Schauen Sie sich doch alle anderen Bundesländer zu dieser Frage an! Schauen Sie sich an, wie Menschen mit Behinderung dort beteiligt werden, geschweige denn, ob Aktionspläne existieren, die überhaupt einen Weg aufzeigen.
Herzstück der Vielzahl von innovativen Regelungen und Initiativen dieses Aktionsplans „NRW inklusiv“ ist es, praxisorientiert unten anzufangen. Es nützt mir nichts, zu sagen: Du, Sportverein, musst es machen! – Nein, ich muss den Sportverein mitnehmen. Ich muss Leiterinnen und Leiter haben, die sagen: Ich will mich in diesen Prozess einbeziehen. – Das wird ein Prozess sein, der viele Jahre dauern wird. Das wissen Sie auch sehr genau; das haben Sie mehrfach vorgetragen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozess unter Beteiligung der Betroffenen zu organisieren und ihn letztendlich bis zum Jahre 2020 fortschreibungsfähig nach vorne zu bringen.
Ja, es ist ein Prozess, der sich in Ausführung befindet. Dieser Prozess wird nicht dadurch enden, dass wir das Thema beschlossen haben. Wir haben in diesem Land 18 Millionen Menschen mitzunehmen und sie nach vorn zu bringen.
Deshalb ist auch dieser Inklusionsbeirat mit seinen Fachbeiräten – wie es Guntram Schneider gesagt hat – wichtig in diesem Prozess, denn da findet eine konkrete Beteiligung statt. Da geht es nicht um die Frage, wer dort persönlich vertritt und persönlich sitzt, sondern da geht es um die Frage: Welche In
teressen werden in die Waagschale geworfen? – Glauben Sie mir, in dieser Bundesrepublik Deutschland ist so ein Vorgehen einer Landesregierung einmalig. Das gibt es nirgendwo anders.
Es geht nicht um den technokratischen Akt zu sagen: Da schaltet jemand etwas um; und von oben nach unten ordnet er jetzt an, dass in der Freizeit dies stattfindet. – Wir sind Praktiker genug, zu wissen, dass das nicht funktioniert. Wir wissen, dass es keine Reiseangebote für Menschen mit Behinderung gibt. Wir wissen, dass es schwierig ist, mit einem großen Rollstuhl in einen Flieger zu steigen. Wir wissen, dass es Schwierigkeiten mit den Kostenträgern gibt.
Das aber ist das, was dieser Aktionsplan sehr deutlich aufdeckt. Er zeigt es auf. Er zeigt auf die Notwendigkeit, um die es dabei geht, nämlich genau diese Themenfelder zu besetzen und zu bearbeiten. Auch da rate ich dazu, hier mit Sachlichkeit heranzugehen. Wir wissen genau, dieses Ziel wird nicht dadurch erreicht, dass wir sagen: Im Mai muss es erledigt sein.
Wichtig ist, dass wir „Best-Practice-Projekte“ machen und an das Gelingen dieses inklusiven Projektes auf allen Ebenen glauben und als Inklusionsmotor dieses auch dokumentieren.
Bei der Frage, wie wir das Landesrecht zukünftig gestalten und das Inklusionsstärkungsgesetz voranbringen, muss insbesondere betrachtet werden, dass es mit dem SGB IX – ich betone hier dieses Gesetz, weil es 2001 von einer rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde – eines der modernsten Teilhabegesetze für Menschen mit Behinderung zur Grundlage hat, die es in dieser Republik überhaupt gibt. Dieses Gesetz auf einen neuesten Stand zu bringen, bedeutet, in einem Inklusionsstärkungsgesetz aufbauend, zu schauen: Wie bekommen wir es heute hin, die Komplexität so aufzubauen, dass die Menschen in den vielen Bereichen, in denen sie arbeiten, Bildung genießen, Gesundheit und Pflege haben, damit vorankommen.
Dass das passiert und gelingt, können Sie an der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW sehen, die als Parlamentsstiftung – unsere Stiftung! – beschlossen hat, mit der Initiative „Pflege inklusiv“ fundierte Entscheidungsgrundlagen für Akteure der Pflege zu schaffen und dafür in den nächsten fünf Jahren 10 Millionen € zur Verfügung zu stellen, weil man dort an das Gelingen glaubt, an das Nach-VorwärtsSchauen, und nicht die Frage stellt: Was wird wo nicht gelingen?
Auf dem Feld der Gesundheitsversorgung hat die Landesgesundheitskonferenz einen ganz wichtigen Beschluss gefasst -und alle Akteure beteiligt –, nämlich von der Integration zur Inklusion zu gelangen. Die gesundheitliche Vorsorge für Menschen mit Behinderung zu verbessern, diesen Prozess zu
initiieren und ihn jetzt in der medizinischen Praxis umzusetzen, auch das wird ein längerer Prozess sein. Aber dieser Prozess lohnt sich. Es zeigt, wie viele Akteure an unterschiedlichen Stellen dabei sind, um einzelne Mosaiksteine zusammenzuführen.
Neben den zahlreichen unterschiedlichen Punkten, die wir haben – ich glaube, zum Schluss werden wir uns einig sein, dass wir gemeinsam diesen Prozess voranbringen wollen; ich appelliere hier daran, darauf zu achten, dass wir beisammenbleiben und uns nicht auseinanderdividieren –, wird es darauf ankommen, den Weg der Inklusion in den nächsten zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen erfolgreich zu vollenden.
Wer Inklusion will, sucht Wege. Wer sie nicht will, sucht Begründungen. Den nur allzu wahren Satz – ein weiser Satz – des damaligen Bundesbehindertenbeauftragten Hubert Hüppe, der in verschiedenen Variationen wiederholt wurde, kann man nicht oft genug zitieren. Er bekennt sich darin entschieden zu einer offensiv-optimistischen Herangehensweise an die inklusive Transformation der Gesellschaft und warnt vor der Problemfixierung und dem Nichtgelingen, das immer wieder vorgetragen wird.
Inklusion bedeutet Verantwortungsgemeinschaft. Diese Verantwortungsgemeinschaft beinhaltet alle Teile der Gesellschaft und alle Teile des Staates. Es erfordert das Selbstverständnis aller dieser Beteiligten, an diesen Prinzipien zu arbeiten und seriös damit umzugehen. Sehen wir wachen Auges, was funktioniert und für andere ein gutes Beispiel ist, statt uns auszumalen, was warum garantiert niemals funktionieren könnte.
Das größte Problem sind die Menschen ohne Behinderung, die „Schwerstmehrfachnormalen“, die nicht gelernt haben, mit Behinderungen umzugehen.
Lernen wir also, wenn wir schon nicht ganz ohne Probleme auskommen, zur Abwechslung einmal die „Schwerstmehrfachnormalität“ als ein solches wahrzunehmen. Seien wir in das Gelingen der inklusiven Gesellschaft verliebt. Es sollte sich für uns alle lohnen.
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ hat viele positive Aspekte nach vorn gebracht. Es gilt, gemeinsam daran zu arbeiten. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Besucher! Zunächst ein kurzes Wort zum Entstehungshintergrund: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist im Prinzip eine Konkretisierung der Menschenrechte. Es ist kein Sonderrecht, sondern soll ganz einfach die Menschenrechte auch aus dem Blickwinkel der Behinderten betrachten.
Unter dem Aspekt gehen wir die ganze Sache auch an. Sie ist aber noch nicht in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Da möchte ich Frau Doppmeier zustimmen. Das sehe ich ganz genauso. Wenn man draußen mit den Bürgern redet, wird häufig diese Frage gestellt. In dem Sinne, Herr Minister, sehe ich Ihren Bericht „Aktionsplan“ erst einmal als Belletristik für Insider an. Draußen ist es tatsächlich noch nicht angekommen.
Herr Kollege Neumann, gehen Sie davon aus, dass auch wir von der FDP-Fraktion das mit ganzem Herzen sehen werden. Das unterstelle ich der Kollegin Doppmeier genauso.
Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umsetzung der Inklusion ist eine der bedeutsamsten Aufgaben der Sozialpolitik in der Gegenwart. Sie ist aber auch aufgrund ihrer Komplexität eine der anspruchsvollsten. Dies verlangt neben dem notwendigen Einfühlungsvermögen viel Engagement, Beharrlichkeit, zugleich aber auch Geduld, selbst wenn hier mal die Ungeduld eingefordert wurde, und auch die Fähigkeit, bisherige Erkenntnisse und Standards kritisch zu hinterfragen.
Wenn Inklusion nicht nur ein Ideal bleiben, sondern in der Bevölkerung ankommen soll, dann muss man bereit sein, die Lebensbedingungen in allen gesellschaftlichen Bereichen permanent und konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Es soll erreicht werden, dass Unterschiedlichkeit zu einer Selbstverständlichkeit wird und Menschen mit einer Behinderung gleiche Chancen bekommen, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten, wie Menschen ohne Behinderung.
Obwohl die Förderung einer selbstbestimmten Lebensweise einen immer höheren Stellenwert erhält, gibt es immer noch zu viele Bereiche, in denen der Fürsorgegedanke dominiert.
Im Gegensatz hierzu bildet die UN-Behindertenrechtskonvention die Grundlage eines neuen Verständnisses von Behinderung. Unter einer Behinderung versteht man nicht mehr die Beeinträchtigung einer Person, sondern vorhandene Zugangs- und Teilhabebarrieren, die beseitigt oder bei der Planung von vornherein einkalkuliert werden müssen.
Meine Damen und Herren, ein solcher Ansatz wurde bereits von der früheren schwarz-gelben Landesregierung mit ihrem ressortübergreifenden Landesprogramm „Teilhabe für alle“ verfolgt. Die entsprechende Überprüfung landesrechtlicher Vorgaben mit Blick auf das Ziel der Inklusion gehörte
ebenso dazu wie eine Vielzahl ressortübergreifender Projekte, die dazu dienten, neue Ansätze zu erproben und die Grenzen zwischen dem Leben von behinderten und nichtbehinderten Bürgern zu verringern.
Uns allen hier im Hause – und nicht nur hier im Hause, sondern auch den Bürgern draußen – sollte klar sein, dass die Umsetzung der UN
Behindertenrechtskonvention nicht von heute auf morgen erfolgen kann. Denn es ist nicht damit getan, Gesetze zu ändern und spezielle Programme aufzulegen. Die Barrieren, mit denen Betroffene zu kämpfen haben, finden sich nicht nur in Gebäuden oder im Wohnumfeld, beim Gebrauch von Alltagsgegenständen oder beim Versuch, an einer kulturellen Veranstaltung teilzunehmen. Sie existieren – ich habe bereits darauf hingewiesen – nach wie vor in den Köpfen vieler, meist aus Unwissenheit und aus daraus folgender Unsicherheit, obwohl sich tatsächlich in den letzten Jahren schon eine Menge getan hat.
Menschen mit Behinderung benötigen auf der einen Seite eine gezielte und an ihrem speziellen Bedarf ausgerichtete Unterstützung, aber die sollte immer als eine Hilfe zur Selbsthilfe gesehen werden. Das heißt, sie hat einen assistierenden Charakter. Auf der anderen Seite gilt es, die Normalität der Lebenssituation von behinderten Menschen im Sinne eines neuen Werte- und Solidaritätsverständnisses anzuerkennen und diese Gesellschaft, in der wir leben, so zu gestalten, dass sich die Lebensqualität letztlich für alle verbessert.
Der Verzicht auf Barrieren, etwa bei der Planung von Gebäuden, vereinfacht das Leben für behinderte wie für nichtbehinderte Menschen gleichermaßen. Es ist diese umfassende Sichtweise, die der Inklusion gerade auch aus unserer liberalen Sicht ihre herausragende Bedeutung verleiht. Wir alle kennen den Begriff der „lernenden Organisation“. Im Falle der Inklusion empfiehlt es sich, von der „lernenden Gesellschaft“ zu sprechen. Das fällt umso leichter, je mehr wir darüber wissen, welche Form der Unterstützung die Betroffenen tatsächlich brauchen und vor allen Dingen wünschen, um ihre Potenziale und Fähigkeiten einbringen zu können.
Zu einem wachsenden Verständnis bei uns allen trägt sicherlich auch die Tatsache bei, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema in einer älter werdenden Gesellschaft, die sich nicht mehr leugnen lässt, immer mehr zur Normalität werden wird, denn die meisten Behinderungen werden erst im Laufe des Lebens erworben. Viele reden über Inklusion in der Schule, aber es kommen durchschnittlich noch 60 Jahre danach.
Natürlich ist es wünschenswert, dass gesundheitsbedingte Beeinträchtigungen mittels gezielter Gesundheitsförderung und Prävention vermieden werden. Aber das wird nicht in jedem Fall zum Erfolg führen. Da sollte man nicht zu optimistisch sein.
Nicht zu vergessen ist, dass viele Behinderungen auch durch Unfälle verursacht werden. Jeder von uns kann jederzeit von einer dauerhaften Beeinträchtigung und somit von einer Behinderung betroffen sein.
Umso wichtiger ist es, dass das Gesundheitssystem, das, was wir in diesem Land schon genießen dürfen, auf eine größer werdende Gruppe der Menschen mit Behinderung vorbereitet wird. Das betrifft den barrierefreien Zugang zu Arztpraxen ebenso wie die Notwendigkeit, alle Mitarbeiter im Gesundheitssystem durch entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen mit den Zielen der Inklusion vertraut zu machen und sie zu entsprechendem Handeln zu befähigen. – Das meinte ich, Herr Minister, mit der „Belletristik für Insider“. Wir müssen es auch nach außen geben und mit den Akteuren draußen sprechen.
Zu berücksichtigen ist, dass es sehr unterschiedliche Formen der Behinderungen gibt. Die mit einem Anteil von rund 60 % größte Gruppe im Bereich der Schwerbehinderungen sind zwar Menschen mit körperlichen Einschränkungen, doch darüber hinaus gibt es auch zahlreiche Beeinträchtigungen im Bereich der Sinnesorgane. Auffallend ist der wachsende Anteil von Menschen, die an einer chronischen psychischen Erkrankung leiden.
Eine besondere Beachtung verdient die aktive Rolle der Betroffenen bei der Umsetzung der Inklusion, und zwar auf allen Ebenen. Die Politik sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen. Partizipation darf keine Alibiveranstaltung werden. Die unbestrittene fachliche Kompetenz der Sozialexperten muss intensiver als je zuvor mit dem Expertenwissen der Betroffenen zur Schnittstelle vermengt werden, denn die wissen am besten, wie es geht.
Abzuwarten bleibt, welchen Beitrag hierzu die Arbeit des eigens gegründeten Inklusionsbeirats leisten wird. Hier habe ich gleich einen Wunsch an Sie, Herr Minister, nämlich ob wir nicht einmal den Vorsitzenden des Inklusionsbeirates im Ausschuss kennenlernen dürfen und mit ihm diskutieren können. Ich weiß nicht, ob das in der Vergangenheit mal geschehen ist.
Da sitzt er ja; dann kennen wir ihn ja. Trotzdem sollten wir uns über dieses Thema einmal unterhalten, Herr Staatssekretär, dann eben nicht in der Rolle als Staatssekretär, sondern als Vorsitzender des Inklusionsbeirates.
Die Landesregierung steht in der Pflicht, sich nach Kräften dafür einzusetzen, dass die Einbindung der Menschen mit Behinderung effektiv und unbürokratisch erfolgt. Die Kommunen sind nicht nur als Träger der Eingliederungshilfe in besonderer Weise
von der Inklusion betroffen, sie haben auch den unmittelbarsten Bezug zu den Lebensverhältnissen der Bürger. Bei der Entwicklung von praxisorientierten Lösungen ist das ein klarer Vorteil. Das bedeutet aber nicht, die Kommunen mit dieser Aufgabe alleine zu lassen, wie man es bei vielen anderen Sachen macht.
Im Gegenteil! Ein Beispiel dafür findet sich im Bereich des Wohnens. Die Umsteuerung in der Behindertenhilfe begann vor gut elf Jahren mit dem Projekt „Selbständiges Wohnen behinderter Menschen – Individuelle Hilfen aus einer Hand“. Zuvor wurde dafür gesorgt, dass die beiden Landschaftsverbände als die überörtlichen Träger der Sozialhilfe seit 2003 befristet auch für die wohnbezogene Eingliederungshilfe und somit für die fachliche und finanzielle Gesamtsteuerung im Bereich der ambulanten wie auch stationären Hilfen zuständig sind.