Protokoll der Sitzung vom 05.04.2017

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe ja in gewisser Weise Verständnis dafür, dass die Fraktion der Piraten politisch ihre Schreibtische aufräumt, die Schubladen leert und Anträge wie diesen noch schnell ins Parlament einbringt. Ich hoffe allerdings umgekehrt auch darauf, dass die Piraten Verständnis dafür haben, dass wir hinsichtlich der Abarbeitung der Ergebnisse der Enquetekommission IV bei dem bleiben wollen, was wir erst im Januar – am 26. Januar, glaube ich – hier im Plenum beschlossen haben.

Herr Kollege Becker, Entschuldigung, dass ich Sie gleich zu Beginn unterbreche. Aber Herr Kollege Bayer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ich habe ja noch gar nicht angefangen.

(Heiterkeit)

Ja, ich kann’s nicht ändern. Er hat sich aber eingedrückt.

Ja, gerne.

Bitte schön.

Ich habe eigentlich kein Verständnis dafür, dass Sie Ihre Arbeit in dieser Legislaturperiode nicht abschließen und nicht sagen: „Wir machen das, was wir im Koalitionsvertrag hatten, und bringen das sozusagen gut fertig und erfüllen auch Wahlversprechen“, so wie wir das machen. Deshalb die Frage: Haben Sie denn nicht Verkehrsprojekte, wo Sie sagen, die sollten in dieser Legislaturperiode zumindest sehr gut vorbereitet sein, damit wir sie in der nächsten Legislaturperiode im Sinne einer Verkehrswende verwirklichen können?

Darauf komme ich gleich sehr gerne zurück. Aber wir waren ja bei der Abarbeitung der Ergebnisse der Enquetekommission zur Finanzierung des ÖPNV. Und da haben wir am 26. Januar, glaube ich – jedenfalls in der Plenarsitzung

an einem Donnerstag im Januar –, festgelegt, dass wir diesen Abschlussbericht als Grundlage der Arbeit der Landesregierung im Bereich ÖPNV sehen und die Landesregierung alle zwei Jahre – nach Beginn der neuen Legislatur – im Verkehrsausschuss über den Stand der Dinge berichten soll. Vor allem aber – da will ich gerne offen sein –, wenn es um die Senkung der verkehrsbedingten Emissionen und um die Schaffung einer zuverlässigen Mobilitätsalternative geht, die auch besser angenommen wird, dann setzen wir Sozialdemokraten in der Tat andere Prioritäten als ein Modellversuch Bürgerticket, welches zudem inhaltlich äußerst umstritten ist.

In einem Land, in dem morgens mehr Pendler unterwegs sind als andere Bundesländer Einwohner haben, brauchen wir vor allem eine klare landeseinheitliche Tarifstruktur. Damit müssen wir anfangen. Wir müssen den bestehenden Tarifwirrwarr beenden und den Weg freimachen für ein landesweites NRWTicket und vor allem für ein verbundübergreifendes Jobticket, für das wir außerdem die steuerliche Befreiung vorantreiben müssen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Als Zweites will ich Ihnen sagen, wir brauchen unbedingt ein Auszubildendenticket. Auch das haben wir bei uns im Wahlprogramm stehen. Das Auszubildendenticket werden wir in den nächsten fünf Jahren auf jeden Fall verwirklichen.

Das Nächste ist, wir brauchen eine Entdieselung der ÖPNV-Busflotte. Deshalb ist es gut, dass wir im ÖPNV-Gesetz hierfür ein eigenes Landesprogramm zur Verfügung stellen, und wir werden damit weitermachen, NRW zum Vorreiter des abgasfreien ÖPNV zu machen.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen vernünftige Angebote. Deshalb ist es gut, dass der RRX jetzt endlich kommen wird und wir dessen Umsetzung begleiten werden.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Deshalb ist es gut, dass wir das ÖPNV-Gesetz entfristen konnten, dass die Verkehrsverbünde Planungssicherheit haben.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Und es ist gut, dass wir dank der hervorragenden Verhandlungen der Landesregierung über Jahre mehr Geld in den ÖPNV stecken können, um das Angebot attraktiv zu machen.

