Protokoll der Sitzung vom 30.11.2012

(Beifall von der FDP – Minister Guntram Schneider: Au!)

Das, was Sie hier vorhin abgeliefert haben,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Marc Herter [SPD]: Er würde das Gleiche sa- gen als DGB-Vorsitzender!)

war ganz kleines Klassenkampfkaro. – Ich habe jetzt extra einmal abgebrochen, damit ich Ihre Zwischenrufe auch einmal verstehe. Sie können sich das manchmal vielleicht schenken; es ist hier akustisch sowieso so gut wie nicht zu verstehen. Insofern machen wir jetzt lieber ernsthaft weiter. Denn das ist, glaube ich, dem Thema angemessen.

Meine Damen und Herren, es ist notwendig, dass wir uns, wenn wir hier über den Bericht und die soziale Lage in Deutschland insgesamt sprechen, differenziert damit auseinandersetzen und auch schauen: Wo liegt das Positive, das wir hier in Deutschland erreicht haben?

Noch im Jahre 2003 titelte die „Welt“: Deutschland ist der kranke Mann Europas. Heute ist Deutschland unbestritten die Lokomotive Europas. Niemals zuvor waren in Deutschland mehr Menschen erwerbstätig; es sind über 41 Millionen.

(Beifall von der FDP)

Viele Familien sind dadurch wieder in den Arbeitsmarkt integriert, die Zahl der Kinder aus Hartz-IVFamilien sinkt, die Anzahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist geringer geworden, und unsere europäischen Nachbarn beneiden uns um unsere geringe Jugendarbeitslosigkeit.

(Beifall von der FDP)

Die Einnahmen des Gesamtstaats brechen alle Rekorde. In diesem Jahr werden die Bürgerinnen und Bürger über 600 Milliarden € an den Fiskus überweisen. Die Kassen der Sozialversicherungen erzielen Überschüsse. Investitionen in Bildung, soziale Absicherung und die Förderung von Familien wurden seit 2009 erhöht. Die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder hat sich seit 2006 verdoppelt. Und was ein ganz wichtiger Faktor für die Stabilität unserer Gesellschaft ist: Die abstiegsbedrohte Mittelschicht hat sich stabilisiert, wie die aktuellen Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und des DIW Berlin belegen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Asch?

Ja, bitte.

Das ist nett. – Bitte schön, Frau Asch.

Lieber Kollege, vielen Dank für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Wenn dieses Bild so positiv ist, wie Sie das hier beschreiben, können Sie uns dann erklären, warum Wirtschaftsminister Rösler, seines Zeichens FDPParteivorsitzender, es nötig hat, den Sozialbericht, der von Frau von der Leyen verfasst wurde, zu fri

sieren und zu schönen und die Daten zu glätten, die dort im Entwurf enthalten waren?

Liebe Kollegin Asch, das haben wir hier im Plenum, als Sie noch nicht da waren, bereits ausführlich besprochen. Insofern sehe ich keine Notwendigkeit, weiter darauf einzugehen.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Ich wiederhole es aber gerne: Dass es eine Abstimmung zwischen Ressorts gibt, ist etwas völlig Natürliches. Das haben wir vorhin mit Herrn Schneider schon bilateral besprochen: Eine Ressortabstimmung ist etwas völlig Normales. – Wenn Sie das nicht so sehen, stellen Sie Ihren eigenen Kollegen, Minister Remmel, infrage, der gestern, als es um das Thema „Energie“ gegangen ist,

(Beifall von der FDP und der CDU)

eindeutig betont hat, dass man noch mal darüber reden muss, wie bestimmte Statistiken zu interpretieren sind.

(Widerspruch von den GRÜNEN)

Also, Frau Asch, der Finger, mit dem Sie auf den armen Philip Rösler zeigen, zeigt doch in Wahrheit auf Sie zurück.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich doch mal weiter ausführen! Ich war bei der DIW-Studie, die auch belegt, dass die Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen geringer geworden ist. Unser Land hat summa summarum die Wirtschaftskrise hervorragend gemeistert, auch wenn Nordrhein-Westfalen bei einigen der genannten Punkte hinterherhängt. Es geht uns in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen insgesamt gut.

Und dennoch gibt es Menschen in unserem Land, die arm oder von Armut bedroht sind. Darauf komme ich jetzt zu sprechen. Dabei will ich mir nicht die Armutskriterien des vorliegenden Berichts zu eigen machen, die mir zu statisch sind, weil sie die individuelle Lebenssituation unzureichend berücksichtigen. Nach den Kriterien wäre ich in Phasen meines Studiums auch arm gewesen. Ich habe mich aber nie so gefühlt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Wir müssen aufpassen, Frau Kollegin Asch, den Begriff „arm“ nicht inflationär zu gebrauchen. Denn die tatsächlich Armen und von Armut Bedrohten brauchen unsere volle Aufmerksamkeit: die alleinerziehende Mutter, die kaum weiß, wie sie über die Runden kommen soll; das Kind, das in prekäre Verhältnisse geboren worden ist und kaum Perspektiven hat; der Langzeitarbeitslose, der für sein Auskommen in Mülleimern nach Pfandflaschen sucht.

Ich unterstelle jedem hier im Haus, dass ihn das eben nicht kaltlässt. Ich würde mir diese Fairness auch umgekehrt von der Landesregierung wünschen, die uns gegenüber mit absurden Unterstellungen aufgetreten ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dieser Dauerklassenkampf schadet auch dem Ansehen dieses Hauses.

Herr Minister Schneider, ich fand es am vergangenen Freitag unmöglich, was Sie auf der Veranstaltung „Anstoß Parität 2012“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes geboten haben. Es sollte um Inklusion gehen. Ihr werter und von uns durchaus geschätzter Namensvetter Ulrich Schneider hat dort in einem hervorragenden und differenzierten Vortrag die Notwendigkeit, aber auch die aktuellen Schwierigkeiten im Inklusionsprozess herausgearbeitet. Was machen Sie? Sie rufen den Paritätischen Wohlfahrtsverband dazu auf, daran mitzuwirken, die aktuelle Bundesregierung abzulösen, damit man die Vermögensteuer und Mindestlöhne einführen kann.

(Beifall von der SPD)

Das ist primitiver sozialdemokratischer Wahlkampf. Das ist billiger Klassenkampf.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich finde es auch Ihrem sonst eigentlich recht umgänglichen Stil völlig unangemessen, einen Verband, der sich zu ungefähr 90 % aus öffentlichen Geldern finanziert und nicht ganz unwesentlich von Geldern Ihres Hauses abhängig ist, dazu aufzufordern, parteipolitisch zu agitieren. Das gehört sich nicht.

(Beifall von der FDP und der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Herr Kollege, gestatten Sie mir eine Zwischenfrage?)

Herr Kollege Rüße hat noch eine Zwischenfrage. Bitte schön, Herr Rüße.

Herr Dr. Stamp, vielen Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf. – Sie haben sich beschwert, dass gegen Sie agitiert würde, und quasi um Mitleid gebeten. Ich frage Sie: Wer hat denn die Schärfe in die Debatte gebracht? Können Sie mir sagen, von wem das Zitat „spätrömische Dekadenz“ stammt?

(Christian Lindner [FDP]: Ach, meine Güte! Sagen Sie das Zitat mal vollständig, nicht nur einen Satz davon!)

Herr Kollege, …

(Zurufe)

Kolleginnen und Kollegen, darf ich um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten? Dem Kollegen Dr. Stamp wurde eine Frage gestellt, die er jetzt beantworten will. Bitte schön, Herr Dr. Stamp.

Herr Kollege, wir wollen das jetzt nicht ausfransen lassen. Sie zielen auf ein Zitat des Kollegen Westerwelle ab, der sich ganz bewusst gegen die Dekadenzvorstellung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin gewandt hat.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von den GRÜNEN – Marc Herter [SPD]: Da haben Sie aber was falsch verstanden!)

Wenn Sie sich das Ganze im Zusammenhang ansehen, dann werden Sie schlauer.

Sie schwadronieren hier immer wieder, als wären Vermögensteuer, Reichensteuer plus Mindestlöhne das Allheilmittel. Meine Damen und Herren von RotGrün, wenn die Lösung gegen Armut in Deutschland so einfach wäre, warum haben Sie das dann zwischen 1998 und 2005 nicht auf den Weg gebracht?

(Beifall von der FDP)

Sie sind den anderen Weg gegangen, weil Ihr Kanzler an der Stelle genug Hirnschmalz hatte, zu erkennen, dass der Sozialstaat etwas ganz anderes brauchte. Er hat die Agenda 2010 gebracht, die doch die Grundlage für die positive Entwicklung ist, die ich eingangs genannt habe. Das wollen Sie nicht hören, wahrscheinlich deswegen, weil Sie die Agenda 2010 wieder abwickeln wollen. Das ist doch absurd.

(Beifall von der FDP – Christian Lindner [FDP]: So ist es!)

Wir haben die Politik der Agenda 2010 in Berlin fortgesetzt. Der europäische Vergleich gibt uns recht.