Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Das haben die beiden christlichen Kirchen und die beiden zitierten großen Wohlfahrtsverbände nicht verdient.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Mi- chele Marsching [PIRATEN])

Sie haben es auch deshalb nicht verdient, weil es Teil der Wertschätzung gegenüber den beiden großen christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden ist, sie aus der parteipolitischen Diskussion in diesem Lande herauszuhalten. Das ist Teil der Wertschätzung gegenüber den Kirchen und den christlichen Wohlfahrtsverbänden!

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Wertschätzung möchte ich hier für die SPD in zweierlei Hinsicht deutlich machen, nämlich einmal anhand der Werte, die in der Tat für unser Gemeinwesen, für unsere Demokratie nicht nur sinnstiftend, sondern auch überlebensnotwendig sind. Diese Werte werden auch von den beiden großen christlichen Kirchen in die Gesellschaft eingebracht. Sie sind eine wichtige Quelle für den Gemeinsinn, für die demokratische Basis unserer Gesellschaft.

Sie sind aber nicht, Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg, die einzige Quelle für den sozialen Rechtsstaat bundesrepublikanischer Prägung. Wer anders als Böckenförde, den Sie hier zitiert haben, könnte da den Anwalt machen, dass er es auch selber so sieht. Er selber hat den Humanismus als weitere wesentliche Quelle hinzugefügt.

Und wir haben uns an dieser Stelle erlaubt, die Frage aufzuwerfen, inwieweit auch andere Religionen und Glaubensgemeinschaften aus ihrer Wertehaltung heraus das in diese Gesellschaft hineinbringen, was wir brauchen – nein, was wir gerade in einer Zeit, in der man immer mehr über Werteverluste redet, von den Kirchen und Religionsgemeinschaften auch erwarten können, nämlich dass sie sich an der Wertediskussion in dieser Gesellschaft beteiligen.

Es ist aber auch die gefestigte Demokratie selber, die Werte für diesen Staat schöpft, die ein Wert an sich für diesen Staat ist. Diese Wertebasis nach 65 Jahren einfach so wegzuwischen und deutlich zu machen, das käme woandersher, das halten wir für kein richtiges Verständnis. Ehrlich gesagt: Es läuft unserem pluralen Gesellschafts- und Staatsverständnis, unserem religionsneutralen – nicht religionsfeindlichen – Verständnis zuwider.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das hier ist kein laizistisches oder atheistisches Land. Es ist aber auch kein Land, das an dieser Stelle eine weitere Leitkulturdiskussion braucht.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Übrigens eine Leitkulturdebatte, die niemals kirchlichen oder theologischen Ursprungs, sondern auch an dieser Stelle immer politischen Ursprungs war!

Das Gleiche gilt für den bundesdeutschen Sozialstaat. Auch der verträgt es nicht, dass der Kampf der Arbeiterbewegung für diesen Sozialstaat gegen das Engagement der christlichen Kirchen ausgespielt wird. Beide haben ihren Anteil daran, dass der bundesdeutsche Sozialstaat in der pluralistischen Prägung und auch der subsidiären Prägung, wie wir sie haben, entstanden ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist gerade gesagt worden, die Kirchen seien mit ihren Wohlfahrtseinrichtungen zuerst dagewesen. Ehrlich gesagt: Ich halte das für so kleinkariert, das hier so zu diskutieren, dass es mir zuwider ist, darauf weiter einzugehen.

Letzter Punkt! Dass in diesem Antrag die Arbeitnehmerrechte gleichberechtigt neben dem Selbstverwaltungsrecht der Kirchen stehen, entspricht nicht nur dem tiefsten Empfinden der Sozialdemokratie, sondern auch dem Grundgesetz. Beides ist in praktischer Konkordanz zu lösen: die Arbeitneh

merrechte, die im Grundgesetz verbürgt sind, und das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Prof. Sternberg, ich habe nicht erwartet, dass die Debatte, in der es darum geht, die Rolle der Kirche und der ihr angegliederten Sozialverbände in dieser Gesellschaft zu wertschätzen, von Ihnen parteipolitisch so instrumentalisiert wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Wir haben doch weitgehende Übereinstimmung darüber – das wird in dem Antrag der CDU-Fraktion genauso deutlich wie in dem Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir einen gemeinsamen Wertekanon in unserer westlichen Gesellschaft haben, der auf dem Fundament der christlichen und auch jüdischen Tradition gewachsen ist und von ihr geprägt ist, und dass der Gedanke der christlichen Nächstenliebe und der Gedanke der Solidarität, das heißt die Sorge für arme, für kranke und für schwache Menschen in unserer Gesellschaft, eng miteinander verknüpft sind. Auf diesen Konsens sollten wir uns gemeinsam berufen und uns hier nicht in parteipolitischen Scharmützeln auseinanderdividieren.

Genauso wichtig ist es für unsere plurale, säkulare Gesellschaft, dass es die Überformung der Religion durch Aufklärung und Humanismus hin zum säkularen Staat und hin zur religiös-weltanschaulichen Pluralität gab.

Herr Prof. Sternberg, wenn Sie uns Grünen vorwerfen, dass es in unserer Partei – wahrscheinlich wie in den meisten anderen Parteien auch – eine Diskussion über Pluralität gibt, die wir natürlich auch zulassen, dann sagt das einiges über Ihr demokratisches Grundverständnis.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der Sozialstaat bundesdeutscher Prägung ist sicher genauso verbunden mit den Einflüssen der christlichen Soziallehre wie mit den Einflüssen der Arbeitnehmerbewegung, die sich natürlich auch untereinander befruchtet haben. Sie haben das in Ihrem Antrag, liebe CDU-Fraktion – ich habe das mit Interesse gelesen ,- mit einem Zitat von Kaufmann sehr deutlich gemacht, der neben den christlichen Wer

ten – ich zitiere – ebenso den Einfluss des Sozialismus – man höre! – für die Entstehung des Sozialstaates hervorhebt.

Wir sollten uns darüber hinaus in Erinnerung rufen, dass es auch die Lehren aus der nationalsozialistischen Diktatur waren, die den subsidiär und plural verfassten Sozialstaat begründet haben, nämlich in Abgrenzung zu einer zentralistischen Erfüllung sozialer und gesundheitlicher Aufgaben. Auch das ist eine Wurzel unseres Subsidiaritätsprinzips, das nach dem Krieg weiterentwickelt und weiter ausgeformt wurde.

Aus dieser starken Rolle der Kirchen und der Sozialverbände in Deutschland erwächst eine ganz besondere Verantwortung. Und diese Verantwortung wird noch dadurch größer, dass die Sozialverbände neben dem Staat mittlerweile der größte Arbeitgeber im Land sind.

Wir müssen heute wahrnehmen – und das sind negative Entwicklungen –, dass der Sozial- und Gesundheitsbereich durch die Strukturveränderung seit Mitte der 90er-Jahre deutlichen Veränderungen unterworfen ist. Aufgrund der Ablösung des Kostendeckungsprinzips durch das Wettbewerbsprinzip sind die Dienstleistungen insgesamt sozusagen in den Wettbewerb geraten. Und das hat sich negativ auf die Vergütung der Mitarbeiter ausgewirkt. Es gibt heute keinen verbindlichen Flächentarifvertrag

mehr. Der Wohlfahrtsbereich „Arbeit für Menschen und Arbeit am Menschen“ wird in Deutschland immer schlechter vergütet.

Wenn man sich heute die niedrigen Eingruppierungen von Erzieherinnen, Krankenpflegerinnen, Altenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen anschaut, dann fragt man sich tatsächlich, welche Wertigkeit unsere Gesellschaft dieser Arbeit eigentlich beimisst.

Die Kirche ist an dieser Stelle gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen, an ihre eigene Tradition des Eintretens für eine Ethik der Arbeit anzuknüpfen und der Entwertung der sozialen Arbeit durch einen Lohnsenkungswettbewerb entgegenzuwirken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hierbei dürfen die eigenen Werte der Kirche nicht dem Wettbewerb geopfert werden.

Es gibt übrigens – und das sei, Herr Prof. Sternberg, auch noch mal gesagt – auch innerhalb der Kirchen eine lebendige Diskussion von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch von Angehörigen der Kirchenleitungen, die genau diese Frage bewegen, die zudem die Frage der Arbeitnehmerinnenrechte bewegen, die das Recht auf Streik für sich reklamieren und die die Rechte der Gewerkschaften innerhalb des Tarifgefüges der Kirchen fordern. Ich finde, das müssen wir genauso wertschätzen wie die Arbeit der Kirchen insgesamt.

Dieser Weg und der Dialogprozess zwischen Kirchen, Arbeitnehmerinnen und Gewerkschaften

muss weiter verstärkt werden, natürlich unter Achtung der verfassungsmäßig verbürgten Rechte der Religionsgemeinschaften auf der einen Seite – das ist klar – …

Frau Kollegin, Ihre Redezeit.

… und der Grundrechte der Arbeitnehmerinnen auf der anderen Seite. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beiträge der Kirchen in unserer Gesellschaft verdienen unsere Anerkennung und auch unsere Unterstützung. Demokratie, Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft – die Grundpfeiler unserer Gesellschaft haben Vorbedingungen, zum Beispiel Vorstellungen zu Recht und Unrecht oder zur Selbstbindungswirkung von Verträgen, die eben auf mit Vernunft begründeter Ethik oder Religion beruhen. Viele Menschen erhalten durch Religion einen handlungsleitenden Wertekanon. Hierin liegt auch der gesellschaftliche Mehrwert von Religion über die persönliche, individuelle Sinngebung hinaus.

Unser Land ist kein säkularer Staat. Die Mitwirkung der Kirchen ist vielfältig und reicht von Kindertageseinrichtungen und Schulen über Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Jugendhilfeeinrichtungen bis hin zur Ethikkommission und zu Rundfunkräten. Darüber hinaus werden die Kirchen auch bei politischen Entscheidungen regelmäßig angehört.

Die Kirchen erhalten insbesondere im sozialen Bereich auch öffentliche Finanzmittel für ihre Angebote. Darüber gibt es dann auch gesellschaftlichen Einfluss. Dies haben wir unter dem Stichwort „Pille danach für Vergewaltigungsopfer zum Beispiel in katholischen Krankenhäusern“ auch hier im Parlament diskutiert.

Das Wirken der Kirchen in unserer Gesellschaft und das ehrenamtliche Engagement als Teil der gelebten Bürgergesellschaft wurden hier im Landtag in vielen Beratungen, aber auch in der Anhörung zu diesem Antrag zu Recht anerkannt.

Diese Teile des Antrags der CDU finden auch ausdrücklich die Zustimmung der FDP-Fraktion.

Problematischer sehen wir die Verknüpfung mit den Fragen des kirchlichen Arbeitsrechts. Das ist auch in der Sachverständigenanhörung zum Ausdruck gekommen. Anstelle einer selbstständigen Setzung durch den Arbeitgeber, wie zum Beispiel bei den Beamten, oder einer Übernahme des Tarifvertragssystems – dem zweiten Weg –, gibt es hier den sogenannten dritten Weg: ein eigenständiges Kirchenarbeitsrecht ohne Tarifvertrag. Paritätisch besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen beschließen Arbeitsvertragsrichtlinien rechtlich gesehen wie allgemeine Geschäftsbedingungen; Konflikte werden durch bindende Schlichtung einer Schlichtungskommission mit neutralem Vorsitzenden gelöst; es gibt keine Aussperrung und auch kein Streikrecht.

Dieser dritte Weg ist vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich anerkannt worden. Die Grundrechtseingriffe gegenüber kirchlichen Arbeitnehmern bleiben jedoch nicht unproblematisch.

Dieser Problematik trägt leider auch der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen nicht Rechnung. Es bleibt zum Beispiel offen, wie Sie Wettbewerbsverzerrung durch das Sonderarbeitsrecht vermeiden wollen. Die allgemeinverbindliche Erklärung eines Flächentarifvertrags für das Feld der sozialen Arbeit kann hier nicht das Allheilmittel sein.