Protokoll der Sitzung vom 07.04.2017

Wir kommen damit sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wir stimmen über den Inhalt des Antrags ab. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDUFraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP, die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag Drucksache 16/13527 mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

12 Überwachung und Datenzugriff im Bereich der

Telekommunikation, Fortsetzung: Werden

Funkzellenabfragen, Stille SMS und IMSICatcher zum Standard bei Ermittlungen nordrhein-westfälischer Sicherheitsbehörden?

Große Anfrage 23 der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/13803

Antwort der Landesregierung Drucksache 16/14528

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Herrmann hat für die Piraten das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer am Stream! Die Große Anfrage der Piraten zum Einsatz von Funkzellenabfragen, IMSICatchern, sogenannten Stillen SMS und anderen Maßnahmen aus dem digitalen Überwachungsinstrumentarium umfasst ein Themengebiet, dem wir Piraten uns immer wieder gewidmet haben – dem Schutz der Grund- und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter.

Wir haben in dieser Legislaturperiode mit zwei Großen Anfragen versucht, etwas Licht in das dunkle Verlies der digitalen Überwachungs- und Kontrollabteilungen der Sicherheitsbehörden zu bringen. Die Ergebnisse sind in mehrerlei Hinsicht erschreckend, zunächst wegen der Menge der Abfragen. 7.249 nichtindividualisierte Funkzellenabfragen – das klingt zunächst nicht viel; es sind aber doppelt so viele wie bei unserer ersten Anfrage vor drei Jahren. Wie viele Menschen betroffen sind, wird leider nicht erfasst.

In Schleswig-Holstein, einem ländlich geprägten Bundesland, in dem die Piraten ähnliche Anfragen gestellt haben, betrifft eine einzelne Funkzellenabfrage im Schnitt 15.000 Menschen. Rechnet man diese sehr konservative Zahl für NRW um, hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen 108 Millionen Menschen im Land erfasst, also jeden Bürger in NRW sechsmal im Jahr. Es kann auch ein Mehrfaches davon gewesen sein, was ich vermute. Die Landesregierung erfasst dazu leider keine Informationen. Es ist ihr wohl egal. Das ist kein grundrechtsfreundliches Verhalten, wie ich finde.

Mit dem digitalen Datenstaubsauger, dem IMSICatcher, werden völlig wahllos und ohne jede Art von technischen Schutzeinrichtungen Personen überwacht. Die Kommunikation von Rechtsanwälten, Ärzten, Priestern, ja sogar Abgeordneten wird überwacht, friedliche Versammlungen werden überwacht. Die Antwort der Landesregierung führt nichts zu technischen oder organisatorischen Maßnahmen aus, um diese Personenkreise beim Einsatz von IMSI-Catchern zu schützen. Es gibt also keine Maßnahmen. Das Fernmeldegeheimnis ist in NRW also nichts mehr wert. Die Landesregierung erweckt nicht einmal mehr den Anschein, als gehe man sorgfältig mit dieser Digitalwaffe um.

Wenn nun also jeder Bürger in Nordrhein-Westfalen mindestens sechsmal im Jahr betroffen ist, ist das dann noch verhältnismäßig? Stichwort: Ultima Ratio. Eine Maßnahme, die als Ultima Ratio nur dann angewendet werden darf, wenn andere Ermittlungsmethoden keinen Erfolg mehr versprechen – so steht es eigentlich im Gesetz zur Anwendung der Funkzellenabfrage –, verkommt hier offensichtlich zur polizeilichen Standardmaßnahme. Gleichzeitig verletzt die Landesregierung hier wiederholt und bewusst das Recht der Betroffenen, über Eingriffe in ihre Grundrechte informiert zu werden. – Sie tut es einfach nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser freiheitlichdemokratischer Rechtsstaat kann durch keine Bombe der Welt erschüttert werden. Kein Terroranschlag vermag es, unsere Werte zu zerstören. – So heißt es immer wieder. Dabei zerstören wir gerade die Fundamente unserer Demokratie, weil wir immer mehr Instrumente zur Überwachung einsetzen, um so zu versuchen, nicht vorhersehbare Ereignisse zu verhindern.

Erschreckend dabei ist: Fakten zur Evaluierung der Wirksamkeit dieser Instrumente werden nicht erfasst. Dies haben leider beide Großen Anfragen gezeigt.

