Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie können, Frau Ministerpräsidentin, mit Ihrem neuen Thema „Digitalisierung“ Ihren alten Problemen nicht entfliehen. Die Digitalisierung wird im Gegenteil dazu führen, dass die alten Defizite noch schneller und schmerzhafter für alle sichtbar werden, Frau Ministerpräsidentin. Das ist der Zusammenhang.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das will ich an fünf Punkten deutlich machen:

Erstens. Frau Ministerpräsidentin, das wird Sie vielleicht überraschen, der erste Punkt ist der, bei dem ich Ihnen ausdrücklich zustimme. Sie haben gesagt, wir brauchen einen neuen Ordnungsrahmen für die digitale Ökonomie. Wir brauchen starke Leitplanken durch gutes Recht für die Transformation hin zu der massenhaften Sammlung und Bewirtschaftung von Daten.

Sie haben hier von Datensouveränität, Datenhoheit gesprochen. In dem Punkt – das ist im engeren Sinne kein landespolitischer Punkt, aber Sie haben ihn angesprochen – sind wir bei Ihnen. Der Chef von Google hat vorige Tage gesagt: Wenn es Dinge gibt, von denen Sie nicht wollen, dass sie alle erfahren, tun Sie sie nicht.

Er meint damit, dass es möglich ist, durch die Sammlung und Bewirtschaftung von Daten lückenlose Persönlichkeitsprofile anzulegen. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass die Bürgerinnen und

Bürger wider Willen gewissermaßen zu gläsernen Kunden werden. Wenn Sie hier mit Ihrem Bundesjustizminister Heiko Maas neues Recht durchsetzen wollen, dann unterstützen und begleiten wir das.

Aber zu Ihrem digitalen Ordnungsrahmen, Frau Ministerpräsidentin, gehört auch, dass Sie dafür sorgen, dass die Bürger nicht nur nicht zu gläsernen Kunden, sondern auch nicht zu gläsernen Bürgern wider Willen werden. Sie sollten auch Ihren Innenminister digital zur Ordnung rufen, wenn er nämlich fortwährend über die Vorratsdatenspeicherung fabuliert und dort in die Privatsphäre eingreift.

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie es also mit Datenhoheit ernst meinen, dann stärken Sie Heiko Maas den Rücken nicht nur, wenn er Regeln gegen Google durchsetzen will, sondern auch, wenn er Regeln gegen Jäger durchsetzen will. Dann erst ist das in einer vernünftigen Balance.

(Beifall von der FDP – Armin Laschet [CDU]: Jäger ist ein guter Mann!)

Zweiter Punkt: Bildung. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, die heute veröffentlicht worden ist, hat noch einmal herausgearbeitet, dass die Digitalkompetenz die zentrale Schlüsselqualifikation der Zukunft sein wird, nicht nur, um das Potenzial, das sich mit der Digitalisierung verbindet, beruflich verwertbar, sondern auch im Alltagsleben nutzbar zu machen.

Neueste Technologie in den Schulen, das wäre jetzt eine Anforderung. In der Realität sieht es aber so aus, dass sich auf dem Schulhof die Schülerinnen und Schüler über die neueste App auf dem Smartphone unterhalten. Dann geht es aber zurück ins Klassenzimmer und im wahrsten Sinne des Wortes zurück in die Kreidezeit, weil unsere Schulen längst nicht den technologischen Wandel und die technologischen Möglichkeiten aufgenommen haben – nicht im Grundschulbereich, nicht im weiterführenden und auch nicht im beruflichen Bereich.

In anderen Gesellschaften, insbesondere im privaten Bereich, Frau Ministerpräsidentin, da wird längst über die vernetzte Schule gesprochen. Da werden die Möglichkeiten von E-Learning längst genutzt. Sie, Frau Löhrmann, haben sich vor einiger Zeit noch schwer damit getan, ein Tablet statt einen Taschenrechner im Mathematikunterricht zuzulassen, während an anderen Orten auf der Welt längst über das Schultablet für alle nachgedacht wird.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Warum kann Nordrhein-Westfalen in einer solchen Frage nicht einmal führend sein? Warum müssen wir das anderen überlassen?

(Beifall von der FDP)

Weil wir falsche Schwerpunkte setzen. Ich sage gleich: Die Modernisierung unserer Bildungsland

schaft, um im Weltmaßstab beispielsweise mit Nordamerika konkurrieren zu können, ist keine Aufgabe, die das Land Nordrhein-Westfalen alleine stemmen kann, das ist letztlich eine Aufgabe für den Gesamtstaat, der bei der Koordination und der Finanzierung von Bildung mehr Verantwortung übernehmen muss. Das Geld dafür wäre da. Es muss kein Science-Fiction sein, über E-Learning, über Tablet für alle, über vernetzte Schule zu sprechen, wenn die Politik in Deutschland bis 2030 nicht 230 Milliarden € für ein Rentenpaket aufwenden, sondern in die beste und modernste Bildung der Welt investieren würde. Das wäre bei entsprechenden politischen Rahmenbedingungen möglich.

