Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

Egal, ob diese Aktuelle Stunde heute passt und ob Sigmar Gabriel sie als sinnvoll bezeichnet hätte, sie gibt uns Gelegenheit für folgende effekthascherische Warnhinweise: Achtung, ohne Tempolimit können Terroristen hier herumfahren wie in Afghanistan, Kommunisten wie in Nordkorea und Piraten wie in Somalia, also in Ländern, in denen es halt auch kein generelles Tempolimit gibt.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch Achtung, wenn wir das Tempolimit einführen, können Terroristen viel leichter auf vorbeifahrende Pkw schießen oder zielen.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Ich hoffe, diese Schreckensszenarien haben Sie jeweils überzeugt. Das war mein polemischer Beitrag zur Aufregerdebatte Tempolimit.

Ich will natürlich auch die Gelegenheit nutzen, um die Position der nordrhein-westfälischen Piraten zu erläutern. Wir und unsere Wähler sehen in einem gedrosselten Internet eine größere Gefahr und Einschränkung der Freiheit als in einer gedrosselten Autobahnfahrt.

(Beifall von den PIRATEN)

Tempo 200 fahren zu können, ist ein tolles Feature und macht vielen Spaß. Jedoch handelt es sich nicht unbedingt um eine notwendige Zusatzfunktion, ähnlich wie eine Handykamera mit 12 Megapixeln, die auch Spaß macht. Aber warum den Spaß verbieten? – Unsere Position: Wir lehnen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab. Wir halten flexible Tempolimits, eine flexible Verkehrssteuerung und deren Ausbau für weitaus sinnvoller.

Man fragt sich vielleicht: Passt das zu unserem Programm, zu der Verkehrswende, die ich sonst hier propagiere: mehr Rad, mehr Bus, mehr Bahn, Güter auf die Schiene, Mobilität für alle? – Ja, denn Freiheit und Teilhabe, die zentralen Elemente unseres Programms, bedingen einander. Wir möchten die Menschen nicht einengen, gängeln und dann überwachen, nicht verbieten, sondern Anreize schaffen, Alternativen anbieten, die die Auswahl erweitern oder die Freiheit zur Wahl des Verkehrsmittels vielleicht gar erst ermöglichen. Wir möchten, dass jeder Mensch an der Gesellschaft teilhaben kann. Mobilität ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Das ist unsere Prioritätensetzung. Es gibt keine gesellschaftliche Notwendigkeit für Tempo 180, kein Grundrecht auf schnelles Fahren. Doch wer dies gerne auf eigene Kosten und auf freier Strecke tun möchte – freie Wahl.

Was ist mit Umwelt- und Klimaschutz? – Hier brächten höhere Spritpreise weit mehr als Tempo 120. Höhere Spritpreise würden automatisch für umweltgerechte Geschwindigkeiten und eine Verlagerung auf alternative Verkehrsmittel sorgen.

(Jochen Ott [SPD]: Zulasten der Ärmeren!)

Schnell fahren ist bereits jetzt ein teures Hobby. Richtig. Viele Hobbys sind teuer, und nicht jeder kann sie sich leisten. Wir sollten das Hobby erhalten, aber die Kosten gerecht abrechnen.

Wenn es darum ginge, die Umweltbelastungen zu reduzieren, müssten wir unser Augenmerk sowieso mehr auf den Lkw-Verkehr richten, der vom Tempo 120 überhaupt nicht betroffen wäre. Der LkwVerkehr ist auch Hauptakteur bei den entstehenden Kosten für die Verkehrsinfrastruktur. Wir fordern die Verkehrswende auch, um langfristig die Kosten der

Verkehrsinfrastruktur zu reduzieren. Ein generelles Tempolimit ist kaum geeignet, die Kosten für Instandhaltung und Ausbau zu verringern, eher schon die Reduzierung von Verkehrsspitzen im Berufsverkehr in den Ballungsräumen.

Natürlich muss nicht jedes Autobahnteilstück für höchste Geschwindigkeiten ausgelegt sein. Das wäre im Endeffekt langfristig schon teuer. So ist es ja auch bereits heute: Wo die Straßen zu schlecht sind oder Brückenpfeiler zu dicht stehen, gibt es örtliche Tempolimits.

