Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Sie Digitalisierung im öffentlichen Bereich, Frau Ministerpräsidentin, bislang nicht wirklich richtig ernst nehmen, dass das bislang kein echtes Anliegen war. Das wurde zum Beispiel bei einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion aus dem Dezember des vergangenen Jahres deutlich, als wir uns bei Ihnen erkundigt haben, wie der elektronische Rechtsverkehr in der nordrhein-westfälischen Fachgerichtsbarkeit läuft. Wir haben gefragt: Was passiert mit dem elektronischen Rechtsverkehr bei den Fachgerichten in Nordrhein-Westfalen? Ich zitiere aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage aus dem Dezember des vergangenen Jahres:

Die elektronisch und per Fax eingehenden Dokumente werden ausgedruckt und in den obligatorischen Papierumlauf gegeben.

So haben wir uns die Digitalisierung nicht vorgestellt, Frau Ministerpräsidentin. Ihre Regierung befindet sich noch im Zeitalter der E-Mail-Ausdrucker. Das ist aber nicht auf der Höhe der Zeit.

(Beifall von der FDP)

Schon in Ihrem Koalitionsvertrag 2010 war angekündigt worden, dass Sie Open Government als politisch prioritäres Ziel Ihrer Landespolitik ansehen. Wir haben im Februar 2012 nachgefragt. Auch da wurde bestätigt, das sei ein prioritäres politisches Ziel.

Im Januar 2015 warten wir immer noch auf das Portal Open.NRW. In den vergangenen viereinhalb Jahren ist nichts passiert. Als Sie von einem politisch prioritären Ziel sprachen, sind wir davon ausgegangen, dass Sie das im Breitbandtempo erledigen und nicht im Modemtempo der 1990er-Jahre,

Frau Ministerpräsidentin. Wir brauchen mehr Tempo bei den entscheidenden Fragen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Warum gibt es keinen energischeren Kampf gegen Wohnungseinbrüche durch eine zentrale Fahndungsplattform beim LKA? Warum ist die Polizei nicht in der Lage, beispielsweise Hehlerware und Diebesgut bei eBay zu suchen und zu ermitteln, wer die Verantwortung dafür trägt, auf welchem Wege das dorthin gekommen ist? Warum gibt es das alles nicht?

Das zeigt nur eines, Frau Ministerpräsidentin: Sie haben die großen Chancen von Modernisierung und Digitalisierung für öffentliche Verwaltung und Sicherheitsbehörden bislang noch nicht ausreichend wahrgenommen. Es fehlt Ihnen an Ehrgeiz, in diesem Bereich tatsächlich Fortschritte zu machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der letzte Punkt betrifft die Frage der Gründungen, die Sie hier sehr hervorgehoben haben. Das ist mir sympathisch, und es ist für unsere Volkswirtschaft gewissermaßen Hefe im Teig, wenn es eine Gründungskultur gibt.

(Volker Münchow [SPD]: Sie kennen sich damit aus?)

Eine Gründungskultur, wenn Menschen sich auf den Weg machen, sich eine Existenz aufzubauen, ist auch Ausdruck des Zukunftsvertrauens einer Gesellschaft insgesamt.

(Zuruf von Volker Münchow [SPD])

Das sichert den individuellen Aufstieg. Das schafft Arbeitsplätze. – Bitte?

(Volker Münchow [SPD]: Damit haben Sie ja Erfahrung!)

Ach, gucken Sie einmal da!

(Christof Rasche [FDP]: Guck mal, das Schwergewicht der SPD!)

Das ist interessant. Haben Sie nicht gehört, was die Ministerpräsidentin gesagt hat?

(Volker Münchow [SPD]: Doch!)

Haben Sie das nicht gehört, Herr Kollege von der SPD?

(Volker Münchow [SPD]: Doch!)

Sie sagen, ich hätte Erfahrung. In der Tat, Herr Kollege, ich habe in der Hochphase der New Economy schon einmal ein Unternehmen gegründet, und dieses Unternehmen war damals nicht erfolgreich.

Heute hat die Ministerpräsidentin hier gesagt, man solle auch das Scheitern von Pionieren nicht ein Leben lang biografisch als Stigma verwenden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Verein- zelt Beifall von der SPD – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Da haben Sie einen in Ihren eigenen Reihen, Frau Ministerpräsidentin. Sie haben einen, der nicht zuhört, was Sie machen. Das ist Ihr Kollege. Das ist einer der Gründe, warum die Menschen heute lieber in den öffentlichen Dienst gehen - da haben Sie ja auch gearbeitet -, statt ein Unternehmen zu gründen. Wenn man nämlich Erfolg hat, gerät man in das Visier der sozialdemokratischen Umverteiler, und wenn man scheitert, ist man sich Spott und Häme sicher. Das ist doch der Grund.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Kollege: Sie sind übrigens der Zweite. Herr Hahnen hat hier am Pult schon einmal dasselbe probiert. Es sind meistens solche Sozialdemokraten, die das ganze Leben beim Staat gearbeitet oder vom Staat gelebt haben, die anderen unternehmerisches Engagement vorwerfen.

(Beifall von der FDP)

Ich sage Ihnen noch etwas, weil Sie sich hier bis auf die Knochen blamiert haben: Durch Ihren dämlichen Zwischenruf haben Sie im Grunde die gesamte Regierungserklärung der Ministerpräsidentin zur Makulatur gemacht.

(Lachen und Beifall von der FDP und der CDU)

Sie können sich bei dem Kollegen bedanken, der jetzt zum ersten Mal überhaupt im Landtag in Erscheinung tritt, Frau Ministerpräsidentin.

(Lachen von der CDU)

Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Kollege: Mit mir können Sie das ja machen. Schauen Sie, ich bin FDP-Vorsitzender. Ich bin andere Anwürfe gewohnt. Welchen Eindruck macht so ein dümmlicher Zwischenruf wie Ihrer aber auf irgendeinen gründungswilligen jungen Menschen? Was macht das für einen Eindruck?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das hat Spaß gemacht.

(Heiterkeit – Zuruf von der Regierungsbank: Das hat man gemerkt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen das verstehen. Einen solchen Ball auf dem Elfmeterpunkt kann man natürlich nicht ungenutzt passieren lassen. Jetzt ist es aber auch gut, und wir kommen wieder zu den eigentlichen Punkten zurück.

Im Vergleich der 26 innovationsbasierten Volkswirtschaften der Welt steht Deutschland auf dem 22. Platz, und Nordrhein-Westfalen schneidet mit Blick auf das Gründungsklima schlechter ab als der Bundesdurchschnitt.

Man hat den Eindruck, in den Vereinigten Staaten werden Unternehmen von irgendwelchen Nerds im Pullover gegründet. Der Eindruck ist jedoch falsch. Facebook, Amazon und andere solcher großen Technologie- und Plattformunternehmen sind alle aus dem Umfeld von Elitehochschulen gegründet worden, von hochqualifizierten Menschen, die zum Teil auch einmal als zweite oder dritte Gründung ein solch großes Unternehmen auf den Weg gebracht haben.

Weil Sie das erkannt haben, starten Sie jetzt bei uns eine Start-up-Offensive. Diese haben der Wirtschaftsminister und die Wissenschaftsministerin vorgestellt. Habe ich die Zahl richtig im Kopf? Sie wollen dafür 70 Millionen € in die Hand nehmen? Das ist bemerkenswert.

Wir haben uns hier mit dem Hochschulzukunftsgesetz beschäftigt. Das Hochschulzukunftsgesetz hat dafür gesorgt, dass es in den Hochschulen selbst ein Interesse an der wirtschaftlichen Verwertbarkeit von Innovation und Patenten gibt. Mit dem Hochschulrat haben wir den Versuch unternommen, die Hochschule in den Bereich der Wirtschaft hinein zu öffnen. Wir haben Signale für Ausgründungen und für die Kooperation zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung und innovativen Unternehmen und Unternehmensgründungen gesendet.

Das hat auch zu einem enormen Zuwachs beispielsweise in der Rekrutierung von Drittmitteln für die Hochschulen geführt. Nordrhein-Westfalen war also tatsächlich auf dem Weg, über das Hochschulzukunftsgesetz – nein: Hochschulfreiheitsgesetz – eine Brücke hin zu hochinnovativen Unternehmen zu schlagen, und jetzt kommen Sie mit dem Hochschulzukunftsgesetz und machen alle diese Ansätze kaputt.

(Nadja Lüders [SPD]: Freud’sche Fehlleis- tung!)

Sie laden die Wirtschaft aus den Hochschulen aus, Sie nehmen die wirtschaftlichen und autonomen Gestaltungsspielräume weg und wollen jetzt 70 Millionen € investieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie wollen jetzt mit 70 Millionen € reparieren, was Sie wegen des Diktats von ver.di, die Ihnen das Hochschulzukunftsgesetz geschrieben haben, mutwillig kaputt gemacht haben. 70 Millionen € werden aber nicht ausreichen, um den entstandenen Schaden dort zu korrigieren. Denn es ist vor allen Dingen ein Schaden in der Haltung, der Mentalität und dem Klima, den Sie zu verantworten haben.

(Beifall von der FDP)

Ich lasse jetzt einmal außen vor, dass unsere Hochschulen insgesamt unterfinanziert sind, seit Sie ihnen die Mittel aus den Studienbeiträgen entzogen und das auch nicht ausreichend kompensiert haben, was doch zu einem enormen Qualitätsrück

gang führt. Das wollen wir hier jetzt aber nicht weiter diskutieren; das haben wir bereits x-mal gemacht.