Protokoll der Sitzung vom 10.04.2014

Wir nennen das die sukzessive Aushebelung der Freizügigkeit. Sie nennen es „Das Boot ist voll“ und „Wer betrügt, der fliegt“.

(Armin Laschet [CDU]: Unsinn! – Wider- spruch von der CDU)

Im nächsten Absatz ist die unheildrohende Rhetorik auf dem Höhepunkt angelangt. Wir hören von zunehmenden Zahlen bei den Scheingewerben, von großen Problemen, ja von zunehmenden Fluten und überforderten Kommunen. Haben Sie den Zwischenbericht der Staatssekretäre richtig gelesen? – Offensichtlich nicht.

Wenn Sie sich exemplarisch die Zahlen von zwei Städten anschauen, so sehen Sie, dass mit Stand Oktober 2013 in Duisburg exakt elf und in Dortmund exakt 14 selbstständig Gewerbetreibende aus Rumänien und Bulgarien sogenannte Aufstocker waren. Wie man da von einer Flut sprechen kann, erschließt sich mir wahrlich nicht.

Frau Kollegin Brand, Herr Kollege Biesenbach würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Bitte.

Frau Kollegin Brand, ich will Sie gar nicht bitten, die lockeren Behauptungen mit Tatsachen zu untermauern. Da würde nicht viel kommen. – Ich würde von Ihnen nur gerne wissen: Sind Sie einmal in einer Kommune gewesen und haben sich dort umgesehen sowie mit den Menschen dort – auch mit Kommunalpolitikern – unterhalten? Nennen Sie uns eine Kommune, von der Sie sagen: Da war ich, ich habe mich informiert, und auf der Basis gebe ich hier mein Statement ab.

Duisburg. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir nennen das „Populismus auf dem Rücken der Schwachen“. Sie nennen das „Das Boot ist voll“ und „Wer betrügt, der fliegt“.

Auch beim Kindergeld steigen Sie wieder mit den übertriebenen Mutmaßungen ein. So heißt es: „Es mehren sich Klagen“. Von den Staatssekretären kommen solche Klagen jedenfalls nicht, und in der gängigen Presse – in Duisburg übrigens auch nicht – ist davon nichts zu hören – ganz zu schweigen von den Zahlen, die das auch nicht belegen.

Mit der Steuer-Identifikationsnummer als Maßnahme kann man sicher noch leben. Eine gewisse Kontrollmöglichkeit muss natürlich gegeben sein. Aber verraten Sie mir bitte einmal, wo diese Menschen, die aus schlimmen Verhältnissen zu uns einreisen, eine Tauf- oder Geburtsurkunde herhaben sollen. Die haben in den allermeisten Fällen keinen wohlsortierten Aktenordnern mit Unterlagen bei sich. Das Befristen von Kindergeldzahlungen und die Androhung der Wiedereinreisesperre suggerieren

dem Bürger zudem eine große kriminelle Energie, die nicht durch Zahlen belegt ist.

Angenommen alle Bulgaren wären Verbrecher und alle 958 in Bulgarien lebenden Kinder wären somit konspirativ frei erfunden, dann reden wir von Kosten für den Staat, die im Vergleich zu den Steuerbetrüger-Milliarden geradezu lächerlich sind. Wir nennen das, mit Verlaub, Frau Präsidentin, „populistische Kackscheiße“.

(Beifall von den PIRATEN – Buh-Rufe und Widerspruch von der CDU)

Sie nennen das „Wer betrügt, der fliegt“. Wenn Sie wollen, dass die Rechten nicht bei der AfD oder PRO NRW, sondern bei Ihnen Ihr Kreuz machen, dann haben Sie Ihr Ziel erreicht.

Die Folgen dieser populistischen Rhetorik können Sie der Studie von Amnesty International entnehmen, wonach 80 % der Deutschen denken, dass Roma entweder kriminell sind oder Leistungsmissbrauch betreiben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Kollegin Brand. – Sie sind sich darüber bewusst, dass Sie einen unparlamentarischen Ausdruck verwendet haben, der hier nicht üblich und auch nicht gestattet ist.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das geht so nicht! Das ist nicht in Ordnung!)

Sie wissen, dass das einen Ordnungsruf nach sich zieht. Den habe ich hiermit ausgesprochen.

(Zuruf: Es kann nicht sein, dass Sie darauf auch noch stolz sind!)

Jetzt hat Minister Schneider für die Landesregierung das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die beiden Anträge der CDU-Fraktion habe ich mich gewundert, über den Zeitpunkt der Einbringung dieser beiden Anträge allerdings nicht.

In den Anträgen wird die Landesregierung aufgefordert, Unterstützungen der von Neuzuwanderung aus Südosteuropa betroffenen Kommunen in den vielfältigen Problemfeldern zu organisieren. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Zeit über große Teile des Inhalts Ihrer Anträge hinweggegangen ist.

Wir organisieren die Unterstützung für die betroffenen Kommunen über die schon angesprochenen Programme, die aufgrund einer interministeriellen Arbeitsgruppe erstellt worden sind. Das Thema „Zuwanderung“ diskutieren wir hier im Plenum und in einigen Ausschüssen dieses Hohen Hauses eigentlich permanent. Wir haben uns darauf verstän

digt, dass wir dieses Thema möglichst fraktionsübergreifend aufgreifen, um Rechtspopulisten keine Chance zu geben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Bisher hat diese Verabredung gehalten. Ich gehe davon aus, dass dies unter Demokraten auch zukünftig der Fall sein wird. Allerdings sind einige Tendenzen in der aktuellen Diskussion geeignet, um diese Selbstverständlichkeit zu hinterfragen. Am heutigen Tage will ich das aber nicht tun.

Sie loben den Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU

Mitgliedstaaten“, also den sogenannten Zwischenbericht der Staatssekretärsrunde auf Bundesebene. Dieser Zwischenbericht ist ein erster wichtiger Schritt, nachdem einige Bundesregierungen über Jahre hinweg zu diesem Thema geschwiegen haben. Sie haben nichts unternommen.

Ich bin froh, dass die neue Bundesregierung in den ersten 100 Tagen ihrer Existenz nun endlich den Schritt in die Praxis unternimmt. Ich freue mich, dass zur Unterstützung der besonders betroffenen Städte etwa 200 Millionen € zur Verfügung gestellt werden.

Allerdings gibt es nach wie vor Fragen: Wird dieses Geld additiv gezahlt? Oder sind damit auch Programme gemeint, die schon längst bestehen? Wir müssen sehr genau hinschauen, inwieweit die tatsächlich betroffenen Kommunen partizipieren und inwieweit alle in NRW betroffenen Kommunen einbezogen werden.

Es gibt also noch viele offene Fragen. Aber noch einmal: Ein erster richtiger Schritt ist gemacht worden. Darüber freuen wir uns. Wir werden den Bund und auch die europäische Ebene nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Beide stehen dafür, dass Probleme, die aufgrund europarechtlicher Zusammenhänge entstanden sind, auch bewältigt werden müssen.

Hier spielt die Europäische Union gerade im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Minderheiten in einigen Mitgliedsländern eine sehr wichtige Rolle und muss sich ihrer Verantwortung stellen.

Herr Biesenbach, eines ist klar: Wenn jemand gegen Recht und Gesetz verstößt – unabhängig davon, woher er kommt, ob er nun Sachse ist, oder Bayer oder sonst etwas –, muss dieser Rechtsverstoß sanktioniert werden. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

(Peter Biesenbach [CDU]: Aber auch tun, Herr Minister!)

Aber natürlich auch tun. Mir ist nicht bekannt, dass die nordrhein-westfälische Polizei Gesetzesverstöße nicht ahndet oder nicht verfolgt.

(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Die sind mit Sicherheit beschäftigt!)

Das wäre ja nun eine Behauptung, die man so nicht stehen lassen könnte. Auf diese Weise kann man über viele Dinge, die Sie niedergeschrieben haben, kontrovers, aber trefflich diskutieren.

Missbrauch muss bekämpft werden. Dies richtet sich allerdings gegen alle, die für solche Missbräuche verantwortlich sind. Gestern haben wir eine sehr interessante Diskussion zum Thema „Wohnraumversorgung“ geführt, die längst überfällig war; da möchte ich mich beim Wohnungsbauminister ausdrücklich bedanken.

Wer leistet denn Missbrauch, wenn in Dreizimmerwohnungen bis zu 20 Personen untergebracht werden, die pro Monat bis zu 200 € pro Matratze zahlen müssen? Wer leistet hier Missbrauch? Doch wohl nicht diejenigen, die unter diesen katastrophalen Verhältnissen vegetieren, sondern andere, die davon verdienen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Ministerin Sylvia Löhrmann)

Und wer hat etwas vom Arbeitsstrich, wo man sich zu Stundenlöhnen zwischen 1,50 € und 3,00 € bedient und so billigste Arbeitskräfte rekrutiert? Das sind doch wohl nicht allein diejenigen, die über diesen Weg Schwarzarbeit leisten, sondern auch diejenigen, die auf diese Weise ausbeuterisch Arbeitskraft einkaufen!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Im Übrigen kann ich Ihnen sagen: Das gesamte Aufstockertum gehört abgeschafft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – La- chen von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Wo kommen wir denn hin – unabhängig von Zuwanderungen –, wenn Unternehmen keinen fairen Preis für Arbeitskraft entrichten, sondern nur noch einen anteiligen Preis, während der Rest über die Kommune finanziert wird?

Das kann doch nicht sein. So habe ich mir den modernen flexiblen Kapitalismus nicht vorgestellt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Herr Minister