Protokoll der Sitzung vom 17.03.2017

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es in den Jahren zwischen 2005 und 2010 durchaus Bemühungen der Demokratisierung in der Türkei gab – sicherlich nicht nach den Standards, wie wir sie hier gern hätten. Aber es gab eine Entwicklung. Damals war die Antwort der deutschen Bundesregierung eher, dass man einen privilegierten Rausschmiss oder eine privilegierte Nichtweiterverhandlung mit der Türkei suchte.

Seinerzeit haben wir diese Bemühungen durchaus unterstützt. Jetzt sind viele enttäuscht, weil dieser Reformeifer zerstört wurde. Auch das führt dazu, dass Menschen wie Herr Erdogan Gehör finden, die die Demokratie mit Füßen treten und nicht weiter nach vorne stellen.

(Beifall von den GRÜNEN, den PIRATEN und Marc Herter [SPD])

Ich will hier klarstellen, damit da auch kein Missverständnis aufkommt: Das Referendum, das im April dieses Jahres stattfindet, ist nicht das Ende eines Prozesses. Die Türkei ist heute schon so, wie ich es eben beschrieben habe: Oppositionelle werden drangsaliert. Dort ist man erneut auf einem Tiefpunkt. Die Türkei ist ein Unrechtsstaat mit einem Operettensultan an der Spitze, der die Gewaltenteilung bereits mit Füßen getreten hat. Den Rechtsstaat gibt es nicht mehr. Selbst in Bezug auf das Referendum muss man sich fragen, ob es überhaupt noch nach rechtsstaatlichen Gepflogenheiten in einer demokratischen Auseinandersetzung stattfindet. Ich finde, nein. Deswegen stellen wir uns heute hier so auf, wie wir es in unserem Antrag beschrieben haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ver- einzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich halte es, ehrlich gesagt, schon für sehr beschämend, dass die Kanzlerin nicht aufwacht, wenn die Menschen in die Knäste gehen, wenn der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird, sondern dass sie erst aufwacht, als Herr Erdogan sie selbst mit Nazivergleichen über den Tisch zieht. Erst dann wird die Kanzlerin wach. Das ist keine Situation, die wir in Deutschland akzeptieren sollten.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wir sollten uns noch einmal die Stellungnahmen der letzten Tage angucken. Wer sich mit dem Sprachgebrauch im Mittleren Osten auskennt, weiß, dass die Bezeichnung „Ihr kämpft mit Hunden“ die höchste Eskalationsstufe darstellt, die man sich vorstellen kann. Und Herr Erdogan sucht die Provokation. Er sucht die Provokation mit Deutschland; er sucht die Provokation mit Europa.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Menschen, Herr Erdogan und die Ministerinnen und Minister der türkischen Regierung, dürfen hier keinen Wahlkampf machen. Sie dürfen keinen Wahlkampf für die Durchsetzung der Autokratie machen. Das ist nicht Meinungsfreiheit, sondern Geleitschutz für Despoten. Denn die Meinungsfreiheit schützt doch nicht die Staatsgewaltigen. Sie schützt die Bürgerinnen und Bürger vor dem Staat. Es ist das Grundrecht des kleinen Mannes, vor dem Staat geschützt zu werden, und nicht andersherum, wie Herr Erdogan uns jetzt fälschlicherweise weismachen will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, Sie haben ja Herrn Erdogan zur Persona non grata erklärt,

(Armin Laschet [CDU]: Natürlich!)

auf dem Parteitag und auf verschiedenste Weise hinterher noch einmal. Sie wollen aber nicht – das dokumentieren Sie in Ihrem Antrag –, dass das hier durchgesetzt wird.

Herr Prof. Gusy hat in einem Gutachten für uns klargestellt, dass die Bundesregierung alle Mittel in der Hand hat, Herrn Erdogan und die Ministerinnen und Minister der Türkei an einer Einreise zu hindern. Der Ball liegt eindeutig bei der Bundesregierung.

