Protokoll der Sitzung vom 16.03.2017

Dann würden langfristig viele, die derzeit den ÖPNV aus Gründen der Bequemlichkeit nutzen – Lesen während der Fahrt, keine Parkplatzsuche usw. –, den ÖPNV verlassen. Weniger Fahrgäste führen aber zu einem teureren und weniger attraktiven ÖPNV für diejenigen, die ihn brauchen, und insgesamt zu weniger Fahrzeugen im ÖPNV und auch zu weniger Arbeitsplätzen.

Besser wäre ein attraktiverer ÖPNV mit mehr Fahrgästen, höherer Taktung, mehr Abdeckung und mehr Fahrzeugen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schwerd?

Aber sehr gerne.

Das ist prima. Danke.

Herzlichen Dank, dass du die Frage zulässt. – Ich frage mich, warum

(Zuruf von der SPD: Das fragen sich viele!)

ihr im Antrag nicht einfach zehn Autos gefordert habt. Bei dieser Zahl würde man sagen, dass es sich um einen Versuch handelt. Das kann man ausprobieren. Über diese Summe kann man reden. Damit kann man Erfahrungen gewinnen.

(Bernhard von Grünberg [SPD]: Die haben sich vertippt! – Zuruf von der SPD: Was ist denn? 25.000!)

Warum mussten es denn direkt 100.000 sein? Das ist eine absurd hohe Zahl.

Zehn Autos würde man wahrscheinlich bekommen, wenn man irgendwo kleine Pilotprojekte macht. Dann gibt es zehn Autos bzw. zehn Fahrzeuge, die eingesetzt werden. Sie sind wahrscheinlich keine autonom fahrenden Fahrzeuge, die man von der Stange kauft. Schließlich sollen sie den ÖPNV unterstützen.

Zehn Autos sind aber doch keine Größe, mit der die Automobilindustrie arbeiten kann. Bei zehn Autos sind die Entwicklungskosten sehr hoch. Die Einführung von autonomen Fahrzeugen im ÖPNV, die wir haben wollen, wäre dann eine völlig unbezahlbare und völlig unrealistische Utopie. Damit kann man nicht arbeiten. Wir brauchen eine bezahlbare Vision von autonomen Fahrzeugen im ÖPNV.

Dafür brauchen wir eine extrem hohe Stückzahl von Fahrzeugen, die ja nicht sofort von der Landesregierung oder vom Land bezahlt werden müssen. Sie müssen auch nicht bar bezahlt werden. Diese hohe Stückzahl soll aber insgesamt bis 2035 oder bis 2040 in Aussicht gestellt werden.

100.000 Fahrzeuge für den ÖPNV müssen eine Vision sein. Ein entsprechendes Konzept muss entwickelt und vorgestellt werden. Dann wird die Automobilindustrie nicht wie derzeit Individualverkehr fördern und autonome Fahrzeuge für den Individualverkehr entwickeln, sondern sie wird umschwenken und sagen: Da ist ein Markt für 100.000 Fahrzeuge. Wir entwickeln autonome Fahrzeuge, die den ÖPNV unterstützen.

Wenn wir hier nur von zehn Fahrzeugen reden und auf der anderen Seite einen Markt für 40.000 Fahrzeuge – das ist auch wenig – im Individualverkehr haben: Was meinen Sie, wohin die Entwicklungskosten dann fließen? Dann muss nachher das Land

NRW, wenn es etwas in dieser Richtung tun will und noch etwas in Bezug auf autonomes Fahren für den ÖPNV erreichen will, selbst für die Entwicklungskosten aufkommen. Dann müssen plötzlich irgendwelche Fördermittel dafür zur Verfügung gestellt, dass autonom fahrende Fahrzeuge auch für den ÖPNV entwickelt werden.

Und dann wird es richtig teuer – ganz davon abgesehen, dass dann der Zug abgefahren ist und wir in einer Welt leben werden, in der autonome Fahrzeuge, wie gerade erwähnt, die Straßen verstopfen, weil sie eben nicht in den ÖPNV integriert sind.

Deshalb haben wir in unserem Antrag bewusst die hohe Stückzahl gewählt. Sie ist uns nicht nach dem Motto passiert: Da haben wir ein paar Nullen drangehängt.

Wir brauchen autonom fahrende Fahrzeuge für den ÖPNV – für mehr Abdeckung und als Zubringer für die bisherigen Linien. Genau das können autonome Fahrzeuge im ÖPNV möglich machen – zur Verdichtung und zur Ausweitung des Netzes. Fahrzeuge mit ein bis zwei Fahrgästen will doch derzeit niemand im ÖPNV fahren lassen. Da sagt ja jeder Politiker: Das können wir nicht machen. Da sitzen doch nur ein bis zwei Fahrgäste drin. Wer soll das bezahlen? Insbesondere im ländlichen Raum rechnet sich das nicht.

Mit kleinen autonomen Gefäßen wäre das kein Problem, selbst wenn sie in den ersten Jahren nur langsam unterwegs wären. Auch kann man auf bestehenden ÖPNV-Linien mit festen Linienwegen autonomes Fahren viel besser erproben als im Individualverkehr.

