Protokoll der Sitzung vom 04.07.2012

Das gilt auch für die chemische Industrie. Denn für unseren Industriestandort, wenn er zukunftssicher sein will, wird Offenheit und Transparenz immer wichtiger, weil wir in naher Zukunft – das wissen wir alle – neue Infrastrukturen aufbauen müssen. Nur mit gleichberechtigter, frühzeitiger Information und weitgehender Transparenz über Projekte und Politikziele, nur über Beteiligung können Vertrauen und Akzeptanz für Projekte erzielt werden. Der Verweis auf eine neue Technologie wird alleine nicht ausreichen. Auch das hochspezialisierte ingenieurwissenschaftliche Gutachten wird nicht immer überzeugen.

Deswegen müssen wir Beteiligung und Akzeptanz schon im Ansatz mitdenken. Deshalb müssen wir gerade bei missglückten Planungsprozessen – mein Kollege Rainer Schmeltzer hat dies in seiner Rede sehr deutlich gemacht – besonders sensibel agieren. Dabei gilt: Mehr Aufklärung und mehr Transparenz stärken den Standort. Alles andere nährt nur Skepsis und Widerwillen gegen weitere Industrieprojekte.

Das ist die Lehre aus der Auseinandersetzung um die CO-Pipeline. Das bisherige Verfahren hat gezeigt, welche Fehler Industrie und Politik bei industriellen Großprojekten tunlichst vermeiden sollten. Daraus für künftige Projekte zu lernen, ist eine wegweisende Herausforderung.

Mit dem Gutachten der Landesregierung machen wir einen Schritt, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Wir sorgen so für mehr Transparenz in den technischen Fragen der CO-Produktion und werden die weitere Diskussion damit versachlichen. Ich hoffe, dass es so gelingt, das durch die Fehler der schwarz-gelben Landesregierung verloren gegangene Vertrauen in der Bevölkerung wieder herzustellen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Ellerbrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die Reden Revue passieren lässt, sind wir sicherlich in einem Punkt einig: Wingas hat bei diesem Projekt unendlich viele Fehler gemacht. Bayer hat enorme Kommunikationsfehler gemacht. Allein die Tatsache, dass Wingas mit Lässigkeit vom Planfeststellungsbeschluss in Raum, Material und hinsichtlich der Geo-GridMatte abgewichen ist, ist ein unmögliches Verhalten. Dafür hat es die Quittung gegeben. Das wird jetzt nachgearbeitet. Gleichwohl bin ich der Überzeugung, es wird heilbar sein und ist letztlich auch nicht sicherheitsrelevant; denn Sicherheit geht vor. Das ist sicherlich die gemeinsame Grundhaltung.

Ich erinnere daran, dass wir das Rohrleitungsgesetz gemeinsam beschlossen und ein Ja zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen erklärt haben. Die Vernetzung von Industriestandorten ist ein entscheidender Punkt, Herr Minister. Eine solche Vernetzung ist – in Konkurrenz zu anderen europäischen Industriestandorten – im Sinne NordrheinWestfalens.

Sicherlich müssen wir deutlich sagen: Regelungen zu Arbeitsplätzen sind zum ersten Mal in diesem Gesetz verankert. Das ist Teil des Allgemeinwohls. Deswegen haben wir das ausdrücklich begrüßt.

Es liegt schon ein Gutachten vor. Die Bezirksregierung hat ein Gutachten erarbeiten lassen. Es wurde von Bayer bezahlt. Das ist in solchen Verfahren völlig normal. Wenn nun die Landesregierung ein aus ihrer Sicht unwichtiges Gutachten vergibt, stellt sich die Frage, ob es nicht ohnehin obsolet ist. Hat die Bezirksregierung als alleiniger Vertreter der Landesregierung vor Ort saumselig gehandelt? Wurden Fragestellungen nicht bearbeitet, obwohl sie vom Gericht anerkannt worden sind? Vonseiten des Gerichts hieß es, eines solchen Gutachtens bedürfe es nicht. Es ist eine politische Willenserklärung der Landesregierung, den Industriestandort zu stützen. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich gesagt: Das Land hat in betriebswirtschaftlichen Dingen gar nichts zu suchen.

(Beifall von der FDP)

Die Äußerungen vom Kollegen Schmeltzer stellen nur eine eingeschränkte Wahrnehmung der Realität dar. Er führte aus, die SPD habe dieses Projekt immer befürwortet. Herr Duin, schauen Sie einmal in die Akte. Es gab mal einen wirtschaftspolitischen Sprecher namens Römer – damals noch als Wirtschaftspolitiker tätig –, der zu Anfang gesagt hat: Wir wollen die Leitung nicht. Es gab sogar einen Bundestagsabgeordneten namens Steinbrück, der

in Presseerklärungen anfangs betont hat: Wir wollen diese Leitung nicht, weil der SPD-Ortsverband nein gesagt hat. Hinterher haben beide Herren in die Riemen gegriffen und sind kräftig zurückgerudert. Das muss man der Redlichkeit halber sagen.

Nur: Mit einer klaren Linie der SPD ist es nicht so weit her.

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben mit der Ernennung von Herrn Walter-Borjans zum Finanzminister deutlich gemacht, dass der Finanzminister der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz für die richtigen Schulden ist.

Mit einem solchen Gutachten wollen Sie letztendlich in die betriebswirtschaftlichen Belange eines Unternehmens eingreifen und belegen: Es rechnet sich für euch nicht!; sonst würden Sie es nicht machen.

Wenn wir solche Gutachten vergeben und es für uns als Handlungsmaxime erachten, müssen wir sinnvollerweise auch die Verluste übernehmen, wie es in der Planwirtschaft üblich ist. In der DDR war es üblich und hat „großen Erfolg“ gehabt.

Frau Ministerpräsidentin, wenn wir die Verluste übernehmen müssen, dann muss der von Ihnen als richtiger Mann am richtigen Platz für die richtigen Schulden erachtete Finanzminister Walter-Borjans an einer Stelle in seinem Haushaltsplan solche Verlustübernahmen als Risikovorsorge ausweisen. Das habe ich bislang nicht gefunden. Ich bin gespannt, wo ich das finde.

Wenn wir als Land sagen, wir können bestimmen und beurteilen, was betriebswirtschaftlich sinnvoll ist – das ist nicht die Meinung der FDP und, wie den Worten des Herrn Kollegen Wüst eben zu entnehmen, auch nicht die der CDU –, dann müssen wir auch die Konsequenzen tragen.

Wir sagen Nein zu solchen planwirtschaftlichen Überlegungen, die das Gericht ausdrücklich als obsolet beurteilt hat. Dies ist eine klare Sache.

(Beifall von der FDP)

Wir als Politik setzen die Rahmenbedingungen. Ob etwas verantwortbar ist oder nicht, wird in Nordrhein-Westfalen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelt. Wenn die darin formulierten Anforderungen erfüllt sind, hat der Antragsteller ein Recht auf Genehmigung.

Herr Schmeltzer, es ist eine tolle Erkenntnis, dass die SPD nach ihrer Aussage jetzt dafür ist, dass die Leitung erst in Betrieb genommen werden darf, wenn diese und jene Fragen geklärt sind. Herr Kollege Schmeltzer, die Gerichte müssen sowieso entscheiden – ob Sie das wollen oder nicht. Lassen wir die Gerichte entscheiden. Recht sollen die Gerichte sprechen. Wir haben die politische Dimension dargestellt. Sie haben ein zeitlich begrenztes Erinnerungsvermögen. Das mag schon altersbedingt sein.

Dagegen können wir nichts machen. Die SPD hat hier ganz deutlich herumgeeiert.

Ihre Redezeit.

Wir nicht. Wir sagen Ja zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen. Lassen wir nach Recht und Gesetz entscheiden.

Ihre Redezeit, Herr Kollege!

Planwirtschaft ist mit uns nicht zu machen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Remmel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brockes, Herr Ellerbrock, Herr Wüst, Sie haben es heute Morgen probiert. Ihre Strategie war erkennbar. Wenn ich irgendwo Analogien suche, dann erinnert mich das an die Figur Destruktivus aus der Asterix-Serie. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Er hat immer versucht, Zwist in die gegnerischen Reihen zu tragen.

Es war nur nicht erfolgreich. Dieses bei Asterix auftauchende Bild, bei dem sich alle die Fische um die Ohren hauen und sich gegenseitig in Streit verwickeln, ist hier überhaupt nicht zu finden. Das Gegenteil ist passiert. Warum ist das Gegenteil passiert? – Weil die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen eine gemeinsame politische Grundlage haben.

Auf dieser Grundlage gehen wir davon aus, dass wir eine nachhaltige industrielle Produktion hier am Standort gerade in der chemischen Industrie brauchen. Wir brauchen entsprechende infrastrukturelle Rahmenbedingungen. Wir brauchen diese Rahmenbedingungen auch, um gute Arbeitsplätze hier am Standort zu halten und weiterhin solche Arbeitsplätze zu befördern.

Es ist in der Tat richtig: Die chemische Industrie ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor für unser Land. Sie bietet die meisten Arbeitsplätze. Die Innovationskraft dieser Chemieindustrie ist auch für die Lösung der Zukunftsfragen, die wir anzugehen haben, unbedingt notwendig.

Ich will auch aus meiner Perspektive noch einmal unterstreichen: Wenn es um die Herausforderungen des Klimaschutzes geht, wenn es um die Heraus

forderung der Ressourcenkrise geht, dann muss die chemische Industrie als Hauptpfeiler der Bewältigung dieser Herausforderungen gesehen werden – ob es um neue Kraftstoffe geht, ob es darum geht, intelligente Produkte zur Dämmung unserer Häuser – und das auch in einem großen Umfang – zu produzieren, um schneller in der Gebäudesanierung voranzukommen, ob es um neue Materialien geht, ob es um die innovativen Batterietechniken geht, die wir brauchen, um Energie zu speichern, aber gleichzeitig für neue Antriebe.

Sie sehen, die chemische Industrie ist eine Schlüsselbranche für unseren Industriestandort NordrheinWestfalen und zugleich Grundlage für eine ambitionierte Umwelt- und Klimaschutzpolitik. Manche gehen sogar so weit zu sagen, dass wir am Ende einer kohlenstoffbasierten Wirtschaft sind und am Übergang zu einer Wirtschaft, die auf Chemie und Elektro basiert.

Wenn man davon überzeugt ist – und diese Landesregierung ist davon überzeugt –, dass das an diesem Standort auch eine Standortchance für Nordrhein-Westfalen ist, dann brauchen wir gute Rahmenbedingungen, um die gesamte Wertschöpfungskette hier auch zu halten. Wir brauchen eine verbesserte Ressourcen- und Materialeffizienz, und wir brauchen auch einen wettbewerbsfähigen Standort. Es geht darum, diese Rahmenbedingungen verlässlich zu gestalten.

Insofern hätte es mich gefreut, wenn wir die Aktuelle Stunde heute Morgen dazu genutzt hätten, um uns über diese Rahmenbedingungen zu unterhalten. Kollege Duin hat das erwähnt. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie energieintensive Unternehmen hier am Standort im Zusammenhang auch mit der Energiewende gehalten und unterstützt werden können. Ich glaube, es gibt keine Landesregierung, die so massiv bisher im Bundesrat aufgetreten ist, um gerade die energieintensiven Unternehmen besonders auch mit der beschleunigten Energiewende zu versöhnen und besondere Unterstützungsleistungen zu erbringen. Es hätte mich gefreut, wenn wir das heute hier diskutiert hätten.

Genauso sinnvoll wäre es gewesen, hätten wir heute darüber gesprochen, dass wir massiv mit der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen im Gespräch sind, um gerade an den jeweiligen Standorten – den Chemieparks – eine gleichzeitige Energie- und Wärmeversorgung in Form von KWK auf den Weg zu bringen. Denken Sie an die Diskussion im Zusammenhang mit dem Standort Krefeld.

Es hätte mich auch gefreut, wenn hier erwähnt worden wäre, dass bei einem anderen, derzeit laufenden Projekt, nämlich der TDI-Anlage in Dormagen, die Genehmigungsprozesse und die Öffentlichkeitsbeteiligung nach einem guten Anfang auch zu einem guten Ergebnis kommen werden – im Gegensatz beispielsweise zur Diskussion an anderen

Standorten, wie in den Niederlanden oder auch in Baden-Württemberg.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich meine, das muss man an dieser Stelle auch einmal erwähnen und nicht, wie Sie es getan haben, sozusagen bei einem Projekt das Menetekel für den Chemiestandort zu diskutieren. Ich halte das auch für eine Diskreditierung der chemischen Industrie und des Chemiestandortes. Das muss mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will das auch deshalb tun, weil natürlich in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind. Es hat hier eine Landesregierung gegeben, die nach dem Motto „Augen zu und durch“ ein Projekt einfach durchboxen wollte, die keinen Dialog auf Augenhöhe geführt hat. Das hat auch dazu beigetragen, dass wir uns in der Situation befinden, in der wir nun sind.

(Zuruf von der FDP: Ach!)

Das ist nicht zu leugnen. Wir haben Gerichtsverfahren, wir haben Gerichtsentscheidungen, und wir haben – das muss man auch einmal sagen – jetzt ein Planänderungsverfahren, das erforderlich ist, weil bei der Bauausführung an über 80 Stellen vom Planfeststellungsbeschluss abgewichen worden ist. Herr Ellerbrock, wo erleben wir so etwas denn sonst, dass an über 80 Stellen von einer Plangenehmigung abgewichen wird?! Das kann doch nicht sein. Deshalb müssen wir das Verfahren neu aufrollen. Das wird von der Bezirksregierung mit großer Öffentlichkeitsbeteiligung jetzt getan. Die Unterlagen liegen vor. Wir gehen jetzt in den Prozess.

Aber – das ist das, was die Landesregierung seit 2010 macht; das hätte jeder nachlesen können, weshalb ich die Aufregung nicht verstehe – wir haben damals schon im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir den Dialog anders befördern wollen als die Vorgängerregierung. Wir wollen einen wirklichen Dialog auf Augenhöhe mit den Beteiligten, mit der Region, mit den Bürgerinnen und Bürgern. Hier gilt es, das viele Vertrauen, das in der Vergangenheit verloren gegangen ist, wieder herzustellen.

Zu einem Dialog gehört eben auch, auf einer Faktenlage zu agieren, die allen Beteiligten die gleiche Augenhöhe ermöglicht. Dazu bedarf es eines solchen Gutachtens. Das hat nichts mit einer weiteren juristischen Betrachtung zu tun. Das hat nichts zu tun mit der gerichtlichen Auseinandersetzung. Das hat auch nichts mit dem aktuellen Planänderungsverfahren zu tun. Es geht vielmehr um die Organisation und um die Faktenlage in dem von uns anvisierten Dialog. Dieses kleinere Gutachten ist ein Teil, um diesen Dialog zu führen.