Protokoll der Sitzung vom 05.06.2014

Das Problem sind in aller Regel ja nicht die Ziele, die durch die bürokratischen Maßnahmen verfolgt werden, sondern die nicht beabsichtigten Folgeerscheinungen und die administrative Eigendynamik, die aus ihnen erwächst.

Wenn man Bürokratielasten beklagt, ist schwer zu sagen, welche Vorschriften im Einzelnen verzichtbar sind. Alles scheint zunächst einmal gut begründbar zu sein. Wenn ein Abbau dann doch einmal erfolgreich stattfindet, wird das häufig an anderer Stelle wieder konterkariert.

Wir sind hier in den letzten Jahren in NordrheinWestfalen nicht besser geworden. Zwischen 2005 und 2010 waren wir unter der schwarz-gelben Landesregierung schon einmal auf einem ordentlichen Weg. Ich erinnere an die unter Federführung des damaligen Innenministers Dr. Ingo Wolf vorangetriebene Verwaltungsstrukturreform und die Bürokratieabbaugesetze I und II. Auch das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ist hier zu nennen.

Demgegenüber hat die rot-grüne Landesregierung leider eher gezeigt, wie man immer neue Bürokratielasten entstehen lassen kann.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Das ist nicht zuletzt durch die ideologische Überfrachtung von Gesetzen ausgelöst und nicht zuletzt auf die Versuche zurückzuführen, immer wieder neue Vorschriften zu erfinden. Das belastet die Bürger. Es belastet vor allen Dingen aber auch die Wirtschaft und hier ganz besonders die kleinen und mittelständischen Betriebe.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Ein besonders prominentes Beispiel – wir haben es an dieser Stelle häufig diskutiert – ist das Tariftreue- und Vergabegesetz. Als andere Beispiele sind großflächige Umweltzonen und das totale Rauchverbot zu nennen. Zahlreiche weitere Berichtspflichten und andere Verpflichtungen kann man hier ebenfalls aufführen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Insbesondere für den Mittelstand ist dies besonders schmerzhaft; denn die damit verbundenen Kosten verhindern nicht nur Innovationen, sondern damit letztlich auch eine bessere Wettbewerbsfähigkeit. Gerade der Mittelstand kann diese Kosten und diese Belastungen nämlich nicht, was größere Unternehmen vielleicht noch schaffen, durch eine große Struktur abfedern. Deswegen ist es notwendig, dass die hohen Belastungen für den Mittelstand reduziert werden. Für ganz Deutschland sind hier Zahlen von 50 Milliarden € genannt worden. Auch wenn zuletzt einige Maßnahmen erfolgreich zum Abbau beigetragen haben, haben andere wieder dazu geführt, dass die Belastungen zunehmen.

Wir waren hier in Nordrhein-Westfalen schon einmal auf einem guten Weg und haben gezeigt, dass wir es können. Gerade deswegen und weil wir in den letzten Jahren einen anderen Weg beschritten haben, sollte von Nordrhein-Westfalen ein Impuls zu einem konsequenten Bürokratieabbau ausgehen.

Wir müssen erkennen, dass es schwierig ist, im Detail Maßnahmen vorzuschlagen. Deshalb halten wir es für notwendig, das Übel sozusagen an der Wurzel zu packen und Prozesse zu schaffen, die in grundlegender und systematischer Weise Bürokratie abbauen. Hierfür haben wir im Wesentlichen drei Maßnahmen vorgeschlagen:

Erstens. In Nordrhein-Westfalen muss endlich wieder konsequent die Befristung von Gesetzen eingehalten werden. Es ist falsch, dass SPD und Grüne in der letzten Zeit Gesetze vollständig entfristen und bei neuen Gesetzen erst gar keine Befristung mehr vornehmen. Gesetze brauchen Fristen. Mehr noch brauchen sie aber auch klare Ziele, die nachprüfbar benannt werden. Wenn ein Gesetz ein solches Ziel verfehlt, muss es seine Existenzberechtigung verlieren.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Zweitens. Wir brauchen ein permanentes Bürokratieaudit auf allen relevanten staatlichen Ebenen. Der nationale Normenkontrollrat ist eine schlanke und erfolgreiche Institution. Eine solche Institution brauchen wir für die Bundesländer und letztlich auch auf europäischer Ebene, damit auch bei artverwandten Gesetzgebungsprozessen, die es in den Ländern gibt, Best-Practice-Lösungen zum Zuge kommen können. Eine Basis könnte zum Beispiel die erfolgreiche Stoiber-Gruppe sein, die 2007 eingesetzt wurde und bis Ende 2012 Vorschläge zum Abbau

von 25 % der Bürokratiekosten auf EU-Ebene zusammengetragen hat.

