Protokoll der Sitzung vom 25.09.2013

(Beifall von den PIRATEN)

Trotzdem gibt es viele in unserem Saal, die nicht gerne Vermögen besteuern wollen. Für die möchte ich noch anfügen, was mit den Arbeitseinkommen passiert; denn das ist ja eigentlich viel schlimmer.

Es gibt einen Grundfreibetrag von 6.681 € im Jahr. Das heißt, wenn jemand pro Monat 560 € brutto verdient, muss er Steuern zahlen. Ist das nicht absurd? Wer zum Beispiel 900 € im Monat verdient, zahlt überschlägig gerechnet etwa 79 € Steuern. Dazu kommen dann noch die Sozialabgaben. Ein Mensch mit so niedrigem Einkommen kann sich keine richtige Wohnung leisten – schon gar nicht mit Kindern; da nützt auch das Kindergeld nichts. Er oder viel, viel öfter sie ist vom kulturellen Leben weitgehend abgeschnitten. Biolebensmittel stehen nicht auf dem Tisch. Solchen Menschen Geld aus der Tasche zu ziehen, das finde ich schäbig.

Aber auch auf die Art und Weise kommen hohe Beträge an Lohnsteuer zusammen, fünfmal so viel wie bei der Einkommensteuer auf alle anderen Einkommensarten wie Gewinne, Mieteinnahmen, Zinsen, usw. Davon finanziert sich der Staat zum großen Teil. Und dann werden die Vermögenden geschont. Eigentlich müsste die Vermögensteuer schon deswegen eingeführt werden, damit die Niedrigeinkommen nicht mehr besteuert werden müssen.

Tatsächlich kann überhaupt nicht die Rede davon sein, dass die Mehrheit der Menschen in diesem Land über ihre Verhältnisse gelebt hat – es sei denn, wir reden über die ökologischen Grenzen dieses Planeten. Aber genau das tun wir eben nicht.

Hier wird unterschlagen, was diese Gesellschaft ausmacht, nämlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde ist seit 1991 von knapp 30 € auf rund 40 € – in den Preisen von 2000 – enorm gewachsen. Von einem Zwang, den Gürtel enger zu schnallen, kann in dieser Hinsicht also wirklich nicht die Rede sein.

Auch das bereits diskutierte private Geldvermögen gibt hierzu keinen Anlass. Es liegt heute mit 5 Billionen, also 5.000 Milliarden €, mehr als doppelt so hoch wie 1990. Das Bundesfinanzministerium schätzt das gesamte Nettovermögen in Deutschland auf schier fantastische 8,6 Billionen €. Allein die vermögendsten 10 % besitzen fast 5,2 Billionen € netto Geld- und Immobilienvermögen. Der größere Teil davon wurde geerbt. Allein das private Geldvermögen ist mehr als doppelt so groß wie die gesamten Schulden des Staates.

Das Gegenteil dessen, was uns diese Regierung predigt, ist also wahr: Die finanziellen Gesamtspielräume sind im Prinzip größer geworden.

Während also einerseits die Einkommens- und Vermögenskonzentration wächst, steht andererseits der geschaffene Reichtum nicht mehr zur Verfügung, um notwendige Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen.

Finanzminister Walter-Borjans hat das heute mit sehr moderaten Worten gesagt: Die Einnahmenseite ist auch zu beleuchten. – Von daher könnte man sich auf seine Linie stellen. Aber im Prinzip erfolgt auch mit dem neuen Haushalt eine Form von Mängelverwaltung.

Bereits im Jahr 2008 hat das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin, das Difu, den notwendigen kommunalen Investitionsbedarf mit mehr als

704 Milliarden € beziffert. Die tatsächliche kommunale Investitionstätigkeit bleibt nicht nur weit hinter diesem Wert zurück, sondern ist sogar kontinuierlich rückläufig. Allein im Bildungsbereich besteht ein jährlicher Mehrinvestitionsbedarf von 45 Milliarden €, zum Beispiel für Ganztagsbetreuung, Schulinfrastruktur oder die hier dauernd Thema seiende Inklusion.

Im April dieses Jahres konstatierte die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW:

„Nach Schätzungen der Kommunen beträgt der Investitionsrückstau inzwischen 128 Mrd. Euro und damit etwa 20 Mrd. Euro mehr als im Vorjahr.“

Der Sanierungsstau baut sich also sogar auf. Jeden Tag gehen so gesellschaftliche Werte in Millionenhöhe verloren.

Verfallende Infrastrukturen – also kaputte Straßen, marode Brücken, bröckelnde Schulen –, nicht gewartete Züge und Gleise, baufällige Hochschulen, ungepflegte Grünanlagen usw. können überall – auch bei uns in Nordrhein-Westfalen – besichtigt werden.

