Meine Damen und Herren, viele Jobs werden so schlecht bezahlt, dass die Menschen davon nicht leben können, und das sind dann die sogenannten Aufstocker.
Mittlerweile sind hiervon nicht mehr nur Geringqualifizierte betroffen, nein, auch gut ausgebildete Fachkräfte und ebenso Akademikerinnen und Akademiker. Ich spreche von Männern und Frauen, die einen oder mehrere Jobs haben, die tagtäglich ihrer Arbeit nachgehen und zum Wohlstand der Gesellschaft beitragen, aber sich von ihrer Hände Arbeit nicht ernähren und nicht kleiden können.
Sprüche wie „Leistung statt Neid“ oder „Leistung muss sich lohnen“ kommen bei diesen Menschen wie blanker Zynismus an.
Darüber hinaus kann mit Niedriglöhnen kein ausreichender Rentenanspruch erworben werden. Auch die von Frau von der Leyen propagierte Zuschussrente läuft bei diesen Menschen ins Leere, selbst wenn sie 40 Jahre in dieses System einbezahlen würden. Arme können es sich kaum erlauben, zusätzlich auch noch private Vorsorge zu leisten. Auch hier Augenwischerei der Bundesregierung, statt pragmatische und wirkungswolle Lösungsvorschläge zu liefern!
Dann doch besser eine Grundrente aus einer von allen Einkommen gespeisten Bürgerversicherung, wie wir Grüne sie seit Jahren in die Diskussion einbringen!
Meine Damen und Herren, ein Arbeitsmarkt, der mit immer weniger Beschäftigten immer mehr Arbeit bewältigen will, wird dem Bedarf an Arbeitsplätzen und der Fürsorgepflicht für seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gerecht. Die einen bekommen erst gar keine Arbeit, und die anderen werden arbeitslos, wenn sie wegen Stress am Arbeitsplatz längerfristig erkranken.
Die psychischen Behinderungen – ich spreche nicht von Erkrankungen, sondern von manifesten Behinderungen – bei Erwachsenen haben sich signifikant
Ganz krass wird es, wenn Menschen einen besonderen Hilfebedarf haben. Nicht nur das alltägliche Leben wird durch zum Teil unüberwindliche Barrieren behindert, nein, diesen Menschen war lange Zeit beschieden, praktisch von Kindheit an ihr Leben in Sondereinrichtungen zu verbringen. Die Gelegenheit, ein selbstständiges Leben zu führen, war gar nicht eingeplant, schon gar nicht die freie Wahl auf einen Arbeitsplatz oder die freie Wahl des Wohnorts.
Nun, hier findet nicht zuletzt durch die UNKonvention zum Recht von Menschen mit Behinderungen ein Umdenken statt. Wenn wir im Lande die Maßnahmen aus dem Aktionsplan der Landesregierung konsequent umsetzen, werden wir feststellen, dass Inklusion der gesamten Gesellschaft zugutekommt.
Inklusion, also Teilhabe, ist auch im heutigen Kontext das richtige Stichwort. Denn was macht Armut mit den Menschen? – Armut grenzt aus. Armut macht krank. Armut macht einsam. Die Menschen werden mutlos, verzweifeln an sich selbst und am System, geben sich selbst verloren. Traurige Beispiele hierzu können Sie im Sozialbericht im Kapitel „Armen eine Stimme geben“ nachlesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einer gut strukturierten Gesellschaft. Ja, tatsächlich, wir verfügen über Kindertagesstätten, über Schulen, Ausbildungseinrichtungen. Wir haben ein leistungsfähiges Gesundheits- und Pflegesystem. Vielfältige Angebote in Sport und Kultur bieten Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung für alle. Für alle? – Nein! Wer arm ist, kann alle diese Angebote nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen, und zwar nicht etwa, weil er oder sie zu dumm, unwillig oder desinteressiert ist, sondern oftmals geht es um so etwas Profanes wie die Karte für Bus oder die Bahn, die nicht bezahlt werden kann und weshalb man erst gar nicht zum Ort des Geschehens hinkommt.
Sport und Kultur haben fast immer mit Gebühren oder Eintrittsgeldern zu tun. Selbst der Arztbesuch kann wegen der Zuzahlungen im Gesundheitswesen unerschwinglich werden.
„Arm am Beutel, krank am Herzen“, hat schon Johann Wolfgang von Goethe seinen Schatzgräber sagen lassen. Tatsächlich lässt sich Armut nicht nur am Geldbeutel festmachen: Wer arm ist, lebt weniger gesund. Beispielsweise führen eingesparte Arztbesuche oft genug zur Chronifizierung einer Krankheit mit den entsprechend höheren Folgekosten.
