Lindner hat sicherlich damit gerechnet.

(Christian Lindner [FDP]: Na klar!)

Nach dem Wackelkurs, den Sie gerade hingelegt haben, die Rede mit einem populistischen Zu-FeldeZiehen gegen die Flüchtlingskrise zu beginnen, sich aber hinterher wieder zu Recht gegen die Pauschalisierung in Bezug auf Migrantinnen und Migranten zu verwahren, ist genau das die Dialektik, die Sie in allen Auftritten hinzulegen versuchen: Sie befeuern zuerst die Vorurteile und Pauschalisierungen und versuchen hinterher, es wieder einzusammeln. Das ist in dieser Rede sehr deutlich geworden.

Ich will noch mal darauf hinweisen, dass auch die Kommunalpolitische Vereinigung der FDP in der Anhörung im Ausschuss für Kommunalpolitik genau ihren Wunsch nach einem Ausländerwahlrecht noch mal in diesem Hause bekräftigt und auch eingebracht hat.

Und die Kollegen in den Niederlanden und in Dänemark – Sie verweisen ja gerne darauf, dass es da einen rechtsliberalen Ministerpräsidenten gibt – erlauben auch das Ausländerwahlrecht. Warum ist das hier in den Schrittigkeiten nicht genauso möglich? Warum entziehen Sie sich diesem Antrag? Und warum machen Sie genau diese Dialektik, auf der einen Seite Pauschalisierungen zu befördern und negative Argumente zu bewegen, um dann hintenherum wieder davon zu reden, dass man doch differenzieren müsse?

Das ist ein Wackelkurs, und das hilft der Demokratie auch nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bitte schön, Herr Kollege Lindner.

Frau Kollegin Beer, ich habe ja erstens dargelegt, welche verfassungsrechtlichen Bedenken wir haben. Das kann für Sie keine Überraschung sein, weil wir diese regelmäßig im Hauptausschuss vorgetragen haben.

Zweitens habe ich Ihnen geschildert, dass wir in Deutschland nach unserer Überzeugung bislang keine klare Strategie zur Einwanderung verfolgen, dass wir Bedenken hinsichtlich der Integrationsbereitschaft haben und dass deshalb andere Dinge geklärt werden müssen, bevor wir darüber nachdenken.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Seit fünf Jahren!)

Ich will Ihnen aber ganz klar noch abschließend sagen: Ich habe ein anderes Leitbild als Sie. Herr Kollege Ünal hat eben gesagt, Wahlrecht sei ein Menschenrecht. Ich finde, es ist zunächst einmal ein Bürgerrecht. Deshalb muss es das Ziel sein, dass die deutsche Staatsbürgerschaft als Krönung der Integration angesehen wird.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie fordern das seit fünf Jahren!)

Wer lange hier bleibt und sich trotz der Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entscheidet, der dokumentiert damit auch ein Stück weit seine Auffassung, wie er sich in diesem Land integrieren will und welche Teilhabemöglichkeiten er wahrnehmen möchte und welche eben nicht.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Dann wissen Sie Biografie nicht zu würdigen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Marsching.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Es ist schon ein bisschen ungewöhnlich, von einem Liberalen zu hören, Wahlrecht sei ein Bürgerrecht. – Wahlrecht ist ein Grundrecht, Wahlrecht ist ein Menschenrecht, und jeder, der liberal denkt, müsste doch dieser These zustimmen. – Ich verstehe einfach nicht, wie man sagen kann: Wir sind nicht mutig, wir trauen uns hier nicht, über das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer zu reden.

Ich wollte mich eigentlich an der FDP und an der CDU abarbeiten. Das haben jetzt schon die Kollegen von SPD und Grünen getan; das muss ich nicht mehr machen. Es wurde gesagt, die FDP sei bis vor zwei Jahren noch dafür gewesen, auf einmal sei sie dagegen. Ja, ich erkenne an, dass Sie hier auf der Wiese gestanden und bei der Demonstration der Integrationsräte gesagt haben: Was wir brauchen, ist eine Gesetzesänderung im Bund. – Ein bisschen machen Sie sich da ja gemein mit der CDU. Auch der Kollege Laschet hat gerade gesagt: Das ist verfassungswidrig, wir müssen das Grundgesetz ändern.

Erstens. Herr Kollege Laschet, Ihre Partei sitzt im Bund an der Regierung; dann ändern Sie doch das Grundgesetz, wenn Sie das wirklich wollen! Und dann kümmern Sie sich darum, dass wir das in Nordrhein-Westfalen ohne Bedenken können.

Zweitens. Es ist ein scheinheiliges Argument, zu sagen: Wer hier wohnt und hier wählen will, der sollte sich, verdammt noch, mal einbürgern lassen denn damit werden die Räte vor AKP-Anhängern geschützt. – Sehr geehrter Kollege Laschet, ich schreibe Ihnen einen einzigen Satz in Ihr Stammbuch: Die Staatsangehörigkeit schützt vor ErdoWahn nicht. Und jeder, der hier in den Rat will, der lässt sich einbürgern und unterstützt trotzdem Erdogan in der Türkei. Wo ist denn das Problem? Dieses Argument ist absolut null und nichtig. Und das ist Ihr einziges Argument.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Lindner, wir haben nicht im Hauptausschuss darüber geredet, sondern in der Verfassungskommission; ist aber egal. Das sind so Feinheiten; die muss man nicht wissen.

(Christian Lindner [FDP]: Auch im Hauptaus- schuss!)

Ja, es gab eine Sitzung im Hauptausschuss, bevor wir das wieder hier ins Plenum gebracht haben. – Sie haben von langen Beratungen geredet. Na ja!

Beide – CDU und FDP – sagen doch, die Gesetzesänderung sei verfassungswidrig, und Sie sagen das mit dem Brustton der Überzeugung. Wir haben aber genau zu diesem Punkt in der Verfassungskommission eine Anhörung gehabt, und in dieser Anhörung wurde das eben nicht bestätigt. Da wurde gesagt,

dass das Urteil von 1990 heute komplett anders ausfallen könnte und dass man deswegen auch durchaus den Schritt wagen könnte, dieses Wahlrecht durch ein Länderparlament zu gewähren, damit sich das Bundesverfassungsgericht damit eben noch einmal beschäftigen kann.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN – Torsten Sommer [PIRATEN]: Die Zeiten ändern sich halt!)

Ich kann das nur wiederholen. Das Zitat lautet „Seien Sie mutig“. Aber ich habe selten eine Truppe gesehen, die so wenig Mut hat wie die, die hier auf der rechten Seite sitzt.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben in Nordrhein-Westfalen – um auch mal die Statistik zu bemühen – knapp 18 Millionen Einwohner. 2,3 Millionen davon – das sind ca. 13 % – haben eine ausländische Staatsbürgerschaft. Davon sind 505.531 Türken; Stand: Mitte Juni letzten Jahres. Übrigens sind in der Zahl die im Jahr 2015 Zugewanderten schon enthalten.

Knapp 1,4 Millionen der hier wohnenden Ausländer leben länger als acht Jahre in NRW. 914.934 Ausländer – das sind etwas über 40 % – leben länger als 20 Jahre in Nordrhein-Westfalen. Und Sie sagen: „Die wollen sich hier nicht integrieren“? Und Sie stempeln die alle zu AKP-Anhängern ab. – Das ist ein so scheinheiliges Argument, da weiß ich nicht mehr, wo vorne und wo hinten ist!

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Sie benutzen aktuelle innertürkische politische Ereignisse – das sagen Sie der Presse; ich habe es heute Morgen der Presse entnehmen müssen – als Argument gegen ein Ausländerwahlrecht, über das schon seit 30 Jahren diskutiert wird. Wahlrecht ist ein Grundrecht, und Wahlrecht darf nicht von tagesaktuellen politischen Ereignissen abhängen. Wo kämen wir denn da hin, wenn man sagt: „Es gibt jetzt Studentenproteste; wir entziehen jetzt allen Studenten mal das Wahlrecht“? Was ist denn das für eine Logik, zu sagen: „Weil heute in dem einem Land etwas Bestimmtes passiert, geben wir den Menschen in dem anderen Land eben kein Wahlrecht“! Das ist ein absolutes Un-Argument!