Protokoll der Sitzung vom 17.10.2013

Ich will auf den Antrag der Piraten hier nicht näher eingehen, weil die parlamentarischen Regularien vorsehen, dass man darüber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens fachlich mit berät. Aber seien Sie sicher: Die Landesregierung ist sich der bestehenden ernsten Lage, insbesondere für unsere Kommunen, bewusst. Deshalb wollen wir mit diesem Gesetzentwurf den Grundstein legen, dass diese Kommunen bei dieser wichtigen und schweren Aufgabe Zug um Zug entlastet werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Herrmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Redezeit einige Anmerkungen zur Flüchtlingssituation in Europa und zur Politik der Bundesregierung in dieser Sache.

Ich schäme mich dafür, dass die Verantwortlichen in Berlin trotz der schrecklichen Zustände für Flüchtlinge in den Ländern Südeuropas ein „Weiter so!“ propagieren. Zwar diskutieren wir aufgrund der letzten Tragödien im Mittelmeer vor Lampedusa endlich ein wenig über die Auswirkungen einer „Festung Europa“. Aber die Bundesregierung hat nun schon mehrfach angekündigt, dass sie an der Abschottung Europas und Deutschlands vor dem auch von ihr und von uns verursachten Elend in der Welt nichts ändern will.

Im Jahr 2011 sind nach Angaben des UNFlüchtlingshilfswerks 1.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken; im letzten Jahr sollen es 1.700 gewesen sein. Hinzu kommt eine sehr hohe Dunkelziffer. Was tun wir dagegen? Wir buttern jetzt Millionen Euro in Überwachungssysteme wie „Eurosur“, die zur Ausgrenzung und zur Abschottung gedacht sind, und treiben damit die Menschen dazu, in noch kleineren Booten noch gefährlichere Routen über das Meer zu suchen.

Dann kommt der Bundesinnenminister noch daher und brüstet sich mit den großen Zahlen von Flüchtlingen, die wir in Deutschland aufnehmen, wo doch nachweislich andere Länder in Europa drei- bis viermal mehr Flüchtlinge im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl aufnehmen.

Ohne es groß zu erzählen, ist er mit seinem Einfluss in Brüssel dann immer noch ständig dabei, die Reisefreiheit der Menschen in Europa zu torpedieren. Das ist wirklich das Letzte, und ich hoffe, dass er in der kommenden Bundesregierung nicht mehr unser Innenminister sein wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Mut macht mir hingegen, dass die Grünen im Bund eine Generalüberholung der europäischen Asylpolitik fordern und dies als Kernpunkt in die Verhandlungen mit der CDU eingebracht haben sollen, auch wenn das im Moment wohl keine weiteren Folgen haben wird.

Wenn der SPD-Bundesvorstand Ralf Stegner fordert, dass Art. 1 Grundgesetz – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – für alle Flüchtlinge, Asylbewerber, Bürgerkriegs- und auch Armutsflüchtlinge gelten soll, dann ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber gut, dass er es noch einmal deutlich gemacht hat.

Hierzu sollte er aber dringend seinen Parteikollegen Olaf Scholz in Hamburg anrufen; denn nach aktuellen Berichten werden dort gezielt Menschen mit schwarzer Hautfarbe auf der Straße kontrolliert und erkennungsdienstlich behandelt, um festzustellen, ob sie zu einer Flüchtlingsgruppe gehören, die sich seit Wochen in Hamburg aufhält. Das ist, wie ich finde, ein unglaublicher Zustand. Dagegen protestieren Menschen in Hamburg, und das zu Recht. Es ist dringend geboten, nicht mit der Bereitschaftspolizei dagegen vorzugehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, laut Umfragen möchte jeweils mehr als die Hälfte Ihrer Mitglieder und Anhänger, dass Flüchtlingen geholfen wird und dass wir in Deutschland mehr notleidende Menschen aufnehmen. Mein Appell an Sie: Nehmen Sie das als Auftrag und handeln Sie danach.

Herr Minister Jäger, wenn Sie ein neues humanitäres Konzept für die Flüchtlingspolitik in Europa vorschlagen möchten – ich habe so etwas nämlich in

der Zeitung gelesen –, dann begrüßen wir das. Ich hoffe aber zunächst, dass Sie keine Hundertschaften der Bereitschaftspolizei NRW nach Hamburg schicken. Vielleicht können Sie gleich noch einmal klären, ob das so ist oder nicht. Dort sollen sich Hundertschaften aus fünf Bundesländern aufhalten.

Doch nun zur Situation in Nordrhein-Westfalen: Hier darf es kein „Weiter so!“ geben, und hier können wir mit vereinten Kräften einiges an Hilfe für die Verbesserung der Situation der Flüchtlinge auf den Weg bringen. Die Änderungen des Flüchtlingsgesetzes sind ein erster Schritt dazu. Wir begrüßen das ausdrücklich. Aber Sie wissen auch, dass wir noch viel mehr Schritte machen müssen.

