gang führt. Das wollen wir hier jetzt aber nicht weiter diskutieren; das haben wir bereits x-mal gemacht.
Ich will beim Thema „Gründungen“ einen Punkt ansprechen, Frau Ministerpräsidentin, über den ich gewundert habe. Sie haben es bei Ihrer heutigen Regierungserklärung nun wirklich nicht an Ausführlichkeit mangeln lassen.
Sie haben es sogar geschafft, die Redezeit um 6:40 Minuten zu überziehen. Gefühlt war es sogar noch mehr. Trotzdem haben Sie nichts zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Risikokapital für Gründungen gesagt. Das ist interessant. Denn wenn Sie so ausführlich sprechen und nahezu jedes Projekt an welcher Hochschule auch immer erwähnen, muss es ja politische Absicht sein, dass Sie kein Wort zu den rechtlichen Rahmenbedingungen gesagt haben.
Bayern hat eine Initiative auf den Weg gebracht, um Gründungen und den Zugang zu Risikokapital zu erleichtern. Was sagt Norbert Walter-Borjans dazu? Ich nenne die steuerlichen Sofortabschreibungsmöglichkeiten beim Erwerb von Anteilen an Startups. Ich nenne die Aufhebung bzw. Abschwächung des Verlustabzugs beim Einstieg von neuen Investoren in Start-ups. Ich nenne Ausnahmen von der Mindestbesteuerung für junge Unternehmen.
Frau Ministerpräsidentin, das sind genau die Punkte, die beispielsweise der Bundesverband Deutsche Startups regelmäßig beklagt. Sie bedeuten im internationalen Vergleich einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für unser Land Nordrhein-Westfalen und für Deutschland insgesamt. Warum haben Sie dazu gar nichts gesagt, Frau Ministerpräsidentin? Ist das für Sie kein Thema? Oder sehen Sie da nur Heuschrecken, die investieren?
Hier müssen Sie nacharbeiten. Wir erwarten von Ihnen, wenn Sie Ihre Regierungserklärung ernst meinen, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Initiative des Freistaats Bayern für bessere rechtliche Rahmenbedingungen für Start-ups aktiv unterstützt. Daran werden Sie jetzt gemessen werden, Frau Ministerpräsidentin. Das ist die nächste Hürde, die Sie nehmen müssen. Sonst ist alles, was Sie hier gesagt haben, nichts weiter als heiße Luft, weil Sie an die wirklichen, tiefgreifenden Probleme nicht herangehen können oder wollen.
Mein letzter Punkt: Natürlich sind kleine Unternehmen mit wenig Managementkapazität besonders von Bürokratie betroffen. Sie brauchen ihre Arbeitskraft, um ihr Produkt zu entwickeln, sich einen Markt
zu eröffnen, den Marktzugang zu organisieren. Hierzulande müssen sie sich aber mit Bürokratie herumschlagen. In den USA geht man zur Gründung eines Unternehmens in die Garage, bei uns geht man aufs Amt. Während man dort schon an der Idee schraubt, füllt man hier noch Formulare aus. Hätte Steve Jobs Apple nicht in Palo Alto gegründet, sondern bei Hannelore Kraft in CastropRauxel, wäre er bereits an der Baunutzungsverordnung für seine Garage gescheitert. Das ist die Realität.
Tun Sie also mal was für den Bürokratieabbau! Damit meine ich übrigens nicht das Tariftreue- und Vergabegesetz.
Denn welches IT-Start-up hat unbedingt ein Interesse, an öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen? Das werden die aller-, aller-, allerwenigsten sein. Das Tariftreue- und Vergabegesetz müssen Sie wegen unseres Handwerks abschaffen. Aber wie sieht es mit den ganzen anderen bürokratischen Fragen aus? Was ist mit Umsatzsteuervoranmeldungen auch bei Gründungsunternehmen? Wie ist das mit den Buchführungspflichten?
Ein ganz aktuelles Beispiel ist Guntram Schneider. Er lässt sich in der Presse immer damit zitieren, er sei derjenige, der die Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung zusammen mit dem Zoll auf Punkt und Komma durchsetzen werde. Genau das werden doch die neuen bürokratischen Lasten für das kleine Unternehmen mit seinen paar Beschäftigen sein. Es muss dann für Guntram Schneider Statistiken ausfüllen, statt sich um sein Geschäft zu kümmern. Das sind doch die bürokratischen Belastungen.
In Berlin wird gerade die Arbeitsstättenverordnung diskutiert. Was sagen Sie denn dazu, Frau Kraft? Für das IT-Start-up wird von Frau Nahles demnächst festgelegt, wie groß das Fenster in der Teeküche und wie hoch die Temperatur im Archiv sein muss.
Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie es mit dem gründerfreundlichen Klima wirklich ernst meinen, dann hören Sie endlich damit auf, zu unterstützen oder selbst zu veranlassen, dass die kleinen, aber auch unsere etablierten mittelständischen Betriebe durch immer neue Bürokratie gefesselt werden. Da täten Sie allen einen Gefallen.
Ich komme zum Schluss, verehrte Anwesende. Letztlich ist es eine Frage des Klimas. Berlin ist die Gründerstadt Nummer eins in Deutschland – nicht wegen besonders guter wirtschaftspolitischer Rah
menbedingungen, sondern eher, weil Berlin ein spannender Standort mit Kultur ist. Vor einigen Jahren sagte man: You can’t hire into Berlin. – Deshalb hat eBay seinen Europasitz seinerzeit nicht nach Berlin, nicht nach Deutschland verlegt. Das hat sich fundamental verändert – nicht weil Herr Wowereit jetzt ein Feuerwerk an wirtschaftspolitischer Liberalität entfacht hätte, sondern weil dort einfach das Klima stimmt.
(Ingrid Hack [SPD]: Nein, dort ist die Politik natürlich nicht schuld, Herr Lindner! Das ist klar, wenn es Ihnen nicht passt! – Minister- präsidentin Hannelore Kraft: Der heißt jetzt Müller!)
Herr Müller hat aber noch nicht so viel mit den Rahmenbedingungen der letzten Jahre zu tun, Frau Ministerpräsidentin. Da ist Herr Wowereit eine längere Zeit verantwortlich gewesen. Deshalb war es schon richtig, dass ich von Herrn Wowereit gesprochen habe.
Übrigens wird es Herrn Müller nicht gelingen, ein besonderes Klima der Elektrizität in Berlin zu entfachen. Wenn man Herrn Wowereit eines zugutehalten muss, dann ist es nicht sein Flughafen, sondern das, was er geleistet hat, um die Stadt interessant zu machen. „Arm, aber sexy“ hat er gesagt. Bei dem Weg in Richtung Armut stehen Sie ihm in nichts nach. Wenn es darum geht, NordrheinWestfalen auch zu einem attraktiven Standort zu machen, gibt es bei Ihnen aber noch einigen Anlass zur Vervollkommnung.
Denn bislang strahlt Ihre Regierung keine Offenheit für Fortschritt, für neue Technologien aus. Bislang preist Ihre Regierung die wirtschaftliche und unternehmerische Freiheit nicht besonders, sondern stellt sie eher unter Generalvorbehalt.
Deshalb möchte ich zum Abschluss folgenden Satz aus der Manuskriptfassung Ihrer Regierungserklärung zitieren:
„Die Landesregierung wird wie bisher ihren Beitrag leisten, diesen Wandel zum Wohle des Landes, seiner Wirtschaft und seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.“
Vielen Dank, Herr Lindner. – Nun spricht für die grüne Fraktion der Fraktionsvorsitzende, Herr Priggen.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!
Gestatten Sie mir zwei, drei Vorbemerkungen, Herr Lindner, einfach um Ihrem Alarmismus zu widersprechen.
Erstens. Sie erwecken ja den Eindruck, als ob 2025 in Nordrhein-Westfalen eine Bildungskatastrophe im MINT-Bereich ausbrechen würde.
Bis dahin werden zwei komplette Durchgänge von Lehrern und Lehrerinnen ausgebildet. Derzeit studieren 26 % derjenigen, die in Deutschland studieren, in NRW, obwohl wir nur 21 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Das heißt, wir sind ein hochattraktives Land für Studierende. Ich bin auch ganz sicher, dass im Rahmen der Schwerpunktsetzung die notwendigen Zahlen innerhalb von zehn Jahren zur Verfügung stehen werden. Insofern ist Gelassenheit angesagt und nicht dieser Katastrophismus.
