Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen, auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Das ist auch im ursprünglich zugrundeliegenden Antrag angesprochen. Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ergibt sich nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Zusätzlich haben wir Regelungen in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Ich will auch erwähnen, dass diese Rechte nicht irgendwo herkommen, sondern sie kommen daher, dass es Menschen gab, die sie eingefordert haben. Ich finde, wir hier in Deutschland mit dem hohen Datenschutzbewusstsein – das gilt auch in vielen anderen Staaten Europas – können tatsächlich stolz auf das sein, was in den letzten 30, 40 Jahren erreicht wurde. Ich bin auch stolz darauf, dass meine

Partei – Stichwort „Volkszählungsproteste“; viele von Ihnen werden sich daran erinnern – intensiv daran beteiligt war.

Ich glaube, das, was großes Befremden in der Bevölkerung ausgelöst hat, war die Tatsache, dass alles das, was wir hier an Überwachungsaktionen im Rahmen von Prism und Tempora erleben, von einem Geheimgericht, jeder demokratischen Öffentlichkeit entzogen, angeordnet worden ist. Und das geht einfach nicht.

Es gibt natürlich ein legitimes Sicherheitsinteresse für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn dabei aber in Grundrechte eingegriffen wird, dann muss das – und das ist der springende Punkt – auf einer klaren gesetzlichen Grundlage geschehen. Und diese klare gesetzliche Grundlage ist die Garantie dafür, dass es ein parlamentarisches und ein öffentliches Verfahren gibt. Und das ist tatsächlich entscheidend.

Es darf nicht unverhältnismäßig sein, es darf keine anlasslose und uferlose Überwachung geben. Es darf nicht alles gespeichert, getauscht und weitergegeben werden. Der Grundsatz für Nachrichtendienste darf niemals lauten: Der Zweck heiligt die Mittel, der Zweck heiligt jede Sammlung von Informationen.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.

Das alles muss angepackt werden. Ich hoffe, wir können heute ein starkes Signal dafür setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prism beschäftigt uns in diesen Tagen immer wieder. Ich möchte allerdings das Thema in einen anderen Kontext setzen. Im Prinzip beschäftigen uns dieser Tage zwei große Datenschutzthemen. Das ist zum einen das Thema „Prism“ mit den Spähprogrammen Tempora und diesen unglaublichen Dingen, die geschehen sind, die uns fassungslos werden lassen, die zeigen, wozu eine anlasslose Überwachung führen kann.

Es ist aber auf der anderen Seite auch das Thema „Vorratsdatenspeicherung“ auf EU-Ebene. In Luxemburg wird ein Verfahren geführt. Beides hat sehr eng miteinander zu tun, meine Damen und Herren. Denn wir können nicht auf der einen Seite hergehen

und den Amerikanern sagen: „Das ist unlauter, was ihr da tut“, wenn wir auf der anderen Seite ohne Skrupel die Daten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland oder in der EU einfach auf Vorrat speichern, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Dazu hätte ich gerne auch von Rot-Grün etwas gehört. Es wurde hier mehrfach gesagt, die Bundesregierung tue beim Thema „Prism“ nichts. Ich kann Ihnen sagen: Die Justizministerin LeutheusserSchnarrenberger hat dafür gesorgt, dass es keine Vorratsdatenspeicherung mehr in Deutschland gibt, dass sie nicht wieder eingeführt wurde. Und ihr sozialdemokratischer Innenminister hat dies mehrfach vor dem Parlament und in den Ausschüssen beklagt, meine Damen und Herren. Was ist das denn für ein zwiespältiges Datenschutzverständnis? Was ist das denn für ein zwiespältiges Verständnis: „Die Einen dürfen das nicht, aber die anderen sollen es dürfen“? So können Sie keine seriöse Politik machen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie dann vielleicht Ihr eigenes Verfassungsschutzgesetz noch einmal zur Hand nehmen. Wir haben fraktionsintern einmal die Regelungen geprüft, die Sie hier vor 14 Tagen verabschiedet haben.

§ 5 Abs. 2 Nr. 10 VSG: In unseren Augen fehlt es da an der Bestimmtheit beim Abhören von Telekommunikation und Telemedien.

§ 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG: Nach unserem Verständnis ist er unverhältnismäßig bei der Erhebung von Zugangssicherungsdaten.

§ 5 Abs. 2 Nr. 15 VSG, Erhebung von Bestandsdaten: Nach unserem Verständnis ist diese Regelung unverhältnismäßig im engeren Sinne.

