Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

Wir kommen zur Abstimmung über den Inhalt des Eilantrages Drucksache 16/3503 der Fraktion der FDP. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der FDP mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Piraten bei Zustimmung der Fraktionen von FDP und CDU abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

2 O tempora, o mores – wider die Aushöhlung

von Grundrechten, Demokratie und digitaler Kultur durch zügellose Überwachung!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/3436

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/3512

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3521

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/3522

Die Fraktion der Piraten hat Einzelabstimmung zu den einzelnen Ziffern beantragt. – Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der Piraten Herrn Kollegen Schwerd das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf der Tribüne und an den Glasfaserkabeln. Und allen voran: Liebe Geheimdienstler und Sicherheitspolitiker! O tempora, o mores – wie lange, liebe Geheimdienstler und Sicherheitspolitiker, wollt ihr unsere Geduld noch missbrauchen? Wie lange noch werdet ihr uns mit eurem Wahnsinn, eurer Paranoia und eurem Misstrauen belästigen? Bis zu welchen Punkt wird sich die zügellose Frechheit eurer sogenannten Sicherheitspolitik noch vorwagen?

Seit zwei Wochen sitzt ein US-amerikanischer Bürger ohne gültigen Pass auf einem russischen Flughafen fest. Edward Snowden hat sein bisheriges Leben, seine Familie, seine Freiheit und seine Heimat aufgegeben, um der Weltöffentlichkeit von dem größten Überwachungs- und Spionageskandal unserer Zeit zu berichten.

(Beifall von den PIRATEN)

Dank Edward Snowden wissen wir nun sicher, was vorher nur eine Vermutung von „Alu-Hüten“ war.

US-amerikanische und britische Geheimdienste kopieren jede E-Mail, die wir schreiben, protokollieren jeden Chat, überwachen jedes Internettelefonat und speichern jeden Websiten-Besuch. Die NSA kennt jede Belastung Ihrer Kreditkarte. Sie weiß, was Ihre Kinder im Internet wirklich machen, ganz im Gegensatz zu Ihnen. Und sie ist über die politischen Pläne der Bundesregierung sicherlich besser informiert, als die Lobbyisten im Berliner Regierungsviertel.

Dank Edward Snowden wissen wir auch: Wir müssen nicht mehr vor Orwells „1984“ warnen. Die totale Überwachung findet bereits statt.

(Beifall von den PIRATEN)

Es handelt sich bei der Überwachung durch Prism und Tempora um den größten Eingriff aller Zeiten in die Grundrechte der Bürger der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von den PIRATEN)

Die bekannt gewordenen Überwachungsprogramme sind ein massiver und vorsätzlicher Eingriff in unsere Grundrechte als Bürger dieses Landes, die uns ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung garantieren sollen. Diese maßlose, außer Kontrolle geratene Überwachung durch ausländische Geheimdienste ist nichts weniger als ein Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielleicht sagen Sie sich, diese ganze Überwachung sei gar nicht so schlimm. Vielleicht glauben Sie, die Überwachung betrifft Sie nicht – Sie haben ja nichts zu verbergen. Mit dieser Begründung könnte man fordern, in jeder Wohnung in Deutschland eine Kamera zu installieren.

Vor allem aber steht diese Aussage im Widerspruch dazu, wie eine Demokratie funktionieren sollte. In einer Demokratie sollten nicht Geheimdienste entscheiden, was zum Schutz unserer Gesellschaft nötig ist.

(Beifall von den PIRATEN)

In einer Demokratie muss das Gegenteil gelten. Wir müssen öffentlich darüber diskutieren und demokratisch festlegen, wie viel Überwachung wir zulassen wollen. Wir müssen in der Lage sein, die Aktivitäten der Geheimdienste effektiv zu kontrollieren. Nicht alles, was technisch möglich ist, darf gemacht werden. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Demokratie auch im Zeitalter der Digitalisierung vor den Feinden der Freiheit verteidigt wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten haben hier im Landtag eine ganze Reihe von Anträgen vorgelegt, mit denen wir das Problem aus verschiedenen Richtungen angehen wollen. Wir haben detaillierte Vorschläge gemacht, von denen wir glauben, dass sie uns kurzfristig helfen werden. Darüber hinaus brauchen wir aber vor allem eines – ein deutliches Zeichen aller demokratischen Parteien in diesem Land, dass wir eine uferlose totalitäre Überwachung der Menschen in Deutschland nicht hinnehmen werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir fordern, dass die Bundesregierung ihren staatlichen Schutzauftrag endlich ernst nimmt. Wir laden Sie ein, mit uns gemeinsam ein Zeichen gegen paranoide Totalüberwachung, gegen unkontrollierte Geheimdienste, gegen die Aushöhlung der Demokratie im Namen vermeintlicher Sicherheit und für

Freiheit, für die Geltung der Grundrechte und für ein Leben in Selbstbestimmung zu setzen. Im Gegensatz zu Edward Snowden haben wir noch eine Wahl. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Geyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeden Tag gibt es etwas Neues. Die Medien sind täglich voll von frischen Meldungen bezüglich Überwachung und Ausspähung. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Zuerst kamen die Vereinigten Staaten, welche mit ihrem Geheimdienst NSA weltweit Daten von mehreren Zettabytes abgreifen und alles damit bisher Bekannte in den Schatten stellen, dann kam der britische Geheimdienst mit seinem Programm Tempora. Massenweise werden Daten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern, staatlichen Institutionen und Unternehmen einfach durch ausländische Geheimdienste abgefangen und für ihre Interessen ausgewertet.

