Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde gleich auf die Reichweite der Geltung dieser Grundsätze noch einmal zu sprechen kommen. Sie gelten für alle Menschen, gerade auch für diejenigen, die sich auf den Schutz durch das Asylgrundrecht berufen, in diesem Jahr in Deutschland ca. 200.000 Menschen. In Nordrhein-Westfalen können wir mehr als 40.000 Menschen erwarten und willkommen heißen, die bei uns Zuflucht suchen.
Angesichts des Terrors, der Kriege und der systematischen Verfolgung von religiösen und ethnischen Minderheiten in der Welt muss Deutschland als eines der führenden Industrieländer sich seiner Verpflichtung für diese verfolgten, bedrohten und an Leib und Seele gefolterten Menschen stellen. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte wird die Anforderung an einen humanen und wertschätzenden Umgang mit verfolgten Menschen zur moralischen Verpflichtung, die über alle Parteigrenzen hinweg zu den prägenden Elementen unseres demokratischen Gemeinwesens zählt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, an dieser Stelle können wir zumindest in diesem Haus überwiegend Einigkeit feststellen.
Denn: Wer verfolgt oder vertrieben wird und hier Zuflucht sucht, muss sich auf Schutz und Sicherheit verlassen können. Und weil in unserem Land die unantastbare Würde des Menschen Anfang und Maßstab allen staatlichen Handelns und allen staatlichen, gesellschaftlichen Lebens ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, sind wir betroffen.
Jeder Flüchtling hat einen Anspruch auf Schutz und Sicherheit. Das war bis vor ganz kurzer Zeit für uns alle selbstverständlich. Deshalb sind die Berichte über die Misshandlungen und Demütigungen in den Flüchtlingseinrichtungen in Burbach, Essen und Bad Berleburg für uns alle unerträglich. Herr Kollege Laschet, ich glaube, dass es angesichts dessen durchaus angemessen und angezeigt ist, seiner Be
troffenheit in der richtigen Form Ausdruck zu verleihen. Das haben Sie gemacht. Das hat die Frau Ministerpräsidentin gemacht.
Ich will für mich persönlich an dieser Stelle noch einen Schritt weitergehen und mich ausdrücklich auch persönlich entschuldigen, obwohl es eigentlich unentschuldbar ist, dass diejenigen, die Anspruch auf den Schutz durch unseren Staat haben, in Einrichtungen des Landes, in der sie Zuflucht gesucht haben, misshandelt und gedemütigt werden. Wer sich die Bilder vor Augen führt, wird unwillkürlich an diese berüchtigten Fernsehbilder aus Abu Ghuraib erinnert. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bilder stammen eben nicht aus dem Irak, nicht aus einem Kriegsgebiet, sondern aus unserem Land Nordrhein-Westfalen.
Was bedeuten im Verhältnis zu den Gefühlen der misshandelten Opfer, die oft traumatisiert zu uns kommen, die Gefühle, die mich und uns an dieser Stelle tatsächlich erreichen? Diejenigen, die Schutz gesucht haben, glaubten sich in Sicherheit, aber wurden abermals zu Opfern physischer und psychischer Gewalt. Was in der Seele eines solchen Menschen angerichtet werden kann, wage ich mir kaum vorzustellen.
Eines möchte ich für mich deutlich klarstellen: Wer in diesem Land die Würde eines Menschen verletzt, der verletzt die Würde und die Werte unserer Gesellschaft. Er verletzt die Werte eines jeden Einzelnen von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deshalb muss der Hintergrund der Taten aufgeklärt werden, damit die Täter ihre rechtmäßige Strafe erhalten. Das ist die zwingende Folge menschenverachtender Taten, deren Unrechtsgehalt durch die Tatsache verstärkt wird, dass die Täter in ihrer Funktion für die Einhaltung des Hausrechtes und somit für den Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner verantwortlich waren. Das ist in keiner Weise hinnehmbar. Flüchtlinge und damit Schutzbefohlene unseres Landes als Opfer krimineller Sadisten in Einrichtungen des Landes – das hätte ich mir bis zum letzten Wochenende nicht vorstellen können. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.
