Als einkommensarm galt man 2010, wenn man über ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen von monatlich weniger als 815 € verfügte. Herr Schneider, Sie sprachen von 830 €. Auch da sind die wissenschaftlichen Wege der Berechnung wieder unterschiedlich.
833 €. – Im Fall von zwei Erwachsenen mit zwei Kindern im Alter von unter 14 Jahren lag die Armutsschwelle bei 1.711 € pro Monat. Danach galt 2010 jede siebte Person in NRW als von relativer Einkommensarmut betroffen.
Es gibt jedoch deutliche regionale Unterschiede bei der Verteilung des Armutsrisikos. So lag die Armutsrisikoquote im Ruhrgebiet bei 17,9 %, was mir besondere Sorgen macht, im Münsterland jedoch nur bei 11,8 %. In Südwestfalen, wo ich auch verantwortlich zeichne, lag sie bei 13,6 %. – Das in der immerhin drittstärksten Wirtschaftsregion der Bundesrepublik.
Die Armutsrisikoquote ist, wie der Sozialbericht besagt, trotz einer positiven Wirtschaftsentwicklung in 2011 auf 15,8 % gestiegen. In diesem Zusammenhang sollten wir aufpassen, dass hier nicht eine weitere Deindustrialisierung stattfindet, wie sie gerade von den Grünen forciert wird.
Aufgrund der regionalen Unterschiede hinsichtlich des Armutsrisikos sollten Maßnahmen der Armutsbekämpfung nicht mit der Gießkanne verteilt werden, sondern sehr gezielt und bezogen auf die Lage in der jeweiligen Region, die ich gerade mit den Prozentzahlen beschrieben habe, zum Einsatz kommen.
Gleichwohl bedarf es eines stringenten Gesamtkonzepts und Rahmenbedingungen in Gestalt regional flexibel zu nutzender Strukturen, die der demografischen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen Rechnung tragen.
Gleichzeitig ist zu bedenken, dass der Armutsbegriff weit über die materielle Armut hinausgeht. Und da, liebe Grünossen – Entschuldigung; für die Koalition, in der die Neoasketen das Sagen haben, fiel mir nichts anderes ein –, geht es nicht nur um das Materielle. Es gibt eine soziale Armut, wenn Personen fehlen, die soziale Unterstützung leisten. Von Armut
spricht man beispielsweise auch dann, wenn der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigt ist und es Menschen verwehrt wird, ihre Talente zu entfalten und für sich selbst bzw. für ihre Familien sorgen zu können.
Armut ist ebenso wie Reichtum – das darf man nicht vergessen – ein komplexes Geschehen und verdient eine umfassende und sachliche Analyse der Fakten und der Lebenslagen. Es darf auf keinen Fall geschehen, dass von Armut oder vom Armutsrisiko betroffene Menschen, vor allem Kinder, zum Zwecke eines leicht durchschaubaren Populismus instrumentalisiert werden.
Zudem besteht bei einer undifferenzierten und letztlich inflationären Verwendung des Armutsbegriffs die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit und die Sensibilität der Bevölkerung insgesamt nachlassen.
Genau. Das ist nämlich der Abstumpfungseffekt dabei. – Meine Damen und Herren, unabhängig von allen Details und Befunden zu Einkommensentwicklung und Lebenslagen im Einzelnen gilt: Die elementare Grundlage jeder wirksamen Unterstützung beginnt mit dem Respekt vor den Mitmenschen. Respekt bedeutet, dass man Menschen die Scham nimmt und dazu beiträgt, Hilfe von anderen anzunehmen. Es bedeutet auch, dass man den betroffenen Personen zutraut, dass sie ihre Lage positiv verändern können und dass sie durch eine angemessene Unterstützung aus der Armutssituation herausfinden.
Wir wissen jedoch auch, dass dies nicht in jedem Fall machbar ist. Wir sollten aber alle Chancen und Möglichkeiten nutzen, hier zu helfen.
Ein überdurchschnittliches Armutsrisiko tragen Kinder und junge Erwachsene. Leider sind sie dadurch zusätzlich belastet; denn anstelle von Unterstützung und Ermutigung erleben sie offenbar häufig, dass sie ausgegrenzt werden. Auf diese Weise vergrößern sich Selbstzweifel und das Gefühl von Wertlosigkeit.
Falls Kinder regelmäßig solche Erfahrungen machen, ist es äußerst schwer, ihnen gewissermaßen von außen zu vermitteln, dass sich die Anstrengung des Lernens in der Schule lohnt und dass sie an sich und ihre Fähigkeiten glauben sollen. Doch diese Motivation und die Ermutigung zur Bildung sind unerlässlich, weil Bildung Lebenschancen eröffnet und deshalb das wirksamste Mittel gegen spätere Armut ist.
Das beginnt, wie wir immer häufiger feststellen, schon im Vorschulalter. Darum war es richtig und wichtig, dass die schwarz-gelbe Landesregierung während ihrer Amtszeit mit dem Kinderbildungsgesetz und den Familienzentren entscheidende
Meine Damen und Herren, gerade junge Menschen ohne einen Schulabschluss haben große Probleme auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, auf dem die fachlichen Anforderungen nicht zuletzt aufgrund des technologischen Fortschritts steigen.