(Beifall von der SPD)

Also komme ich zusammenfassend zum Schluss: Nicht nur, weil wir bei der Abarbeitung des Berichtes der Enquetekommission bei dem bleiben wollen, was wir gesagt haben, sondern auch, weil wir andere Prioritäten setzen als die Piraten, werden wir diesen Antrag gleich ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rehbaum.

(CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Täglich grüßt das Murmeltier. Das Bürgerticket der Piraten ist wieder da. Ich habe jetzt nicht mehr mitgezählt, der wievielte Antrag das ist, aber wir können offensichtlich nicht oft genug darüber reden.

(Zuruf von den PIRATEN: Einer weniger als newPark! – Weitere Zurufe)

Für die CDU-Landtagsfraktion ist guter Bus- und Bahnverkehr im ganzen Land ein Herzensanliegen, nicht nur in den Städten, auch auf dem Land.

(Beifall von der CDU)

Guter ÖPNV gehört zur Daseinsvorsorge und – auch das muss festgestellt werden – kostet Geld. Wir haben an dieser Stelle drei Finanzierungssäulen, einmal die Fahrgeldeinnahmen, einmal die sogenannten Fahrgeldsurrogate für vergünstigte Fahrten von Schülern und Schwerbehinderten, und wir haben öffentliche Mittel für die Bezuschussung nicht rentabler Linien. Diese drei Säulen sorgen dafür, weil jede für sich eine Begrenzung darstellt, dass das System effizient bleibt. Ein gewisser finanzieller Druck liegt auf dem System und sorgt für Optimierung. Und dieses System abzuschaffen und alles in eine Umlagefinanzierung umzumünzen, das nimmt den Druck vom System und sorgt dafür, dass es träge wird.

Das Bürgerticket, den ÖPNV für lau, halten wir als CDU-Landtagsfraktion für das falsche Signal. Warum? – Wir haben an der Stelle rechtliche, möglicherweise sogar verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich von Beiträgen, die jedermann zu zahlen hat, denn daraus ergibt sich irgendwo der Anspruch auf eine Leistung, und dieser Anspruch ist dann auch einklagbar. Dann wird es schwierig. Wenn man ein solches Modellprojekt, wie es die Piraten vorschlagen, machen würde, müsste man im Hinterkopf haben, dass man es irgendwann in ganz NRW ausrollt. Das heißt, wir müssten in ganz Nordrhein-Westfalen tatsächlich gleiche Angebotsqualitäten haben, …

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Bravo!)

… gleiche Verhältnisse in Stadt und Land, und das ist gar nicht so einfach.

Erklären Sie mal den Menschen im Kreis Warendorf oder im Kreis Kleve oder im Kreis Höxter, dass sie mit ihren Beiträgen für ein Bürgerticket die U-Bahn in Gelsenkirchen bezahlen sollen. Das ist relativ schwierig.

(Carsten Löcker [SPD]: Sie hätten andersrum fragen müssen!)

Wir brauchen an der Stelle sicherlich eine Annäherung der Verkehrsverhältnisse, aber es ist ja utopisch, für gleiche Verkehrsverhältnisse im ganzen Land zu sorgen.

Dieser Ausbau, den die Piraten gerne wünschen, dass wir überall ganz gleiche Verkehrs- und Angebotsverhältnisse haben, würde eine gigantische Kostensteigerung im ÖPNV bedeuten und würde letztendlich zu einer Belastung aller Bürger führen. Denn wer zahlt am Ende das Bürgerticket? – Es sind die Bürger. Und der Effekt ist ja auch überschaubar.

Herr Bayer, wir waren zusammen in Tallinn. Dort hat man das Bürgerticket eingeführt, und das Ergebnis war – das muss man sagen – doch recht ernüchternd. Man hat im kleinen einstelligen Prozentbereich zusätzliche Fahrgäste gewonnen, und noch immer fahren erheblich viele Menschen mit dem Pkw durch die Stadt Tallinn. Es geht eben nicht so einfach, nur alles umsonst anzubieten, und schon schwingen sich alle Menschen vom Auto in die Busse. So einfach geht das nicht.

