Protokoll der Sitzung vom 13.09.2012

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Schlimmer als Westerwelle!)

Aber über die Unterstützung der vielen Menschen, die Solidarität brauchen, sollten wir nicht die Millionen Menschen, die Mehrheit in unserem Land vergessen, die bei der Absicherung der großen Lebensrisiken auf einen handlungsfähigen Staat vertrauen, die von diesem Staat nicht im Stich gelassen werden wollen, die aber vor allen Dingen im Alltag von Bevormundung und Besserwisserei in Ruhe gelassen werden wollen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Genau diese Überdehnung des Begriffs der Solidarität bemängele ich an der Grundanlage Ihrer Politik. Das wird bei nichts so deutlich wie beim Gesetz für ein striktes Rauchverbot, das hier beschlossen werden soll. In Hamburg haben Sozialdemokraten erst vor wenigen Wochen eine durchaus liberale Regelung ins Gesetzblatt gebracht. Hier in NordrheinWestfalen führen die Grünen die Feder, wenn es um das strikte Rauchverbot geht. Wo gehen Ihre Genossen nach der Sitzung des Ortsvereins in Dortmund denn hin? In eine kleine Eckkneipe! Was haben Sie gegen die Leute, die mal einen Zigarrenclub besuchen wollen, um unter sich zu sein? Was haben Sie gegen die?

Gesundheitsschutz ist ein wichtiges Anliegen.

(Ministerin Barbara Steffens: Bei Ihnen nicht!)

Dafür zu werben ist erforderlich. Man kann die Menschen aber nicht zu ihrem Glück zwingen. Ich bedaure, dass die Grünen nicht die Großzügigkeit für die wesentlichste und grundlegendste Regel der Gesellschaftspolitik haben: Leben und leben lassen! Das haben Sie nicht drauf.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Frau Kraft, ich will abschließen. – Ich erkenne nicht, dass Sie die Herausforderung, die in der Verteidigung der Handlungsfähigkeit des Staates liegt, angenommen haben. Nordrhein-Westfalen macht weiter Schulden, absehbar angelegt auf einen Bruch auch des Grundgesetzes. Dabei sind noch nicht einmal die Risiken mit im Blick, die wie ein Damoklesschwert über dem Landeshaushalt schweben.

In der mittelfristigen Finanzplanung des Finanzministers ist auf nahezu jeder Seite von den Risiken aus der Abwicklung der WestLB die Rede – auf nahezu jeder Seite. Wir lesen darüber, dass es ein Stühlerücken im Aufsichtsrat gibt. Der Finanzminister muss im Haushalts- und Finanzausschuss einräumen, dass er gewisse Personalwechsel von Nordrhein-Westfalen nach Hessen jetzt vom Aufsichtsratsvorsitzenden prüfen lassen muss.

Ich frage Sie, Frau Ministerpräsidentin, angesichts der großen Risiken, die in der WestLB liegen: Hat Ihre Regierung den Vorgang WestLB noch unter Kontrolle?

(Beifall von der FDP)

Die BayernLB, Herr Finanzminister, klagt gegen Goldman Sachs. Die strengen eine Klage wegen der Schrottpapiere gegen Goldman Sachs an. Was machen Sie? Haben Sie das geprüft? Falls ja, warum klagen Sie dann nicht? Falls nein, warum haben Sie nicht geprüft?

Wissen Sie, Herr Finanzminister, Ihr Peitschenknallen gegenüber der Schweiz,

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Ihre Kampfrhetorik gegen Finanzhaie, die stehen in einem krassen Gegensatz zu der Sanftpfötigkeit, mit der Sie die Vermögensinteressen des Landes bei der WestLB verteidigen. Darum sollten Sie sich kümmern! Das ist Ihr Kerngeschäft!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gesagt, Sie wollen alle mitnehmen. Sie haben nicht gesagt, wohin. Das ist offengeblieben.

(Heiterkeit von der FDP und der CDU)

In den Schuldenstaat? In den Umverteilungsstaat? In den Bevormundungsstaat, in den Nannystate? Dahin wollen wir nicht mitkommen. Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft mit sicheren Arbeitsplätzen im Mittelstand. Wir wollen eine offene, freie, tolerante Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen einen gesunden, handlungsfähigen Staat, der seine Kraft aus der Bescheidenheit schöpft. Zu all dem haben wir nichts gehört. Deshalb, Frau Kraft: Nordrhein-Westfalen ist ein soziales Land und soll es bleiben. Aber es braucht dringend liberale Impulse.

(Langanhaltender Beifall von der FDP – Ver- einzelt Beifall von der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Lindner. – Als nächster Redner spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Priggen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Lindner, Sie sind ohne Frage jemand, der hier vorne den begnadeten Unterhalter geben kann. Sie werden aufpassen müssen, dass Sie nicht zur medialen Sternschnuppe werden. Denn die Plattitüden, die Versatzstücke aus alten FDP-Reden, die Sie gebracht haben

(Christof Rasche [FDP]: Das haben Sie schon vorgestern aufgeschrieben!)

ganz ruhig, hören Sie es sich an! –, Vollkaskomentalität und Ähnliches, das alles hat es immer wieder gegeben. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was Sie machen würden, wenn Sie hier im Land Verantwortung hätten. Dann ist mir aufgefallen, dass Sie jedes Mal, wenn es ernst wurde, ab

gehauen sind. Sie sind aus Nordrhein-Westfalen abgehauen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- rufe von der FDP)

Man kann diese forsche Nummer der rhetorischen Kavallerie machen. Ich habe hier in den letzten Jahren ein paar Kollegen erlebt, die ähnlich drauf waren; ich will sie gar nicht alle nennen. Aber ich kann sagen: Es geht nicht gut aus.

Das, was Sie hier gemacht haben, war eine forsche Attacke. Außerdem haben Sie geleugnet, dass Sie auch im Bund für eine ganze Reihe von Sachen Verantwortung getragen haben, die uns hier Probleme machen. Für all das ist Herr Lindner nicht mehr verantwortlich.

(Christian Lindner [FDP]: Sagen Sie mal, welche!)

Ich will Ihnen das mal sagen. Sie haben die Verkehrsinfrastruktur angesprochen. Sie haben auf Bundesebene – das kann man Zahl für Zahl nachweisen – mit dafür gesorgt, dass die Neubaumittel immer überproportional in den Süden abwandern und nicht nach Nordrhein-Westfalen gehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es gibt eine faire Verteilung: nach dem Königsteiner Schlüssel. Wir leugnen es doch gar nicht: Wir sind das wichtigste Transitland in der Republik. Wir brauchen eine starke Verkehrsinfrastruktur. Wenn aber Ramsauer – das gilt auch für alle Vorgänger – ungeniert überproportional Mittel nach Bayern umlenkt, dann können wir nachweisen, dass wir die Gelder dafür nicht haben. Das wissen Sie ganz genau. Sie haben dafür Mitverantwortung, stellen sich aber hierhin und tun so, als ob das Problem darin bestünde, dass wir hier zwischen Neubau und Unterhalt entscheiden müssten. Sie haben keine Ahnung davon, wie es im Land aussieht. Wir sind froh, wenn wir den Unterhalt schaffen. Und wir wissen, dass wir mit dem Brückenbau der 70er-Jahre eine Riesenhypothek haben. Die Brücken aus jener Zeit müssen repariert werden. Wir sind froh, wenn wir das halten können.

Wenn es Geld für Neubau gibt: Ja, dann lassen Sie uns neue Strecken bauen. Wir können Ihnen Infrastrukturstrecken – die hat die Ministerpräsidentin gestern angeführt – im Bahnbereich nennen. Da können wir ohne Ende jahrelang bauen. Ich nenne das dritte und vierte Gleis der Strecke von Köln über Düren hinüber nach Aachen. Gerne, ja, sofort. Besorgen Sie die Mittel im Bund! Da haben Sie doch Einfluss. Sie sind doch der heimliche Vorsitzende der FDP. Organisieren Sie das! Wir bauen sofort.

Weiter geht es um die Linie hinüber Richtung Holland. Ob das der Eiserne Rhein auf einer anderen Trasse ist oder ob das dann entlang der Autobahn geht, das wird noch austariert werden müssen. Aber

dass wir eine solche Linie brauchen, ist klar. Wir wollen sie gerne haben. Wir brauchen einen Umbau des Knotenpunktes in Köln. Wir brauchen Baumaßnahmen in Dortmund und auch die Strecke Richtung Hamm.

Woran liegt es denn? Es liegt daran, dass im Bund systematisch eine Politik gemacht wird, die dazu führt, dass Nordrhein-Westfalen die Mittel dafür nicht erhält. Es ist also nicht so, dass wir keinen Neubau wollten, sondern das Problem ist auf Ihre Untätigkeit zurückzuführen.

Auch will ich Ihnen sagen, Herr Lindner: Sie haben jede Plenarschweinerei im Bund, die zu massiven finanziellen Belastungen des Landes NordrheinWestfalen führte, mitgemacht. Sie sind in verantwortlicher Position bei der FDP mit dabei gewesen, als das Wachstumsbeschleunigungsgesetz eingestielt wurde. Sie können sich hier nicht kleinmachen, weil Sie nicht in der Regierung waren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Allein dieser Unsinn, diese eine Milliarde an Mövenpick, auch das wahllose Ausstreuen von Kindergeld und andere Sachen – das hat für NordrheinWestfalen in jedem Jahr zu Belastungen von 880 Millionen € geführt. Davon weiß Herr Lindner nichts mehr, stellt sich hierhin und hält eine große Rede darüber, was andere tun müssten.

Sie haben, was die Energiepolitik angeht – insofern war das für mich ein sehr schönes Beispiel –, ein Zerrbild dessen dargestellt, wie wir arbeiten. Sie haben den Koalitionsvertrag nicht gelesen. Sie haben überhaupt nicht mitgekriegt, was wir in den letzten beiden Jahren gemacht haben. Das ist Ihnen egal. Ihre Plattitüden gegen Johannes Remmel sind das, worum es Ihnen geht. Das ist eher ein Ritterschlag für den Umweltminister. Damit können wir gut arbeiten. Das aber, was in Wirklichkeit passiert, dass Ihre Partei im Bund das größte Risiko für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist, das wischen Sie vom Tisch.

Sie haben – ich will es wirklich so sagen – ein niederträchtiges Papier als Geheimpapier aus Brüderles Haus gestreut. Darin schreiben Sie, dass das EEG durch ein Quotenmodell marktwirtschaftskonform ersetzt werden soll. Der Untertitel – so steht es in Brüderles Papier – lautet: Allein durch die Ankündigung werden wir dafür sorgen, dass die Investoren nicht mehr tätig werden. – Sie wollen, dass der Markt zusammenbricht. Das passt nicht mit der Politik zusammen, die man offiziell als Bundesregierung trägt, wo man zusammen mit Kanzlerin Merkel sagt: Ausbauziel Erneuerbare 40 % in 2020; Klimaschutz minus 80 % in 2050. Gleichzeitig sabotieren Sie – und zwar die FDP federführend – im Bund jeden Bereich, der da nach vorne geht.

Wer dilettiert denn – um den Punkt mal vorweg zu erwähnen – beim Leitungsausbau? Wer beauftragt eine holländische Firma und muss jetzt die Bürge

rinnen und Bürger zur Kasse bitten, weil sie die Leitungen nicht legen kann?

Sie hätten die Deutsche Netz AG gründen sollen. Sie hätten an der Stelle von mir aus marktkonform die Lebensversicherer damit beauftragen sollen, für 4 oder 5 % Rendite zu bauen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die hätten es gemacht. Die hätten sich von Siemens die Techniker geholt. Die Politik hätte ihnen sagen müssen, wo die Trassen hinsollen. Dann hätte man ein Ausbaugesetz gemacht.

So haben wir uns auch im Koalitionsvertrag – wie Schwarz-Gelb in Niedersachsen – verständigt. Sie aber stellen sich hierhin und tun so, als ob das an uns scheitern würde. Sie haben dazu im Bund nichts hingekriegt.

Ehrlich gesagt: Sie kommen aus einer Krawallkoalition in Berlin. Wenn man so lange zusammenarbeitet wie Sozialdemokraten und Grüne – für mich sind das, wenn diese Legislatur zu Ende geht, 17 Jahre Koalitionsarbeit mit der SPD –, kommt man zu einem Umgang, der vernünftiger ist, als Sie sich das nach Ihren schlechten Erfahrungen in Berlin vorstellen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)