Programme zur Senkung der Zahl der Schulabbrüche bilden einen wichtigen Baustein zur Verhinderung einer prekären Zukunft. Deshalb leisten Initiativen aus der Zeit der schwarz-gelben Landesregierung, die sich gegen den vorzeitigen Schulabbruch richten, nach wie vor einen bedeutsamen Beitrag.
Gefördert werden müssen dabei die frühzeitige Berufs- und Praxisorientierung – damit fangen wir jetzt sogar im 8. Schuljahr an –, eine ebenso frühzeitige wie kontinuierliche Sprachförderung und der weitere gleichberechtigte Ausbau des Ganztagsangebots. Last, but not least muss eine flächendeckende Verankerung der individuellen Förderung kontinuierlich gestärkt werden, um Jugendlichen überhaupt die entsprechenden Chancen zu bieten.
Allerdings müssen Rot-Grün oder die Grünossen sicherstellen, dass nicht eine große Zahl der Kinder benachteiligt wird. Auch in der Bildungspolitik gilt das Prinzip des Förderns und Forderns – übrigens von Ihrer Regierung damals sehr gut aufgestellt. Eine Absenkung von Leistungs- und Qualitätsstandards nützt den Kindern und Jugendlichen nur scheinbar.
Richtig ist in jedem Fall, den Übergang von Schule zu Beruf zu verbessern. Es kommt darauf an, eigene Stärken und Talente zu erkennen und zu erfahren, wie man diese in bestimmten Berufen einbringen kann.
Von besonderer Wichtigkeit ist, dass die Vielfalt der Ausbildungsberufe und die damit verbundenen Perspektiven besser bekannt werden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kinder von Alleinerziehenden besonders benachteiligt sind. Das gilt nach wie vor und insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund.
Meine Damen und Herren insbesondere von RotGrün, lassen Sie mich meinen Vortrag mit Ausführungen, die nicht im Sozialbericht stehen, beenden.
Es hilft nicht weiter, wenn wir wechselseitig nur über mögliche Fehler der anderen Parteien meckern. Defizite müssen klar benannt werden. Umgekehrt darf es aber nicht zum Wettbewerb um miesepetrige Interpretationen von Statistiken und schlechten Schlagzeilen kommen. Ich habe manchmal das Gefühl – die Kommentierung in der „Wirtschaftswoche“ dieser Tage sah es ähnlich –, dass manche Politiker und Organisationen mit bewusst negativen Interpretationen ihre eigene Notwendigkeit und Relevanz erklären müssen. Dabei habe ich bei manchen Organisationen mittlerweile den Eindruck, die größte Sorge ist, dass die Zinsen fürs Festgeldkonto sinken.
Es ist richtig, auf soziale Probleme ohne Wenn und Aber hinzuweisen, aber man sollte den Bogen nicht überspannen und eine Chancenlosigkeit nicht künstlich herbeireden. Das führt zu einer schleichenden Entmutigung und Frustration.
In Deutschland glaubt inzwischen ein Großteil der Jugendlichen aus sogenannten einfachen Verhältnissen – ich meine, Herr Preuß hat das auch erklärt – nicht mehr an einen Aufstieg, obwohl die Fakten dagegen sprechen. Meine Damen und Herren, Spanien, Italien und weitere europäische Staaten haben eine Jugendarbeitslosigkeit von 50 %. Das ist hier anders. Wir kommen in den meisten wirtschaftlichen Regionen gar nicht in den zweistelligen Bereich hinein.
Bei allem, was wir zu Recht kritisieren und verbessern wollen: Warum können wir nicht anerkennen, dass es bei uns im Vergleich zu unseren Nachbarn viel bessere Aufstiegschancen gibt? Der deutsche Sozialstaat ist besser als sein Ruf. Er bietet viele Chancen, weil er auf Fördern und Fordern setzt.
Und dennoch zeigt nicht nur dieser Sozialbericht, dass wir ihn weiterentwickeln müssen, was aber nicht heißt, liebe Grünossen, dass wir ihn noch weiter ausbauen müssen.
Im Wettstreit der demokratischen Parteien kann ich nur eines sagen: Andere Parteien setzen zuerst auf höhere materielle Leistungen, wir Liberalen setzen vor allem darauf, die Schwächeren zu ertüchtigen, sie selber stark zu machen. – Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Wir halten uns ans Grundgesetz. Da sind wir konservativ. So haben wir es im Landtagswahlkampf plakatiert, und das nehmen wir sehr ernst.
Ein Blick in das Grundgesetz hilft, sehr schnell festzustellen, dass die Wörter in Ihrer Sozialpolitik – das richtet sich an alle anderen hier vertretenen Parteien – leider keine Relevanz besitzen. Immer und immer wieder ist es nötig, auf den Art. 1 hinzuweisen und zu appellieren, die Menschenwürde zu achten.
Unter diesem Aspekt betrachtet ist der „Sozialbericht Nordrhein-Westfalen 2012“, also der Armuts- und Reichtumsbericht, ein echtes staatlich zertifiziertes Armutszeugnis für Deutschland und Nordrhein-Westfalen.