Die Summen für die Unterbringung der Asylsuchenden decken die Kosten in den Kommunen nicht. Ich weiß, dass Sie für den Haushalt 2014 70 Millionen € mehr eingeplant haben. Das ist gut, aber die Kommunen sind laut Flüchtlingsaufnahmegesetz verpflichtet, die Menschen unterzubringen. Daher ist es die Pflicht des Landes, den Kommunen genug Geld zur Verfügung zu stellen.

Deshalb ist es kein Wunder, wenn in den Kommunen an allen Ecken und Enden gespart wird und die Menschen schlecht versorgt sind. Container-Dörfer mit 450 Menschen und mehr oder ehemalige Klassenräume als Wohn- und Schlafräume für neun Menschen auf unbestimmte Zeit – das führt zu sozialen Spannungen bei allen Menschen, nicht nur bei Flüchtlingen.

Das muss vermieden werden, und deswegen fordern wir mit unserem Antrag Mindeststandards für die Unterbringung. Dazu bieten wir auch Lösungsbeispiele wie die Unterbringung in angemieteten Wohnungen entsprechend dem Leverkusener Modell an.

Ich will jetzt nicht alle Forderungen und Notwendigkeiten aufzählen. Denn Sie wissen eigentlich alle, dass wir dringend eine Reform brauchen. Ich möchte Sie jedoch alle bitten, dass wir parteiübergreifend versuchen, Verbesserungen in NRW zu erreichen. Das Thema ist für parteipolitisches Kalkül absolut nicht geeignet, weil es gefährlich ist, mit dem Feuer der Fremdenfeindlichkeit zu spielen, und weil es dafür zu wichtig ist. Denn hier geht es um das Leben von Menschen, nicht nur um ihre Würde.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Körfges.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir heute anlässlich des Gesetzesentwurfs

der Landesregierung und der Vorschläge der Fraktion der Piraten hier die Gelegenheit haben, uns über ein ernstes Thema auszutauschen. Auch ich möchte mit einigen eher grundsätzlichen Anmerkungen beginnen.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig: Die Zahl der Asylanträge steigt. Ja, es ist richtig: Die Flüchtlingsströme nehmen zu. Und es ist richtig, dass Land und Kommunen mit der Bewältigung der gestiegenen Zahl an Menschen, die in Deutschland Schutz und Hilfe suchen, vor Probleme gestellt werden. Das ist unbestritten.

Vor dem Hintergrund ohnehin knapper Finanzmittel sind das sicherlich erhebliche Probleme, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt auch Akzeptanzprobleme. Insbesondere Herr Minister Jäger hat darauf abgehoben.

Lassen Sie mich eines ganz deutlich sagen: Es handelt sich nicht in erster Linie um kommunale Probleme, es handelt sich nicht in erster Linie um Landesprobleme, sondern, liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich in erster Linie um existenzielle Probleme von Menschen, die in ihren Herkunftsländern von Krieg, Verfolgung, Ausgrenzung, Not und Hunger bedroht sind. Diese Menschen setzen zum Teil in geradezu aberwitziger Art und Weise – und die Frage nach der Verantwortung ist gerade auch schon gestellt worden – ihr Leben aufs Spiel, um dieser Situation für ihr eigenes Wohl und das ihrer Familien zu entkommen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir gefordert, und zwar nicht nur materiell.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich frage mich: Was stimmt nicht in einer Welt, in der solche Zustände herrschen? Was tun wir in Europa, wo wir doch alle an Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und den Anspruch auf ein Leben ohne Not glauben? Was machen wir ganz konkret, um auch mit den Ursachen für diese Flüchtlingsströme umzugehen? Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, was machen wir, um irrationale Befürchtungen und Ängste abzubauen, statt sie durch übertriebenes Schutzdenken aufzubauen, wie das in einigen Fällen geschieht. Das haben wir gerade bereits anhand einiger Beispiele gehört. Ich will das nicht vertiefen, um bei diesem Thema nicht unnötig auszugrenzen. Was machen wir, um solche Ängste abzubauen?

Ich sage noch etwas zu den irrationalen Befürchtungen. Schauen Sie sich doch bitte einmal die unmittelbaren Anliegerstaaten von Syrien, zum Beispiel Jordanien, an. Dort leben 5,5 Millionen Menschen, davon 500.000 Bürgerkriegsflüchtlinge. Ich denke, dort gibt es eine andere Relation bezüglich der Probleme als in Europa. Insoweit halte auch ich den Gedanken von der Festung Europa für unerträglich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich bin sehr dankbar dafür, dass der ehemalige Kollege Hermann-Josef Arentz über ein soziales Netzwerk Kontakt mit mir hält. Das ist ein sehr netter ehemaliger Kollege der CDU-Fraktion. Ich halte es für absolut richtig und notwendig, dass wir – und das habe ich jetzt ganz bewusst so gesagt – über die Parteigrenzen hinweg nach den Ursachen fragen und versuchen, das Ganze in eine vernünftige Relation zu bringen.

