Protokoll der Sitzung vom 12.09.2014

Trotzdem gibt es noch immer genug Menschen, die nicht noch einmal dieses Mindestmaß an Vernunft aufbringen. Deshalb ist es gerade bei diesem Thema äußerst wichtig, eine Debatte mit Augenmaß zu führen.

Obwohl Sie das wissen und obwohl es im vergangenen Jahr schon mehrfach Debattenbeiträge zu diesem Thema gab – demnächst haben wir eine von der FDP beantragte Anhörung –, springen Sie wie ein dressiertes Hündchen

(Zuruf von der CDU: Hey!)

über jedes kleine Stöckchen, das Ihnen diese menschenverachtenden Extremisten hinhalten.

(Beifall von den PIRATEN)

Damit helfen Sie denen nicht nur – das möchte ich hier betonen –, sondern Sie gießen auch noch Öl in genau das Feuer derjenigen Menschen, dieser Hetzer und Demagogen, die sich diesen Umstand zunutze machen, um den Hass gegen den Islam und die Menschen muslimischen Glaubens zu schüren. Was Sie hier veranstalten, ist keine Debatte mit Augenmaß, sondern das grenzt an Populismus.

(Beifall von den PIRATEN und Arif Ünal [GRÜNE])

Sie schüren Ängste und nutzen die Angst zum Fang von Wählerstimmen. Sie wollen bei der Geschichte Ihr Stück vom Öffentlichkeitskuchen abhaben. Mehr ist es nicht.

Dass CDU und FDP das machen, um der Landesregierung mal wieder eins auszuwischen – okay, geschenkt.

(Minister Ralf Jäger: Versuchen, eins auszu- wischen!)

Das ist aus meiner Sicht zwar dumm, aber verständlich. Das ist Oppositionsarbeit. Dass aber auch SPD und Grüne auf diesen Zug aufspringen, quasi aus Angst, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, sie hätten zu diesem Thema nichts zu sagen, ist nicht nur dumm, sondern auch unverständlich.

(Beifall von Lukas Lamla [PIRATEN])

Sie müssen sich hier und heute fragen: Welche Vorteile hat Ihnen diese Aktuelle Stunde gebracht? Was erreichen Sie hier? Welchen Mehrwert haben Sie mit dieser Aktuellen Stunde im Kontext der Gesamtdebatte erreicht, die wir seit über einem Jahr führen?

Ich habe heute nicht ein einziges Wort gehört, das ich nicht schon fünfmal vorher gehört hätte. Herr Kruse spricht über Blitzmarathons in dieser Debatte. Herr Körfges hat gerade angemahnt, dass wir kein parteipolitisches Geplänkel machen dürfen. Aber nichts anderes ist das hier. Wir haben heute noch nichts anderes gehört, als das, was wir vorher auch schon die ganze Zeit gehört haben. Es gibt noch nicht einmal einen Antrag, über den wir abstimmen könnten, gar nichts.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was ist denn Ihr Bei- trag heute?)

Selbst wenn es Vorteile geben sollte, müssen Sie sich fragen: Überwiegen diese Vorteile denn auch die Nachteile, die Sie durch diese Aktuelle Stunde aufgezeigt haben und durch die die Extremisten noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, und zwar auf beiden Seiten? Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Rechten in Wuppertal, die quasi als Antwort auf die Scharia-Polizei ebenfalls mit ei

nem Stadtschutz reagiert haben. Die Frage ist: Sind die Vorteile das Schüren von Hass und Angst in der Bevölkerung gegenüber dem Islam überhaupt wert? – Dazu sage ich ganz klar: Nein.

(Beifall von den PIRATEN)

Mein Beitrag zu dieser Debatte ist – Frau Beer, wenn Sie mir zuhören würden –, dass ich Sie für dieses Vorgehen kritisiere. Diese Aktuelle Stunde tut nichts weiter, als dem Islam noch mehr zu schaden als bisher, indem den Rechten und auch den Extremisten im Rahmen des Salafismus noch mehr Hoffnung gegeben wird. Das hätten Sie sich heute sparen können. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Bevor ich Herrn Minister Jäger für die Landesregierung das Wort erteile, möchte ich Sie gerne darüber informieren, dass Herr Minister Jäger zu Beginn der parlamentarischen Debatte zu dem großen Themenkomplex „Scharia-Polizei“ mitgeteilt hat, dass er diesen gerne im Zusammenhang darstellen möchte und wahrscheinlich nicht mit den sieben Minuten Redezeit auskommen wird. Deshalb haben wir bereits während der laufenden Debatte großzügig von sehr schnellen Hinweisen auf die Redezeitüberschreitung abgesehen. In der zweiten Runde werden wir natürlich auch sehr großzügig mit der Redezeit der Rednerinnen und Rendern der jeweiligen Fraktionen umgehen.

Die Tatsache, dass vier im Haus vertretene Fraktionen die Aktuellen Stunden mit unterschiedlichen Nuancierungen beantragt haben, macht deutlich, dass vier von fünf Fraktionen den Themenkomplex für sehr wichtig halten und Wert darauf legen, dass er öffentlich diskutiert wird. Deshalb glaube ich, dass man an dieser Stelle so verfahren kann. Herr Minister Jäger wird die Redezeit nicht über Gebühr strapazieren.

Frau Präsidentin, ich habe diesen Hinweis verstanden. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir dulden es in Nordrhein-Westfalen nicht, dass Personen aus der salafistischen Szene unsere Mitmenschen provozieren, einschüchtern, nötigen oder bedrohen.

Das Tragen von Westen mit der Aufschrift „ShariahPolice“ mag für manche wie ein dummer Jungenstreich aussehen; so versucht es jetzt auch die salafistische Szene zu verkaufen. Ich sage an dieser Stelle eindeutig: Das ist für einen Rechtsstaat keine Kleinigkeit, das ist kein Gag, das ist auch kein schlechter Scherz, sondern es ist ein Verstoß gegen geltendes Recht, und so werden wir es auch behandeln.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Wuppertaler Polizei, meine Damen und Herren, ist gegen diese klare Provokation des Rechtsstaates schnell und konsequent vorgegangen. Sie hat die Personalien der Personen aufgenommen, Strafanzeigen erstattet, sie hat die Präsenz vor Ort erhöht, und sie hat für besorgte Bürger in Wuppertal – und davon gab es einige Hundert – eine Hotline eingerichtet, um zu informieren und aufzuklären. Ich bin der Polizeibehörde Wuppertal sehr dankbar dafür.

Darüber hinaus hat mein Haus per Erlass alle Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen angewiesen mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diese Fälle vorzugehen. Das umfasst unter anderem auch das Sicherstellen solcher Kleidungsstücke. Ich denke, das war eine Provokation des Rechtsstaates und nicht nur ein Werbegag der Salafisten. Es war eine Provokation des Rechtsstaates, und der Rechtsstaat hat eine klare und deutliche Antwort gegeben.

Meine Damen und Herren, aus diesem Ergebnis dürfen wir jetzt aber nicht schließen, das Thema „Salafismus“ hätte sich erledigt, und wir könnten uns zurücklehnen. Das wäre fahrlässig und ein klares Unterschätzen dieser hoch gefährlichen Bewegung. Wie hoch gefährlich sie ist, haben wir in der öffentlichen PKG-Sitzung vor wenigen Tagen gemeinsam mit dem Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Herrn Freier, meines Erachtens deutlich beschrieben. Es war in der Tat bedauerlich, dass kein Vertreter der CDU daran teilnehmen konnte. Ich möchte das nicht kritisieren. Denn es gibt sicherlich gute Gründe, warum alle Abgeordneten verhindert waren.

Ausweislich der Planung der Frau Präsidentin für diese Sitzung endet diese Aktuelle Stunde um 11:34 Uhr. Herr Kruse, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses stehen Ihnen ab 11:35 Uhr zur Verfügung, um Sie endlich einmal auf Ballhöhe zu bringen, was den Salafimus in NordrheinWestfalen angeht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- rufe von der CDU: Oh!)

Wenn diese Ballhöhe erreicht ist, Herr Kruse, bitte ich Sie darum, auch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in Berlin sachlich darüber zu diskutieren, was die Union während der Sommerpause zum Thema „Salafimus“ gesagt hat. Diese Äußerungen, die einem hysterischen Beißreflex nach immer schärferen Gesetzen gleichen, mögen vielleicht ein Sommerloch füllen, aber ich finde es bedenklich, wenn eine große deutsche Volkspartei genau das zu opfern versucht, was diese Extremisten bekämpfen und abschaffen wollen, nämlich Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Als Demokraten dürfen wir genau diesem Reflex nicht folgen, sondern müssen sagen: Wir sind stolz

auf diesen Rechtsstaat, auf diese Verfassung und auf diese Grundrechte, und wir schränken sie nicht ein, um euch zu begegnen. Wir haben rechtsstaatliche Mittel dagegen, die wir mit aller Konsequenz nutzen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zum Thema „Salafismus“ möchte ich drei Aspekte hervorheben.

Erstens zu den Zahlen. Im letzten Jahr ist die Zahl der anerkannten Anhänger der gewaltbereiten salafistischen Szene allein in Nordrhein-Westfalen auf 1.500 angestiegen. Im laufenden Jahr gehen wir von 1.800 Personen aus. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 waren es nur 500. Aktuell gibt es bundesweit 6.600 Salafisten. Das ist die am schnellsten wachsende extremistische Bestrebung in NordrheinWestfalen, in Deutschland und in ganz Europa.