(Beifall von der FDP)

Aber wir müssen vor allen Dingen unsere aktuellen Anforderungen angehen. Ich habe bereits eingangs gesagt: Für den MINT-Bereich, der die Schlüsselqualifikationen darstellt, sieht die Lage in NordrheinWestfalen beklagenswert aus. Anders, als Sie das eben hier dargestellt haben, Frau Ministerpräsidentin, ist die Lage nämlich alles andere als rosig. Bei der Überprüfung der Bildungsstandards in Mathematik erreichen 30,6 % der Schüler in NRW nicht die KMK-Mindeststandards für einen mittleren Abschluss. Das ist die Situation der Kompetenz im Fach Mathematik.

Wir haben unlängst die Studie von Herrn Klemm im Auftrag der Telekom-Stiftung diskutiert – sie ist öffentlich vorgestellt worden – mit dem Ergebnis, dass sich bis 2025 die Zahl der Lehrer in den wichtigen Fächern Mathematik, Ingenieurwissenschaften,

Technologie, Naturwissenschaften halbieren wird. In zehn Jahren wird es in den Schlüsselbereichen nur halb so viele Lehrkräfte geben wie heute und wie notwendig wären! Nordrhein-Westfalen steht – davon haben Sie hier nicht gesprochen; dazu haben Sie nichts gesagt; nicht eine Ihrer 180 Maßnahmen betraf diesen Bereich – vor einer Bildungskatastrophe im MINT-Bereich, wenn Sie nicht endlich den Lehrermangel in diesem Bereich entschlossen angehen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dazu kam von Ihnen nichts. Sie haben kein Konzept dafür. Nichts! Erst auf Antrag der Freien Demokraten wird sich der Landtag morgen damit beschäftigen. Wir haben nämlich dazu einen Antrag vorgelegt.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich nenne Ihnen auch unsere Forderung: Gerade im MINT-Bereich sind doch auch in der Wirtschaft die Fachkräfte knapp. Die Lehrer für diese Fächer sind doch in allen Bundesländern knapp. Da muss man sich doch nicht wundern, dass gerade in NordrheinWestfalen der Fachlehrermangel in dem Bereich besonders groß werden wird, weil Sie, Frau Ministerpräsidentin, es zu verantworten haben, dass wir

das am wenigsten attraktive Besoldungsrecht haben und weil Sie Ihre Beschäftigten behandeln wie ostelbische Junker ihre Stiefelknechte. Da müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Qualifiziertesten eben nicht hier Mathelehrer werden wollen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wie ein Bumerang wird das zurückkommen und hier einschlagen.

Wir haben also einen Antrag vorgelegt, den Lehrerberuf attraktiver zu machen, um im Wettbewerb mit Wirtschaft und anderen Bundesländern reüssieren zu können. Das, was Sie heute zum Bildungsbereich gesagt haben, Frau Ministerpräsidentin, war oberflächlich, das war allerhöchstens Pepita. Die wesentlichen Fragen sind Sie nicht angegangen.

Dritter Punkt. Das Wertschöpfungspotenzial der Digitalisierung kann man nur durch leistungsfähige Infrastruktur erschließen. Das ist insbesondere für Mittelstand und Handwerk relevant; denn die großen Player – Industrie, Großunternehmen – schaffen sich ihre eigenen Zugänge zum breitbandigen Netz. Mittelstand und Handwerk müssen sich auf das verlassen, was vor Ort zur Verfügung gestellt wird. Die können es aus eigener Kraft nicht leisten. Beispielsweise können sie nicht eigene Leitungen legen. Sie müssen sich also entweder mit dem zufrieden geben, was da ist, oder sie verlassen den Standort.

Deshalb ist es so entscheidend, dass wir im Breitbandausbau Fortschritte machen. Das ist ein Thema für die Kommunen – für unsere 396 Städte und Gemeinden –, die das leisten müssen.

40 % des ländlichen Raums aber haben nicht einmal Zugang zu 16 Mbit/s.

(Lachen von Reiner Priggen [GRÜNE])

Herr Priggen, Sie lachen darüber, weil Sie nämlich immer noch davon ausgehen, dass 2 Mbit/s „Stateof-the-Art“ sind. Eine 100-Megabyte-Datei damit herunterzuladen, dauert aber sieben Minuten. Mit Glasfaser geht das in wenigen Sekunden. Ich glaube, sehr verehrter Kollege, Herr Priggen, dass Sie als Erstes Ihr Bild vom Breitband verändern müssen. Zwei Megabit in der Sekunde sind nämlich nicht mehr Zukunft, das ist der Stand des Jahres 2005.

(Beifall von der FDP)

Dass wir in Nordrhein-Westfalen insbesondere im ländlichen Raum nicht auf der Höhe der Zeit sind, hat erheblich auch mit Verantwortung der rot-grünen Landesregierung zu tun. Wie war das denn bei den Anmeldungen zur neuen EFRE-Förderperiode im vergangenen Herbst? Was haben wir denn da bei EFRE gemacht? Nordrhein-Westfalen hat das Querschnittsziel Gleichstellung und Nachhaltigkeit angemeldet. Auch die Förderung erneuerbarer

Energien, die in Deutschland scheinbar noch nicht hoch genug subventioniert werden, ist angemeldet worden. Weiterhin ist die ökologische Revitalisierung von Städten angemeldet worden. Sie haben die Chance vertan, beim EFRE-Programm auch die Versorgung mit Breitband im ländlichen Raum anzumelden. Da haben Sie Geld verschenkt, das haben Sie liegen gelassen! Das ist eine falsche Schwerpunktsetzung!

(Beifall von der FDP)

Dass das eben von mir genannte Förderprogramm „Breitband im ländlichen Raum“ nur 2 Mbit in den Blick nimmt, hatte ich schon gesagt. Das zweite Problem ist aber, dass Sie nur Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern berücksichtigen. Damit fallen viele durch den Rost dieses Förderprogrammes. Das muss verändert werden.

Wenn ich schon bei diesem Förderprogramm bin, will ich durchaus noch etwas sagen, weil das symbolisch ist. Man stelle sich einen Verantwortungsträger – ein Ratsmitglied, einen Bürgermeister, einen Gemeindebeamter – in einer Kommune vor. Weiter stelle man sich vor, dass der sich informieren will, welche Förderung es im Land NordrheinWestfalen gibt. Der wird dann auf die Internetseite des zuständigen Ministeriums, des Ministeriums von Johannes Remmel, gehen und „Ländlicher Raum“ anklicken. Anschließend wird er – ich habe ich das gestern Abend noch angeschaut – auf den Unterbereich „Breitbandversorgung“ gehen. Der erste Link, der auf der Internetseite „Breitbandversorgung im ländlichen Raum“ von Herrn Remmel angezeigt wird, ist einer, der auf weitere Informationen – insbesondere auf die „Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der Breitbandversorgung öffentlicher Raum“ – verweist. Was kommt, wenn man diese Richtlinie sehen will? Es kommt eine neue Seite: „Fehler 404 – angefordertes Dokument nicht gefunden“. Das kann jedem passieren; aber es ist gleichzeitig symbolisch, Herr Remmel, für die Art und Weise, wie Sie die Breitbandversorgung angehen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Fehler 404 – Seite nicht gefunden!

Stellen Sie also die Finanzierung auf eine andere Grundlage. Insbesondere das Breitbandförderprogramm der NRW.BANK muss angepasst werden. Glasfaserleitungen müssen bis zum Gehsteig gelegt werden dürfen, nicht nur bis ins Haus, wenn das noch nicht darstellbar ist. Das kann einen Aufholprozess in der Glasfaserversorgung sicherstellen. Nehmen Sie jede der 396 Kommunen an die Hand und finden Sie individuelle Wege, sie ans Breitbandnetz anzuschließen.

Vor allen Dingen, Frau Ministerpräsidentin, sorgen Sie dafür, dass das Koordinationsbüro „Breitband NRW“ weiter finanziert wird. Mit ihm haben wir ein Instrument, das die Kommunen beraten soll. Bis zu

der Stunde aber, als Sie hier Ihre Regierungserklärung gehalten haben, Frau Ministerpräsidentin, war die weitere Finanzierung von „Breitband NRW“ noch nicht sichergestellt. Es hat noch keine Förderzusage für das Jahr 2015. Ändern Sie das, wenn Sie ernstgenommen werden wollen in Ihren Bemühungen, Breitbandversorgung sicherzustellen. Sie können hier nicht nur schöne Worte sprechen für das Protokoll, Sie müssen auch Taten zeigen, Frau Ministerpräsidentin.

(Beifall von der FDP)

Ich komme viertens zum E-Government. Digitalisierung der Verwaltung bedeutet Bürgerfreundlichkeit und zugleich auch das Potential, Kosten zu senken. Dieser Bereich beinhaltet erhebliche Potenziale, wenn wir an das papierlose, schnelle und medienbruchfreie Genehmigungsverfahren denken. Warum machen wir das nicht bei der Nachverfolgung von Bauplänen, der Beantragung von Führungszeugnissen oder bei der elektronischen Gewerbeanmeldung? Das gibt es andernorts in Europa bereits. Warum nicht auch in Nordrhein-Westfalen? Warum können wir hier nicht Vorreiter sein?

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Sie Digitalisierung im öffentlichen Bereich, Frau Ministerpräsidentin, bislang nicht wirklich richtig ernst nehmen, dass das bislang kein echtes Anliegen war. Das wurde zum Beispiel bei einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion aus dem Dezember des vergangenen Jahres deutlich, als wir uns bei Ihnen erkundigt haben, wie der elektronische Rechtsverkehr in der nordrhein-westfälischen Fachgerichtsbarkeit läuft. Wir haben gefragt: Was passiert mit dem elektronischen Rechtsverkehr bei den Fachgerichten in Nordrhein-Westfalen? Ich zitiere aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage aus dem Dezember des vergangenen Jahres: