Protokoll der Sitzung vom 10.04.2014

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Stamp das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte über Zuwanderung ist komplex und verträgt aus meiner Sicht keine groben Vereinfachungen, weder von rechts noch von links. Es war falsch, dass die Union bis vor wenigen Jahren mit der Parole „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ eine aktive Integrationspolitik abgelehnt hat.

(Zuruf von der CDU: Ihr auch!)

Es war aber auch falsch, dass die Parteien links der Mitte mit dem etwas naiven Motto „Jeder, der kommt, ist automatisch eine Bereicherung“ die Notwendigkeit aktiver Integrationspolitik negiert haben. Diese Fehler dürfen wir in der jetzigen Debatte nicht wiederholen.

(Beifall von der FDP)

Wir können den Wohlstand in Deutschland nur mit Zuwanderung erhalten. Für diese schlichte Erkenntnis reicht ein Blick in die demografische Entwicklung unseres Landes. Wer Zuwanderer durch pauschale Vorurteile verschreckt, wie es unter anderem die CSU getan hat, der schadet dem Standort Deutschland und der schadet damit auch unseren eigenen nationalen Interessen.

Meine Damen und Herren, wer diese Einwanderungsgesellschaft ernsthaft gestalten will, der muss auch offen über Konflikte sprechen. Wer Konflikte in Stadtteilen von Duisburg oder Dortmund, aber auch von Köln, Hamm oder Gelsenkirchen bagatellisiert und Ängste von Bürgern pauschal in die rechte Ecke stellt, der wird den Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft nicht gerecht.

Für uns als Liberale gilt: Es geht nicht darum, ob wir über Konflikte sprechen, sondern es geht darum, wie wir über diese Konflikte sprechen. Für uns ist selbstverständlich: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar, und zwar egal, ob er Spanier

aus Madrid, Roma aus Stolipinovo oder Rheinländer aus Bonn ist. Wir alle haben die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten.

(Beifall von der FDP und Ibrahim Yetim [SPD])

Und weil das so ist, meine Damen und Herren, sprechen wir nicht nur über die Errungenschaften von Freizügigkeit, sondern wir sprechen auch offen über Defizite. Das sage ich auch noch einmal ganz deutlich: Keinem armen Zuwanderer ist geholfen, wenn wir aus gut gemeinten Motiven den Begriff „Armutsmigration“ verschweigen. Meine Damen und Herren, keinem Kind aus einem Roma-Ghetto wird eine neue Perspektive eröffnet, wenn wir nicht offen über die massiven Integrationsprobleme dieser Minderheit sprechen und vor allem sie endlich anpacken.

Wir haben daher als FDP nach intensiven fachlichen Beratungen bereits vor zwei Monaten in diesem Hause einen umfassenden Antrag zur Freizügigkeit und der sie begleitenden Armutsmigration vorgelegt, der über die Parteigrenzen hinweg – darüber habe ich mich sehr gefreut – Anerkennung gefunden hat, weil er die Chancen und die Herausforderungen gleichermaßen thematisiert.

Die Vorteile, die wir auch durch die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien per Saldo haben, und die schwierigen Begleitumstände von Armutsmigration, aber auch steigender Einbruchskriminalität, gehören zusammen und sollten auch zusammen behandelt werden. Der Versuch, sie hier und heute künstlich zu trennen, so wie es die CDU macht, wird dem Thema und seiner Komplexität nicht gerecht.

(Beifall von der FDP, der SPD und Simone Brand [PIRATEN])

Es gibt hier gleich zwei CDU-Anträge, einen für Zuwanderungsbefürworter und einen für die Skeptiker – aus meiner Sicht ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver, bei dem ich ahne, welche Version Sie welchem Verband zuschicken werden.

Herr Laschet, von einem ehemaligen Integrationsminister hätte ich mehr Substanz erwartet,

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

als ausgerechnet bei diesem Thema das Fähnchen in jede politische Richtung zu halten.