Es ist gut – dafür bin ich meiner eigenen Heimatstadt sehr dankbar –, dass Kommunen zwischenzeitlich offen mit der Frage umgehen, ob wir nicht mögliche Einrichtungen des Landes in unsere Stadt, auch unter dem Gedanken der dezentralen Unterbringung, möglich machen sollten. Wir müssen die Kommunen darin bestärken.

Hierin unterscheidet sich mein Ansatz ein bisschen von dem der Piraten. Wir müssen die Kommunen darin bestärken, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Insoweit ist es richtig, dass wir denjenigen, die Landeseinrichtungen auf ihrem Gebiet in Zukunft positiv begleiten, auf der anderen Seite die Möglichkeit einer Entlastung bieten. Das ist auch im Interesse der betroffenen Menschen richtig. Ich bin sehr froh darüber, dass meine Heimatstadt zum Beispiel offen und positiv damit umgeht. Denn das spiegelt einen Teil der gesellschaftlichen Gesamtverantwortung wider, die wir alle haben, und ist nicht nur unter materiellen Aspekten gut.

(Beifall von der SPD)

Ach ja, apropos materielle Aspekte, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch in dieser Hinsicht bin ich sehr dankbar dafür, dass wir quasi im Vorgriff im Landeshaushalt Vorkehrungen dafür treffen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem notwendigen Lebensunterhalt von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern umgesetzt wird.

Nur: Ich finde, da müssen wir auch mit dem Bund zu einer vernünftigen Gesamtregelung kommen. Das ist keine Landessache. Das ist keine Landesverantwortung. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Ich will das jetzt aber nicht ausgrenzend sagen, sondern: Ich hoffe – da sind ja eben auch schon Dinge benannt worden –, dass wir uns da mit dem Bund vernünftig einigen können.

In einem anderen Punkt appelliere ich an den Bund. Wir können nicht ein „Weiter so!“ bei der Flüchtlingspolitik hinnehmen. Der Bund ist in der Verantwortung, auch der Europäischen Gemeinschaft gegenüber klarzumachen, dass das, was da zum großen Teil auch den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande suggeriert wird, nicht die richtige Grundlage für eine zukunftsorientierte Flüchtlingspolitik ist.

Ja, wir müssen an die Ursachen ran. Wir müssen den Menschen aber auch eine menschenwürdige, eine sichere Unterkunft in unserem Land ermöglichen, solange sie denn kommen und sich berechtigt hier aufhalten. All das stellt uns gemeinsam vor große Herausforderungen.

Ich bin nicht in allen Punkten mit dem Antrag der Piraten einverstanden. Ich setze auf kommunale Selbstverantwortung und nicht auf pflichtmäßige Einschränkung der kommunalen Selbstbestimmung. Aber über die Dinge, die Sie in Ihrem Antrag andeuten und ansprechen, sind wir als Sozialdemokraten gerne bereit im weiteren Verfahren mit Ihnen zu reden. Ich hoffe, dass wir im Interesse der betroffenen Menschen zu einer vernünftigen Regelung kommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Debatte macht mich ein wenig betroffen. Warum? – Wir diskutieren Schicksale, die der Kollege Herrmann sehr ausführlich beschrieben hat und zu denen alle anderen sagen: Da ist was dran.

Wir erwecken bei den Medien den Eindruck, wir würden mit diesem Tagesordnungspunkt heute Flüchtlingspolitik debattieren. Wenn wir das wirklich vorhätten, dann müssten wir uns schämen. Denn für diese Frage dann nur den Redeblock I zu nehmen, entspricht weder der Bedeutung noch der Notwendigkeit.

Auslöser für unsere heutige Situation war der Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Das ist – wenn Sie wollen – eine Lösung, die wir jetzt herbeizuführen haben. Ich bin auch gerne bereit

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

ich biete das auch gerne an, Frau Beer –, das Thema in den Ausschüssen deutlich auszuweiten in Richtung des Antrages der Piraten. Denn in der Beschreibung der Probleme und der Analyse der Notwendigkeiten sind wir uns alle einig. Es gibt niemanden, der an den Schicksalen zweifelt, und es gibt niemanden, der daran zweifelt, dass Europa nachdenken muss.

Ich bin sicher, das wird auch bei den Koalitionsverhandlungen, die demnächst in Berlin laufen werden – egal, zwischen wem –, ein wichtiges Thema sein.

Es wird auch ein Thema sein, das in die Europäische Union hineinragt. Während der Europawahl nächstes Jahr wird es auch ein Thema sein.

Dann ist Gelegenheit, das hier – aber bitte breiter als Block I – zu debattieren. Wir sollten das dann nicht mit Anträgen machen, sondern gemeinsam überlegen: Was können wir denn tun für die Menschen, die in Nordrhein-Westfalen sind? Wir lösen nicht die Probleme in der Außenpolitik. Aber wir ändern die Lebenssituation der Menschen, die bei uns sind.