Protokoll der Sitzung vom 19.06.2013

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/2148

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10

Grundgesetz (AG G 10 NRW)

Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/2135

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses Drucksache 16/3251

Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/3320

zweite Lesung

Der Gesetzentwurf der Fraktion der Piraten Drucksache 16/2135 wurde laut Unterrichtung Drucksache 16/3280 zurückgezogen.

Ich eröffne die Beratungen. Für die antragstellende Fraktion hat der Kollege Körfges das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne und vor den Monitoren!

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Das Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen ist nach den Ausschussberatungen in der vorliegenden Form nicht nur nach Meinung der SPD-Landtagsfraktion, sondern auch nach der Meinung der überwiegenden Anzahl der von uns befragten Sachverständigen zur Annahme deshalb zu empfehlen, weil hier die richtige Balance zwischen dem notwendigen Schutz des freiheitlichen Zusammenlebens von Menschen in unserem Land und der Wahrung des Schutzes individueller Rechte gegeben ist und – ich zitiere – „somit ein in sich geschlossenes Ganzes als solches rechtspolitisch ausgewogen und formal verabschiedungsreif ist.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht mir eingefallen, sondern einem der Sachverständigen. Herr Prof. Gusy hat das nämlich in seiner schriftlichen Stellungnahme ausgeführt. Ich glaube, dass man sich seiner Worte mit der großen Gewissheit, dass er sachkompetent ist, und weil er zu den maßgeblichen Wissenschaftlern in diesem Bereich gehört, bedienen kann.

Ich zitiere weiter:

„Als solches ist er“

nämlich der Entwurf –

„sowohl hinsichtlich des Zeitpunktes seiner Einbringung wie auch hinsichtlich seiner Inhalte begrüßenswert.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wollte ich aufgrund der sachfremden Erwägungen, die nach der Anhörung zum Teil vorgenommen worden sind, nur voranstellen.

Es empfiehlt sich, nach einer Expertenanhörung auch noch einmal nachzulesen. Dann hätten sich der eine oder andere Zwischenruf oder auch die eine oder andere Pressemitteilung, die nach der Anhörung erfolgt ist, erledigt; denn auch andere, durchaus in Teilen etwas kritischere Sachverständige, zum Beispiel Herr Prof. Dr. Amadeus Wolff, haben bezogen auf die wesentlichen Teile diesem Gesetzentwurf eine hervorragende Kritik erteilt. So führt Herr Prof. Wolff aus:

„Der gegenwärtige Gesetzentwurf regelt die Rechtsbeziehung der V-Leute in vorbildlicher und klarer Weise und kann demnach für sich selbst in Anspruch nehmen, zumindest eine der Bedingungen, die bei dem NSU-Vorgang eine wesentliche Rolle gespielt haben, nun beseitigt zu haben.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf auf das zurückblenden, was Anlass für erhebliche Kritik an unseren Sicherheitsbehörden war und uns in eine berechtigte Diskussion über die Art und Weise, wie wir unsere Verfassung schützen und mit welchen Mitteln wir das tun, geführt hat. Wenn Herr Prof. Wolff an dieser zentralen Stelle in Bezug auf die V-Leute unterstreicht, dass wir uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg befinden, ist das wirklich ein qualitativ hoch einzuschätzender Punkt für dieses Gesetz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aber nicht verhehlen – das habe ich an anderer Stelle auch schon gesagt –, dass es nicht alleine der Staatsgewalt obliegen kann, unsere demokratisch verfasste Gesellschaft und die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Ganz im Gegenteil: Wir setzen natürlich darauf, dass sich diejenigen, die in unserer demokratischen Gesellschaft leben, die diese demokratische Gesellschaft akzeptieren und sie annehmen, auch im Wege des zivilgesellschaftlichen Engagements für den Erhalt und den Ausbau unserer demokratischen Strukturen einsetzen.

Ab und zu werden die Zivilgesellschaft und die wehrhafte Demokratie in einen Gegensatz gestellt. Das halten wir für einen künstlichen Gegensatz. Das genaue Gegenteil ist richtig: Die beiden bedingen einander.

Das macht aus unserer Sicht einige Fragen geradezu notwendig. Die Frage, ob man eine Verfassungsschutzbehörde braucht, habe ich gerade beantwortet.

Hinzu kommt die Frage, wie eine solche Verfassungsschutzbehörde funktionieren sollte.

Ein Verfassungsschutz, der die Demokratie wirksam schützen will, muss das Vertrauen der Menschen

genießen. Dabei gibt es eine Grundbedingung, dass die Arbeit des Verfassungsschutzes einer wirksamen Kontrolle unterliegt. Darüber hinaus muss der Verfassungsschutz Rechte und Regeln des demokratischen Staates, die er verteidigen soll, in seiner Arbeit als Organisationsstruktur und Institution selbst umfassend berücksichtigen. Nur so kann Verfassungsschutz in unserem Lande Sinn machen.

Wir haben die Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums in dem Gesetz ganz erheblich gestärkt, und zwar nicht nur durch personelle Unterstützung. Besonders wichtig ist allen, die stellvertretend für die Bürgerinnen und Bürger und für das Parlament diese Kontrolle ausüben, die Tatsache, dass künftig die Behörde das Kontrollgremium – quasi als Bringschuld – regelmäßig über alle relevanten Vorgänge und Maßnahmen informiert. Das heißt: Wir haben diejenigen, die die Verfassung zu kontrollieren haben, durch eine Umkehr der Darlegungslast verpflichtet, uns regelmäßig über alle relevanten Vorgänge in Kenntnis zu setzen.