Von diesem Erbe, das wir an unsere Kinder weitergeben, wird aber nicht erzählt, wenn wir über Schuldenbremsen sprechen. Wenn aber dem Staat systematisch die Mittel entzogen werden, die erforderlich sind, um die öffentliche Infrastruktur wenigstens zu erhalten, dann übergeben wir unseren Kindern ein Land, in dem selbst zentrale Einrichtungen einer modernen, leistungs- und wettbewerbsfähigen sowie lebenswerten Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Leidtragende der öffentlichen Sparmaßnahmen sind die Menschen, die auf die Leistungen des Staates eher angewiesen sind als Vermögende; das ist klar. Allein die Steuerreformen seit 1998 haben bis heute hochgerechnet zu Steuerausfällen von unglaublichen 470 Milliarden € geführt – Geld, das heute fehlt.

Es gibt in der Bevölkerung einen breiten Konsens darüber, dass es in unserer Gesellschaft wieder gerechter zugehen muss und dass dazu unabdingbar

die Beteiligung aller leistungsfähigen Menschen, Organisationen und Unternehmen zählt.

Neben der Wiedereinführung der Vermögensteuer müssen wir auch über eine sachte und verantwortungsvolle Anhebung des Spitzensteuersatzes reden. Wie hoch ist wohl die Bereitschaft, höhere Grenzsteuern zu zahlen, wenn davon nur die Vermögenden und Reichen profitieren, wenn davon Banken saniert werden, die ihren Managern millionenschwere Abfindungen zahlen? Wie hoch mag andersherum die Bereitschaft sein, wenn davon Schulen saniert werden, der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird und Kinderbetreuungsplätze statt Betreuungsgeld angeboten werden?

Darüber hinaus müssen wir dringend – ich weiß, das ist ein heißes Thema – auch mal über die Erbschaftsteuer wenigstens sprechen.

Last, but not least: Wer über Einnahmen spricht, darf über die Finanztransaktionsteuer nicht schweigen. Momentan sieht es damit ja nicht gut aus. Aber wir wissen, dass die Bankenrettungen den Staat, das heißt die Bürgerinnen und Bürger, Unsummen gekostet haben und noch lange kosten werden. Allein die Rettung der Hypo Real Estate schlägt mit 150 Milliarden € zu Buche. 150 Milliarden €, die ausschließlich über die Steuern ganz normal verdienender Menschen finanziert wurden und werden, nur für eine Bank!

Zur Erinnerung: Das strukturelle Haushaltsdefizit in Nordrhein-Westfalen liegt bei etwa 4 Milliarden €. Verglichen mit den Summen, die für die Rettung systemrelevanter Banken aufgebracht wurden, ein Witz, eine Fußnote! Um mit Hilmar Kopper zu reden: Peanuts!

Die Liberalisierung und die Deregulierung der internationalen Finanzmärkte, woran nicht zuletzt auch die rot-grüne Bundesregierung beteiligt war, haben zur Bildung großer Spekulationsblasen geführt, die wesentlich und ursächlich für die große Krise waren. Die Besteuerung, wenn nicht gar Verhinderung spekulativer Geschäfte ist nicht nur ein Beitrag zur Finanzierung der staatlichen Ausgaben, sondern auch ein Weg zurück in eine gesellschaftlich sinnvolle Wirtschaftstätigkeit. Wir können damit zu hohe Schulden verhindern.

Last, but not least: Schulden findet niemand gut. Niemand ist der Meinung, Schulden seien unproblematisch. Natürlich muss es das Bestreben eines seriös und nachhaltig wirtschaftenden Haushälters sein, Schulden, die momentan unvermeidlich sind, mittel- und langfristig auszugleichen. So weit sind wir uns alle einig. Aber diese Feststellung darf nicht als Verständigung über die pauschale Ablehnung von Schulden missverstanden werden.

Entscheidend für die Finanzpolitik des Landes muss das Verantwortungsgefühl für die Bürgerinnen und Bürger sein, das Verantwortungsgefühl für die wichtigsten Aufgaben des Staates, für die zivilisatorische

Qualität unseres Zusammenlebens, für das Alltagsleben in den Kommunen, für die Infrastruktur usw. Ich plädiere dafür, für eine gerechte Verbesserung der Einnahmenseite zu kämpfen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden; denn sonst gilt das Wort, dass die Demokratie, deren Aufgabe es ist, ein selbstbestimmtes Leben aller zu gewährleisten, ihrer Leistungspflicht nicht nachkommt. Und das möchten wir gerne verhindern. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Nun spricht für die Landesregierung die Ministerpräsidentin, Frau Kraft.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine andere Haushaltsdebatte, eine andere Einbringung erlebt als in den Jahren, die ich bisher hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen miterleben durfte. Sicherlich ist ein Grund dafür, dass wir gerade eine Bundestagswahl hinter uns haben mit Ergebnissen, die die einen freuen und die anderen weniger freuen. Auch von mir einen herzlichen Glückwunsch an die Wahlgewinner.

