Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

(Beifall von den PIRATEN)

Dabei liegen uns doch die Erkenntnisse, die davon wegführen, längst vor. Mittlerweile ist mehrfach bewiesen, was Hans-Jochen Vogel schon 1972 wusste. Zitate sprechen ja Wahres: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“

Der Ausbau des Straßennetzes führt dazu, dass der Autoverkehr innerhalb von zehn Jahren in gleicher Stärke zunimmt wie der Ausbau. Mit den geplanten Investitionen in Straßen kündigen Sie also mit jedem neuen Kilometer Straße dauerhaft ebenso viele neue Staukilometer an. Die Medienmeldungen über Staus, die hier so gerne zitiert werden, würden auf ewig weitergehen und damit auch immer wiederkehrende Plenaranträge zu Staus und Problemen mit der Verkehrsinfrastruktur. Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich?

Das Jahrzehnt der Baustellen, dem dann ein Zeitalter des freien Autofahrens folgt, ist ein Märchen. Es ist eine ganz, ganz billige Ausrede, um so weiterzumachen wie bisher. Mittlerweile glaube ich, dass wir gar keinen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik benötigen; denn dieser müsste ja von den beteiligten Akteuren ausgehen. Nein, wir benötigen eine Revolution, und zwar selbstverständlich – ich schaue zu Herrn Rehbaum – mit Bus und Bahn fahrscheinfrei und dem massiven Ausbau des ÖPNV mit der frühen Einbindung von fahrerlosen Fahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr.

Digital und fahrscheinfrei sind zwei Elemente für die Verkehrsrevolution. Es fehlt noch ein drittes Element: ein neuer Verkehrsminister oder eine Verkehrsministerin mit einer echten, realen Vision und der Vorstellung von einem Weg dahin.

(Jochen Ott [SPD]: Aber die hat der Minister doch!)

Mit einer Vision für Menschen, die keine Lust auf Stau und Zeitverschwendung haben, egal – das ist der Unterschied –, ob Auto- oder Bahnfahrende.

(Henning Rehbaum [CDU]: Surreal! – Jochen Ott [SPD]: Er hat deutliche Visionen! Haben Sie nicht zugehört, Herr Bayer? – Weitere Zu- rufe)

Die Farbe ist mir an der Stelle zuerst mal egal. Hier tut sich zumindest bei den vier Parteien sowieso nichts, was einen Unterschied bringen könnte.

Ein Wort zu Straßen.NRW: Natürlich benötigen wir dort Fachpersonal, schon alleine, um den Erhalt der Straßen zu gewährleisten. Kompetenz wird selbstverständlich bei Straßen.NRW benötigt, aber eben nicht bei Privaten und nur zweitrangig bei einer Bundesautobahngesellschaft. Das gilt allerdings völlig unabhängig davon, ob es um große Straßenneubauprojekte geht oder nicht.

Sie wissen, ich setze mich mit der Piratenfraktion seit 2012 für die moderne digitale Verkehrswende mit fahrscheinfreiem Nahverkehr und einem in den ÖPNV integrierten autonomen Fahren ein. Ich arbeite an mehr Lebensqualität in der Zukunft Nordrhein-Westfalens. Sie aber lieben die 60er- und 70erJahre und die autogerechten Städte. Ich frage mich da wirklich, wer dann eigentlich der realitätsferne Romantiker ist.

Das Geld des Bundesverkehrswegeplans muss in sinnvolle, nachhaltige und zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur und Mobilität investiert werden. Der bestehende Bundesverkehrswegeplan setzt die falschen Prioritäten und hilft uns da nicht weiter. Wir benötigen die smartgerechte Verkehrswende, und wir brauchen entsprechende Visionen.

Ich könnte mir vorstellen, dass Minister Groschek uns vielleicht jetzt seine Visionen bekannt gibt. Es wäre aber etwas Neues. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Gegen Stau hilft Bau.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb bauen wir, dass die Schwarte kracht. Wir lassen Bagger rollen. Ich habe mich gefreut, der erste Verkehrsminister dieses Landes gewesen zu sein, der gleich 13 Bagger bei der Firma HEITKAMP getauft hat.

(Zuruf: Wie heißen sie denn? – Vereinzelt Hei- terkeit von der SPD)

Das ist ein Mentalitätswechsel, der dem Land gut tut.

(Jochen Ott [SPD]: Sehr gut! Bravo!)

Warum? Weil wir das Land entlang der Schienen und Autobahnen in einem Jahrzehnt der Baustelle umgraben. Das ist kein Widerspruch zu dem von uns angestrebten Modell der integrierten Mobilität, sondern Voraussetzung dafür, dass Menschen und Güter von A nach B transportiert werden können; denn Stau ist das umweltunverträglichste Verkehrsmittel, das man sich vorstellen kann.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jo- chen Ott [SPD]: So ist es!)

Deshalb müssen wir die Menschen und die Güter mobil machen. Wir können keine Autobahnen neu bauen, die in der Vergangenheit nicht gebaut wurden. Aber wir können vorhandene Infrastruktur durch

Ausbau, durch Engpassbeseitigung, durch Lückenschluss und durch Digitalisierung leistungsfähiger machen. Wir benötigen so etwas wie Blockverdichtung auf Schiene und Straße, um vorhandene Infrastruktur optimiert zu nutzen.

Der Bund hat endlich geliefert. An Geld ist kein Mangel bei Schiene und Straße, wenn man – damit wir das nicht wiederkäuen müssen – von Münster–Lünen und dem Eisernen Rhein absieht.

Die Planung läuft auf Hochtouren. Wir haben in 2016 über 1 Milliarde € an Baureife produziert. Wir haben in 2016 ein Allzeithoch von 1,1 Milliarden € Umsatz mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW gemacht. Dort leistet man mit der Hälfte Personals, das in Bayern eingesetzt wurde, mindestens so gute Arbeit wie die Bayern selbst; denn in Bayern gab es nie den Privatvor-Staat-Irrtum. Die bayerische Straßenbauverwaltung hat eine preußische Struktur. Da gibt es kein Ausgliedern, keine AöR, keine GmbH und keine Aktiengesellschaft, sondern nur den Beamtenapparat. Wir müssen das mit 50 % des bayerischen Niveaus schaffen, und wir sind mindestens genauso gut.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: So ist das! Bravo!)

Lassen Sie uns also gemeinsam arbeiten.

Jetzt zu dem Planungsprozess: Das Planungsprogramm ist in Arbeit; das ist eine Binsenweisheit. Wir werden es im Sommer vorlegen. Im Übrigen ist Baden-Württemberg ausdrücklich kein Vorbild dabei. Kein Vorbild!

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Erstens ist die Fahrleistung in Nordrhein-Westfalen per anno doppelt so hoch. Zweitens müssen wir 14 Milliarden € verbauen; Baden-Württemberg dagegen gerade einmal 6 Milliarden €. Deshalb haben wir in der Perspektive ganz klare Priorisierungen, die rein funktional von Mobilitätsgewinnen abhängig sind. Die oberste Priorität haben die vier herausragenden VBE-Projekte: Das ist der Ausbau der A3. Das ist der Ausbau der A45. Das ist der Ausbau der A42. Das ist die Brücke Godorf mit den Anschlussmöglichkeiten, die notwendig sind, um sie in das Netz einzupassen.

(Jochen Ott [SPD]: Ganz wichtig!)

Dann gibt es natürlich den weiteren Bedarf. Da gibt es die Notwendigkeit von Lückenschlüssen. Da gibt es die Notwendigkeiten der Beseitigung von Verkehrsengpässen und Unfallgefahrenstellen. Und wir dürfen unsere Bröckelbrücken nicht vergessen. Die haben allerhöchste Priorität im Ersatzneubau. Denn außer der Godorfer Brücke bauen wir keine Brücke neu, sondern wir ersetzen nur alt gegen neu.

Was die Visionen angeht, ist es kein Widerspruch, zu sagen: Die autogerechte Stadt gehört der Vergangenheit an. – Das machen uns jetzt die Amerikaner vor. Ich bedaure nichts mehr, als dass Bocholt und

Münster die einzigen nordrhein-westfälischen Städte sind, die eine anspruchsvolle Zweiradmobilität gewährleisten. Es ist völlig unverständlich, warum Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund nicht dazu sind in der Lage sind, die Zeichen der Zeit in praktische kommunale Verkehrskonzepte zu überführen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU)

Ich finde es unverständlich, warum dem Rad so wenig Raum eingeräumt und so wenig Infrastruktur gegönnt wird, während die Abstellfläche für das Auto Priorität genießt. In den Städten muss gelten: Platz da für Roller und Rollatoren! In den Städten muss gelten: Schluss mit der Platzvergeudung für abgestellte Autos!

Mobilität von Menschen, Begegnung von Menschen muss in der Prioritätenliste nach oben gehen, und das Automobil muss in der Prioritätenliste weit hinten landen. Das hat zunächst nichts damit zu tun, ob es elektrisch oder mit Verbrennungsmotor angetrieben wird, sondern damit, dass die Menschen ihre Füße und zwei Räder als Mobilitätsvehikel entdecken müssen.

Deshalb waren wir wohl gut beraten, im Gegensatz zum Bund die Spartenperspektive des Verkehrs zu überwinden, integrierte Mobilität zum Leitbild zu nehmen, und das haben wir unter der Überschrift „NRW mobil 2030“ beim Fraunhofer Institut beauftragt. Ich freue mich mit Ihnen gemeinsam, diesen Prozess bis 2030 zu begleiten. In diesem Sinne: Glück auf!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Yeah!)

Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute und zwölf Sekunden überzogen. Aber die anderen Fraktionen hatten vorher ihre Redezeit auch schon überzogen – mit Ausnahme der SPD-Fraktion –, sodass ich im Moment nicht von weiteren Wortmeldungen ausgehe.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14653. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14653 mit den Stimmen von SPD, Grünen, der Piratenfaktion und des fraktionslosen Abgeordneten Stüttgen abgelehnt. Zugestimmt haben die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Schulz.

Ich rufe auf:

15 „Streckungsfonds“ der Landesregierung soll

steigende Energiekosten kommenden Generationen aufbürden – NRW benötigt mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik statt schuldenfinanzierte Schattenhaushalte

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/13543

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk Drucksache 16/14687

Ich möchte noch einen Hinweis geben. Der Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/13543 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk mit der Maßgabe überwiesen, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk liegen mit Drucksache 16/14687 vor.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben (Anlage 3).

Wir kommen somit zur beantragten direkten Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk empfiehlt in Drucksache 16/14687, den Antrag Drucksache 16/13543 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/13543 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Die FDP stimmt zu. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/13543 mit den Stimmen von SPD, Grünen, der Piratenfraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Stüttgen bei Enthaltung der CDU-Fraktion abgelehnt. – Ich höre gerade, Herr Schulz hat sich auch enthalten. Ich habe nicht gesehen, dass er wieder da ist. Er ging vorhin raus. – Danke schön.