Drittens. Wir brauchen einen Bürokratieabbaumechanismus, der permanent wirkt und die Entlastung von Bürgern sowie von mittelständischen Unternehmen als Daueraufgabe hat. Die Landesregierung könnte verpflichtet werden, durch eine entsprechende Stelle permanent Vorschläge zu machen und eine Mindestzahl von Bürokratieabbauvorschlägen vorzulegen, die in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden können.

Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Das wäre eine Selbstverpflichtung. – Ich freue mich auf die Diskussion zu unseren Vorschlägen im Ausschuss und danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Ich danke Ihnen auch. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Witt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag übt sich in schon bekannter Form im Geißeln von Bürokratie im Land NRW. Dabei ist es nachgewiesen, dass unser Land weder über- noch unterreguliert ist. Hinsichtlich des Umfangs von bürokratischen Reglementierungen bewegt es sich im Mittelfeld.

Dem halten Sie Ihre fast schon gebetsmühlenartig vorgetragenen Beispiele des Nichtraucherschutzgesetzes – wie eben – oder des Tariftreue- und Vergabegesetzes entgegen. Sie ignorieren dabei alle Maßnahmen, die die Landesregierung zur Reduzierung von Bürokratie ergriffen hat. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Schaffung der Clearingstelle, die neuen Regeln für die Vergabe der EFREMittel oder das Arbeitsprogramm „Bürokratieabbau“ als Maßnahme des Mittelstandsförderungsgesetzes.

Was Sie unter Bürokratie verstehen, haben Sie eben anzudeuten versucht. Nach Ihrem Antrag ist das überhaupt nicht klar. Auf jeden Fall ist es offensichtlich staatliches Handeln, welches die freie Entfaltung des Einzelnen einschränkt.

Nach Max Weber ist Bürokratie die idealtypische Form einer legalen und rationalen Herrschaft. Die Vorteile des Idealtypus einer bürokratischen Verwaltung offenbaren sich unter anderem in Abgrenzung zu anderen willkürbehafteten Herrschaftsformen. Diese Vorteile liegen unter anderem in der Nachvollziehbarkeit, Berechenbarkeit und Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns. Es kommt also auf den

Regelungsumfang an und darauf, wie das Optimum zu definieren ist.

Bei der Modernisierung der Verwaltung muss es darum gehen, die Rationalität und Leistungsfähigkeit der Verwaltung weiterzuentwickeln. Dem stehen wir natürlich positiv gegenüber.

Ich komme zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen:

Sie wollen die grundsätzliche Befristung aller neuen Gesetze und Vorgaben auf maximal fünf Jahre. Gleiches wollen Sie für Änderungen von bestehenden Gesetzen und Verordnungen.

Welche Planungssicherheit sollen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben, wenn kein Gesetz auf Dauer angelegt ist? Damit wird auch der Sinn der Befristung von einzelnen Gesetzen ins Absurde gewendet. Die Befristung von Gesetzen soll dazu dienen, zunächst die Auswirkungen der Gesetze und ihre Zielschärfe zu überprüfen. Wenn sich die zunächst befristeten Gesetze als zielführend und angemessen erweisen, so gebietet es der Wunsch nach Planungssicherheit auch der Wirtschaft, dass sie entfristet werden. Gleiches gilt für den grundsätzlichen Verzicht auf die Entfristung von Gesetzen. Sie widerspricht dem berechtigten Anspruch an den Gesetzgeber, Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen. Sie schütten also das Kind mit dem bekannten Bade aus.

Die Erstellung eines Konzeptes für ein einheitliches, transparentes und konsistentes Effizienzmanagement für Gesetze und Verordnungen klingt zunächst gut. Allerdings sollte hier Qualität vor Schnelligkeit gehen. Mit einer gemeinsamen Geschäftsordnung für alle Ministerien reduzieren Sie eindeutig die Rechte der einzelnen Häuser. Warum haben Sie das Vorhaben eigentlich nicht umgesetzt, als Sie drei Ministerien innehatten? Da hätten Sie es schon machen können.

Mit der Forderung nach der Einrichtung eines Normenkontrollrates der Länder überschreiten Sie auch noch die Grenze unseres föderativ aufgebauten Staates. So heißt es in Art. 30 Grundgesetz nicht ohne Grund: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ellerbrock zulassen?

Frau Kollegin, Sie hatten eben das Befristungsmanagement angesprochen.