Ich habe moderate Töne, ruhige Töne, aber auch vieles Negatives über unser Land gehört. Das mag an der einen oder anderen Stelle richtig sein; denn wir haben Herausforderungen, die wir gemeinsam angehen müssen. Aber wir haben auch positive Daten und Fakten, die man nicht unter den Tisch kehren sollte.

Wir sind ein Land, in dem die Erwerbstätigenzahl steigt,

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Weniger als vorher!)

in dem es mehr sozialversicherungspflichtige Jobs gibt als jemals zuvor, in dem die Erwerbstätigen überdurchschnittlich produktiv sind, in dem das ProKopf-Einkommen überdurchschnittlich ist, ein Land, das als Standort attraktiv für ausländische Investoren ist.

Die Zahl darf man in einer solchen Debatte auch einmal nennen: Mit 27,1 % – das sind über 200 Milliarden € – verzeichnete das Land Ende 2011 – das ist der letzte verfügbare Wert; er wird weiter steigen – den mit Abstand höchsten Anteil aller 16 Bundesländer am Bestand der Direktinvestitionen in Deutschland. 27,1 %! Es folgt Bayern mit 16,8 % – um einmal deutlich Hausnummern zu vergeben. Darüber dürfen wir uns auch heute freuen.

Wir sind die Nummer eins bei den unternehmensnahen Dienstleistungen.

Wir sind ein Land, das beim Ausbau der Ganztagsschulen besser dasteht als viele andere Bundesländer. Auch dazu haben wir neulich neue Studien und Zahlen bekommen.

Nicht zuletzt: Wir sind von allen Flächenländern das Land, das die schlankeste Verwaltung hat, nämlich pro 1.000 Einwohner 16,34 Stellen im öffentlichen Dienst. Im Durchschnitt aller Flächenländer sind es 19,47.

Zu einer Gesamtbetrachtung unseres Landes Nordrhein-Westfalen gehören auch positive Dinge. Auch darum geht es in einer solchen Debatte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe in dieser Debatte heute – bei den im Wesentlichen ruhigen Tönen – auch viel darüber gehört, was alles zu tun ist, vor welchen Herausforderungen wir stehen – da sind wir in weiten Teilen einer Meinung –: von der Demografie über die kommunale Finanzlage bis zur Infrastruktur. Wir alle wissen, woran es mangelt.

Es gibt auch viele Vorschläge, was zu tun ist. Es gibt allerdings genauso wenige Vorschläge, an welchen Stellen denn zu kürzen ist. Ich jedenfalls habe hier heute keinen gehört, keinen einzigen.

Es ist schon hoch erstaunlich, dass in diesem Landtag von der Opposition keine solchen Vorschläge benannt worden sind. Selbst die FDP hat heute nur gesagt, wo denn der Stein nicht behauen werden sollte. Aber wie er denn behauen werden sollte, auch da sind Sie heute wieder alle Antworten schuldig geblieben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, Sie haben uns vorgeworfen, es gebe keine neuen Ideen, erst recht keine Visionen – so war, glaube ich, das Zitat aus Ihrer Rede vorhin, Herr Laumann.

Ich sage Ihnen: Wir haben eine Vision. Wir haben eine Idee, und der gehen wir kontinuierlich nach. Wir werden dieses Land gerechter machen. Wir werden dafür sorgen, dass kein Kind zurückgelassen wird. Und wir werden dafür sorgen, dass in diesem Land endlich eine vorbeugende Politik dafür sorgt, dass Haushalte nachhaltig saniert werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das werden wir tun, auch weiterhin.

Dabei bleiben wir – auch das hat der Finanzminister heute deutlich gemacht – bei unserem Kurs: einem Dreiklang aus Einsparungen, aus notwendigen Investitionen und aus Einnahmensteigerungen. Das haben wir immer gesagt, das werden wir weiter sagen. Und das werden wir auch tun.

Im Haushalt 2014, über dessen Entwurf wir heute reden, sind strukturelle Einsparungen von 950 Millionen € enthalten. Das ist kein Pappenstiel.

Es sind auch Investitionen im Bildungsbereich darin.