Zweitens. Ich habe eben, lieber Christian Lindner, ein bisschen Spaß gehabt, als du am Anfang deiner Rede etwas von 16 Mbit erzählt hast. In der Vorbereitung habe ich noch mal eine bösartige Anfrage der Abgeordneten Horst Becker und Reiner Priggen vom 19. Februar 2010 herausgesucht; da war die FDP noch in der Regierung, Armin Laschet noch im Kabinett. Da haben wir beide gefragt: „Wird das ‚schnelle Internet‘ 2010 auch nach Linnich-Boslar kommen?“ Die Antwort auf diese Kleine Anfrage findet man in der Drucksache 14/10985. Mit der habt ihr uns damals eine lange Liste mit den Orten geschickt, die das „schnelle Internet“ haben. Ihr habt da alle Kommunen aufgeführt, auf ganz vielen Seiten. Da steht unter „DSL-Verfügbarkeit 384 Kilobit“ immer 100 % der Haushalte, 99 % der Haushalte usw. Als ihr mit dem Regieren aufgehört hat, war das für euch „schnelles Internet“.
(Heiterkeit von den GRÜNEN und der Regie- rungsbank – Minister Johannes Remmel: Das waren aber drei Elfmeter! Drei Elfmeter wa- ren das!)
Jetzt würde ich ganz gerne, um auch das klarzustellen – entschuldigen Sie, Frau Ministerpräsidentin –, einen Satz aus der Regierungserklärung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann vom 15. Oktober 2014 zitieren, nur einen Satz: „Bei der digitalen Infrastruktur liegen wir zusammen mit NRW an der Spitze der Flächenländer.“
Die reale Zahl sieht so aus: Mitte 2014 hatten 70,7 % der Haushalte in NRW eine Übertragungsrate von 50 Mbit. Ich wiederhole: 50 Mbit – nicht 384 KBit. Baden-Württemberg hatte 69, 2 %, Bayern 62,4 %. Ministerpräsident Kretschmann muss ja
auch nicht in seinem eigenen Parlament sagen: „NRW liegt noch ein bisschen vor uns“, aber er ist an dieser Stelle zumindest fair. Er ist jedenfalls fairer, als Sie beide, Herr Lindner und Herr Laschet, wenn Sie immer als Erstes das Land schlechtmachen.
Dann muss ich sagen: Eigentlich hätten wir heute noch zwölf weitere Regierungserklärungen haben können. Denn gucken Sie mal, wie dieser Prozess abläuft, wie er alle Lebens- und Arbeitsbereiche umwälzt, und das nicht nur in diesem Jahr, sondern seit den letzten zehn, 20 Jahren. Wir wissen – ob es nun Guntram Schneiders Ministerium, das Justizministerium oder das Gesundheitsministerium ist, egal welches Haus –: Jedes Haus arbeitet zu diesem Thema seit Jahren akribisch mit sehr viel Elan nach vorne. Das hätte alles angesprochen werden müssen. Das wäre spannend gewesen. Das wäre auch adäquat gewesen, wenn wir darüber sprechen, welche Bedeutung der ganze Prozess für unser Land hat – dieses alte, von Kohle und Stahl geprägte Industrieland.
Wenn man das Ganze ein bisschen genauer einordnen will, dann muss man sich fragen: Was haben herausragende technische Neuerungen immer wieder an durchgreifenden Veränderungen gebracht für unsere Arbeitsweise, aber auch für die private Umgehensweise? Ich sage mal: Es war der Buchdruck, der als Urknall der Moderne überall die Möglichkeit geschaffen hat, sich Bildung anzueignen.
Gerade wir in diesem Land haben mit solch durchgreifenden Veränderungen große Erfahrungen gemacht. Die erste industrielle Revolution hat in Nordrhein-Westfalen ihren Ursprung gehabt. Die
Dampfmaschinen wurden entwickelt, und mit den Dampfmaschinen war es möglich, die Kohle aus großen Tiefen zu fördern und obendrüber Stahl zu produzieren. Das ist eine der Gründungstatsachen des modernen Industrielandes Nordrhein-Westfalen gewesen. Danach kamen die Fließbandfertigung, der Einsatz elektrischer Energie. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kam die Automatisierung der Produktion hinzu.