Protokoll der Sitzung vom 17.03.2017

Die Unterwerfungsgesten der Bundesregierung bei der Armenien-Resolution des Bundestages und im Fall Böhmermann jedenfalls waren einfach nur peinlich. Man lässt sich mit einem unsäglichen Flüchtlingsabkommen erpressen, mit dem man Hunderttausende geflüchteter Syrer aus der EU heraushalten will, und pampert dafür das Regime mit Millionenbeträgen – noch ein Grund, dieses scheußliche Abkommen umgehend zu beenden.

Die Türkei ist im ersten Halbjahr 2016 von Platz 25 auf Platz 8 der Empfänger deutscher Rüstungsexporte aufgerückt. Damit unterstützen wir hier unmittelbar den Feldzug gegen die Kurden.

Die Deutsche Bundeswehr ist in Incirlik stationiert. Auch das ist ein Faktor, auf den sich ein Erdogan ja berufen kann. Die von den deutschen Tornados gewonnenen Aufklärungsdaten dienen auch dem Angriff auf die Kurden in der Region. Dabei dürfen wir nicht mitmachen! Die Bundeswehr muss aus Incirlik abgezogen werden.

(Zuruf von Hendrik Schmitz [CDU])

Auf EU-Ebene gibt es umfangreiche Zollerleichterungen und Millionenhilfen. Sogar über Erweiterungen soll noch verhandelt werden. All diese Signale ermutigen Erdogan doch nur, seinen eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Er muss das alles doch als implizite Zustimmung werten. Das müssen wir abstellen. Es ist Zeit, auch die konkrete Türkeipolitik grundlegend zu ändern. Von lauen Worten wird sich Erdogan jedenfalls nicht beeindrucken lassen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Kutschaty.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei allen Differenzen, die wir heute im Detail der Debatte vernehmen konnten, ist ein Signal aus dieser Debatte doch deutlich geworden: Wir wollen und wir können die Entwicklung in der Türkei nicht wortlos verfolgen, denn wir dürfen nicht hinnehmen, dass innertürkische Konflikte hier bei uns in NordrheinWestfalen ausgetragen werden.

In unserem Land leben Deutsche und Türken miteinander. Mehr noch: In diesem Land leben auch Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und aus verschiedenen Regionen der Türkei friedlich miteinander, und deswegen wollen wir – Deutsche und Türken – in unserem Land auch gemeinsam dafür eintreten, dass das so bleibt.

In Nordrhein-Westfalen lebt rund eine Million Menschen mit türkischen Wurzeln; sie haben dieses Land mit aufgebaut. Viele von ihnen sind als sogenannte Gastarbeiter gekommen und sind ganz bewusst hiergeblieben; Nordrhein-Westfalen ist ihre Heimat geworden. Diese Menschen sind ein Teil von uns Nordrhein-Westfalen geworden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie prägen unser Land, sind Teil unseres Landes und unserer Gesellschaft. Sie haben unser Land zu dem gemacht, was es heute ist, und dafür sollten wir uns bei diesen Menschen auch ausdrücklich bedanken.

Und weil uns diese Menschen und damit auch ihre türkischen Wurzeln so sehr am Herzen liegen, haben wir in der Vergangenheit größte Toleranz gegenüber Repräsentanten des türkischen Staates geübt, die an Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen teilnahmen. An dieser grundsätzlichen Einstellung hat sich auch nichts geändert, aber, meine Damen und Herren, wer zu uns kommen und hier über seine Politik sprechen will, muss auch akzeptieren, dass wir über ihn und seine politischen Vorstellungen und Ziele kontrovers diskutieren. Meinungsfreiheit ist eben keine Einbahnstraße, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN sowie Dr. Joachim Stamp [FDP])

Wer das nicht akzeptieren will, der will in Wahrheit Wahlkampf auf unsere Kosten machen. Das lassen wir uns aber nicht bieten. An dieser Stelle weise ich da mit aller Entschiedenheit den Vorwurf zurück, dass jeder, der anders entscheidet, als die AKP dies wünscht, Nazi-Methoden anwendet.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir können und werden nicht akzeptieren, dass diejenigen, die sich hier auf die freie Meinungsäußerung berufen, selbst nicht bereit sind, Grundrechte zu gewähren. Das gilt für die meiner Ansicht völlig überzogene Inhaftierung eines deutschen Journalisten in der Türkei, aber ebenso auch für die Entscheidung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die sich nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente gegen die Durchführung solcher Großveranstaltungen in ihren Kommunen entscheiden.

In der Tat: Auch ich hätte mir gewünscht, dass die Bundeskanzlerin die Kommunen mit diesen schwierigen Fragen nicht so lange im Regen stehen lässt. Als zum Beispiel der Bürgermeister von Frechen eine schwierige und mutige Entscheidung treffen musste, hätte er die Rückendeckung der Kanzlerin gebraucht und nicht auch noch den Hinweis von dort, dass das ausschließlich kommunalpolitische Fragen beträfe. Sie wissen genau, meine Damen und Herren, dass das nicht stimmt. Das wissen wir alle.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Auf der anderen Seite machen es sich aber auch Bundesländer mit pauschalen Auftrittsverboten sehr leicht. Es ist immer leicht, Besuche im Saarland zu verbieten, wenn niemand dorthin zu Besuch kommen will.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Von dieser Form des Wahlkampfes halte ich nicht viel. Im Übrigen sehe ich hier auch die rechtliche Zuständigkeit der Länder nicht gegeben.