Aber das passiert nicht. Solche Sachen werden von der Automobilindustrie überhaupt nicht angedacht.

Die Chance für den ÖPNV muss ergriffen werden, damit der ÖPNV zukunftsfähig bleibt. Mit entsprechend großen geplanten Stückzahlen innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre müssen die Hersteller zu entsprechenden Investitionen angetrieben werden. Damit der ÖPNV und damit die Mobilität für alle nicht verschwinden und wir keinen Verkehrsinfarkt erleiden, muss die Politik es dem ÖPNV ermöglichen, seine Vorteile zu nutzen und unmittelbar mit hohem Ressourceneinsatz in die Zukunft zu investieren.

(Zuruf von der CDU: Die Rede muss auch ein- mal zu Ende sein!)

Wir sind nicht zu früh dran. Mit Blick auf den Nahverkehrsplan, der die nächsten zehn bis 15 Jahren abdecken soll, sage ich: In dieser Zeit kann jede Menge passieren. In dieser Zeit kann nicht nur viel passieren, sondern in dieser Zeit wird auch viel passieren. Wollen Sie davon überrascht werden, wie viele autonom fahrende Fahrzeuge bis 2035 plötzlich außerhalb des ÖPNV das Verkehrssystem umkrempeln werden?

Ich würde darauf wetten, dass wir 2035 auch 100.000 Fahrzeuge sehen werden. Die Frage ist nur: Wo?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was ist mit der Rede- zeit?)

Dass die Landesregierung das nicht sieht, dass Sie das nicht sehen, wissen wir.

(Jochen Ott [SPD]: Redezeit!)

Bei der Landesregierung hieß es 2015: Die NRWMinisterien für Verkehr, Wirtschaft und Wissenschaft gründen zusammen eine Arbeitsgruppe für automatisiertes Fahren. – Wir haben im Verkehrsausschuss gefragt, was aus dieser Arbeitsgruppe geworden ist. Fazit: nichts, gar nichts.

(Michael Hübner [SPD]: Wir haben noch et- was!)

Es hieß nicht einmal: Wir fördern da etwas.

Nicht einmal zum regelmäßigen Kaffeetrinken trifft man sich dort. Es gibt diese Arbeitsgruppe nicht. Die Landesregierung hat da kein Konzept und auch keinen Plan. Ich habe heute gesehen: Sie auch nicht. Sie versuchen das schnell abzuhandeln; nach dem Motto: Ach, komm; in der nächsten Legislaturperiode können wir uns noch mal damit beschäftigen.

Schöne Worte und ein paar Reaktionen auf Delphi und auf Bundesprogramme helfen da nicht weiter. Dabei gibt es wichtige Fragen, die auch im Interesse der Akteure und Unternehmen in der Nahverkehrsbranche sowie der Beschäftigten, des Fahrpersonals, beantwortet werden müssen.

Herr Kollege Bayer, jetzt sind Sie am Ende Ihrer Redezeit angekommen und kommen bitte zum Schluss.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Oliver Bayer (PIRATEN) : Ich komme zum

Schluss. – Das mit dem Fahrpersonal beantworte ich dann so.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Was ist mit der Zwischenfrage? Hier gibt es eine Zwischen- frage!)

Aber zum Schluss Bild Nummer vier: 100 Menschen in acht flexibel eingesetzten und ins Nahverkehrssystem integrierten autonom fahrenden Fahrzeugen und ein attraktiver Linienbus. – Vielen Dank.

Danke schön, Herr Bayer. – Weitere Debattenbeiträge sind nicht angemeldet.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Entschuldi- gung! Wir haben doch noch eine Zwischen- frage!)

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in Drucksache 16/14042, den Antrag Drucksache 16/13028 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag selbst, nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dem Antrag selbst zu?

(Zurufe von der SPD: Melden! – Zuruf von den Piraten: Wir stimmen zu! – Heiterkeit und Bei- fall bei der SPD und der CDU)

Die Fraktion der Piraten stimmt zu. Wer stimmt gegen den Antrag? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Eine kurze Bemerkung zum Thema Zwischenfragen: Es gibt kein Bundesgrundrecht darauf, sondern hier oben wird dann entschieden, ob Zwischenfragen zugelassen werden, wenn die Redezeit läuft. Wenn die Redezeit abgelaufen ist, lasse ich in der Regel keine Zwischenfragen mehr zu. Das ist auch einhellige Meinung.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Daniel Düngel [PIRATEN]: Seit über einer Minute hatten wir sie angemeldet!)

Der Kollege war aber noch mitten im Wort und hat in einem Zug durchgesprochen. Da wären Sie auch nicht dazwischengegangen. Das wäre Ihrem sprechenden Kollegen gegenüber unverschämt gewesen.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Widdewidde- witt und drei macht neune!)

Ich werde mich mit Ihnen auf keine Diskussion einlassen, Herr Schmalenbach. Sie sollten sich in der Art, wie Sie über das Parlament sprechen, ohnehin ein bisschen zurückhalten. In diesem Sinne lassen wir es einfach dabei. Sonst erzähle ich nämlich noch Dinge, die ich gar nicht erzählen wollte.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Wir kommen zu: