Protokoll der Sitzung vom 14.05.2014

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüders. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Gefahr des gewaltbereiten Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus auch vom polizeilichen Staatsschutz falsch eingeschätzt wurde. Auf Seite 861 der Bundestagsdrucksache 17/14600 heißt es – ich zitiere – in diesem Zusammenhang:

„Die polizeiliche Analyse rechtsextremistischer Gewalt war fehlerhaft, das Lagebild dadurch unzutreffend. Die Erfassung rechtsmotivierter Straftaten erfolgt bislang rein polizeilich über das derzeitige Definitionssystem PMK (‚Politisch moti- vierte Kriminalität‘), das große Schwächen hat. Dies zeigt sich exemplarisch an der Debatte um die Anerkennung der Todesopfer rechter Gewalt seit 1990.“

Der Untersuchungsausschuss zog daraus – ich zitiere erneut aus Seite 861 des Abschlussberichts – unter anderem folgende Schlussfolgerung:

„Notwendig ist die grundlegende Überarbeitung des ‚Themenfeldkatalogs PMK‘ – unter Hinzuziehung von Expertenwissen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft.“

Meine Damen und Herren, dass die derzeitige Erfassung rechtsmotivierter Straftaten einer grundlegenden Überarbeitung bedarf, ist damit unstreitig. Der Bundestagsuntersuchungsausschuss hat dies parteiübergreifend anerkannt. Deswegen – da schließe ich mich ausdrücklich meiner Vorrednerin an – hätte es dieses Antrages nicht bedurft.

(Beifall von der CDU)

Es ist falsch. Sie machen es hier populistisch, um ein Themenfeld zu besetzen, das schon lange besetzt ist, und zwar demokratisch und nicht populistisch. Dabei geht es darum, sich parteiübergreifend der Ernsthaftigkeit des Themas zu stellen.

Für uns ist das, was Sie betreiben, reine Showpolitik. Meine Vorrednerin hat es gerade eindrucksvoll geschildert: Die Ausführungen, die Sie gemacht haben, passen überhaupt nicht zu Ihrem Antrag. Das ist überhaupt nicht deckungsgleich.

Darüber hinaus – ich hoffe, meine Vorrednerin hat das genauso gemeint, wie ich es jetzt ausdrücke – hat Ihr Antrag auch inhaltliche Schwächen.

(Nadja Lüders [SPD]: Ja!)

Das beginnt bereits bei der Überschrift des Antrags, in der ausschließlich von der – ich zitiere erneut – Notwendigkeit einer Reformierung des Definitionssystems politisch motivierter Kriminalität-rechts die Rede ist. Die Empfehlungen des Abschlussberichtes des NSU-Untersuchungsausschusses gehen jedoch deutlich weiter. Dort ist nämlich – ich hatte es bereits angesprochen – ausdrücklich von einer grundlegenden Überarbeitung des gesamten Themenfeldes politisch motivierter Gewalt die Rede. Das betrifft eben nicht nur die Gewalt von Rechten, nicht nur die Gewalt von der Linken, sondern damit gemeint sind auch Ausländerextremismus und islamistisch motivierte Gewalt.

All das wird in Ihrem Antrag überhaupt nicht angesprochen. Wenn der Landtag Ihren Antrag in der vorliegenden Form billigen würde, würde unser Land weit hinter das zurückfallen, worüber der NSUUntersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages bereits Einigkeit erzielt hat, nämlich die Überzeugung, dass jede Form politisch motivierter Gewalt in Deutschland, von Hass in Deutschland, bekämpft werden muss, und zwar unabhängig davon, von wem diese Gewalt ausgeübt wird. Dies war, ist und bleibt übrigens die Position, die die CDUFraktion in diesem Hohen Haus immer vertreten hat. Es wäre wünschenswert, wenn auch die Piraten im Laufe zukünftiger Debatten rund um diese Thematik zu dieser Einsicht kommen würden.

Wir können diesem Antrag daher leider nur unsere Ablehnung erteilen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Statistisch gesehen wird in Nordrhein-Westfalen jeden zweiten Tag ein Mensch Opfer rechter oder rechtsextremer Gewalt. Das verdeutlicht, dass Rechtsextremismus und rechte Gewalt für Nordrhein-Westfalen ein Problem

und Thema sind. Jeder dieser Übergriffe und die Bedrohungen, die durch Rechtsextreme erfolgen, stellen immer auch einen Angriff auf unsere vielfältige und pluralistische Gesellschaft dar. Deshalb muss jedes Opfer die Solidarität unserer Gemeinschaft und Gesellschaft und die Unterstützung durch den Staat erfahren.

Weil wir der Verantwortung des Staates für die Betroffenen rechter Gewalt nachkommen, haben wir als rot-grüne Koalition schon in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass in Nordrhein-Westfalen zwei unabhängige Opferberatungsstellen mit Landesmitteln eingerichtet wurden, obwohl wir uns momentan in einer sehr angespannten Haushaltslage befinden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Während der Bund Mittel für entsprechende Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt bisher nur in den ostdeutschen Bundesländern zur Verfügung stellt, muss es in den westdeutschen Bundesländern landeseigene Mittel geben. Die stellen wir in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich erwarte von der Bundesregierung und der neuen Bundesfamilienministerin, dass sie klarstellt, dass Rechtsextremismus auch in Nordrhein-Westfalen und den anderen westdeutschen Bundesländern ein Problem darstellt und die Mittel für die Opferberatungsstellen nicht – wie bisher – nur nach Ostdeutschland fließen, sondern in ganz Deutschland entsprechend gezahlt werden.

(Beifall von den GRÜNEN - Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Allerdings wissen wir auch, wenn man sich mit der PMK-rechts befasst, dass es bei den rechtsextrem motivierten Straftaten in der polizeilichen Statistik eine hohe Dunkelziffer gibt. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle Straftaten zur Anzeige gebracht werden. An der Stelle sehe ich einen wesentlichen Handlungspunkt für uns, das Vertrauen in die Arbeit einer bürgernahen Polizei zu stärken und gleichzeitig die Polizeibeamtinnen und -beamten im Umgang mit den Opfern rechter Gewalt zu schulen.

Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir darüber diskutieren, wie man den Austausch zwischen den Kreispolizeibehörden und den Opferberatungsstellen stärkt, damit die Polizei Betroffene rechtsextremer Gewalt direkt an die Beratungsstellen verweisen kann. Im Gegensatz zu Statistiken würde das den Opfern wirklich helfen.

Das Problem der Dunkelziffer hat eine weitere Komponente, die ich hier ebenfalls benennen will. Es werden nämlich nicht alle politisch rechts motivierten Straftaten als solche eingeordnet. Übergriffe von Neonazis auf linksalternative Jugendliche werden als jugendliche Schlägereien abgetan. Es gibt momentan Diskussionen über den Prozess in Bayern, wo bei einem vorbestraften Neonazi, der einen

Migranten umgebracht hat, weder von der Staatsanwaltschaft noch den Richtern ein Bezug zur rechtsextremen Ideologie hergestellt wird. Das löst, finde ich, zu Recht sehr viel Unverständnis aus.

Ich sehe sowohl die Polizei als auch die Justiz in der Pflicht, die Aus- und Fortbildungsinhalte, die wir bereits haben und über die wir im Innenausschuss schon diskutiert haben, weiterzuentwickeln und für das Thema Sensibilität zu schaffen.

Ich will es hier aber auch ganz klar sagen: Die PMKrechts ist eben nur eine Statistik, die es als Kriminalstatistik nicht schafft, die alltäglichen Dimensionen von Rassismus, Diskriminierung wirklich abzubilden. Rassismus in der Gesellschaft ist mehr als die Anzahl der Straftaten, die nachher in der PMKrechts auftauchen. Für viele Menschen ist das Alltag. Auch darüber müssen wir sprechen. Das fehlt mir aber in diesem Antrag.

(Beifall von den GRÜNEN)

Genauso kann die Statistik, von der Sie schreiben, sie sei ein Analyseelement, nur ein möglicher Baustein zu einer Analyse sein und Anhaltspunkte für Entwicklungen bieten. Sie kann auch vor Ort sehr hilfreich sein, wenn man in Auseinandersetzungen mit politisch Verantwortlichen tritt, die nicht wahrhaben wollen, dass man dort ein rechtsextremes Problem hat. Man kann denen dann nämlich zeigen, dass es vor Ort sehr wohl rechtsextreme Straftaten gibt.

Zu dem Zweck kann dieses Instrument hilfreich sein, ersetzt aber nicht die Analyse bei Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus, die viel breiter angelegt sein muss: Wir brauchen Lagebilder, und zwar auch für Nordrhein-Westfalen, wie jeweils die Situation aussieht. Ich glaube, dass man für diese Lagebilder auch die Zusammenarbeit mit den Mobilen Beratungsteams, zwischen Polizei und Beratungsteams stärken könnte, um umfassende Erkenntnisse zusammenzutragen.

Für mich gehört zu den Lagebildern auch die Antwort auf die Frage nach antimuslimischen Straftaten und antiziganistischer Straftaten. Wie sind dort die Entwicklungen angesichts einer entsprechenden Stimmungslage, die wir momentan in der Gesellschaft einfach verspüren. Wir als Grüne haben es im Ausschuss bereits deutlich gemacht: Wir haben an dieser Stelle durchaus noch Diskussionsbedarf.

Etwas will ich noch sagen: Man kann uns, glaube ich, nicht vorwerfen, dass wir in den letzten Jahren untätig gewesen wären. Wir haben bei den Sicherheitsbehörden entsprechende Schwerpunkte gesetzt: Es gibt die Sonderkommissionen in Aachen, Wuppertal, Dortmund und Köln. Das finde ich sehr wichtig.

Ihre Redezeit!

Es gibt das Kompetenzzentrum beim LKA. Wir haben im Verfassungsschutzgesetz den Schwerpunkt ganz klar auf gewaltorientierte Bestrebungen gesetzt, zu denen auch der Rechtsextremismus gehört.

Letzter Satz, dann höre ich auf zu reden: Wir brauchen mehr als nur eine Statistik, sondern wir brauchen ein Zusammenspiel von einer starken Zivilgesellschaft, verlässlicher Finanzierung von Opferberatung und Mobiler Beratung, Aussteigerprogramme. Außerdem brauchen wir eine Schwerpunktsetzung bei den Sicherheitsbehörden. Nur dann können wir auch den Kampf gegen den Rechtsextremismus gewinnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.

Guten Tag! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat gezeigt, dass ein Thema, das sehr ernst ist, uns alle sehr bewegt und uns in der Vergangenheit sehr schockiert hat, auch einmal nicht ganz so glücklich angefasst werden kann.

Insofern möchte ich jetzt auch nicht alle Ausführungen, die meine Vorrednerinnen und Vorredner gemacht haben, wiederholen. Ich möchte aber ganz klar für uns betonen, dass wir auch sehr erschüttert über das waren, was sich hinter den NSU-Morden verborgen hat. Wir hätten uns etwas Derartiges gar nicht vorstellen können. Deswegen bin ich froh, dass unsere Bundestagsfraktion seinerzeit 2011 als erste den Untersuchungsausschuss gefordert hat, der dann auch im Bund getagt hat und Ergebnisse hervorgebracht hat, die wir heute hier besprechen.

Aber auch wir sehen im Antrag der Piraten folgendes Problem: Auf der einen Seite bemängeln Sie die Definition der politisch motivierten Kriminalität, auf der anderen Seite aber liefern Sie keine zutreffende Definition dafür, was politisch motivierte Kriminalität von rechts eigentlich ist. Das fehlt in Ihrem Antrag. Deswegen können wir diesem auch nicht zustimmen. Wir haben uns überlegt, wie wir damit umgehen und haben uns dazu entschlossen, uns bei dem Antrag zu enthalten. Denn wir möchten nicht den Eindruck erwecken, dass unsere Meinungen – jedenfalls im Kern der Sache – weit auseinanderliegen. Ihr Antrag ist jedenfalls nicht zustimmungsfähig.

Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, den Sie in die Debatte eingeführt haben. Sie haben behauptet, dass Taten von links aufgebauscht und Taten von rechts im Prinzip heruntergeschrieben würden. Ich muss sagen, dass ich bisher nicht den Eindruck hatte – egal, welche Regierung von wem gestellt wurde –, dass so agiert wurde. Ich würde den In

nenminister bitten, darauf einzugehen. Ich halte es für eine ungeheuerliche Unterstellung, dass behauptet wird, Extremismus der einen Form werde verharmlost, wohingegen Extremismus der anderen Form entsprechend überbewertet werde.

(Beifall von der FDP)

Im Übrigen bin ich der Meinung – das muss man einmal ganz klar sagen –, dass Extremismus, welcher Form auch immer, verachtenswert ist, und das ist die Leitlinie meiner Politik. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Das Handicap, das Mitglieder der Landesregierung gelegentlich haben, ist, mit Reden an das Pult zu treten und festzustellen, dass fast alles schon vorher gesagt worden ist. Deshalb, möchte ich mich auf einige wenige Punkte beschränken. Ich möchte nicht auf die auch aus meiner Sicht vorhandenen inhaltlichen Schwächen des Antrages eingehen. Des Weiteren möchte ich auch keine großen Ausführungen zu dem Definitionssystem „Politisch Motivierte Kriminalität“ machen. Ich möchte nur noch auf einige wenige Punkte eingehen.

Nordrhein-Westfalen ist bisher das einzige Land, das seit 2012 auch Straftaten von Personen, die nicht der politisch motivierten Kriminalität zuzuordnen sind, getrennt erfasst; im Übrigen mit dem erschreckenden Ergebnis, dass auf eine Straftat, die politisch motiviert rechts ist, bei den gleichen Personen zwei Straftaten der Allgemeinkriminalität kommen. Die sind also nicht nur politisch gefährlich, sie sind gemeingefährlich.

Wir haben – ich orientiere mich jetzt an dem Antrag – den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages umfänglich unterstützt. Wir haben ihn priorisiert. Mein Haus hat allein diesem Ausschuss im Rahmen seiner Arbeit 13.000 Blatt Akten zur Verfügung gestellt.