Protokoll der Sitzung vom 12.09.2012

In unserem Modellprojekt „Kein Kind zurücklassen“ mit der Bertelsmann-Stiftung erproben wir gerade in 18 Kommunen, wie wir Präventionspolitik am besten vor Ort umsetzen, welche Strukturveränderungen wir in Gang setzen müssen, wie effizient welche Maßnahmen sind, die wir dort in Gang setzen, und was das am Ende auch für die Finanzen der Kommunen, des Landes, des Bundes und der Sozialversicherung bedeutet.

Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass die Angebote passgenau und gut erreichbar sind. Wir müssen weg von dem Denken in Schubläden und in Kästen, von Zuständigkeiten und Anträgen. Wir wollen kommunale Präventionsketten weiter ausbauen und gesundheitliche, soziale und schulische Angebote, Kultur, Sport und Freizeit besser miteinander verzahnen.

Mich hat in den vergangenen zwei Jahren wirklich beeindruckt, wie hoch der Zuspruch von weiten Teilen der Gesellschaft für diese Politik der Vorbeugung tatsächlich ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, zugleich müssen wir aber auch den jungen Menschen Zukunftsperspektiven geben, bei denen das „Kurve kriegen“ im ersten Anlauf misslungen ist und die ihre Perspektiven selbst durch Straftaten gefährden. Deshalb werden wir schon morgen dem Parlament ein Gesetz zur Regelung des Jugendarrestvollzugs zuleiten. Mit diesem Gesetz wird Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland eine moderne, verfassungsrechtlich fundierte Grundlage für den Vollzug des Jugendarrests vorlegen. Wir werden darin die Förderung und die Erziehung der Jugendlichen in den Mittelpunkt stellen.

Es geht uns darum, bei möglichst vielen und möglichst von Anfang an besser für das zu sorgen, was man auch als Lebensbildung bezeichnen könnte. Das ist das, was man vom Elternhaus mitbekommt oder mitbekommen sollte. Manchmal funktioniert das leider nicht. Lebensbildung ist das, was Kinder und junge Menschen stark macht fürs Leben. Frühe Bildung, Jugendarbeit, Kultur, bürgerschaftliches Engagement, politische Bildung und Sport gehören in diesen Bereich Lebensbildung.

Junge Menschen – das wissen wir –, die regelmäßig im Verein Sport machen, sind viel weniger in Gefahr, gesellschaftlich aus der Kurve zu fliegen. Wie wichtig für den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft der Sport sein kann, haben nicht nur die Paralympics, sondern auch die Olympischen Spiele im Sommer bewiesen. Das ist übrigens auch für uns ein weiterer Ansporn, Sportland Nummer eins zu bleiben. Über 30 % der Medaillen für Deutschland haben die Sportlerinnen und Sportler aus unserem Heimatland geholt. Bei den Paralympics waren es sogar 38 %. Die wichtigen Grundlagen für diese sportlichen Spitzenleistungen legen wir durch eine intensive, passgenaue Förderung des Leistungs-, aber auch des Breitensports. Und auf diesem Weg werden wir weitermachen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zu Lebensbildung und Lebensqualität gehört Kultur unabdingbar dazu. Sie hat auch eine ganz entscheidende Rolle für die Attraktivität der Kommunen. Zusammen mit ihnen wollen wir die kulturelle Substanz erhalten und Neues wagen. NordrheinWestfalen hat eine der reichsten Kulturlandschaften der Welt, und sie wird wesentlich von den Kommunen getragen. Die RuhrTriennale und die Kompanie von Pina Bausch sind Beispiele unseres internationalen Rufs und Ausdruck der Kreativität und der Spitzenleistungen der Kunst- und Kulturschaffenden unseres Landes. Kunst und Kultur sind eben kein Luxus und dürfen gerade in schwierigen Zeiten auch nicht als Luxus gesehen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auch darum ist die kulturelle Bildung ein Schwerpunkt unserer Landespolitik, wie das Programm „Kulturrucksack“ und andere deutlich zeigen. Auf diesem Weg wollen wir weitermachen.

Meine Damen und Herren, wenn wir es schaffen, kein Kind mehr zurückzulassen, niemanden aufzugeben, möglichst viele zurückzuholen, und auch zweite und dritte Chancen ermöglichen, gewinnen wir noch aus einem anderen Grund an Zukunftsfähigkeit. Denn dann geben wir die richtigen Antworten auf den demografischen Wandel. Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, wie drastisch dieser Wandel in den nächsten Jahren sein wird: Bis zum Jahr 2050 werden wir aller Voraussicht nach fast ein Drittel weniger Menschen unter 19 Jahren in unserem Land haben als derzeit.

Es ist deshalb unbedingt erforderlich, klare Signale zu setzen, damit unser Land kinder- und familienfreundlicher wird. Wir haben für dieses Ziel unter anderem die frühen Hilfen ausgebaut, wir haben den Kinder- und Jugendförderplan auf 100 Millionen € jährlich aufgestockt. Aber es bleibt noch viel zu tun für Familien und junge Menschen. Und es geht dabei nicht allein ums Geld. Wir werden deshalb einen Familienbericht Nordrhein-Westfalen erstellen, der uns umfassend weitere Handlungsoptionen aufzeigen soll.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Zukunftsfähigkeit gewinnen wir auch, wenn wir endlich mit einem System Schluss machen, bei dem junge Menschen ihre Zeit in beruflichen Warteschleifen verlieren. Daran arbeiten wir. Wir gestalten den Übergang von der Schule in den Beruf neu: Frühe Praktika, ab der achten Klasse gezielte Berufs-und Studienorientierung. Das neue System folgt dem Leitgedanken „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Das Ziel ist eine echte Ausbildungsgarantie. Wenn wir es schaffen, dass jeder Jugendliche einen Anschluss an den Abschluss erhält, erübrigen sich manche Angebote von Berufskollegs und Trägern. Dann brauchen wir in den kommenden Jahren auch weniger LehrersteIlen in den Berufskollegs. Das ist die Art von Präventionsrendite, von der wir sprechen und die wir auch im Haushalt ausführen werden. Das hat mit Qualitätsabbau gar nichts zu tun, weil wir einfach diese Maßnahmen nicht mehr brauchen, sondern dafür sorgen, dass die Menschen direkt in die berufliche Ausbildung gehen. Das hilft dem Land, dem Landeshaushalt, aber auch der Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, Nachwuchs ist und wird knapp in unserer Gesellschaft. Darauf müssen wir uns einstellen. So mussten nach einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Westdeutschland bereits 42 % der Unternehmen zumindest in Teilen auf Aufträge verzichten, weil sie ihre offenen Stellen nicht besetzen konnten. Auch das gefährdet die Zukunftsfähigkeit massiv. Geschieht nichts, droht in Nordrhein-Westfalen nach Berechnungen von Prognos bis zum Jahr 2020 ein Fachkräftemangel von 630.000 Menschen. Wir haben darum eine Fachkräfteinitiative in allen Regionen unseres Landes gestartet. Die zu Recht unterschiedlichen regionalen Handlungskonzepte liegen vor. Das Land wird dafür bis zu 50 Millionen € bereitstellen. Vor allem bei Jugendlichen, Frauen, älteren Erwerbstätigen, aber auch bei Menschen mit Migrationshintergrund können wir noch große Potenziale erschließen. Und an diese Aufgabe werden wir uns begeben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Beim Thema „gute Bildung“ geht es auch um Hochschulen. Uns lassen die in manchen Fächern extrem hohen Abbrecherquoten keine Ruhe. Wir müssen solche Quoten signifikant senken – nicht indem

wir fachliche Ansprüche aufgeben, sondern durch Beratung, bessere Vorbereitung, intensivere Begleitung und vieles mehr.

Ja, es gilt, viele Maßnahmen auf den Weg zu bringen und dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen besser ihren Weg finden. Deshalb waren wir mit Freude dabei, als die Wirtschaft dieses Landes beim „Ideenpark“ in Essen Begeisterung geweckt hat für Innovationen, für Wissenschaft und Technologie. Das sind Initiativen, über die wir uns sehr freuen, und es war gut, dass das Land daran auch beteiligt war.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Klar ist, dass Staat und Hochschulen gemeinsam gefordert sind, alle Talente zu fördern und natürlich auch die Spitzenforschung voranzubringen. Den Rahmen dazu werden wir mit einem neuen Hochschulzukunftsgesetz legen, das zur Mitte der Legislaturperiode in Kraft treten soll. Dabei stehen drei Ziele im Vordergrund: An den Hochschulen und Universitätsklinika soll das Prinzip der guten Arbeit gelten. Wir wollen Demokratie und Mitbestimmung stärken. Und es ist besonders wichtig, dort, wo es Fehlentwicklungen gibt, einzuschreiten. Wir wollen als wichtigster Finanzier der Hochschulen – mit Steuermitteln – künftig wieder stärker Einfluss nehmen können, um solche Fehlentwicklungen zu beseitigen. Auch das wird Gegenstand dieses Gesetzes sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das heißt nicht – jetzt weiß ich wieder, was Schwarzweißdenken heißt –, dass Hochschulautonomie damit beendet wird.

(Zurufe von der CDU: Nein!)

Nein, das heißt es überhaupt nicht.

(Widerspruch von der CDU)

Als ehemalige Wissenschaftsministerin – der eine oder andere erinnert sich – habe ich die leistungsorientierte Mittelvergabe bei Hochschulen eingeführt. Wir müssen aber feststellen, dass manches, was an unseren Hochschulen läuft, nicht zielgerichtet ist.