Ich bin sicher: Wenn dies in anderen Bundesländern oder auf Bundesebene in der Vergangenheit der Fall gewesen wäre, hätte sich vieles von dem, was wir heute beklagen, nicht ereignet.

Darüber hinaus ist das PKG vor Erlass und Änderung von Dienstanweisungen anzuhören. Das hört sich relativ trivial an. Ich kann nur sagen: Wenn es zum Beispiel um den Umgang mit Vertrauenspersonen geht, halten wir es für absolut notwendig, dass das Parlament, vertreten durch das Parlamentarische Kontrollgremium – und zwar als Gremium und nicht als Ausschuss – über jede Änderung rechtzeitig und im Vorhinein informiert wird.

Darüber hinaus muss natürlich alles, was die Persönlichkeitsrechte oder den Schutz von Maßnahmen des Verfassungsschutzes betrifft, auch künftig geheim behandelt werden.

Unverändert aus dem Gesetzentwurf der Landesregierung übernommen haben wir den wichtigen Punkt „Transparenz“. Dabei geht es um die Frage nach einer Öffentlichkeit der Sitzungen. Ich kann mir vorstellen, dass wir mit diesem Instrument in der täglichen Praxis sorgsam umgehen müssen. Nur: Wer Transparenz fordert, muss auch seine eigene Arbeit – das gilt gerade für ein Parlamentarisches Kontrollgremium – in der Öffentlichkeit darstellen und vorstellen können.

Wir scheuen diese Öffentlichkeit nicht nur nicht, sondern wir halten es im Sinne einer Neuausrichtung des Verfassungsschutzes und seiner Kontrollmöglichkeiten für unabdingbar, die Möglichkeit für öffentliche Sitzungen und öffentliche Beratungen – zum Beispiel von Lagen und Situationen – zu schaffen und zu nutzen.

Im Zusammenhang mit der Anzahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums wollen und werden wir dafür sorgen, dass alle, die als De

mokraten in einem Parlament vertreten sind, über die Möglichkeit verfügen, am Parlamentarischen Kontrollgremium teilzuhaben. Wir haben an dieser Stelle bewusst auf den Fraktionsstatus verzichtet, weil wir diejenigen – das ist in Nordrhein-Westfalen gottlob eine theoretische Frage –, die sich vehement und kämpferisch gegen unsere grundgesetzliche Ordnung aussprechen, natürlich nicht in einem solchen Gremium haben wollen. Für alle anderen wollen wir die Möglichkeit der Kontrolle offenhalten.

Das gilt auch für das G10-Gremium. Auch hier haben wir – bezogen auf die berechtigten Anliegen anderer Fraktionen – gesagt: Das richtet nicht nur keinen Schaden an, sondern es führt zu mehr Kontrolle und Transparenz, wenn zukünftig eine Person mehr in dieses Gremium aufgenommen wird.

Ein großer Fortschritt ist die abschließende Regelung aller nachrichtendienstlichen Mittel im Gesetz. Wir listen transparent auf, welche Befugnisse der Verfassungsschutz hat und welche Bereiche der Verfassungsschutz beobachten muss. Hier nehmen wir eine Abgrenzung zu anderen Bereichen vor.

Zur Klarstellung haben wir einige Punkte aus Änderungsanträgen aufgenommen, zum Beispiel die Selbstverständlichkeit – Kollege Biesenbach –, dass wir keine Untersuchungen von Computerinhalten vornehmen wollen. Die Onlinedurchsuchung war ausgeschlossen und bleibt jetzt ausgeschlossen. Das ist gut so, wie andere Vorgänge zeigen.

Darüber hinaus haben wir jetzt auch die Frage nach Abgeordnetenrechten – die selbstverständlich immer beachtet worden ist – in das Gesetz aufgenommen.

Wir haben zudem Punkte von wesentlich höherer Bedeutung klargestellt, zum Beispiel – ich habe vorhin schon darauf angespielt – die Art und Weise des Umgangs mit V-Leuten.

Die Fragen lauten: Wer darf für die Allgemeinheit verpflichtet werden? Wie müssen die Menschen geführt – das ist ein Terminus technicus – werden? Wie müssen wir mit den Leuten zusammenarbeiten?

Eine weitere Frage heißt: Wann muss diese Zusammenarbeit verbindlich beendet werden? – Da gibt es für uns eine eindeutige Grenze: Die Leute dürfen nicht von ihren Tätigkeiten leben, und sie dürfen darüber hinaus nicht straffällig werden. Insoweit weise ich es als Unsinn der schlimmsten Form zurück, wenn behauptet wird, dass V-Leute Straffreiheit genießen würden. Das genaue Gegenteil ist im Gesetz angelegt.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einiges sagen zur Stellung des Verfassungsschutzes in der Gesellschaft sagen. Ich will jetzt gar nicht von Prävention reden. Es ist aber ganz klar, dass Aufklärung und Information auch einen öffentlichen Auftritt bedingen. Es ist ganz klar und gut und richtig, dass

der Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden nötig ist. Nur – und an dieser Stelle halten wir es mit dem Datenschutz ganz eng …

Herr Kollege Körfges, Entschuldigung, dass ich Sie mitten im Satz unterbreche. Der Herr Kollege Rohwedder würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie diese zu?

Vielen Dank.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) : Vielen

Dank. – Sie sagten, dass bereits jetzt im Gesetz steht, dass V-Leute keine Straftaten begehen dürfen und dass sie belangt werden, wenn sie es doch tun. Können Sie mir ein Beispiel nennen, dass ein VMann, der Straftaten begangen hat, tatsächlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde?

Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen.