Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

Wer hier allerdings die Reden hört, sollte zu der Erkenntnis kommen, dass manche Themen in Berlin besser aufgehoben sind; denn da werden sie deutlich differenzierter und verständnisvoller behandelt.

(Zuruf und Lachen von Volker Münchow [SPD])

Nach dem Motto: Wer schreit … – Wir wissen doch alle schon lange: Wer schreit, hat nicht recht. Von daher sollten Sie vielleicht in die Sachargumentation und den Austausch von Informationen eintreten.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben Ihnen allen zugehört. Vielleicht hilft es ein bisschen, die Position etwas weniger deutlich zu vertreten. Wir haben heute zwei Vorredner gehört, die massiv Tatsachen schilderten, von denen keiner weiß, wie sie wirklich sind. Wir haben Fragen zu stellen, und diese Fragen sind sicher richtig.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Sie wollen doch die Aufklärung nicht einmal haben!)

Die erste und wichtigste auch für Sie, Herr Kollege, muss lauten: Was ist an diesen Presseberichten dran? – Wir haben nämlich bisher nur Meldungen aus der Presse, die rauf und runter diskutiert wurden. Und wir haben erste Stellungnahmen, die deutlich machen: So kann es nicht sein. – Wir haben Fragen gestellt. Die Bundesregierung hat Fragen gestellt. Die Fragen sind von den Internetunternehmen beantwortet worden. Sie sagen klipp und klar: Wir haben nicht flächendeckend Daten zur Verfügung gestellt.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das müssen sie doch gar nicht!)

Das ist das Gegenteil von dem, was in der Presse steht. Auch die Zuständigen in Washington haben erklärt: Das, was dort steht, ist nicht zutreffend. Wir halten uns an Recht und Gesetz.

(Lachen von den PIRATEN)

Und so schlecht …

Herr Kollege Biesenbach, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Herrmann von der Fraktion der Piraten zulassen?

So schlecht, wie Sie meinen, können die Gespräche gar nicht gewesen sein. Ich zitiere einmal Herrn Steinbrück, der ja nicht im Verdacht steht, auf unserer Seite zu diskutieren. Über ihn wird am 19. Juni berichtet: Bei dem in Deutschland kritisierten Spähprogramm Prism habe Obama sehr beeindruckend dargelegt, welche Spannungsbogen von nationaler Sicherheit und vollständiger Privatheit er sehe, sagte Steinbrück.

Wir haben heute noch nicht die Antworten. Aber Sie tun so, als ob sie da seien, und werfen der Regierung vor, sie müsse endlich handeln. Dabei hat die Bundesregierung längst zu handeln begonnen. Morgen wird der Bundesinnenminister nach

Washington fliegen, um ganz persönlich Gespräche zu führen, bei denen es darum geht, Informationen zu bekommen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Da bin ich aber gespannt!)

Der Bundesinnenminister hat weiter den Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes eingebracht, der im Bundestag debattiert wird. Das Europaparlament hat einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, der auch daran arbeitet, das, was behauptet wird, zu klären. Danach können wir debattieren, welche Folgerungen nötig sind. Denn, meine Damen und Herren, eines sollten Sie auch nicht vergessen: Wir wollen Freiheit. Aber es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit.

(Widerspruch von Marc Olejak [PIRATEN])

Kollege Biesenbach, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwerd von den Piraten zulassen?

Ich lasse, Herr Präsident, nur sachliche Fragen zu. Aufgrund der Reden kann ich mir nicht vorstellen, dass die zu erwartenden Fragen sachlich sind.

(Lachen und Zurufe von den PIRATEN)

All das, was man der NSA unterstellt, ist offensichtlich technisch möglich. Und alles, was technisch möglich ist, ist auch durch die organisierte Kriminalität und durch Terroristen nutzbar. Darum geht es: hier einen Weg zu finden, der einerseits alle Interessen schützt und auf der anderen Seite aber auch die notwendige Sicherheit gibt. Denn es kann eines nicht sein: Es kann nicht sein, dass überzogene Vorschriften dazu führen, dass wir beispielsweise keine Kinderpornografie mehr verfolgen können.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Oh ja, das ist das Argument bei der Terrorismusbekämp- fung!)

Das mögen Sie ja vielleicht wollen, sonst würden Sie nicht so schreien. Wir wollen das nicht. Wir wol

len ebenfalls nicht, dass Kriminalität im Seniorenbereich immer mehr zunimmt, weil wir keine Chancen mehr haben. – Wenn Sie Interesse an einer wirklich sachlichen Lösung haben, dann warten Sie mit uns gemeinsam ab, bis wir Klarheit haben und wissen, worüber wir reden. Dann können wir hingehen und fragen: Was ist denn notwendig, um die persönliche Freiheit zu schützen, aber auch – umgekehrt – das Internet nicht zu einem rechts- oder auch strafverfolgungsfreien Raum zu machen?

(Lachen von den PIRATEN – Michele Mar- sching [PIRATEN]: Tut das weh!)

Das ist der Weg, den wir Ihnen anbieten. Wir sollten aber nicht heute jemanden vorverurteilen, ohne zu wissen, worum es wirklich geht.

(Beifall von der CDU)

Herr Kollege Biesenbach, ich bitte Sie, am Rednerpult zu bleiben. Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Herrmann von der Fraktion der Piraten gemeldet. Bitte schön.

