Jetzt reden wir über die Steuereinnahmen, die uns helfen, die steigenden inhaltlichen Anforderungen – Tarifsteigerungen etc. – über die Jahre nachhaltig zu finanzieren, bei gleichzeitiger Senkung der Nettoneuverschuldung. Jetzt wollen Sie auch an diese Basis heran.
Ich fasse das einmal zusammen: Sie wollen mehr Geld für Brücken und Straßen, Sie wollen eine bessere Ausstattung der Kommunen – für die Unterbringung von Flüchtlingen sowieso –, Sie wollen gleichzeitig die Senkung der Nettoneuverschuldung, und Sie wollen eine Absenkung der zu erwartenden Steuereinnahmen.
Das ist ein Synkretismus von Voodookult und Haushaltspolitik. Das ist ein ganz neues Forschungsfeld für Religionswissenschaftler. Das hat mit Logik und seriöser Haushaltspolitik nichts mehr zu tun, sondern das ist Voodoo: mit dem Kollegen Witzel und dem Hohepriester Optendrenk.
Dazu passt, dass mit einer Überzeugung, die einer Glaubenswahrheit nahekommt, das berühmte Beispiel eines Beschäftigten, der nach einer Bruttolohnerhöhung am Ende netto weniger in der Tasche habe, vorgetragen wird. Man muss nicht Mathematik studiert zu haben, um nachzuweisen, dass bei einem Steuersatz, der unter 100 % liegt, das nicht möglich sein kann – bei einer Inflationsrate wie jetzt erst recht nicht.
Bei diesem Beispiel springt die Logik freiwillig in den Rhein, nur um schnell von hier wegzukommen. Aber inzwischen hat sich dieses Beispiel so festgesetzt – deswegen bin ich dankbar, dass der Kollege Zimkeit ein paar Zahlen genannt hat –, dass man mit einfacher Logik nicht mehr hinterherkommt.
Was steckt also dahinter? – Dahinter steckt ein altes Mantra, unter anderem der FDP. Dahinter steckt zum Beispiel die Forderung nach allgemeinen Steuersenkungen, wobei wir uns wirklich fragen sollten, ob bei den Einkommen, über die wir reden, die besonders belastet sind, wirklich die Steuerlast das Problem ist oder ob wir hier nicht ein Problem mit hohen Sozialabgaben haben. Das aber nur am Rande.
Oder dahinter steckt die für 2017 angelegte Wahlkampfmelodie, die wir von dem Kollegen Optendrenk schon gehört haben und bei der es darum geht, die Leute mit zwei Schlüsselreizen kirre zu machen: mit dem Fakt, dass die Steuereinnahmen jedes Jahr steigen, was, wenn es keine Rezession gibt, normal ist, und dem Gefühl, dass der Staat, wie Sie das formuliert haben, vermeintlich in Geld schwimmt und dass er unter der Führung von SPD und Grünen nicht richtig wirtschaften kann, sonst
Sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern konkret Entlastungen versprechen, die bei den Einzelnen zwar nur ein paar Euro ausmachen, für uns aber Deckungslücken in dreistelliger Millionenhöhe bedeuten. Gleichzeitig wollen Sie die Bürgerinnen und Bürger hinters Licht führen, denn Sie sagen nicht, wo Sie das gegenfinanzieren und wie Sie die Kürzungen auffangen wollen. Solange Sie diese Frage nicht vernünftig beantworten können, hat Claus Hulverscheidt von der „Süddeutschen Zeitung“ recht – ich zitiere es noch einmal –:
„Wenn das Getöse, das jemand veranstaltet, tatsächlich Ausdruck realer Größe wäre, dann wäre manch nachtaktive Mücke wahrlich ein Elefant und Lothar Matthäus längst Bundestrainer.“
Sie machen hier den Lothar Matthäus der Haushaltspolitik. Mancher Kommentator hört Ihnen gerne zu. Manchmal ist auch etwas Kluges dabei. Aber wenn es darum geht, wer den Verein coachen soll, will niemand mehr etwas von Ihnen wissen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den letzten Reden wird es Zeit, dass man endlich zu den Fakten und zur Sachlichkeit zurückkommt.
Herr Kollege, die simple Logik gebietet das: Wenn die Einkommen steigen, wachsen auch die Einnahmen aus der Einkommensteuer. In einem progressiven Steuersystem steigt dabei das Aufkommen aus der Einkommensteuer sogar überproportional im Vergleich zu den Einkommen. Starke Schultern tragen also ohnehin mehr als schwächere Schultern – absolut und prozentual.
Steuerzahler bemerken die Wirkung der eiskalten Progression vor allem dann, wenn sie eine Gehaltsanpassung erfahren. Steigt der ausgezahlte Bruttolohn in gleichem Maße wie die durchschnittliche Preisentwicklung, kann sich der Steuerzahler von seinem Nettogehalt am Ende weniger leisten. Denn ein wachsender Teil des zusätzlichen Lohns wandert an den Staat.
Auf diese Weise steigt das Einkommensteueraufkommen bereits bei real konstanten, also inflationsbereinigten Löhnen und Gehältern überproportional an.
Gerechtigkeit. Es geht nämlich darum, die Ungerechtigkeit der schleichenden Steuererhöhung zu beseitigen. Das gönnen Sie den Menschen nicht.
Herr Kollege Zimkeit, Sie reden die ganze Zeit von Steuersenkungen. Niemand redet von unserer Seite – der Seite der Antragsteller – von Steuersenkungen, sondern wir wollen nur die Rücknahme einer ungerechtfertigten faktischen Steuererhöhung, mit der Sie den Menschen jetzt mehr Geld aus der Tasche ziehen.
Da der Einkommensteuertarif zuletzt im Jahr 2010 durchgehend reformiert wurde – das ist Ihnen doch bekannt –, sind den Bürgern seitdem, also seit fünf Jahren, erhebliche Mehrbelastungen entstanden. Im Zeitraum von 2011 bis 2014 betrug die Zusatzbelastung durch die kalte Progression bei der Einkommensteuer und dem Solidaritätszuschlag über 25 Milliarden € in der Summe. Bleibt der Einkommensteuertarif unverändert, wachsen die Belastungen in den folgenden Jahren weiter dynamisch an.
Allein im laufenden Jahr 2015 ist infolge der kalten Progression von Steuermehreinnahmen in Höhe von 7,8 Milliarden € auszugehen. Deshalb ist die Quizfrage auch mehr als berechtigt: Was haben der Bundesfinanzminister, der Vorsitzende der CDUWirtschaftsvereinigung, der SPD-Parteivorsitzende, der DGB-Chef, der Präsident des Bundes der Steuerzahler und die Wirtschaftsweisen gemeinsam? – Richtig: Verbal sind sie sich in Sonntagsreden alle einig, dass die ungerechte kalte Progression beseitigt werden muss, nur handeln Bund und Länder in der Praxis nicht so. Deshalb wird es Zeit, dass jetzt endlich für die Menschen in unserem Land konkret etwas erreicht wird.
Herr Kollege Witzel, apropos „Quizfrage“: Würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hahnen zulassen?
Vielen Dank, Herr Witzel! – Sie sind ja bekanntermaßen schon lange Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Insofern sprechen Sie höchstens als Landtagsabgeordneter, wenn Sie aus der Vergangenheit sprechen.
Ihr Fraktionsvorsitzender hatte aber – wenn ich mich richtig erinnere – in Berlin doch lange Zeit Mitverantwortung, und die FDP auf Bundesebene
Es gab von der Bundesregierung konkrete Konzepte, die zur Absenkung der kalten Progression verfolgt worden sind, die bei den Ländern allerdings gescheitert sind;
unter anderem deshalb, weil es der Finanzminister unseres Landes Dr. Norbert Walter-Borjans, der das gerne auch im Plenum vorträgt, für falsch hält, zu einer vollen Rücknahme zu kommen. Herr Hahnen, von der alten Bundesregierung gab es sogar ausdrücklich Vorschläge zur Kompensation dessen, was bei den Ländern an Steuerausfällen eingetreten wäre. Da hat Ihr Finanzminister, der Finanzminister dieses Landes, gesagt, trotzdem wolle er nicht, dass an dieses Thema so herangegangen werde. – Sonst hätten wir längst etwas erreicht!
Herr Hahnen, es geht um den Aspekt der vollen Kompensation, nicht nur der teilweisen Kompensation. Deswegen kritisieren wir auch die Debatte, die die SPD momentan mit der CDU im Bund führt. Dabei geht es nämlich nur darum, die Preissteigerungen und die Effekte für die Jahre 2014 und 2015 zu beseitigen und den Tarif dort zu verschieben.
Bei dem Modell, das Sie aktuell in Verantwortung im Bund diskutieren, wäre der Effekt, dass bei einem zu versteuernden Einkommen von 20.000 € gerade einmal eine Entlastungswirkung in Höhe von 17 € im Jahr entstünde. Selbst bei einem Einkommen von 50.000 € reden wir über 88 € Entlastung jährlich. Das ist niedlich, aber nicht ausreichend.
Das, was innerhalb der jetzigen Bundesregierung diskutiert wird, ist eine symbolische Teilentlastung. Wir als FDP-Landtagsfraktion sind der Auffassung: Die Steuerzahler haben eine Rücknahme der vollständigen Mehrbelastung verdient, die nämlich eine faktische Steuererhöhung ist.
Deshalb hat das renommierte Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung – RWI – ausdrücklich in einem aktuellen Gutachten die Dimension der Ungerechtigkeiten analysiert und fordert in der Konsequenz eine Dynamisierung, also den sogenannten Tarif auf Rädern, damit wir zu einer Systematik kommen, die auch für die Zukunft dauerhaft zur Vermeidung des Effekts der kalten Progression beiträgt, indem der Einkommensteuertarif kontinuierlich an die Entwicklung der Verbraucherpreise gekoppelt wird.
Wir brauchen jetzt Taten und nicht nur warme Worte im Kampf gegen die eiskalte Progression. Die richtige Antwort lautet: Statt Mütterrente und abschlagsfreier Frühverrentung mit 63 sollen steigende Löhne in unserem Land auch zu steigender Kaufkraft führen. – Das stärkt die Binnennachfrage und somit die Wirtschaft. Sinkt der Reallohn, kann die Binnennachfrage nicht steigen.
Ein Letztes: Schaffen wir eine dauerhafte Lösung statt der permanenten Fortsetzung dieses unwürdigen Geschachers! Wir brauchen einen automatischen Mechanismus für die zukünftige Verschiebung des Steuertarifs. Geben wir den Steuerzahlern das Geld zurück, das ihnen zusteht, und das von ihnen längst erwirtschaftet worden ist! – Vielen Dank!
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Herr Kollege Zimkeit, wenn ich mich auch dafür bedankt habe, dass Sie die Zwischenfrage, die ich eben gestellt habe, beantwortet haben, so ist leider Gottes keine echte Positionierung der SPD dabei herausgekommen. Vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie Ihre Position just an diesem Pult viel besser dargestellt, wenn ich mir das einmal als Bemerkung erlauben darf.
Es hat mir persönlich wesentlich besser gefallen, als Sie Folgendes sagten – ich darf an dieser Stelle mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren –:
„Aus unserer Sicht braucht es ein finanzpolitisches Gesamtkonzept für mehr Steuergerechtigkeit, die angemessen alle Einkommensarten einbezieht, eine Finanzausstattung, die es sowohl Ländern als auch Kommunen ermöglicht, in die Zukunft zu investieren, in Infrastruktur, in Bildung und eine solide Finanzpolitik, die den Schuldenabbau im Blick hält.“