(Zurufe von der CDU)

Wir brauchen mehr Einfluss. Darüber werden wir im Detail noch reden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir brauchen wissenschaftliche Expertise heute mehr denn je. Wir brauchen sie für die Energiewende, für die Gestaltung der alternden Gesellschaft, für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft. Deshalb bündeln wir unsere forschungspolitischen Aktivitäten in einem Rahmenprogramm „Fortschritt NRW“ und betten es in die Forschungsförderung der EU und des Bundes ein. Und auch in dieser Legislaturperiode werden wir intensiv dafür

kämpfen, dass weitere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen nach Nordrhein-Westfalen kommen, so wie es uns mit dem Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion gelungen ist. Für diese exzellente Forschungseinrichtung, um die uns der Rest Deutschlands beneidet, werden wir in den nächsten vier Jahren insgesamt 45 Millionen € zur Verfügung stellen.

Dass so viele junge Menschen eine akademische Ausbildung anstreben, ist für unser Land ein Glücksfall. Aber für die Zukunftsfähigkeit brauchen wir auch einen besseren Übergang aus dem Handwerk in den Hörsaal. Wir haben hier Hindernisse beseitigt, Türen geöffnet und mehr Durchlässigkeit vorangebracht. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass alle Studierenden an unseren Hochschulen die Grundlagen finden, um erfolgreich studieren zu können, auch bei den doppelten Abiturjahrgängen.

Dieses Ziel zu erreichen, bedeutet eine wirkliche gemeinsame Kraftanstrengung. Für das Land heißt das konkret: NRW wird seinen Teil an der Finanzierung des Hochschulpaktes leisten. Vom Bund erwarten wir, dass er seiner Verantwortung für die gemeinsame Finanzierung ebenso gerecht wird.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Genau!)

Das brauchen die jungen Menschen in diesem Land, um richtig studieren zu können!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb muss der Bund die Deckelung des Hochschulpaktes aufgeben.

Es kann aber auch nicht sein – da reden wir über Entwicklungen, die schief laufen –, dass jemand im Ausland Studienleistungen erbracht hat, die an den Hochschulen nicht anerkannt werden. Wir haben Bologna eingeführt, um Studiengänge zu reformieren. Wir haben das eingeführt, damit der Übergang von Hochschule zu Hochschule vereinfacht wird. Die Realität ist leider, dass zum Teil der Übergang von der Hochschule von Wuppertal nach Duisburg nicht mehr gelingt. An diesen Stellen müssen wir nachsteuern. Bologna muss dabei auf den Prüfstand.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, „Kein Kind zurücklassen“ – diese Orientierung brauchen wir von der Kita bis zur Hochschule, damit wir für die Zukunft stärker werden. Das gilt für die Arbeitswelt genauso. Deshalb haben wir einen Aktionsplan „Faire Arbeit – fairer Wettbewerb“ in Vorbereitung. Wir werden helfen, die dramatischen Entwicklungen hin zu immer mehr atypischer Beschäftigung, zu Niedriglöhnen und zu prekärer Arbeit zu stoppen. Wir wollen, dass das normale Arbeitsverhältnis, dass gute Arbeit wieder der Normalfall wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollen, dass die Menschen leben können von dem, was sie erarbeiten. Das, lieber Herr Laumann, ist ehrliche Bekämpfung von Armut. Altersarmut ist immer die Folge von Erwerbsarmut, von Arbeitsarmut.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb werden wir unsere Initiativen auf Bundesebene fortsetzen, Missstände bei der Leiharbeit und bei Werkverträgen zu beenden. So wollen wir die verschiedenen Formen von prekärer Beschäftigung zurückdrängen, und zwar auch im Land, bei den Landesbehörden. Auch hier gehen wir Schritt für Schritt voran.

Ebenso wollen wir die verschiedensten Formen von prekärer Beschäftigung zurückdrängen und das unbefristete Normalarbeitsverhältnis wieder die Regel sein lassen. Nur so werden wir dem Problem der Altersarmut wirklich gerecht werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mir ist wichtig zu betonen: Wir werden nur dann zukunftsfähig sein, wenn wir endlich für die volle berufliche Gleichberechtigung von Frauen sorgen. Das heißt vor allen Dingen auch: In den Führungspositionen und in den Entscheidungsgremien brauchen wir künftig mehr Frauen, denn da sind sie nach wie vor stark unterrepräsentiert. Das entspricht auch nicht ihrem Können und schon gar nicht der Ausbildung.

Für die Privatwirtschaft sind wir mit unserer Bundesratsinitiative für eine Geschlechterquote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen vorangegangen. Es kann aber nicht sein, dass wir bei den Unternehmen der öffentlichen Hand mit anderen Maßstäben messen. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Deshalb werden wir das Gleichstellungsgesetz entsprechend reformieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)