Protokoll der Sitzung vom 04.07.2012

mit dem Rechtsanspruch die entsprechenden Ressourcen verbindlich bereitgestellt werden, damit alle Schulen, die sich auf den Weg machen, gut vorbereitet sind und so die Inklusion gelingen kann.

Ich sehe die Landesregierung hier in der gleichen Klemme wie beim U3-Ausbau. Wir wissen schon heute, dass diese Landesregierung den Rechtsanspruch auf einen U3-Platz in der Praxis im nächsten Jahr nicht umsetzen kann.

(Ministerin Ute Schäfer: Ja?)

Die gleiche Gefahr sehen wir übrigens bei der Inklusion. Wir haben Befürchtungen, dass bei einem Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2013/2014 die betroffenen Kinder in ein nicht vorbereitetes Schulsystem geschickt werden. Das gilt insbesondere für den Sekundarbereich I. Im Grundschulbereich sind wir, wie wir alle wissen, schon ein Stück weiter.

Wir können einem Antrag von Rot-Grün nicht zustimmen und diesbezüglich keinen Konsens herbeiführen, weil wir davon überzeugt sind, dass dieser Prozess so nicht gelingen kann. Bei dem hier vorliegenden Antrag bleiben eben große Zweifel. Unsere Befürchtungen sind so groß, dass wir Angst haben, es kommt zu einer kalten Inklusion. Prof. Sternberg wird gleich in seinem Beitrag darauf noch näher eingehen.

Es macht daher sehr wohl Sinn, dass sich die Landesregierung sehr ernsthaft mit unserem Entschließungsantrag befasst, wenn sie entsprechende Umsetzungsvorschläge und gesetzlich Grundlagen vorlegt, falls ihr an einem Konsens gelegen sein sollte.

Ich möchte hier noch einmal kurz die wesentlichen Punkte und Unterschiede zum rot-grünen Antrag aufgreifen.

Für uns gilt der Grundsatz: In einem inklusiven Schulsystem dürfen die Bedingungen weder für die Kinder mit Behinderungen in den Förderschulen noch für die Kinder in den heutigen allgemeinen Schulen gegenüber den heutigen Standards

schlechter werden. Wir sagen: Alle Kinder müssen im Unterricht qualitativ hochwertig gefördert werden.

Weiter gilt: Den spezifischen Anforderungen der unterschiedlichen Schulformen muss bei der Umsetzung der Inklusion Rechnung getragen werden. Das heißt natürlich, Frau Beer: Alle Schulen sind auf dem Weg zur Inklusion unterwegs. Aber Inklusion bedeutet auch für uns eine angemessene Förderung aller Kinder, aber eben ausdrücklich keine Einheitsschule.

Des Weiteren gilt: Die Umsetzung der Inklusion unterliegt streng dem Konnexitätsprinzip. Das bedeutet konkret: Wir wollen keine weitere Belastung der Kommunen durch neue Landesgesetze ohne einen vollen Ausgleich entsprechend diesem Prinzip, das in der Verfassung steht.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen eine Beratung der Eltern und deren Wahlrecht. Elementar ist für uns in diesem Zusammenhang, dass diese unabhängig ist und die Eltern dabei nicht unter Druck gesetzt werden. Wir gehen davon aus, dass Förderschulen und inklusive Schulen nebeneinander angebunden werden.

Herr Kollege Kaiser, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Beer zulassen?

Nein, ich möchte im Zusammenhang darstellen. – Aufgrund der demografischen Entwicklung, können wir es uns auch gut vorstellen, dass Förderschulen mit allgemeinen Schulen unter einem Dach kooperieren. Damit wird das Elternwahlrecht noch einmal deutlich unterstrichen.

Wir haben in unserem Antrag darüber hinaus die Frage der Fachlichkeit und des Personals wesentlich stärker konkretisiert. Für uns gilt: Lehrerinnen und Lehrer müssen vor Inklusionsbeginn vorbereitet und fortgebildet werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dies kann keine Sollvorschrift sein, weil durch solche Vorschriften der kalten Inklusion Tür und Tor geöffnet würden.

Wir müssen gewährleisten, dass eine bedarfsentsprechende Ausbildung von Förderschullehrern dauerhaft garantiert wird. Gelingende Inklusion setzt die Fachlichkeit und Diagnosekompetenz unserer Förderschullehrerinnen und -lehrer voraus. Dabei ist nachweislich für eine ausreichende Ausbildungskapazität zu sorgen. Das gilt insbesondere auch für Lehrerinnen und Lehrer von Schülerinnen und Schülern mit Sinnesschädigungen, an die besondere Anforderungen zu stellen sind und deren Ausbildungskapazitäten nachweislich zu knapp sind. Konkrete Details dazu nennen wir in unserem Antrag.

Beim Umsetzungsprozess setzen wir auf sogenannte Vorreiterschulen. Dafür sind Startbudgets und zusätzliche Ressourcen bereitzustellen und konkrete Planungen – auch zum Budget – vorzulegen.

Wichtig ist, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Sonderförderbedarf sowie die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Förderbedarf in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

Das AO-SF-Verfahren, das zu überarbeiten ist – ich denke, das ist unstrittig; der Vorschlag von Frau Beer dazu ist vielleicht ganz pragmatisch – steuert aber auch Ressourcen. Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass die besonderen Ressourcen über das AO-SF-Verfahren gesteuert werden. Wenn AOSF-Verfahren nicht durchgeführt werden, werden eben auch keine zusätzlichen Ressourcen bereitgestellt, weil es keinen Bedarf gibt.

Auch hierzu kann man sagen: Das ist ein Einfallstor für „Inklusion light“. Das muss man sich sehr genau angucken.

Das bestätigen Sie in Ihrem Antrag, in dem Sie als Ziel bei der Ermittlung der Lehrerstellen die SchülerLehrer-Relation der allgemeinen Schulen zugrunde legen, die beispielsweise bei Realschulen bei 1:21 liegt, bei den Förderschulen im Schnitt aber bei 1:8.

Soweit es um den zusätzlichen Bedarf geht, bleiben Sie bewusst schwammig. Sie sagen – ich zitiere –:

„Hier soll geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen dies künftig in Form von Stellenbudgets geschehen kann.“

Kann, nicht: geschehen wird! Auch das ist unverbindlich. Wir als Opposition können solchen hehren, unkonkreten Absichtserklärungen kaum zustimmen.

Deshalb ist es gut, wenn wir künftig die Kinder mit Förderbedarf an den allgemeinen Schulen mitzählen. Wenn das allerdings auf Kosten der ihnen derzeit zustehenden Förderstunden geschieht, tragen wir das nicht mit. Wir wollen keine Inklusion als Kürzungsprogramm auf dem Rücken der betroffenen Kinder.

(Beifall von Ursula Doppmeier [CDU])

Als Opposition sind wir an der Stelle schon viel konkreter, wenn wir sagen: Qualität erreichen wir durch Doppelbesetzungen im Unterricht. Die Fortbildungsmöglichkeiten sind so auszubauen, dass jede Schule, die sich auf den Weg macht, vorher verbindliche Fortbildungen angeboten bekommen haben muss. Außerdem müssen für den Start der Inklusion trotz aller Sparzwänge im Haushalt 2012 – dazu haben wir einen Deckungsvorschlag gemacht – zusätzlich 30 Millionen € als Startbudget für Akzeptanzwerbung, Fortbildungen und Starterpakete bereitgestellt werden. Inklusion quasi mit Bordmitteln umsetzen zu wollen wird bei Weitem nicht ausreichen.

Frau Hendricks hat es angesprochen. Um einer Legendenbildung nach dem Motto „Wir wären, wenn die Opposition schneller gewesen wäre, viel weiter“ vorzubeugen, muss ich noch kurz auf den Brief eingehen, den Sie, Frau Löhrmann, gestern an die Teilnehmer des Gesprächskreises „Inklusion“ geschickt haben. Können Sie sich vorstellen, wie dieser Brief bei den Betroffenen aufgenommen wird? – Ich muss Ihnen sagen: Dieser Brief kann nur als Dokument Ihres Scheiterns betrachtet werden. Sie schreiben, die Koalitionsparteien hätten sich jetzt grundsätzlich darüber verständigt, dem Bereich „Schule und Bildung“ einen hohen Stellenwert zuzumessen. – Na ja!

Frau Löhrmann, ich möchte Sie an Folgendes erinnern: Seit Dezember 2010 gibt es eine grundsätzliche, fraktionsübergreifende Verständigung. Eine solche Verständigung bedarf auch der Ermittlung der finanziellen Rahmenbedingungen. Seither sind

zweieinhalb Jahre vergangen. Was haben Sie seitdem getan?

Sie schreiben weiter, Sie wollten eine grundsätzliche Verständigung innerhalb des Kabinetts erzielen. – Man fragt sich: Gibt es in Bezug auf Inklusion keine grundsätzliche Verständigung zwischen Rot und Grün? Ich wiederhole: Was haben Sie seit 2010 getan?

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion legt gemeinsam mit den Piraten einen Entschließungsantrag vor, um durch konkrete Forderungen und Vorschläge das Gelingen der Inklusion im Schulbereich zu erreichen. Wenn Sie von Rot-Grün nicht zu einer ganz anderen Ressourcenunterstützung der Inklusion an Schulen kommen, werden Sie mit einem Rechtsanspruch auf einen Platz an einer allgemeinen Schule genauso Schiffbruch erleiden wie mit dem Rechtsanspruch auf einen U3-Platz. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion der FDP spricht Frau Abgeordnete Gebauer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inklusion ist eine Haltung, eine Geisteshaltung. Inklusion betrifft alle Menschen. Deshalb müssen auf dem Weg hin zur gelungenen Inklusion auch alle Menschen mitgenommen werden.

Inklusion ist heute keine Frage des Wollens mehr, sondern des Ausgestaltens: wie sie vonstattengehen soll. Zur Ausgestaltung dieses Inklusionsprozesses gehören – wie zu vielen anderen wichtigen Bereichen im täglichen Miteinander – die notwendigen Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen, konkrete Maßnahmen, die erst in ihrer Vielzahl und Unterschiedlichkeit zum Gelingen schulischer Inklusion beitragen.

Weil wir es hier mit dem Wichtigsten, was unser Land aufzubieten hat, nämlich unseren Kindern und Jugendlichen, zu tun haben, müssen wir höchstmögliche Sorgfalt an den Tag legen.

(Beifall von der FDP, den PIRATEN und Ur- sula Doppmeier [CDU])

Im Hinblick auf diese Sorgfalt haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün und die Landesregierung, Ihre Hausaufgaben in den vergangenen anderthalb Jahren leider nicht ordentlich gemacht.

Frau Ministerin Löhrmann, Sie hatten seit Dezember 2010 zur Ausarbeitung eines Inklusionsplans genügend Zeit, sich dieser Aufgabe anzunehmen, sie gewissenhaft und umfänglich zu gestalten und dringend notwendige Weichen in Sachen schulischer Inklusion zu stellen.

Nunmehr haben wir heute Ihr Eckpunktepapier als Antrag sowie seit gestern Nachmittag auch den Aktionsplan zur Behindertenpolitik vorliegen. Aber weder der von Ihnen vorgelegte Antrag noch die lediglich 16 Seiten im Aktionsplan zum Thema „Schulische Inklusion“ werden diesem bedeutenden Thema – das muss ich an dieser Stelle mit Bedauern feststellen – leider nicht gerecht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Schulen brauchen einen wirklich allumfassenden Inklusionsplan und kein Stückwerk. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen wissen, welche flächendeckenden Fortbildungsmaßnahmen und -angebote es geben soll. Die Pädagogen wollen wissen, welche multiprofessionellen Unterstützungen sie verbindlich erhalten werden.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie müssen Stellung beziehen, wie viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer integrativen Lerngruppe lernen sollen und wann Doppelbesetzungen vorgesehen sind. Bei all Ihren bisherigen Vorlagen bleiben Sie vage und im Ungefähren.

Die FDP erwartet von Ihnen den wiederholt angekündigten umfassenden Inklusionsplan. Diese Forderung teilen wir mit der CDU und den Piraten.

Sie geben keinerlei konkrete Antworten auf drängende Fragen, damit Städte und Gemeinden handeln und aktiv werden können. Im Gegenteil: Wenn konkrete Maßnahmen angesprochen und gefragt sind, sollen die Kommunen in Vorleistung gehen und ihrerseits eigene Inklusionspläne erarbeiten.

Frau Ministerin, Köln hat dort vorbildlich gearbeitet. Aber ich sage Ihnen: Nicht jede Kommune ist dazu in der Lage.

(Beifall von der FDP)