Trotz der enormen Herausforderungen für alle öffentlichen Ebenen aufgrund der hohen Anzahl der Menschen, die bei uns Schutz suchen, haben wir geglaubt, die Unterbringung funktioniere reibungslos. Wir haben gedacht: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich in dem Zusammenhang: Waren wir zu arglos, zu unkritisch? – Ich sage für mich persönlich: Ja, offensichtlich.
Muss sich die Regierung, müssen wir uns alle jetzt kritische Frage gefallen lassen? – Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Regierung hat das Recht und die Pflicht, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Im Innenausschuss haben wir erst in der letzten Sitzung über die dramatisch steigende Zahl von Flüchtlingen und die Probleme einer angemessenen Unterbringung diskutiert.
In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich machen, dass angesichts der dramatischen Zuspitzung der internationalen Entwicklungen – ich erinnere an die unvorstellbaren Gräuel der Terrormiliz IS – für die Zukunft kaum zuverlässige Prognosen über die zu erwartende Anzahl von Flüchtlingen möglich sind.
Ich greife einen Teil der Kritik auf: Auch die wechselnden Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Laufe des Jahres mehrfach angepasst worden sind, zeigen doch, dass wir es mit einer Entwicklung zu tun haben, die von einer absoluten Dynamik geprägt ist und in jedem Fall Land und Kommunen vor große organisatorische Herausforderungen stellt.
Diese, lieber Kollege Laschet, werden im Übrigens nicht dadurch kleiner, dass Sie öffentliche Spekulationen darüber anstellen, was womöglich hätte geschehen können, wenn es nicht zum Asylkompromiss gekommen wäre. Das, lieber Herr Laschet, ersetzt keine eindeutige Haltung in ganz anderen wichtigen Fragen, deren Beantwortung unsere Kommunen entlasten würden. Wir wären sehr froh darüber, Sie an unserer Seite zu haben, wenn es um die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf Bundesebene geht.
Statt Ihrer hohlen Rhetorik an der Stelle würden Sie unseren Kommunen dann nämlich zusätzlich in einer vernünftigen und nachvollziehbaren Weise helfen und das Leben der betroffenen Menschen in unserem Land einfacher machen. Dem verweigert sich die CDU jedoch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Diese unrealistischen Szenarien – schließlich ist der Asylkompromiss zustande gekommen, wie Sie zu Recht festgestellt haben – führen angesichts der Fakten zu gar nichts und lenken eigentlich nur von
der Frage nach den notwendigen Konsequenzen und Ursachen aus den Vorfällen in Burbach, Essen und Bad Berleburg ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der von mir eben angesprochenen Ausschusssitzung standen die dringend notwendige Suche nach geeigneten Orten und Gebäuden für die Unterbringung von Flüchtlingen und auch die Situation der Kommunen im Mittelpunkt. Gerade bezogen auf die angesprochenen Ereignisse werfe ich mir rückblickend vor, dass dabei womöglich die Betreuungssituation selbst ein wenig aus dem Blickfeld geraten ist und dass wir unter Umständen hätten intensiver nachfragen müssen.
Herr Kollege Herrmann, ich bin da ja bei Ihnen und mache mir gerade selbst den Vorwurf, dass ich es nicht gemacht habe.
Ich glaube, das sollten andere in diesem Haus auch machen. Denn die Diskussionslage war eine vollkommen andere, als sie sich heute hier darstellt.
Darüber hinaus frage ich mich, ob wir uns über die Frage, wie private Unternehmen den Betrieb in unseren Einrichtungen sicherstellen, nicht hätten informieren müssen. Dabei möchte ich allerdings nicht pauschal – das ich auch wichtig, wenn man differenziert an die Sache herangeht – alle Partner in allen Einrichtungen gleichsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Statt Begriffe wie „Ansturm“, „Welle“ oder „Flut“ im Zusammenhang mit notwendigen Kosten hinzunehmen, hätten wir uns der Frage stellen müssen, wie der interne Betrieb in den Einrichtungen abläuft und wem die Betreiber die Wahrnehmung des Hausrechts übertragen.
Was man unserer Regierung allen Ernstes nicht vorwerfen kann, sind Unentschlossenheit oder Verharmlosung in dieser Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Ministerpräsidentin – ich habe es bereits angesprochen – hat die richtigen Worte gefunden. Das ist auch von Herrn Laschet in fairer Art und Weise anerkannt worden. Leider haben Sie sich aber nicht der Versuchung widersetzt, verschiedene andere Dinge in einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Burbach und Bad Berleburg zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf hier eine Ursache aus meiner Sicht benennen: Erstens liegt eine Ursache in der personellen Situation in den Bezirksregierungen. Ich gehe in diesem Zusammenhang einmal ein paar Jahre zurück.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann sich nicht in Aktuellen Stunden über bestimmte Dinge beklagen und sich danach in den Haushaltsberatungen in die umgekehrte Richtung bewegen!
Darüber hinaus, lieber Herr Laschet, ist Ihnen, wenn Sie es mit Zitaten genau nehmen, vielleicht aufgefallen, dass der Bürgermeister von Burbach den von Ihnen angesprochenen Bericht aus der „Süddeutschen Zeitung“ zwischenzeitlich dementiert hat.
Des Weiteren darf ich daran erinnern, dass die Praxis, die wir hier heute zu Recht beklagen, keine Erfindung dieser Landesregierung ist. Vielmehr gibt es sie bereits seit einiger Zeit. Wir haben das – in dieser Hinsicht bin ich ja nahe bei Ihnen – leider noch nicht geändert. Aber das gab es auch schon zu der Zeit, als hier Schwarz und Gelb regiert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir wollen jetzt Klarheit über die Situation, und zwar nicht nur in den uns bekannten Fällen. Wir bedanken uns für das engagierte Eintreten in der Frage bei Herrn Minister Jäger.
Wir wollen eine rückhaltlose Aufklärung und eine umfassende Bestandsaufnahme der Alltagssituation in den Flüchtlingsunterkünften.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben aber noch einen weiteren Punkt, den ich ansprechen möchte. Mindestens so wichtig wie die Frage nach einer angemessenen Unterbringung und Betreuung ist die Frage der Akzeptanz von Menschen in unseren Kommunen. Ich darf Ihnen nur eines sagen: Es gibt viele Bedenken, die wir alle ernst nehmen müssen. Nur, es darf – und deshalb bin ich sehr froh darüber, wenn wir zumindest das in der Debatte unstreitig stellen – vor Ort keine kurzfristigen, auf parteipolitischen Geländegewinn ausgerichteten Auseinandersetzungen über die Unterbringung von Flüchtlingen geben. Das schadet allen Menschen. Das schadet aber vor allen Dingen denen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen.
Wir müssen gemeinsam mit den Kommunen nach Lösungen suchen. Lassen Sie mich an der Stelle ein gutes Beispiel anführen. Meine Heimatstadt, die Stadt Mönchengladbach, hat sich über alle Grenzen der normalerweise üblichen politischen Auseinandersetzungen hinweg dazu bereit erklärt, mit dem Land gemeinsam nach einer Möglichkeit zu suchen, um im ehemaligen Hauptquartier der britischen Streitkräfte eine Erstaufnahmeeinrichtung vorzuhalten, und zwar vor dem Hintergrund der Verantwortung auch für das gesamte Land.
Ich denke, wir sollten eher diese Beispiele fördern, als vor Ort unseren Kommunalpolitikern durchgehen
zu lassen, sich an der einen oder anderen Stelle zu mokieren, wo Solidarität mit den Flüchtlingen besser gewesen wäre.
Wir sollten vielmehr darüber nachdenken, wie wir unseren Kommunen noch besser helfen können, die Herausforderungen zu bewältigen. Die Änderungen im FlüAG waren ein erster Schritt. Darüber hinaus sind die angekündigten finanziellen Verbesserungen ein weiterer Schritt. Aber ich stehe nicht an, Sie einzuladen, mit uns auch über weitere Hilfen nachzudenken, mit uns gemeinsam auf Bundesebene im Interesse der Flüchtlinge und der Kommunen tätig zu werden.
Nur eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man nicht machen: Man kann nicht hier Dinge beklagen, sich auf der anderen Seite aber den notwendigen finanziellen Konsequenzen verweigern. Im Grundgesetz steht das, was wir gemeinsam zitiert haben, in Art. 1. Weit dahinter sagen wir etwas zur Finanzverfassung. Und ich sage Ihnen an der Stelle ganz deutlich: Die Menschenwürde steht auch vor der schwarzen Null und ist für mich Staatsziel.