Worauf es ankommt, ist Haltung in der Politik sowie die Stärke, um den reflexhaften Rufen nach weitergehenden Maßnahmen und noch größeren Einschränkungen unserer Grundrechte zu widerstehen. Unser demokratischer und freiheitlicher Rechtsstaat muss aktiv verteidigt und geschützt werden. Die gefährliche Spirale der Anti-Grundrechts-Gesetzespakete seit 2001 muss gestoppt werden. Die Freiheit schützt man nicht, indem man sie aufgibt. Man schützt die Freiheit auch nicht, indem man sie einschnürt. Die Schlinge der Überwachungsmaßnahmen zieht sich aber leider immer weiter zu.

Meine Damen und Herren, ich richte mein Wort an all die, die in der nächsten Legislaturperiode im Landtag vertreten sind. Ich fordere Sie auf, nicht länger dem Narrativ der CDU – Sicherheit versus Freiheit – zu folgen. Die Sicherheit dient der Freiheit, und es ist die Aufgabe eines jeden den Bürgerrechten verpflichteten Rechtsstaates, diese Freiheit zu schützen und zu sichern. Das bedeutet auch, nicht alles zu tun, was technisch machbar ist, sondern sich auch bewusst Grenzen zu setzen, um Freiräume zu schützen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke, Herr Kollege Hermann. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kolleginnen und Kollegen der Piraten haben sich in dieser Wahlperiode sehr intensiv dem Anliegen der informationellen Selbstbestimmung gewidmet. Ich erkenne durchaus an, dass Sie da ein ernstes Anliegen haben. Wir haben schon im Ausschuss und auch im Plenum mehrfach darüber debattiert.

Lassen Sie mich aber deutlich machen, dass das Bild, welches Sie von der Praxis in Nordrhein-Westfalen haben, nicht mit dem Bild übereinstimmt, das andere in diesem Haus davon haben. Denn Sie vergessen bei ihrer Aufzählung aus meiner Sicht zwei Dinge:

Erstens. Sie vergessen, dass es sich nicht um wahllose und unbestimmte Maßnahmen handelt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Nicht individua- lisierte Funkzellenabfragung!)

Ich habe mich kürzlich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 100a der Strafprozessordnung auseinandergesetzt. Ich finde, die Leitsätze sind da wirklich instruktiv und zeigen sehr schön, dass es zum einen eines tatsächlich wichtigen Anlasses bedarf und ein Richtervorbehalt benötigt wird, und dass zum anderen bei Gefahr im Vollzug die Maßnahme auch von Staatsanwaltschaften angeordnet werden kann, dies aber innerhalb einer kurzen Frist der Überprüfung unterliegt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wieviel Zeit bleibt den Richtern, wenn sie 20 Abfragen an einem Tag bearbeiten müssen?)

Insoweit ist das nicht wahllos, sondern es unterliegt einer engen rechtsstaatlichen Kontrolle.

Dass es in diesem Bereich womöglich zu einem Abwägungsprozess kommt, ist vollkommen klar. Deshalb beschränken wir uns im Allgemeinen und insbesondere – ich sehr stolz darauf, dass der Koalitionspartner und wir hier intensiv zusammengearbeitet haben – im Bereich unseres Polizeigesetzes auch auf schwere Kriminalität. Insoweit ist eine rechtsstaatliche Kontrolle durchaus gegeben.

Zweitens. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Maßnahmen vom Grunde her nicht erfolgen, um zu überwachen. Zu den Fällen, die mich überzeugt haben, gehörte die Verhinderung möglicher Suizide sowie das Auffinden von Personen, die sich in hilfloser Lage befinden, und Ähnliches mehr.

All das hat aber noch einen weiteren Hintergrund, und da könnte leicht eine Grenze überschritten werden: Wir reden ja nicht über Kommunikationsinhalte, sondern wir reden im Wesentlichen über Kommunikationsdaten. Die sind allerdings auch schützenswert; da sind wir ganz nah bei Ihnen.

Es war verdienstvoll und wichtig, dass Sie die Diskussion immer wieder angerissen haben. Wir können uns Ihren Bedenken jedoch nicht anschließen, wenn es darum geht, die Praxis in unserem Lande zu kritisieren. Insoweit bedanke ich mich im Namen meiner Fraktion für die wertvolle Diskussionen, die wir mit Ihnen geführt haben. Im Ergebnis können wir Ihren Bedenken aber nicht beitreten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rickfelder.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Digitale Kommunikations- und Informationssysteme sowie die entsprechenden Netze werden inzwischen immer öfter zu Hilfsmitteln bei Straftaten. Eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung setzt daher voraus, dass auch die Strafverfolgungsbehörden diese vorhandenen technischen Möglichkeiten nutzen können, um die Straftaten zu bekämpfen.

Dazu gehören auch die in der Großen Anfrage der Piraten thematisierten Funkzellenabfragen, Ortungsimpulse usw. Bei diesen strafprozessualen Möglichkeiten werden – und darauf weist die Landesregierung zu Recht hin – keine Kommunikationsinhalte erfasst. Diese Maßnahmen werden zudem ausschließlich auf der Basis eines richterlichen Beschlusses oder bei Gefahr in Verzug aufgrund staatsanwaltschaftlicher Anordnung durchgeführt. Herr Körfges hat das gerade auch schon erklärt. Diese muss dann binnen drei Tagen noch richterlich bestätigt werden.

Dies alles macht deutlich, dass der Einsatz dieser strafprozessualen Maßnahmen strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterliegt. Die von der Landesregierung mitgeteilten Fallzahlen lassen auch aus Sicht der CDU-Fraktion außerdem den Schluss zu, dass die Polizeibehörden in NRW sehr verantwortungsvoll mit diesen Möglichkeiten umgehen.

Eine darüber hinaus gehende Interpretation der von den Piraten erfragten Fallzahlen dürfte kaum möglich sein. Weshalb sich der Landtag vor diesem Hintergrund überhaupt vertieft mit dieser Thematik befassen sollte, ist aus Sicht der CDU-Fraktion nicht erkennbar.

Abschließend möchte ich gerne noch persönlich erklären – das ist mir als ehemaligem Polizeibeamten doch sehr wichtig –, dass bei Ihren politischen Aktivitäten immer wieder das Gefühl entsteht, Polizeibeamtinnen und -beamte unter einen Generalverdacht zu stellen. Das macht mich schon ein wenig betroffen. Ich weiß, dass die Polizisten in unserem Land rechtsstaatlich arbeiten. Es wäre schön, wenn Sie das endlich zur Kenntnis nähmen.

(Beifall von der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies war – wenn auch eine kurze – meine letzte Rede heute hier. Ich möchte die Gelegenheit zum Anlass nehmen, mich für die Kollegialität und den Respekt, den ich hier erfahren habe, zu bedanken. Ich wünsche Ihnen und dem Land Nordrhein-Westfalen für die Zukunft Gottes Segen. – Danke schön.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Rickfelder, für Ihre Rede, aber auch für

Ihre Arbeit hier im Landtag Nordrhein-Westfalen. Das Parlament wünscht Ihnen – sicherlich fraktionsübergreifend – für die Zukunft alles, alles Gute! Vielen Dank!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Rickfelder, auch von meiner Seite wünsche ich Ihnen alles Gute. Vielen Dank für die Zusammenarbeit im Innenausschuss, die ja nicht ganz so einfach ist wie beispielsweise die Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur und Medien, der beim Tagesordnungspunkt davor eine Rolle gespielt hat.

Ich muss Ihnen aber trotzdem direkt widersprechen. Ich meine, es ist durchaus sinnvoll, dass die Piratenfraktion im Rahmen von zwei Großen Anfragen auf das Thema „Stille SMS, Funkzellenabfragen, IMSI- und WLAN-Catcher“ aufmerksam gemacht hat, weil das eben durchaus mit Grundrechtseingriffen verbunden ist. Das mögen gegenüber vielen anderen Maßnahmen, die bei den Sicherheitsbehörden auch möglich sind, für den individuell Betroffenen mildere Grundrechtseingriffe sein – das stimmt –, aber es sind eben auch viele Personen betroffen. Insofern ist es durchaus richtig, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Nichtsdestotrotz muss man sich dann auch jeweils die Grenzen vor Augen führen, die das Zahlenwerk, das Sie jetzt zweimal abgefragt haben, hat. Man kann nicht – wie Sie das manchmal suggerieren, Herr Kollege Herrmann – sagen: Es gibt soundso viele Funkzellenabfragen oder soundso viele Stille SMS, und das legen wir neben Ermittlungserfolge. Dadurch haben wir dann eine einfache Gleichung

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

das kommt manchmal in Ihren Debattenbeiträgen vor –, wie angemessen, wie verhältnismäßig, wie sinnvoll das eine oder andere Mittel ist. – Das ist doch eine etwas komplexere Frage. Nichtsdestotrotz haben Sie durchaus immer wieder Anlass geboten, darüber zu diskutieren.