Wenn wir den Umstieg auf Bus und Bahn wirklich wollen, wenn wir es damit ernst meinen, müssen wir das System, das Angebot attraktiv gestalten. Wir müssen es verbessern, und wir müssen dazu jede Finanzquelle nutzen. „ÖPNV für lau“ sorgt noch lange nicht für bessere Fahrpläne, es sorgt nicht für neue Fahrzeuge, und es sorgt nicht für die Innovation bei der Elektromobilität.

Die CDU ist für guten ÖPNV, und guter ÖPNV ist sein Geld wert. Das Bürgerticket der Piraten allerdings würde die Menschen, würde man es einführen, teuer zu stehen kommen. Deswegen lehnen wir es ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Beu.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen setzen beim Thema „Mobilität“ auf gute Angebote und Freiwilligkeit – jederzeit, überall, einfach und sozial gerecht, in ganz Nordrhein-Westfalen. Das ist unser Credo, und dazu gehört zum Beispiel, für 2 € am Tag in unserem Bundesland mit Bus und Bahn landesweit mobil sein zu können. Die Piraten dagegen haben eher Muss-Vorstellungen. Davon zeugt der Antrag, den wir heute beraten. Darum sehen wir Grünen diesen Antrag auch kritisch.

Doch leider wird in der Diskussion das eine mit dem anderen vermischt. Dabei sind die Unterschiede zwischen der Zwangsfinanzierung, die die Piraten fordern, und den grünen Vorstellungen von „Mobilität ermöglichen“ ganz klar. Einige wichtige Unterschiede will ich benennen, um zu zeigen, wieso wir Grünen den Antrag der Piraten hier kritisieren.

Erstens: Zwang versus Freiwilligkeit. In der Mobilität hat man einige Zeit von Push-und-Pull-Methoden gesprochen. Per Push werden die Verkehrsteilnehmenden zu positivem Handeln gezwungen, mittels PullMethoden werden sie dazu innerlich motiviert. Zwei Beispiele: Weniger Parkplätze am Arbeitsort machen es attraktiver, den Arbeitsplatz mit Bus und Bahn zu erreichen. Ein Fitnessangebot, ein Fitnessrabatt der Krankenkassen kann Werktätige dazu veranlassen, öfter einmal mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.

Wir Grüne haben einige Erfahrung mit der Frage, wie man richtig zu einem für Mensch, Umwelt und Natur sinnvollen Verhalten motiviert. Genau deswegen sind wir – allen Vorurteilen zum Trotz – besonders zurückhaltend, wenn Menschen zwangsbeglückt werden sollen.

Zweitens: die Rechtsfrage. Auch manche Grüne denken über den „ticketlosen Nahverkehr“ nach. Das richtige Ergebnis lautet aber: Wenn man so etwas überhaupt machen möchte, dann müssten erst auf der Bundesebene die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Ich bin ansonsten mehr als skeptisch, ob ein Testversuch rechtlich so überhaupt zulässig wäre.

Drittens, die Gretchenfrage: die Gerechtigkeitsfrage. Nun sind wir beim zentralen Problem. Die Piraten fordern, die Bürgerinnen und Bürger einer geeigneten nordrhein-westfälischen Stadt mit einer ÖPNVZwangsabgabe zu beglücken. So etwas gibt es zum Beispiel in Form des Rundfunkbeitrags für die öffentlich-rechtlichen Sender. Auf den verschiedenen Übertragungskanälen kann jede Bürgerin und jeder Bürger das gleiche Fernseh- und Radioangebot nutzen.

Herr Kollege Beu, Entschuldigung, dass ich jetzt auch Sie unterbreche. Herr Kollege Bayer würde gerne auch Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Ja, aber gerne.

Vielen Dank, Herr Beu. Sie sagten gerade, Sie würden bezweifeln, dass dies rechtlich zulässig wäre. Ist es aber nicht so, dass wir im Landtag die Gesetze auch ändern könnten und dass genau die Gesetze, die geändert werden müssten, damit die Kommunen das erheben können, im