Unsere Freunde sammeln nicht nur Daten potenzieller Terroristen und sehen dies als Legitimation für ihr Handeln an, sondern sie sammeln auch Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger und Daten unserer politischen Institutionen. Von den europäischen Institutionen wissen wir es schon. Doch was ist mit unseren Landes- und Bundesministerien?

Natürlich darf nicht die hochmoderne Geheimdienstmethode des Scannens von Briefen in und durch die USA vergessen werden. Ich frage mich daher: Ist Deutschland noch ein souveräner Staat, wenn andere Geheimdienste auf deutschem

Staatsgebiet unbehelligt agieren dürfen? – Sie verletzen vorsätzlich eine Vielzahl unserer verfassungsmäßigen Grundrechte.

(Beifall von den PIRATEN)

Explizit sei hier auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verwiesen, also auf den Schutz der Privatsphäre. Es ist Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützt wird und somit eine wesentliche Komponente der Menschenwürde darstellt. Sie ist nicht ohne Grund an prominenter Stelle des Grundgesetzes verankert. Wer die Debatte zur Internetüberwachung und zum Abhören durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA verfolgt, bei dem uns unsere Freunde – das ist ein Begriff, den es intensiver zu diskutieren gilt –

(Zuruf von den PIRATEN: Sogenannte Freunde!)

in einer nie gekannten Dimension systematisch ausspionieren, kann zu dem Schluss kommen, dass wir kein souveräner Staat sind, sondern noch immer ein besetztes Land. Oder arbeitet der Bundesnachrichtendienst Hand in Hand mit der NSA zusammen und stützt sich dabei auf geheime Zusatzabkommen? Wer das Magazin „Der Spiegel“ in dieser Woche gelesen hat oder die letzte Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dem zwingt sich dieser Eindruck förmlich auf. Diesen Sachverhalt gilt es umgehend aufzuklären.

Dies verwundert umso mehr, da die schwarzgelbe – nennen wir sie mal – Bundesregierung doch immer durch ihre Klientelpolitik auffällt. Doch jetzt setzt sie sich nicht einmal mehr für die Interessen der deutschen Industrie ein und lässt weiter Wirtschaftsspionage zu.

Wir wollen eine umfassende und vollständige Aufklärung der US-amerikanischen geheimdienstlichen Aktivitäten und ihres Umfangs in Deutschland. Das gilt auch für die anderen Geheimdienste. Es kann nicht angehen, dass wir jeden Tag mit neuen Erkenntnissen konfrontiert werden, sei es aus den USA, aus Großbritannien oder Frankreich. Hier muss die Kanzlerin endlich detailliert Auskunft geben: Was weiß das Bundeskabinett und welche Rolle kommt dem Bundesnachrichtendienst zu?

Es geht um das Vertrauen der Bevölkerung und der Wirtschaft in den deutschen Staat, in den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland. Die Bundeskanzlerin und ihr Innenminister versagen an dem Punkt. Sie wiegeln ab, verharmlosen und versuchen, die Thematik herunterzuspielen. Die deutsche Öffentlichkeit verlangt Klarheit und Klartext. Ein Machtwort der Bundeskanzlerin ist notwendig. Gegenüber Freunden dürfen und müssen deutliche Worte fallen, auch in der Öffentlichkeit. Ein Aussitzen ist keine Lösung. Das ist schlichtweg die pure Arroganz der Macht. Frau Bundeskanzlerin, Sie sind gefordert.

Solange Gefahr besteht, dass die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten durch die US-Geheimdienste abgehört werden könnten, sind diese auszusetzen. Zu Recht hat die EU-Justizkommissarin Viviane Reding kürzlich darauf hingewiesen, dass das transatlantische Freihandelsabkommen nicht in einem Klima des gegenseitigen Misstrauens verhandelt werden kann.

Um auf meine anfängliche Frage zurückzukommen: Ja, Deutschland ist ein souveräner Staat.

Nach dem Völkerrecht gehört zur Souveränität der Staaten auch die Territorialhoheit auf dem Staatsgebiet. Ein Abfangen von Daten ist damit nur schwer vereinbar. Daher fordere ich Sie im Interesse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, dem Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Geyer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufregung, die Teile der Öffentlichkeit umfasst, und auch die Aufregung, die sich textlich in Ihren Entschließungsanträgen darstellt, kann ich durchaus verstehen. Die teilen wir teilweise auch.

Wer hier allerdings die Reden hört, sollte zu der Erkenntnis kommen, dass manche Themen in Berlin besser aufgehoben sind; denn da werden sie deutlich differenzierter und verständnisvoller behandelt.