Zweitens möchte ich auf die Lage im Nahen Osten eingehen. Ich glaube, jeder von uns sieht die Nachrichten, somit erzähle ich niemandem etwas Neues. Die Sicherheitslage im Irak und in Syrien ist hochbrisant und hochdramatisch. Was dort an Leid geschieht, ist kaum in Worte zu fassen. Diese Zurschaustellung von perfiden Greultaten, das Inszenieren von kriegerischer Gewalt – das muss deutlich sein – hat überhaupt nichts mit Religion zu tun. Das muss an dieser Stelle klar gesagt werden. Das ist Terrorismus, der sich selbst zum Kult hochstilisiert. Dieser Terrorismus soll nicht nur in den betroffenen Gebieten, sondern unter uns allen in der ganzen Welt Angst und Schrecken verbreiten.

Ich finde es deshalb richtig und bedeutend, dass wir gestern zu diesem Thema in der Plenarrunde ein klares Zeichen gemeinsam über alle Fraktionen hinweg gesetzt haben. Die salafistische Szene missbraucht diesen menschenverachtenden Terrorismus, um mit ihm für ihre Zwecke eine falsche Propaganda zu betreiben.

Die Kriegshandlungen von Gruppierungen wie der IS befeuern damit auch die Rekrutierung neuer Anhänger für den Salafismus.

Wir, die Bundesbehörden und Landesbehörden, arbeiten, um dem zu begegnen, sehr eng zusammen. Es hat in den letzten Wochen sehr enge Kontakte, Austausch von Informationen, Zulieferung von Materialien gegeben. Deshalb kann der Bundesinnenminister in diesen Minuten vor die Bundespressekonferenz treten und ein bundesweites Betätigungsverbot für IS in ganz Deutschland aussprechen.

Ich bin dem Kollegen sehr dankbar. Wir haben sehr zugeliefert, sehr gut zusammengearbeitet. Das ist ein weiterer Baustein, ein weiteres Mosaik im Kampf gegen den Salafismus in ganz Deutschland.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Szene ist attraktiv für Menschen, die nach Werten und Orientierungen suchen. Es sind – Frau Schäffer, Sie haben recht, als Ausnahme sind da auch Frauen dabei – zumeist junge Männer, die für extremistische Theorien und Ideologien in ihrer Lebenssituation anfällig sind. Sie treffen hier auf eine Ideologie, die da sagt: Stülpe sie über! Nimm sie ganz auf! Du bekommst alle schwierigen Fragen des Lebens ganz einfach beantwortet.

Ich möchte gerne auf den dritten Punkt kommen, nämlich auf diese Menschen. Wir haben ein großes Problem mit Personen, die aus Deutschland ausreisen, um in Krisengebieten an Kampfhandlungen teilzunehmen. Das ist kein Problem von NRW. Das ist kein Problem von Deutschland. Das ist ein europaweites Problem.

Allein aus Deutschland sind 400 Personen in den Dschihad ausgereist, 130 aus Nordrhein-Westfalen. Die Personen, die zurückkehren, sind traumatisiert. Sie sind desillusioniert, weil sie als Kanonenfutter missbraucht wurden. Aber sie sind an Waffen ausgebildet, verroht und zusätzlich radikalisiert. Sie stellen ein Sicherheitsproblem dar.

Wir als Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes arbeiten sehr intensiv daran und sehr gut zusammen im GETZ in Berlin, wo unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Ländern und des Bundes jeden Tag zusammensitzen und genau diese Szene sehr intensiv beobachten.

Trotzdem muss man sagen: Es gibt ein abstraktes Anschlagsrisiko in Deutschland, damit auch in Nordrhein-Westfalen. Aber es gibt keine konkreten Hinweise auf konkrete Anschläge.

Herr Schatz, ich habe viele Redeeiträge von Ihnen schon gehört, aber Sie haben, glaube ich, den Finger in die richtige Wunde gelegt: Statt politische Geländegewinne erzielen zu wollen, müssen wir gemeinsam dieser salafistischen Szene begegnen. Es sind bundesweit 6.000 Menschen, die sich von Demokratie und Rechtsstaat verabschiedet haben, die radikalisiert, extremistisch eine Ideologie prägen und propagieren, die rückwärtsgewandt ist, die ein fürchterliches menschenverachtendes Bild zeichnet.

Wir müssen diesen Menschen die Möglichkeit geben, aus dieser Szene herauszukommen. Deshalb ist, Herr Stamp, dieses Projekt „Wegweiser“ so richtig. Wenn Sie die nicht erreichen, dann arbeiten die genau richtig. Das Projekt soll nämlich keine Hotline für informationsbedürftige Abgeordnete darstellen, sondern seine Ressourcen darauf konzentrieren, vor Ort

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP]:)