Dabei bieten Sie denjenigen, die den Armutsmigranten helfen wollen, nicht viel Neues an. Das Wesentliche ist aus unserem Antrag abgeschrieben. Allerdings verweigern Sie entsprechende Finanzierungsvorschläge. Vielleicht hängt das mit Ihrem Vizeamt auf Bundesebene zusammen, dass man da keine entsprechenden Vorschläge machen darf, die den Bundeshaushalt belasten könnten.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir haben als FDP gesagt: Wenn Deutschland insgesamt von der Zuwanderung, von der EUFreizügigkeit profitiert, dann ist es nicht mehr als recht und billig, dass die Kommunen, die mit den Negativ-Begleiterscheinungen konfrontiert sind,

endlich die notwendigen Mittel jetzt zur Verfügung bekommen und nicht von einem Staatssekretärsausschuss wieder um Monate vertröstet werden.

(Beifall von der FDP, den GRÜNEN und Mo- nika Pieper [PIRATEN])

Der andere Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, in dem es um den Missbrauch von Freizügigkeit geht, enthält ein paar sinnvolle Vorschläge. Da gibt es auch vieles, was Sie aus dem Bericht des Staatssekretärsausschusses abgeschrieben haben. Darüber hinaus wollen Sie die Freizügigkeit beschränken und fordern: Ausweisungen und Wiedereinreisesperren. Beides ist allerdings in dieser Form – darauf hat der Deutsche Städtetag schon Anfang letzten Jahres hingewiesen – sehr schwer praktikabel und zudem, so wie sie es hier vorschlagen, europarechtswidrig. Vor allem widerspricht das dem Grundsatz der EU-Freizügigkeit.

Wir wollen aber die EU-Freizügigkeit erhalten. Stattdessen ist es viel sinnvoller, darüber zu diskutieren, dass wir einen Reformbedarf bei der Frage der Sozialleistungen haben. An dieser Stelle bedarf es noch der Präzisierung im EU-Recht und im deutschen Recht dahingehend, dass es keinen automatischen Sozialleistungsanspruch gibt. Ein solcher Leistungsanspruch ist ursprünglich seitens der EU auch nicht gewollt gewesen. Von daher gibt es an dieser Stelle gute Chancen, zu rechtlichen Präzisierungen zu kommen.

Ihr Vorschlag zur Begrenzung von Freizügigkeit, der gegen die Idee des Binnenmarktes, gegen den Ursprungsgedanken des freien Europas läuft, dürfte hingegen keine Aussicht auf Erfolg haben.

Ich möchte zuletzt die vier wichtigsten Punkte aus Sicht der Liberalen zusammenfassen, die dieses Thema braucht.

Erstens. Wir brauchen die Präzisierung zur Sozialleistungsberechtigung, wie ich es gerade ausgeführt habe.

Zweitens. Wir brauchen eine präzisere und praxisnähere Förderung der Europäischen Union für die Minderheiten.

Drittens. Wir brauchen Sanktionen der EU gegen Mitgliedsstaaten, die ihre Minderheiten im Stich lassen.

Viertens. Für eine umgehende Finanzierung der deutschen Kommunen – das habe ich eben schon ausgeführt –, die von Armutsmigration betroffen sind, brauchen wir schnell und zügig die entsprechende finanzielle Hilfe.

Vor Ort in den Kommunen wird hervorragend an dieser Thematik gearbeitet. Sie brauchen die Unterstützung von uns hier aus dem Hause und von der Bundes- und von der europäischen Ebene. Davon steht wenig in Ihren Anträgen. Ich hoffe trotzdem auf eine vernünftige Beratung im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Brand.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Seltsame Geschehnisse scheinen hier im Landtag zu passieren. Unheimliche Verwandlungen in der CDU-Fraktion geben Anlass zur Sorge. Da treffen sich morgens Abgeordnete als Dr. Jekyll und verfassen einen schönen Antrag mit dem Namen „Freizügigkeit klug gestalten: Not sehen, wirksam helfen“ – ein Antrag mit klarem Appell an die Willkommenskultur –, um dann am Abend als Mr. Hyde den Antrag „Freizügigkeit klug gestalten: Schlepperbanden und Missbrauch bekämpfen“ zu Papier zu bringen.

(Armin Laschet [CDU]: Das gehört zusam- men!)

Diese beiden Anträge zusammen sind schizophrene Politik, Politik à la Frau Merkel, die vorgibt, auf alles eine Antwort zu haben. Dann kommen Sie mir auch bitte nicht mit „Fördern und Fordern“. Das hat schon einmal nicht geklappt.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, der Antrag „Not sehen, wirksam helfen“ zählt Maßnahmen und Leistungen auf, die im Sinne einer gelingenden Integration wichtig sind. Allerdings vermissen wir ein klares Bekenntnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die CDU hat aber bereits vor zwei Monaten deutlich gemacht, dass sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Grundlage einer Willkommenskultur ablehnt – so wie übrigens der Rest dieses Hohen Hauses.

Dem nicht genug: Ihr Schlepperbandenantrag spielt mit den diffusen Ängsten und Unsicherheiten, die in der Bevölkerung beim Thema „Ausländer“ vorhanden sind. Es ist ein Antrag frei nach dem Stammtisch-motto „Endlich tut mal jemand etwas gegen diese ganzen kriminellen Ausländer“.

Schauen wir uns aber den Antrag etwas genauer an. Im ersten Beschlusspunkt stellen Sie fest, dass es Kommunen gibt, die besondere Hilfe benötigen, damit Integration gelingt. Diese Hilfe hat die Landesregierung zu spät geleistet. So etwas kann man als Opposition sicher feststellen lassen. Um diese Hilfe mit Inhalt zu füllen, stellt wiederum Ihr Antrag

„Not sehen, wirksam helfen“ eine gute Basis dar. Mit Hilfe der 200 Millionen € für die betroffenen Kommunen, die die Staatssekretäre der Bundesregierung beschlossen haben, werden unsere Kommunen die Aufgabe bald besser angehen als aktuell.

Meine Damen und Herren, auch wir sprechen uns für eine Öffnung der Integrationskurse aus. Auch wir begrüßen es, wenn die Beschulung von Zuwandererkindern derart optimiert wird, dass bereits zum nächsten Schuljahr ein Konzept für die Beschulung vorliegt.

Darüber hinaus wäre es begrüßenswert – das steht natürlich nicht in Ihrem Antrag –, wenn die Zahl der Integrationslotsen aufgestockt würde, sodass Migranten nicht mehr von skrupellosen Banden abgezockt werden können. Ich hoffe, es wird dann völlig normal sein, dass Menschen, die kein Wort Deutsch sprechen, mit perfekt ausgefüllten Anträgen auf dem Amt erscheinen und Kindergeld oder einen Gewerbeschein beantragen – etwas, was Herrn de Maizière aktuell ja stark verwundert.

Besonders möchte ich noch auf Beschlusspunkt 4 a in Ihrem Antrag „Not sehen, wirksam helfen“ aufmerksam machen. Hier sprechen Sie sich für mehr Aufklärung aus. Sie werben für mehr Verständnis für unterschiedlich geprägte Lebensweisen. Das ist eine Forderung, die wir bereits in der letzten Haushaltsdebatte gestellt haben. Umso unverständlicher ist der Antrag aus der finsteren rechtskonservativen Ecke Ihrer Fraktion.

(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der CDU)

Im Beschlusspunkt 2 geht es um die EUFreizügigkeit. Am 20. Februar dieses Jahres debattierten wir den Antrag von CDU und FDP „Landesregierung muss Hilfen für von Armutszuwanderung betroffene Städte leichter zugänglich machen“. Die Kollegin Serap Güler sagte – ich zitiere – damals: „Der Satz ‚Wer betrügt, der fliegt‘ war keiner, den sich hier auch nur ein Integrationspolitiker zu Eigen machen würde.“ – Und dann setzen Sie Ihren Namen unter solch einen Quatsch? Ernsthaft?

Ich sage Ihnen: In einem freien und demokratischen Europa sollte sich weder das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern zur Arbeitssuche befristen lassen noch sollten EU-Bürger abgeschoben werden, noch sollten Wiedereinreiseverbote ausgesprochen werden. Auch der innenpolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, kritisiert solche Vorschläge als „Rechtsbrüche mit Ansage“.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir nennen das die sukzessive Aushebelung der Freizügigkeit. Sie nennen es „Das Boot ist voll“ und „Wer betrügt, der fliegt“.