Eines, meine Damen und Herren, will ich aber mit aller Deutlichkeit sagen: Wir plädieren ganz klar dafür, den Dialog auch mit der türkischen Regierung gerade auch in Zeiten zu suchen, in denen man große Meinungsverschiedenheiten hat, denn in Zeiten politischer Harmonie braucht man diesen Dialog nicht. Den braucht man erst, wenn man in schwerem Fahrwasser ist, und in einer solchen Phase befinden wir uns derzeit ohne Zweifel. Deswegen bieten wir einen offenen und ehrlichen Meinungsaustausch an. Aber: Wer an meiner Meinung nicht interessiert ist, sondern nur sein Weltbild akzeptiert, der will keinen Dialog, der lädt zum Diktat – und dafür, meine Damen und Herren, stehen wir auch nicht zur Verfügung.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Armin Laschet [CDU])

Deswegen verurteilen wir auch die jüngsten Äußerungen türkischer Politiker über die Entscheidung der Regierung der Niederlande, dort keine Wahlkampfauftritte der AKP zuzulassen, auf das Allerschärfste.

Die Niederländer, meine Damen und Herren, sind nicht Nachkommen der Nazis, sie sind deren Opfer.

(Allgemeiner lebhafter Beifall)

Viele von ihnen sind im Kampf gegen den Nationalsozialismus gestorben oder haben schwere Opfer gebracht. Es ist geschichtsvergessen und unanständig, unseren Nachbarn mit solchen Vorwürfen zu begegnen. Zum Glück sind die Niederländer nicht auf die billige Polemik hereingefallen und haben anders gewählt, als die Populisten auf beiden Seiten erwartet hatten.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die Niederländer haben in dieser schwierigen Zeit ein Zeichen gesetzt. Dieser Landtag sollte auch heute ein Signal nach Berlin und Ankara senden, und dieses Signal lautet: Wir stehen geschlossen gegen diese Politik der Provokation. – Deswegen, meine Damen und Herren, bitte ich Sie auch sehr für ein deutliches und klares Signal der Geschlossenheit.

Allerdings müssen wir mehr tun. Wir sollten auch die Stimmen dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger mehr in unsere Gesellschaft einbinden und diejenigen, die bei uns leben, einladen, mitzumachen. Denn nur wer Nordrhein-Westfalen völlig zurecht als seine Heimat ansieht und für sich selbst die Möglichkeit sieht, sich aktiv einzubringen, der ist deutlich weniger empfänglich für diejenigen, die versuchen, zu spalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Daher möchte ich auch an Sie, meine Damen und Herren von der Union, appellieren: Bitte stellen Sie sich ganz klar gegen den Flaschengeist von gestern und sprechen sich deutlich für die Beibehaltung der doppelten Staatsbürgerschaft aus.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Dr. Joachim Stamp [FDP])

Schon Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes spricht den Menschen Abstammung, Heimat und Herkunft zu. Diese drei Begriffe widersprechen sich nicht. Sie gehören zu einem Menschen wie die Haarfarbe oder das Geschlecht. Lassen Sie uns bitte nicht hinter den Geist des Grundgesetzes zurückbleiben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Deswegen sollten wir es auch jedem Menschen, der sich rechtstreu und aktiv in unsere Gesellschaft einbringen will, bei seiner Abstammung und bei seiner Herkunft ermöglichen, in Nordrhein-Westfalen seine Heimat zu finden. Ich appelliere daher an Sie, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns gerade in dieser schwierigen Stunde der bilateralen Verhältnisse ein Zeichen der Einladung an die Menschen senden, die für uns und unser Nordrhein-Westfalen so wichtig geworden sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Herr Minister Kutschaty hat die Redezeit um 2 Minuten 11 Sekunden überzogen. Von daher stelle ich die Frage, ob noch jemand aus den Fraktionen das Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14395 in der Fassung des zweiten Neudrucks. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt, die wir jetzt auch durchführen, und zwar über den Inhalt des Antrages. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Wer stimmt dagegen? – Der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer möchte sich enthalten? – Das sind CDU und FDP. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung. Wir stimmen ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/14510. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion, die Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt.

Wir kommen zur dritten und letzten Abstimmung, nämlich über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/14524. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die CDUFraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP, die Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag der CDUFraktion mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Ich rufe auf:

2 Willkommenskultur für Investitionen schaf

fen – Nordrhein-Westfalen braucht eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik für mehr Wohlstand und Beschäftigung

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/14403

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Wüst das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Realität nach sieben Jahren Regierung von Rot-Grün, nach sieben Jahren Regierung Kraft/Löhrmann sieht wie folgt aus: so viele Kinder in Armut wie in keinem anderen westdeutschen Flächenland,

(Widerspruch von der SPD)

die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenländer und die niedrigste Quote sozialversicherungspflichtig Beschäftigter aller deutschen Flächenländer. Ihre Politik macht arbeitslose Eltern und arme Kinder.

(Beifall von der CDU)