Protokoll der Sitzung vom 02.10.2014

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Als Konsequenz sollen jetzt Sicherheitsfirmen vom Verfassungsschutz überprüft werden und eine Taskforce ausgerechnet unter Leitung der Bezirksregierung Arnsberg gebildet werden. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn sich zunächst einmal jemand um diese Bezirksregierung kümmerte.

(Beifall von der FDP)

Verfassungsschutz, Taskforce – das klingt mal wieder sehr schnittig. Es sind aber nur Blendgranaten, meine Damen und Herren; denn das eigentliche Problem, für das Sie die Verantwortung tragen, liegt viel tiefer. Das Land Nordrhein-Westfalen wird seinen humanitären Verpflichtungen insgesamt nicht mehr gerecht.

Vor genau acht Tagen habe ich die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Dortmund-Hacheney besucht. Das war wenige Tage vor Bekanntwerden der Übergriffe. Gemeinsam mit Dortmunder Ratsmitgliedern wollte ich mir ein eigenes Bild machen, nachdem wir Ihre Auseinandersetzung mit der Kommune über die Frage der Überbelegung mitbekommen hatten.

Mir ging es dabei um ein Hintergrundgespräch ohne Medienbegleitung. So habe ich ein ungeschminktes Bild bekommen: keine geputzten Toiletten und für den Katastrophentouristen hergerichteten Zimmer, sondern einen nach Urin stinkenden Innenhof in einer völlig überfüllten Einrichtung. Alle Mitarbeiter –

kommunale wie private und ehrenamtliche Helfer – haben versucht, dort eine erträgliche Situation zu schaffen. – Dennoch, Herr Minister, schliefen dort Familien teilweise sitzend oder auf dem Boden. Die Einrichtung – eigentlich für 300 konzipiert, mit der Möglichkeit, im Notfall auf 350 zu gehen – war mit etwa 600 Flüchtlingen völlig überfordert. Das führt dazu, dass die Flüchtlinge teilweise ohne Registrierung in Notunterkünfte verschoben werden und reguläre Asylverfahren in weiten Teilen nicht mehr möglich sind.

Seit 2012 wissen wir um diese Situation. Seit drei Jahren steigen die Zahlen jährlich an. Sie haben die Bilder in Syrien und im Irak eben selbst bemüht, wir haben sie doch nicht erst seit gestern. Daher ist es nicht nachzuvollziehen, warum Sie hier nicht reagieren.

Die Erstaufnahme in Dortmund musste bereits im Herbst 2012 ihre Pforten kurzzeitig wegen Überfüllung schließen. Daraufhin wurde eine Projektgruppe von hohen Ministerialbeamten gebildet, die Anfang des Jahres dringend empfahl, die personellen Kapazitäten aufzustocken – Zitat –, „um besondere Belastungsspitzen, Notfälle, Epidemien und vergleichbare unvorhersehbare Ereignisse berücksichtigen zu können.“ Innenstaatssekretär Nebe kommentiert dies in der Einleitung zum Bericht der Projektgruppe lakonisch – ich zitiere –:

„Trotz dieser Erfahrung kann ich heute nicht ausschließen, dass im Herbst 2014 (oder Herbst 2015) erneut ein dramatischer Engpass entsteht.“

Sie waren gewarnt und haben nicht entsprechend gehandelt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Minister, der Kollege Laschet hat die Brandbriefe von Ihrem Kollegen, Ihrem Genossen, dem lieben Uli Sierau aus Dortmund, wie Sie ihn in Ihren Briefen genannt haben, erwähnt. Sie haben in Ihren Antworten immer nur beschwichtigt.

Schon der landesweite Aufnahmestopp von Flüchtlingen im vergangenen Monat wegen der Krankheitsepidemie hat bei manchem Bürger die Frage aufkommen lassen: Sind wir hier eigentlich in Nordrhein-Westfalen, oder sind wir in der sogenannten Dritten Welt? Sie haben wieder nichts Ausreichendes unternommen.

Dann haben Sie – Herr Laschet hat es angesprochen, ich möchte aber noch einmal ausführlich darauf eingehen – einer hilfesuchenden Dezernentin vorgeworfen, sie hätte eine Das-Boot-ist-voll

Rhetorik an den Tag gelegt.

(Zuruf von der CDU: Unmöglich!)

Meine Damen und Herren, kein ernstzunehmender Akteur, kein Politiker aus dem demokratischen Spektrum, kein Journalist und auch kein Kommu

nalbeamter schürt heute so eine Stimmung. Es gibt keine ressentimentgeladene Asyldebatte wie Anfang der 1990er-Jahre. Das ist gut, und das muss auch so bleiben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Es ist besonders perfide, dass Sie der Dezernentin eine solche Rhetorik unterstellen, wofür es keine Anhaltspunkte gibt, nur um von Ihrem eigenen Versagen abzulenken.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Sie haben in dem Zusammenhang im Innenausschuss auch gesagt: Das System kollabiert nicht. – Nun ist das System aber doch kollabiert.

(Minister Ralf Jäger: Ach, Herr Stamp!)

Hilflose Flüchtlinge kamen zu Schaden, und Sie, Herr Innenminister Jäger, tragen dafür die politische Verantwortung.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Peinlich!)

Wie hätte wohl vor einigen Jahren der Abgeordnete Jäger über den Minister Jäger geurteilt? – Vielleicht so: Politische Verantwortung bedeutet – auch wenn keine persönlichen Fehler begangen wurden –, aus dem Versagen des eigenen Ministeriums die Konsequenzen ziehen zu müssen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So haben Sie sich jedenfalls gegenüber der damaligen Justizministerin Müller-Piepenkötter geäußert. Wir fordern heute nicht Ihren Rücktritt, aber wir fordern, dass Sie sich endlich an Ihren eigenen Maßstäben messen lassen. Hören Sie auf, Blendgranaten zu zünden, und konzentrieren Sie sich auf Ihre Kernaufgaben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die neue Notunterkunft in Rüthen – um eine weitere Baustelle zu nennen – ist ebenfalls schlecht aufgestellt; das hat uns gestern erreicht. Der jetzige Betreiber wusste am Donnerstag noch nicht, dass er Freitag die Verantwortung für eine Notunterkunft für 150 Flüchtlinge bekommen würde. Es gab keine Anweisung. Ein schriftlicher Auftrag mit konkreten Qualitätsstandards liegt noch nicht vor.

Der Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg vor Ort kann, wie so oft, diese Lücke allein nicht füllen und ist überfordert. Die Flüchtlinge kommen ohne Gesundheitscheck direkt in die Notunterkunft. Hier besteht insbesondere beim Impfschutz dringender Handlungsbedarf. Ein klärendes Gespräch von Ihrem Haus mit dem Gesundheitsministerium soll erst in der nächsten Woche geführt werden.

So stelle ich mir verantwortungsvollen Umgang mit unseren Flüchtlingen nicht vor, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der nächste Krisenherd ist doch schon vorgezeichnet in den Kommunen, denen Sie binnen Stunden die Flüchtlinge vor die Tür liefern, ohne dass sie wirklich die Möglichkeit haben, sich entsprechend darauf vorzubereiten. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, hat darauf hingewiesen, dass die Kostendeckung für die Flüchtlingsunterbringung beispielsweise in der Stadt Münster unter 15 % liegt. Da ist das nächste Desaster vorprogrammiert.

Rechtfertigen Sie das nicht damit, dass die Erfüllung woanders bei 120 % liegt. Hinterfragen Sie doch mal Ihr System, wenn Sie auf Differenzen zwischen 15 und 120 % kommen. Da stimmt doch etwas nicht, und das ist Ihr Verantwortungsbereich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

In Bayern bekommen die Kommunen 80 % der Kosten erstattet. Dort gibt es überall eine Erstaufnahmeeinrichtung. Das wünschen wir uns auch für Nordrhein-Westfalen. Zum Schluss möchte ich Ihnen von Rot-Grün zurufen: Es kann doch nicht ernsthaft Ihr Anspruch sein, bei der humanitären Versorgung von Flüchtlingen hinter die CSU in Bayern zurückzufallen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Danke, Herr Dr. Stamp. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Düker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die am Wochenende bekannt gewordenen Fälle von

schwersten Misshandlungen in einer Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung des Landes haben auch mich zutiefst bestürzt. Menschen, die vor Not, vor Vertreibung, vor Krieg zu uns geflüchtet sind, konnten sich nicht darauf verlassen, bei uns eine sichere Zuflucht gefunden zu haben.

Nach dieser beschämenden Erkenntnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Flüchtlingsunterkünfte dürfen in unserem Land nicht zu rechtsfreien Räumen werden. Eine menschenwürdige Aufnahme muss unser Maßstab sein.

Ja, es war eine Fehleinschätzung – das wissen wir im Lichte der heutigen Erkenntnis leider alle –, dass die Standards in den Einrichtungen, die vertraglich vereinbart wurden, ohne Kontrollen offenbar von den beauftragten Firmen nicht eingehalten wurden. Wir konnten daher eine sichere Aufnahme von Flüchtlingen hier nicht sicherstellen.

Erste Konsequenzen sind von der Landesregierung gezogen worden; die Taskforce, das Verbot, Subunternehmen zu beschäftigen, das LKA, das eingesetzt wurde, die Sicherheitsüberprüfung sind erwähnt worden.

Nun gibt es kritische Kommentare, die man ja allerorts lesen kann: Warum hat man denn diese Überprüfung nicht schon viel früher gemacht? – Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Hätte man mich – ich mache das jetzt auch schon ein paar Jahre hier im Landtag – vor zwei Wochen gefragt, ob die Sicherheitsleute in den Flüchtlingsunterkünften eine Sicherheitsüberprüfung brauchen, hätte ich gesagt, dass ich eine Forderung nach so einer Totaldurchleuchtung von Mitarbeitern in einer Flüchtlingsunterkunft für völlig überzogen halte. Deswegen macht das auch kein anderes Bundesland.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist in ande- ren Ländern doch schon Standard!)

Hätte man Sie von der FDP gefragt, Sicherheitsüberprüfungen in Flüchtlingsunterkünften vorzunehmen, bin ich sicher, Sie hätten auch gesagt: Dies ist eine überzogene Maßnahme.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch hier mussten wir erkennen – das gehört zur Wahrheit auch dazu; seien Sie doch redlich, liebe Kolleginnen und Kollegen! –, dass die Anforderungen im privaten Sicherheitsgewerbe offenbar nicht ausreichen,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist doch nicht neu!)