Fritz Behrens hat aufgrund seiner Erfahrung als Innenminister und als jahrelanger Regierungspräsident gegenüber der Landesregierung deutlich gemacht, dass gerade dieses Befristungsmanagement eine wichtige Sache ist. Aus seiner Erfahrung im größten und industriereichsten Regierungsbezirk heraus hat er die Landesregierung motiviert, es zu tun. Er hat es dann selbst erfolgreich umgesetzt und aus dem Bereich der Verwaltung, vor allem aber aus der Wirtschaft positive Rückmeldungen bekommen. Fritz Behrens war doch SPD-Mitglied, oder? – Danke.

Sehr schön. Dem widerspreche ich gar nicht. Es geht nur um den Grundsatz, dass Sie alles, jegliches Gesetz, jegliche Verordnung befristet haben wollen, und zwar immer. Sie wollen auch die Entfristungen aufgeben.

Im Laufe des Prozesses nach der Initiative von Fritz Behrens ist man mit Überlegung und Augenmaß dazu gekommen, dass man Gesetze teilweise, wenn man mit ihnen positive Erfahrungen gemacht hat, im Sinne von Planungssicherheit und Rechtssicherheit für die Betroffenen, für die Wirtschaft besser entfristet, statt die Befristung aufrechtzuerhalten. Auf den Zustand „dauerhafte Befristung“ ist auch die Rechtssystematik in Deutschland nicht angelegt.

Es ist so, dass wir zum Teil Gesetze brauchen, die befristet sind, um Erfahrungen zu sammeln; es ist aber zum Teil aber auch so, dass die Bevölkerung zu Recht Rechtssicherheit erwartet. Das ist das Ergebnis des Erfahrungsprozesses, den wir von der Einführung der Befristung von Gesetzen bis heute durchlaufen haben.

Ich möchte aber noch einmal auf Ihren wunderbaren Vorschlag eingehen, einen Normenkontrollrat der Länder einzurichten. – Ich bin der Auffassung: Der Vorschlag scheitert an den Grenzen unserer Verfassung. Mir scheint, Ihr Konzept ist da überhaupt nicht zu Ende gedacht. Im Übrigen – das ist die besondere Pikanterie dieses Vorschlags –: Sie wollen mit Bürokratie Herr der von Ihnen gescholtenen Bürokratie werden.

Schließlich sind die von Ihnen vorgeschlagenen quantitativen Vorgaben für erste Maßnahmen anscheinend willkürlich gegriffen und entbehren jeglicher sachlicher Begründung.

Abschließend stelle ich fest: Wir sehen der Debatte im Ausschuss mit Interesse entgegen, zumal die Arbeit an einer Optimierung von Gesetzen und Verordnungen stets Aufgabe von Politik sein sollte. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Wüst.

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Müller-Witt, Max Weber zu zitieren, ist immer gut, macht auch immer einen schwer guten Eindruck. Ich hatte etwas praktischere Stichwortgeberinnen. Ich hatte gestern ein gutes Dutzend Unternehmerfrauen aus dem Handwerk bei mir zu Gast.

Nachdem ich sie beruhigt hatte, dass nicht immer so schlechte Stimmung hier ist wie bei der KiBizDebatte, und erklärt habe, wie wir hier so arbeiten, habe ich dann gefragt: Wo drückt denn der Schuh? Da kam als erstes „Bürokratie“ und – ich wollte eigentlich gar nicht darüber reden – auch das Stichwort Tariftreue- und Vergabegesetz.

Die Unternehmerfrauen im Handwerk sind genau die, die wir in Sonntagsreden immer hochhalten. Das sind diejenigen, die den Mittelstand organisieren. Sie sind in Personalunion, COO, CFO und, wenn der Rechner streikt, auch gleich CIO und organisieren in der Regel ihre Männer und die Handwerksunternehmen. Sie sind ins Reden gekommen und haben über Bürokratie und alle möglichen Ärgerlichkeiten erzählt.

Alles abschaffen, was sie belastet, werden wir nicht können.

Aber, Frau Müller-Witt, wenn Sie sagen, wir seien im Prinzip im Mittelfeld, was Bürokratie angehe, dann, glaube ich, sollten wir den Anspruch entwickeln, besser zu werden. In Nordrhein-Westfalen gibt es die vielzitierte Wachstumslücke. Das IW Köln weist nach: seit 30 Jahren Wachstumsrückstand. McKinsey hat berechnet, dass wir allein seit dem neuen Jahrtausend acht Prozentpunkte weniger Wirtschaftswachstum haben als Bayern. Einer der Gründe ist das Fehlen einer ausreichenden Gründungskultur.

Wir müssen junge, pfiffige Leute dazu kriegen, sich selbstständig zu machen, Firmen zu gründen.