Danke schön. – Ich möchte es kurz und sachlich machen. Sie haben ausgeführt, dass so viele Fragen offen seien. Es sind sehr viele Fragen aufgeworfen worden. Es gab und gibt eigentlich noch die Chance, denjenigen, der mit verursacht hat, dass diese Fragen jetzt gestellt werden, nach Deutschland einzuladen und zu befragen. Warum tut die Bundesregierung das nicht? Ihr Innenminister könnte das veranlassen.

Bitte schön, Herr Kollege Biesenbach.

Die Antwort ist wieder ganz simpel: Wir stehen am Anfang der Gespräche mit den Amerikanern. Wenn der Bundesinnenminister nach Washington fliegt, hat er die Chance, dort nicht nur einen zu befragen. Er hat die Chance, viele Gespräche zu führen, die notwendig sind. Was macht es für einen Sinn, jemanden aus Amerika wie einen Angeklagten nach hierhin zu zitieren?

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Der ist nicht Angeklagter! Sie haben es nicht verstanden!)

Das ist ja eine völlig andere Situation der Gespräche. Lassen Sie den Bundesinnenminister doch erst einmal in Washington arbeiten. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie alles schon wüssten! Wir reden immer davon, dass wir Dinge klären wollen. Dazu ist es erforderlich, den Sachverhalt zu kennen. Wenn Sie juristisch arbeiten würden, wüssten Sie: Wir klären erst einmal die Fakten. Danach kommen die Folgen. Und dann unterhalten wir uns über den Rest. – Das gilt auch für Herrn von Grünberg.

Wir haben die Geduld, abzuwarten. Wir sehen die Situation. Denn was wir hier besprechen, ist doch nichts anderes als eine medial angelegte Situation, die ich doch auch so machen würde. Jeder, der Informationen streuen möchte, macht es scheibchenweise; das ist doch völlig klar. Wir werden, nehme ich an, auch weiterhin Informationen bekommen, die aber nicht gleich als richtig unterstellt werden dürfen. Lassen Sie uns klären, was dran ist, und dann gemeinsam überlegen, wie wir damit umgehen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Abgeordnete Bolte das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesenbach, Sie haben gesagt, wir hätten noch nicht die Antworten. Genau das ist das Problem – weil nämlich die Bundesregierung nicht bereit ist, diese Antworten einzufordern.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Wir sind uns, meine Damen und Herren, weitgehend einig – das habe ich aus den Debatten der letzten Wochen mitgenommen –, dass die Programme Prism und Tempora massive und unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte der Bevölkerung in Deutschland und in NordrheinWestfalen darstellen. Es wäre gut, wenn die breite Empörung, die sich angesichts dieser massenhaften und anlasslosen Ausforschungen in der Bevölkerung breit macht, auch hier in diesem Haus breit getragen würde. Herr Biesenbach, da habe ich nach Ihrer Rede gewisse Zweifel, was Sie tatsächlich für ein Interesse an Aufklärung in diesem Bereich haben.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Liebe Kollegen und Kollegen, es wird gefühlt wirklich jeden Tag schlimmer. Meine Vorredner haben schon einiges genannt. Es hat mit Prism angefangen. Dann haben wir uns mit Tempora beschäftigen müssen, dann kam das Programm des französischen Geheimdienstes. Die schlechten Nachrichten, wer alles auf bisweilen zweifelhafter Grundlage unsere informationelle Selbstbestimmung missachtet, nehmen kein Ende. Das muss man sich klar machen, wenn wir hier und heute debattieren. Ich fürchte, die Spitze des Eisbergs ist da noch lange nicht erreicht.

In einer solchen Situation ist es notwendig, klar zu sagen: Die Vorwürfe und Vorgänge, die hier im Raum stehen – Herr Biesenbach, Sie haben nicht unrecht –, sind teilweise Dinge, bei denen es noch

Klärungsbedarf gibt, völlig klar. Da würde ich auch nicht widersprechen. Nur: Man muss eben die Bereitschaft mitbringen, diese Aufklärung herbeizuführen. Denn diese Vorgänge sind unter Freunden, unter Partnern, wie es die Bundesrepublik, wie es die Vereinigten Staaten und auch Großbritannien sind, völlig inakzeptabel, falls sich die Vorwürfe bewahrheiten. Es ist gut, wenn der Landtag des größten deutschen Bundeslandes heute in aller Deutlichkeit eine Botschaft in dieser Hinsicht sendet.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Diese Deutlichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, vermisse ich bei denjenigen, die sie eigentlich äußern müssten. Wir erleben hier in vielerlei Hinsicht einen großen Angriff auf unsere Grundrechte, auf das Fundament unserer Freiheit. Und die Bundesregierung bewegt sich einfach nicht. Mein Eindruck ist: Der Bundesinnenminister, der für unsere verfassungsmäßigen Rechte einstehen müsste, ist

schlicht und ergreifend überfordert und deshalb untätig. Und die Kanzlerin? Von ihr hört man seit ihrer Flucht nach „Neuland“ kein Wort mehr – kein Wort zum Datenaustausch, kein Wort zum BND. Ich weiß nicht, ob die Bundeskanzlerin überhaupt bereit ist, in dieser Affäre zur Aufklärung beizutragen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Es ist nichts Schlimmes, unter Freunden und unter Partnern schwierige Dinge anzusprechen – im Gegenteil. In einer guten Partnerschaft – die transatlantische Partnerschaft ist eine Partnerschaft, die sich in vielen Jahrzehnten und auch schon in schwierigen Situationen bewährt hat, zu der wir auch stehen – muss es möglich sein, in aller Offenheit die Fragen zu klären, die sich jetzt stellen. Dazu braucht es Mut und Willen, und bei der Bundesregierung fehlt beides.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)