Wie ist es mit der Bedeutung für die Volkswirtschaft? Das wird auch oft angeführt. Der unbedeutender werdende Absatzmarkt Deutschland mag ein Sonderfall sein. Es wird immer mehr Weltautos geben, die trotz ansonsten guter Ausstattung das Feature „Schnell fahren“ gar nicht bieten, weil es in anderen Teilen der Welt überhaupt nicht gebraucht wird. Das ist ein weiteres Argument dafür, dass wir in Zukunft im Durchschnitt langsamer fahren werden, aber kein Argument in der Tempolimit-Debatte. Denn während es hier verboten ist, querfeldein zu fahren, werden in Deutschland immer mehr SUVs verkauft. Und Porsche verkauft ganz gut in Ländern, in denen man damit höchstens 120 fährt.

Das große Argument für ein generelles Tempolimit – das will ich natürlich nicht verschweigen – ist die Verkehrssicherheit. Dem kann man sich nicht verschließen. Die Piraten diskutieren dies seit Jahren sehr breit und ausgiebig. Wir haben die Unfallstatistiken hier gehört und auch im Antrag dazu etwas gelesen. Wir haben sie unterschiedlich interpretiert. Ja, Verkehrstote und Verletzte sind auch dann relevant, wenn wir sie nur auf einige wenige herunterrechnen. Es ist einfach, davon auszugehen, dass ein generelles Tempolimit gegen Verkehrstote wirkt. Das ist auch richtig.

Doch wir wissen, dass die katastrophalen Unfälle auf Autobahnen geschehen, weil der Geschwindigkeitsunterschied zu groß ist und die Geschwindigkeit nicht der Situation – Regen, Nacht, dichter Verkehr – angepasst wird. Auch hier hilft das allgemeine Tempolimit nicht. Flexible Tempolimits, unterstützt durch immer mehr fahrzeuggesteuerte Maßnahmen, hätten den gleichen Effekt wie ein generelles Tempolimit. Weniger Holzhammer, mehr

Schraubendreher!

Wenn es darum ginge, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, dann wären Maßnahmen zur Reduzierung von Gefahrenstellen und Verkehrsregelungen im Bereich von Baustellen weitaus sinnvoller. Noch wichtiger wäre die Reduzierung des Verkehrs in den Innenstädten und auf Landstraßen sowie ein angeglichenes generelles Tempolimit auf einspurigen Landstraßen. Dies wurde ja auch schon erwähnt: Wenn auf engen Landstraßen Lkw 60 und Pkw 100 fahren dürfen, kommt es unter anderem zu gefährlichen Überholmanövern. Tempo 80 auf Landstraßen für alle – für Lkw und Pkw – würde

weitaus mehr Unfälle vermeiden und viele Leben retten.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns davon abkommen, die Menschen permanent zu kontrollieren, auszuspionieren und mit Verboten und Restriktionen zu gängeln. Und lassen Sie uns dazu übergehen, ihnen in konstruktiver Weitsicht ein Angebot zu unterbreiten, welches ihnen ermöglicht, in freier Entscheidung auf Autos und Staus zu verzichten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Groschek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Rasche, vielleicht vorweg eine Bemerkung: Wer wie die Bundes-SPD steuert, ist nicht Gegenstand verkehrspolitischer Überlegungen in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Da sehen wir eine andere Prioritätensetzung. Wir glauben auch, Herr Rasche, dass das allgemeine Tempolimit auf Autobahnen weder in die Zuständigkeit fällt noch Zielsetzung der Landesregierung ist. Unsere Top-Themen sind andere. Über die möchten wir gerne mit Ihnen konstruktiv streiten, weil da das Land und der Bund dringend neue Antworten geben müssen.

Erstens. Die Frage ist: Wie bekommen wir den Reparaturstau in Nordrhein-Westfalen wie in GesamtWestdeutschland endlich abgearbeitet?

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Die Frage ist: Wie bekommen wir endlich einen Perspektivwechsel weg von dem Denken in Sparten, was uns in den letzten 20 Jahren gelähmt hat, hin zu einem integrierten Verkehrskonzept, um Mobilität 2.0 zu organisieren?

(Beifall von der SPD)

Da fehlen uns die konkreten Finanzierungsinstrumente. Die Diskussion sollten wir gemeinsam führen.

Da gibt es ja ganz interessante Hinweise auch von Ihnen, jedenfalls was die CDU/CSU angeht. Herr Laschet verkündet hier: Wir brauchen keine zusätzlichen Mauteinnahmen; alles Quatsch; Geld ist genug vorhanden. – Herr Ramsauer hat jetzt wiederholt, dass die CSU darauf drängen wird, die gemeinsame Regierungsprogrammperspektive mit einer Pkw-Maut zu versehen.

Die FDP ist da ambivalent in ihrer Ablehnung. Da wäre vielleicht eine Klärung durch Sie hilfreich, wie denn ein Finanzierungsgerüst solide aufgestellt werden kann.

Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat sich jedenfalls dankenswerterweise hier glasklar positioniert. Ich finde, das ist ein vernünftiges Finanzierungsgerüst, auf dem wir aufbauen können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die eigentlichen Probleme im Bereich von Autobahnen eher im Staubereich liegen. Ja, wir handeln, um den Stau ganz praktisch und konkret Stück für Stück abzubauen. Wir haben eine integrierte Verkehrszentrale eingerichtet, die wir im Rahmen des finanziell Möglichen Zug um Zug weiter ausbauen wollen, um den Verkehr fließender zu gestalten, ihn zu steuern und zu lenken, und zwar so, dass Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen optimal genutzt wird.

(Beifall von der SPD)

Wir haben uns darauf verständigt, Engpassbeseitigung prioritär anstelle von Neubau zu setzen. Wir haben uns darauf verständigt, den Erhalt vor den Neubau zu setzen.

Herr Kollege Schemmer, ich finde, Sie sollten sich doch eingestehen, dass Sie mit Ihrer immer wiederkehrenden Positionierung „Wir brauchen mehr Neubau und Neubau und Neubau“ auch in der Union inzwischen völlig isoliert sind. Herr Ramsauer diktiert uns praktisch für den neuen Bundesverkehrswegeplan, Erhalt habe absoluten Vorrang vor Neubau, und Sie ignorieren sogar Ramsauer. Ich weiß nicht, wo Sie Verbündete für Ihre alte Politik in Richtung Neubau sehen, lieber Kollege Schemmer.

(Beifall von der SPD)

Drittens. Die Bundeskanzlerin und der Kanzleramtsminister haben bald eine große Gelegenheit, ein verkehrspolitisches Zeichen zu setzen, was für Nordrhein-Westfalen und Deutschland wichtig wäre. Die Bundeskanzlerin kommt im Laufe des Monats Mai zu Herrn Pofalla in den Wahlkreis, veranstaltet deutsch-niederländische Konsultationen, wird wahrscheinlich eine Finanzierungsvereinbarung zur Betuwe-Line – hoffe ich jedenfalls – anbieten. Das ist dann die Perspektive für Container. Wir brauchen jedoch nicht nur eine Perspektive für Container, wir brauchen auch eine für Pendlerinnen und Pendler.

(Beifall von der SPD)

Deshalb müsste die Kanzlerin auch Ja zur Finanzierung des Rhein-Ruhr-Express sagen. Der RRX muss kommen, und die Kanzlerin und Sie sollten sich heute dazu klar positionieren. Warum? – Weil das Stau vermeiden würde. Der Regionalexpress würde dazu führen, dass 30.000 Pkw von der Auto

bahn kommen und wir damit weniger Stau und mehr Sicherheit auf unseren Autobahnen hätten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Viertens. Ein Drittel der Autobahnen in NordrheinWestfalen sind sowieso schon temporeduziert und das situativ und variabel. Der Hinweis auf zusätzliche Gefahrenpunkte würde von uns sofort aufgenommen. Wir sind willens und dazu in der Lage, darauf sofort mit angemessenen Verkehrsüberwachungsinstrumenten oder auch mit verkehrslenkenden und temporeduzierenden Maßnahmen zu reagieren, wenn sich herausstellen sollte, dass jetzt noch tempofreie Streckenabschnitte besonders unfallgefährdend sind. Da gibt es Regelungsmechanismen, zu denen wir uns ausdrücklich bekennen. Ein allgemeines Tempolimit gehört nicht zu unserem landespolitischen Repertoire.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Christof Rasche [FDP])

Fünftens: Lärm. Ich glaube, bei jeder verkehrspolitischen Diskussion müssen wir über Lärmschutz reden, und zwar mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit, weil die Menschen da eine glasklare Erwartungshaltung haben. Deshalb finde ich richtig, dass wir uns darauf verständigt haben, in einem zweieinhalbjährigen wissenschaftlich qualifiziert begleiteten Untersuchungsprozess festzustellen, welche realen nachweisbaren Auswirkungen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeitsspitzen auf die Lärmbelästigung von Menschen haben. Rasen darf nicht das Recht zu krankmachendem Lärm implizieren. Hier muss das Menschenrecht vorgehen.