Ein anderes Beispiel: Eine Mutter hat gerade einmal 8 € Budget pro Tag für Lebensmittel und ist damit
Wer arm ist, empfindet kaum positives Sozialprestige. Menschen, die in Armut leben, fehlt die Freiheit, das Leben zu führen, das sie gerne führen möchten. Sie fühlen sich ausgeschlossen und stehen am Rande unserer Gesellschaft.
Sprüche wie „Hilf Dir selbst, dann gehörst Du dazu! Du musst Dich einfach ein bisschen anstrengen! Sei nicht so faul!“ sind wenig hilfreich. Sie kommen von einer überwiegend an ökonomischem Wachstum und am eigenen Profit orientierten Gruppe, deren Grad der Entsolidarisierung damit sehr deutlich wird.
Wir wollen Wachstum, meine Damen und Herren. Ja, wir wollen Wachstum, allerdings ein Wachstum, das sich am Gemeinwohl orientiert und an dem alle Mitglieder der Gesellschaft partizipieren können.
Damit dies gelingt, müssen wir weiter in die Qualität von Kitas und Schule investieren. Wir brauchen keine Schulen, die aussortieren, sondern wir brauchen Schulen, die ausbilden, und zwar gemeinsam alle Kinder, ungeachtet ihres sozialen oder kulturellen Hintergrunds, egal ob mit oder ohne Handicap. Wir hier in NRW sind auf einem sehr guten Weg.
Wir brauchen einen gerechten, existenzsichernden und fairen Arbeitsmarkt. Menschen, die heute im Leistungsbezug der Sozialgesetzbücher sind, brauchen keine Belehrungen oder Sanktionen. Diese Menschen brauchen in erster Linie Hilfe, Hilfe und Unterstützung zur Befähigung, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und sie brauchen jetzt – jetzt! – die Absicherung ihres Existenzminimums. Hierzu ist eine verfassungskonforme Anhebung des Hartz-IV-Satzes durch die Bundesregierung nötig. Das Bundesverfassungsgericht hat das der Bundesregierung ja bereits ins Stammbuch geschrieben.
Wer möchte, dass die Transferleistungen von heute in der Zukunft nicht mehr nötig sein werden, wird den Umbau unserer Gesellschaft in ein gerechtes, ein inklusives Gemeinwesen befürworten.
Hierzu sind größte Anstrengungen nötig. Die präventive Politik der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen, also Rot-Grün, ist der richtige Ansatz. Hilfen bei Erziehung, Bildung, Arbeit, Gesundheit, Pflege und Freizeitgestaltung; Hilfen, die darauf zielen, alle Menschen am strukturellen
Zu teuer? – Na ja, was wir zurzeit treiben, ist auch nicht gerade billig. Und was Perspektivlosigkeit an Scherbenhaufen anrichtet und was die Nachsorge, das alles wieder abzuräumen, kostet, wissen wir mittlerweile auch.
Im Übrigen ist das Geld ja da. Es muss einfach nur ein bisschen anders verteilt werden. Denn: Sie von CDU und FDP können doch nicht ernsthaft meinen, dass es anständig ist, wenn 20 % der Haushalte 71 % des Gesamtvermögens untereinander aufteilen!
Die Mehrheit der Bevölkerung hat ein ganz klares Urteil: Das ist nicht anständig, das ist ungerecht!
Meine Damen und Herren, der Zusammenhalt der Gesellschaft ist ein wichtiges Gut. Die Überwindung der Gerechtigkeitslücke ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir tun gut daran, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren. Ungeachtet der unterschiedlichen Ansätze in unseren Parteien und Fraktionen halte ich es für absolut wichtig, dass wir Wege finden, dies gemeinsam zu tun. – Recht schönen Dank!
Vielen Dank, Frau Kollegin. Dies war Ihre erste Rede. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Rede und diesem Beitrag!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Liebe Kollegin, Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, zumal gleich einer so langen.
Bevor ich zum Thema komme: Herr Schneider, seien Sie mir nicht böse, aber wenn Sie einmal Wissenschaft betrieben hätten: Es ist nicht alles, was ein Wissenschaftler feststellt, sofort Gesetz für alle Zeiten. In der wissenschaftlichen Literatur wird zu Ihren Ausführungen stehen: Hier irrt Schneider.
(Beifall von der FDP – Minister Guntram Schneider: Bei den Doktorarbeiten kennen sich die Liberalen aus!)
Für die korrekte Einordnung und Bewertung der Ergebnisse des Sozialberichts muss man allerdings wissen, was mit dem Begriff der „relativen Einkommensarmut“ gemeint ist. Einkommensarm ist man, wenn man heute über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Bevölkerung in unserem schönen Land verfügt.
Als einkommensarm galt man 2010, wenn man über ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen von monatlich weniger als 815 € verfügte. Herr Schneider, Sie sprachen von 830 €. Auch da sind die wissenschaftlichen Wege der Berechnung wieder unterschiedlich.