regionale Netzwerke zu schaffen, damit wir gemeinsam mit Schule, mit Jugendamt, mit Polizei, mit Moscheevereinen, mit Imamen an die Menschen herankommen – bei denen wir Hinweise haben, dass sie in diese Szene abzurutschen drohen, wo uns
Mütter, Väter, Schwestern oder Brüder informieren, dass sie an sie nicht mehr rankommen – und tatsächliche Hilfe leisten. Wir haben das in drei Städten begonnen. Wir werden es weiter ausrollen in Nordrhein-Westfalen.
Aber eines ist klar, meine Damen und Herren: Das ist bundesweit bisher einmalig. Ich bin froh, dass meine Kollegen Innenminister mich gebeten haben, auf der nächsten Innenministerkonferenz ausführlich darüber zu berichten und klar zu sagen: Das ist ein Projekt, das wir möglichst in ganz Deutschland anwenden sollten.
Um es noch einmal deutlich zu sagen und um eine Versachlichung dieser Debatte zu ermöglichen: Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Koordinierungsrat der Muslime für den 19. September zu einem bundesweiten Aktionstag „Gegen Gewalt und Extremismus“ aufgerufen hat. Damit wird diesen gewaltbereiten Salafisten eines deutlich gemacht: Ihr könnt euch nicht auf den Islam berufen. Ihr missbraucht diese Religion für menschenverachtende Zwecke.
Dies Signal, meine Damen und Herren, ist umso wichtiger, weil es noch einmal unterstreicht, was wir hier im Parlament wissen und was die breite Öffentlichkeit wissen muss, nämlich dass der ganz überwiegende Teil der Muslime hier in Deutschland friedlich lebt, dass dieser Teil der Muslime sich klar von Gewalt distanziert, dass für Hetze, für Hass und Gewalt in unserem Rechtsstaat kein Platz ist und wir auch niemandem diesen Platz überlassen werden. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Bevor ich Frau Kollegin Vogt für die CDU-Fraktion das Wort erteile, möchte ich Sie darüber informieren, dass Herr Minister Jäger die vorgesehen Redezeit von sieben Minuten jetzt um 3:41 Minuten überschritten hat.
Wir hatten in der ersten Runde Redezeitüberziehungen von ungefähr 45 Sekunden bis 1:45 Minuten, sodass mein Vorschlag, den ich auch schriftlich für den Vizepräsidenten, der die Sitzung gleich übernimmt, hinterlassen werde, ist, dass jeder Redner, jede Rednerin in der zweiten Runde, sofern gewünscht, drei Minuten zusätzliche Redezeit bekommt. Ich halte das für einen sehr fairen Ausgleich. – Frau Kollegin Vogt!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Körfges! Sie hatten gerade in Ihrer Rede gefordert, dass wir bei diesem schwierigen Thema einen Zusammenschluss aller
demokratischen Kräfte in diesem Hause benötigen. Ja, das sagen wir Ihnen sehr gerne zu. Aber dafür, Herr Körfges, muss diese Landesregierung erst einmal ihre Arbeit machen. Und das hat sie nicht gemacht.
Das, was der Minister dazu gerade erhellend von sich gegeben hat, erschöpfte sich in der Beleidigung Abgeordneter. Von daher konnten wir nicht feststellen, was er tatsächlich Erhellendes zu diesem Thema beitragen wollte.
Ich glaube aber, es ist wichtig, dass man auch mal einen Blick in die Vergangenheit wirft. Junge Menschen in unserem Bundesland ziehen sich nicht über Nacht irgendwelche Warnwesten an und spielen Sittenpolizei, sondern es muss im Vorfeld ein langer Prozess abgelaufen sein, der eine derartige Geisteshaltung hervorgebracht hat.
Wie kann es sein, dass die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, auf die wir alle zu Recht so stolz sind, von einigen jungen Menschen abgelehnt werden? Wie kann es sein, dass sie keine Wertschätzung für das religiöse, kulturelle und soziale Leben in unserem Land haben? Wo sind die Konzepte der Landesregierung, und zwar nicht nur dagegen, dass Westen getragen werden, sondern auch gegen diese Geisteshaltung? Denn die Westen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die kann man verbieten, man kann aber nicht die Geisteshaltung, die dahinter steht, verbieten.
Konzepte, die wir erkennen können in diesem Land – Fehlanzeige. Gilt das immer wieder postulierte Programm „Kein Kind zurücklassen“ eigentlich auch für junge Menschen, die in der Gefahr stehen, in Extremismus abzugleiten? Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, dass man das auch in Schulen, in Vereinen, in Verbänden miterfassen muss?
Ich hatte ganz viel Hoffnung, als ich den Antrag von SPD und Grünen gelesen habe. Der Antrag von SPD und Grünen zur heutigen Aktuellen Stunde lautet: „Gewaltbereitem Salafismus mit Repression und Prävention begegnen.“ Das klingt erst einmal vielversprechend.
Wenn man dann in den Antrag schaut, sieht man, dass das nordrhein-westfälische Präventionsprojekt „Wegweiser“ hervorgehoben wird; Herr Dr. Stamp
berichtete bereits dazu. In diesem Projekt arbeiten jeweils zwei Sozialarbeiter in drei Städten. – Herr Minister Jäger, glauben Sie ernsthaft, dass man das Problem von 1.800 Salafisten in unserem Bundesland – übrigens mit steigender Tendenz – mit sechs Sozialarbeitern lösen kann?
Ein weiteres Problem, das sich stellt: Sind die jungen Menschen, die sich in dieser Szene bewegen, überhaupt ausstiegswillig? Wollen sie überhaupt ein solches Angebot annehmen? Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat kürzlich angekündigt, sein eigenes Aussteigerprogramm für radikale Islamisten einzustellen, und zwar nicht – wie man vielleicht denken könnte – aus finanziellen Gründen, sondern weil dieses Angebot der ausgestreckten Hand nicht angenommen wurde.
Das heißt, wir haben tatsächlich junge Menschen in unserer Mitte, die sich in dieser Szene auch noch wohlfühlen. Da stelle ich einfach die Frage: Wie kann es sein, dass sie sich dort wohlfühlen? Sie waren in unseren Schulen, sie haben unsere Ausbildung durchlaufen. Wie kann es sein?
Es greift zu kurz, jetzt einfach nur sagen: Na ja, es sind Migranten, die kommen aus den bekannten Parallelgesellschaften, die haben sich abgeschottet, da kommen wir eh nicht dran. – Wir haben festgestellt: Es sind auch junge Deutsche dabei, die hier ganz normal groß geworden sind, die Konvertiten sind und sich von dieser Ideologie angezogen fühlen.
Wie werben wir für unsere Werte? Werben wir in der Schule überhaupt noch für diese Werte, für unsere freiheitliche Grundordnung? Oder setzen wir die Kenntnis dieser Werte als selbstverständlich voraus?
Tagtäglich versuchen Flüchtlinge, zu uns zu kommen. Sie wollen zu uns kommen aus Ländern, wo Terror herrscht, wo keine Freiheit ist, wo Diktatur herrscht. Sie wollen zu uns kommen, um diese Freiheit bei uns zu genießen. Und wir sind nicht in der Lage, bei unseren eigenen jungen Leuten dafür zu werben, dass diese Freiheit ein hohes Gut ist, damit sie nicht auf die Idee kommen, in den Extremismus abzugleiten. Das kann doch nicht sein.
Außerdem kann man feststellen, dass in den letzten Monaten weniger die jungen Menschen Beratung nachgefragt haben als vielmehr eine ganz andere Gruppe: Das sind die Mütter dieser Kinder. Diese Mütter stellen mit großer Sorge fest, dass ihre Kinder in der Gefahr stehen, in diese Szene abzuglei
ten. Auch diese Mütter brauchen eine entsprechende Unterstützung und Begleitung, damit sie auf ihre Kinder einwirken können, dass sie nicht in diesen Bereich gehen.
Es reicht also nicht aus, nur die Westen zu verbieten, Herr Minister Jäger, sondern wir benötigen ganz dringend einen breiten gesellschaftlichen Konsens, bei dem es keinen Nährboden für ein derartiges Gedankengut in Nordrhein-Westfalen geben kann. Legen Sie als Landesregierung bitte unverzüglich ein Konzept dafür vor! Es ist schon viel zu viel wichtige Zeit vertan worden. Wir sehen, dass diese Zahlen steigen und nicht zurückgehen. Das zeigt, Herr Minister Jäger, dass Sie Ihre Aufgaben nicht gemacht haben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Tagen befinden wir Wuppertaler uns in bundesweit negativer Berichterstattung. So wichtig es ist, Gefahren zu benennen und zu bekämpfen, so wichtig ist es auch, Relationen zu beachten. Es ist ein schmaler Grat zwischen der Aufmerksamkeit, die zu erzeugen ist, damit der Blick auf einen Gefahrenzustand gelenkt wird, und einem Hype, der alle Maße sprengt, den Falschen Publicity beschert und den Blick darauf verstellt, was uns Wuppertaler ausmacht und wer überhaupt Opfer ist.
Wir leben in Wuppertal den Gedanken der Toleranz, der Akzeptanz und der Gemeinschaft. Und das werden wir uns durch niemanden nehmen lassen. In Wuppertal leben Menschen aus über 150 Nationen und zahlreichen Religionen und Religionsrichtungen friedlich zusammen.
In der Gemarker Kirche wurde vor 80 Jahren die Barmer Theologische Erklärung verkündet. Sie klärte, welche Ansprüche Gott hat und welches Recht der Staat gegenüber dem Menschen erheben kann, also: Was ist Gottes, was ist des Staates? Ein Teil dieses Geländes in der Gemarke wurde der jüdischen Gemeinde übertragen, die hierauf – direkt neben der Kirche – ihre neue Synagoge errichtete, die von zwei Staatspräsidenten – Mosche Katzav und Johannes Rau – 2002 eingeweiht wurde.
Diese, unsere Synagoge wurde vor einigen Wochen mit Brandsätzen beworfen. Es war der Sprecher der Moscheegemeinde, Mohamed Abodahab, der einen Tag später auf einer Demonstration vor der Synagoge sagte: Wer dieses Gotteshaus angreift, greift unser aller Gotteshäuser an. Er greift uns alle an. Es gibt keinen Unterschied, egal ob es eine Moschee, eine Synagoge oder eine Kirche ist.
In Wuppertal planen wir den ersten landesweiten muslimischen Friedhof. Er wird unmittelbar angrenzen an einen christlichen und an einen jüdischen Friedhof.
Zwei bekannte Kinder unserer Stadt haben sich über ihre jahrzehntelange Arbeit für Toleranz und Vielfalt besonders ausgezeichnet: Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth und Johannes Rau. Sie einte der Gedanke, dass wir in Kategorien von Heterogenität und Gestalten dieser Vielfalt denken sollten und nicht auf die vermeintlichen Segnungen reiner Homogenität hereinfallen dürften.