Protokoll der Sitzung vom 16.10.2013

(Christian Lindner [FDP]: Nicht hier und da, überall!)

Tatsache ist, dass die zentralen Regelungen des Gesetzes auf Anregung der kommunalen Spitzenverbände erst zum 1. August 2014, also zum neuen Schuljahr, in Kraft treten. Das Anmeldeverfahren kann unabhängig davon ungestört durchgeführt werden. Eine Verfassungsbeschwerde können die Gemeinden und Gemeindeverbände selbstverständlich innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erheben. Dieses Recht bleibt ihnen doch unabhängig von der Verständigungslösung völlig unbenommen.

In der Zwischenzeit wollen wir aber ausloten, ob wir ohne Aufgabe der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen können. Und deshalb haben die kommunalen Spitzenverbände und wir, die Landesregierung mit den Koalitionsfraktionen, uns einen straffen – das gebe ich gerne zu – und ambitionierten Arbeitsauftrag gegeben. Wir haben einen verbindlichen Untersuchungsauftrag vereinbart. Dieser Prozess ist ergebnisoffen und soll Ende Januar 2014 beendet sein.

Und, meine Damen und Herren, auf diese Weise wird der Rechtsschutz der Städte und Gemeinden ausreichend gewahrt und es wird so schnell wie möglich Klarheit geschaffen. Dies ist ein vernünftiger Prozess mit einer vernünftigen Verständigung, bei dem Sie uns unterstützen sollten, meine Damen und Herren von der Opposition.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Fünftens. Eines möchte ich noch einmal in aller Klarheit ansprechen, meine Damen und Herren von der Opposition, vor allem von CDU und FDP – das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns in diesem Prozess –: Sie setzen auf Scheitern, und wir setzen auf Gelingen, meine Damen und Herren. Das ist der Unterschied.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lutz Lienenkämper [CDU]: Unverschämt! Das ist eine Unverschämtheit! So lassen wir nicht mit uns reden! – Weitere erregte Zurufe von der CDU – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Damit das ganz klar ist: Wir versprechen den Kindern, den Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern, der kommunalen Familie: Wir werden alles tun,

(Zurufe von der CDU)

damit diese große Chance für unsere Gesellschaft, immer mehr zu integrieren statt auszugrenzen, auch tatsächlich erfolgreich genutzt wird.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es so wichtig, heute dieses 9. Schulrechtsänderungsgesetz mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen zu beschließen und unseren Entschließungsantrag anzunehmen. Dann wird es wirklich ein guter Tag für die Kinder, für die Eltern, für die Menschen in unserem Land Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Klaus Kaiser.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Römer, vorweg nur so viel: Wir brauchen von Ihnen keinen Nachhilfeunterricht in der Frage der Inklusion. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir brauchen von Ihnen auch keine Belehrungen, was es angeht, Kinder mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren. Ich finde, damit haben Sie einen Stil hineingebracht, der in dieser Debatte und bei dieser Fragestellung völlig unangemessen ist.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Dies ist aus meiner Sicht, aus Sicht der CDUFraktion kein großer Tag für Nordrhein-Westfalen. Mit der Verabschiedung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes in der jetzt vorliegenden Form wird nämlich die große Chance vertan, die Frage der Inklusion zu einem Gewinnerthema für alle in Nordrhein-Westfalen zu machen. Diese Chance vergeben Sie heute!

(Beifall von der CDU)

Diesem Gesetz lag ein klarer Auftrag zugrunde: die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in nordrhein-westfälisches

Schulrecht. Lassen Sie uns doch dieses Gesetz einmal aus dem Blickwinkel einer betroffenen Familie, eines betroffenen Kindes mit Behinderung betrachten.

In zwei Wochen geht diese Familie zur Schulanmeldung. Es wird ein Förderbedarf festgestellt werden. Das Kind wird vielleicht besondere Hilfsmittel benötigen, um am Unterricht teilnehmen zu können. Nun sollen die Eltern eine Wahl zwischen einer Förderschule und einer Regelschule treffen.

Was sie in der Förderschule erwartet, kann sich die Familie bei einem Besuch dort anschauen: Alle Lehr- und Lernmittel sind vorhanden. Eventuell notwendige Pflege ist gewährleistet. Über den Zeitpunkt der Abholung durch den Bus werden die Eltern informiert werden. Sonderpädagogen erteilen den Unterricht.