Auch das Bundesverfassungsgericht – Herr Kollege Körfges hat es ja angedeutet – hat in den letzten Tagen noch einmal sehr eindeutig darauf hingewiesen, dass entweder nach dem Völkerrecht oder auch nach den Einreisebestimmungen der Bundesrepublik Deutschland zu fragen ist, warum jemand hierherkommt, und man dann auch die Einreise verhindern kann.

Der Ball liegt sehr eindeutig bei der Bundesregierung. Es ist doch auch absurd, vom Bezirksamt KölnPorz zu verlangen, Nazivergleiche zurückzuweisen und mit den baupolizeilichen Möglichkeiten Außenpolitik zu machen. Da muss die Bundesregierung handeln. Das müssen wir hier auch erklären.

(Beifall von den GRÜNEN, Hans-Willi Körfges [SPD] und Michele Marsching [PIRATEN])

Die Bundesregierung handelt nicht nur nicht, sondern spaltet dann auch noch die Community. Das finde ich nicht in Ordnung.

Es ist ekelhaft, muss ich sagen, wenn jetzt auch noch alle diejenigen zu Erdogan-Gefolgsleuten gezählt werden, die Angst haben und sich nicht äußern wollen. Ich war in Oberhausen bei der Gegendemonstration, als Herr Yildirim seine Show abgezogen hat. Manche Menschen, die mit uns demonstriert haben, haben gesagt: Führt uns nicht vor die Kamera. Wir haben Angst, dass wir hier in Deutschland Repressionen ausgesetzt werden. Vor allem haben wir Angst, dass unsere Familien in der Türkei drangsaliert und verhaftet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Bundesland muss eine klare Ansage machen, dass wir so etwas hier nicht dulden. Wir wollen keine Bespitzelung und keine Verfolgung. Hier gelten unsere Regeln: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und Achtung der Würde des Andersdenkenden.

Deswegen fordere ich auch alle auf, die im April stimmberechtigt sind: Stimmt mit Nein! Nehmt den Menschen in der Türkei nicht das weg, was sie hier genießen können, nämlich Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Gewaltenteilung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie unserem Antrag zu. Schützen Sie die Menschen, die hier in Nordrhein-Westfalen leben; denn darum geht es. Es ist auch eine innenpolitische Auseinandersetzung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Güler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungen in der Türkei sind besorgniserregend und können keinen Demokraten und vor allem auch niemanden, der sich mit der Türkei eng verbunden fühlt, in diesen Tagen kaltlassen.

Wir haben eine Spaltung innerhalb der türkischen Community nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch hier bei uns, auch ganz konkret in Nordrhein

Westfalen, was uns große Sorgen macht, und zwar nicht erst seit dem Putschversuch in der Türkei, aber ganz besonders seit dem Putschversuch in der Türkei.

Mir ist sehr daran gelegen, deutlich zu machen, dass die Debatte heute kein Türkei-Bashing ist. Wenn wir die Missstände in der Türkei kritisieren, dann tun wir das, weil wir uns um die Entwicklungen in diesem Land Sorgen machen, und nicht, weil es bei Populisten gerade en vogue ist, über die Türkei zu schimpfen, nur um die Türkei schlecht dastehen zu lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen mit dieser Debatte heute etwas erreichen. Und da kommt es nicht darauf an, Herr Körfges, wer welchem Antrag zustimmt oder nicht. Wir haben hier verschiedene Anträge vorgelegt. Allen Anträgen kann man etwas abgewinnen. Das Wichtige ist, dass wir hier als Demokraten Flagge zeigen und deutlich machen,

(Beifall von der CDU)

dass die freiheitlich-demokratischen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsrecht uns nicht nur wichtig sind, sondern dass wir, wenn nötig, auch gemeinsam bereit sind, für diese einzutreten und sie vor denjenigen zu schützen, die diese Grundrechte bei uns missbrauchen wollen, um sie woanders auszuschalten. Das ist das Ziel dieser Debatte.

Deswegen sollten wir hier nicht eine unnötige Schärfe einbauen, Herr Mostofizadeh, und nicht versuchen, die Verantwortung und die Schuld der Bundesregierung zuzuschieben. Ich sage Ihnen ganz offen: Ihr Auftritt gerade, insbesondere Ihre Kritik an der Kanzlerin, ist unverschämt,

(Beifall von der CDU)

völlig deplatziert und noch dazu falsch gewesen. Die Kanzlerin hat nicht erst nachdem sie persönlich von Herrn Erdogan beschimpft wurde, Stellung zu dem Ganzen genommen. Das hat sie schon bei ihrer letzten Türkeireise getan, als es um die Pressefreiheit ging. Deshalb: Wenn Sie versuchen, ein Bashing gegen die Kanzlerin zu betreiben,

(Zuruf von den GRÜNEN)

dann versuchen Sie ausnahmsweise einmal, bei der Wahrheit zu bleiben, und üben hier keine pauschale Kritik an der Bundesregierung oder an der Kanzlerin.

(Vereinzelter Beifall von der CDU)

Ich glaube, uns alle eint, dass wir derartige Wahlkampfauftritte in Nordrhein-Westfalen oder auch in der gesamten Bundesrepublik nicht wollen – eben weil sie dazu beitragen, die Gesellschaft zu spalten.

Als Integrationspolitikerin sage ich auch ganz deutlich: Ich bin nicht bereit, weiterhin zu akzeptieren,

dass Regierungsvertreter aus der Türkei hierhin kommen und es in ihren Reden in 40, 45 Minuten tatsächlich schaffen, unsere jahrelange integrationspolitische Arbeit mit einem Auftritt zunichtezumachen.

(Beifall von der CDU)

Da müssen wir gemeinsam eine Sprache sprechen, indem wir sagen: Das wollen wir nicht. Diese Vertreter sind hier im Moment unerwünscht. Wir dulden nicht, dass sie dazu beitragen, unsere Gesellschaft weiter zu spalten – nicht nur die Gesellschaft im Sinne von Mehrheitsgesellschaft und Türkeistämmigen, sondern auch die türkische Community selbst.

Deshalb bin ich der Bundesregierung dankbar, dass sie in den letzten Tagen eine sehr, sehr deutliche Sprache spricht, dass der Kanzleramtschef, Herr Altmaier, und auch der Bundesinnenminister der Türkei gegenüber klar und deutlich signalisiert haben, dass ein Einreiseverbot vorbehalten wird, falls sie die verbalen Entgleisungen nicht unterlässt. Das bleibt an dieser Stelle richtig. Nichtsdestotrotz muss man hinzufügen, dass das Ganze für uns alle ein Dilemma ist.

Deshalb finde ich auch den FDP-Antrag nicht fair und in vielen Punkten nicht überzeugend. Von der Bundesregierung jetzt ein Einreiseverbot zu fordern, das wird, glaube ich, nicht zur Deeskalation beitragen. Ich glaube, es wird vor allem Erdogan in die Hände spielen. Und das sollten wir im Moment möglichst vermeiden, auch wenn mir durchaus klar ist, dass ein Einreiseverbot nicht nur das schärfste diplomatische Schwert ist, sondern, wenn nötig, tatsächlich auch eingesetzt werden muss. Aber das jetzt zu fordern, geht heute doch zu weit.

Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, derartigen Auftritten keine Bühne zu bieten. Wir delegieren die Verantwortung damit nicht an die Kommunen, Herr Mostofizadeh, wie Sie gerade sagten. In unserem Antrag steht ganz deutlich, dass alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten

(Zurufe von der SPD)

diese Auftritte vermeiden sollten.

Die Redezeit.

Das hier gegeneinander auszuspielen und eine parteipolitische Nummer daraus zu machen, wie Sie es gerade getan haben, wird der Debatte nicht gerecht. Das zeigt nach außen auch nicht das geschlossene Bild, das wir abgeben sollten. Deshalb: Ihr Auftritt gerade war ein absoluter Fehlauftritt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)