§ 5a Abs. 2 VSG, Unterbrechung der Aufzeichnung bei Kernbereichsinhalten: Hier ist in unseren Augen der Kernbereichsschutz verletzt.

Man könnte hier noch viele weitere Punkte nennen.

Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, dass die Debatte um Prism auch dazu führt, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen mehr Sensibilität beim Erheben von Daten von Bürgerinnen und Bürgern an den Tag legt.

(Beifall von der FDP)

Herr Kollege Dr. Orth, es gibt eine Wortmeldung von Herrn Kollegen Herrmann von der Fraktion der Piraten.

Ja, gerne.

Bitte schön.

Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Dr. Orth. – Ist Ihnen bekannt, dass die FDP-Bundestagsfraktion dem Gesetz zur Bestandsdatenauskunft zugestimmt hat?

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben jedenfalls keiner Regelung zugestimmt, die verfassungswidrig ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Lachen von den PIRATEN)

Ich möchte hier noch einmal an die Situation bei der Beratung des Verfassungsschutzgesetzes NRW erinnern. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung zu der Datenbank getroffen, und RotGrün sagt: Wir wissen, dass das alles bei dem, was wir hier verabschieden, nicht in Ordnung ist; wir haben aber keine Zeit mehr, das einzuarbeiten. – Meine Damen und Herren, so etwas hätten wir niemals gemacht. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.

(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Rumeiern!)

Ich würde mir auch wünschen, dass wir europaweit dazu kommen, Standards auf einem hohen Schutzniveau zu definieren, und damit letztendlich Vorreiter und Vorbild für andere in der Welt sind. Zumindest wir als Liberale würden so etwas, wie es in Amerika geschehen ist, niemals machen. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland versuchen, es besser vorzuleben. Da gibt es auch noch einiges zu tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Glückwunsch an die Piratenfraktion für dieses wunderbare Zitat – O tempora, o mores: Was für Zeiten, was für Sitten – aus der ersten Rede Ciceros vor dem römischen Senat!

(Marc Olejak [PIRATEN]: Gegen wen? – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Jetzt stellt sich heraus, wer aufgepasst hat!)

Gegen Catilina im Jahre 63 vor Christus. – Darauf werde ich gleich gerne noch einmal zurückkommen.

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Man muss schon das Latinum haben, Herr Hegemann, oder ein gutes Zitate-Lexikon.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorwürfe, dass amerikanische und britische Nachrich

tendienste in unzulässiger Weise die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union verletzt haben könnten, nimmt diese Landesregierung sehr ernst. Wir wollen erfahren, ob diese Vorwürfe, die in einzelnen Medien veröffentlicht worden sind, zutreffend sind und ob es flächendeckende, unkontrollierte und unverhältnismäßige Eingriffe in die Kommunikation von EU-Bürgern gegeben hat.

Wir wissen von offizieller Seite, von der Bundesregierung, dazu noch nichts, meine Damen und Herren. So gut wie alles, was in der Diskussion stattfindet, findet auf der Grundlage von Medienberichterstattungen statt. Es ist ein Problem, wenn man einen solchen Sachverhalt zu hundert Prozent aufklären will, vonseiten der politisch Verantwortlichen dazu bisher keinerlei Information erhalten zu haben.

Herr Biesenbach, es reicht eben nicht, wenn der Bundesinnenminister im Rahmen einer ohnehin schon lange geplanten Amerikareise mit der zweiten oder dritten Linie der US-Administration bei einer Tasse Kaffee mal die Auswirkungen dieses Vorgangs diskutiert. Wir erwarten von dieser Bundesregierung, dass sie auch auf befreundete Staaten aktiv zugeht und auf Erklärung und Aufklärung dessen dringt, was dort geschehen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es darf nicht sein, dass ganz offensichtlich millionenfach Telekommunikationsinhalte – nicht die Verbindungen, sondern die Inhalte – durch Tempora und andere Maßnahmen wie Prism abgehört und gelesen werden konnten.

Herr Dr. Orth, Ihre Flucht – anders kann man es nicht mehr bezeichnen – hin dazu, Gesetzesgrundlagen, die in Nordrhein-Westfalen diskutiert werden oder jetzt gelten, als eine Soße mit Prism und Tempora zu verrühren, um vom Versagen Ihrer eigenen Bundesregierung abzulenken, ist schon eine Unverschämtheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das Verfassungsschutzgesetz NRW, das den tiefen Eingriff des Abhörens rechtsstaatlich regelt, mit Tempora und Prism zu vergleichen, ist wirklich eine Argumentation, die man auch anders bezeichnen könnte als nur als schlecht, Herr Dr. Orth.