Die Familie möchte aber vielleicht die Regelschule wählen, weil das Kind weiter mit den Freunden aus dem Kindergarten zur Schule gehen soll. Nun kann aber dem Kind niemand sagen, ob es tatsächlich mit seinen Freunden zur Schule gehen kann oder vielleicht eine weiter entfernt liegende Schwerpunktschule besuchen wird. Denn die Kommunen hatten durch die ständige Verschiebung und die späte Verabschiedung des Gesetzes keine Möglichkeit, dies ausreichend vorzubereiten, und ihre Kosten – Herr Römer, ich komme gleich noch einmal darauf zurück – wurden nicht als konnexitätsrelevant anerkannt.

Die Eltern müssen das Kind also vorerst vertrösten, dass es nicht zu Weihnachten, aber vielleicht nach Ostern erfährt, auf welche Schule es kommt – und das alles, während die anderen Kinder im Kindergarten sich schon freuen.

Und was können die Eltern für ihre Entscheidung über die Schule in Erfahrung bringen?

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ich würde das Gesetz mal lesen!)

Kommt ein Sonderpädagoge? – Hoffentlich, wenn das Stellenbudget reicht.

Wie viele Stunden wird er oder sie in der Klasse sein? – Das weiß noch keiner.

Wird jemand das Kind abholen und zur Schule bringen? – Wenn die Kommune genügend Geld hat und einen Schülerspezialverkehr für einzelne Kinder einrichtet, ja. Ansonsten können doch die Eltern fahren; sie bekommen ja auch 13 Cent pro Kilometer dazu.

Werden die notwendigen Hilfsmittel da sein, die dem Kind das Lernen erleichtern? – Die Schule kennt sich mit so etwas leider nicht aus. Fragen Sie doch bitte mal Ihren Krankengymnasten!

So sieht die Realität für die Betroffenen aus, wenn eine Landesregierung sich ihrer Verantwortung verweigert,

(Beifall von der CDU)

keine Standards setzt, vieles ungeregelt lässt und bei den Kommunen eine Inklusion nach Kassenlage

schafft. Reichere Städte, Herr Römer, können sich eben ein bisschen mehr Inklusion leisten.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Aus Sicht der Schule ist die Lage nicht viel anders. Drei Viertel aller Lehrerinnen und Lehrer sehen die Inklusion mit Skepsis und mit Ängsten.

Diese sind berechtigt. Da helfen auch nicht die Anträge und Rettungsversuche in letzter Minute; denn diese machen eines deutlich: In dieser Frage steht Ihnen das Wasser bis zum Hals, weil Sie nicht halten, was Sie versprochen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch die jetzt verteilten Placebos in Ihrem Entschließungsantrag und im Änderungsantrag zum Gesetzentwurf werden den Betroffenen die Sorgen nicht nehmen.

Herr Römer, Herr Priggen, wenn es nicht so traurig wäre, müsste ich herzhaft über Ihre Pressemeldung von gestern lachen. Ich zitiere:

„Die Kommunen haben die ausgestreckte Hand ergriffen.“

Jetzt weiß man nicht genau, was die ausgestreckte Hand bedeutet, ob sie die Kommunen vielleicht maßregeln sollte. Ich musste mir doch die Augen reiben, als ich diese Presseerklärung gestern las,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wach werden beim Lesen!)

denn sie entspricht nicht den Fakten.

Was besagt Ihr Änderungsantrag? – Die Landesregierung ist bei ihrer Auffassung geblieben. Die kommunalen Spitzenverbände sind bei ihrer Auffassung geblieben. Wir stehen also da, wo wir auch vor der plötzlichen Verschiebung der Verabschiedung des Gesetzes, nämlich vor einem Monat, standen.

Herr Römer kündigte in der Presse groß an, während wir im Schulausschuss woanders tagten, es werde eine Einigung geben. Diese Einigung gibt es nicht. Wenn Sie es nicht glauben, dann lesen Sie die Pressemitteilung der kommunalen Spitzenverbände. Ich zitiere:

„Für die Kommunen ist es der letzte Versuch“

der letzte Versuch! –,

„mit dem Land zu einer Einigung über die Konnexität der Inklusion zu kommen.“

(Zurufe von der SPD)